Was tun? Und mit wem?

von
Jutta Ditfurth

10/09

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Dies ist mein vorerst letzter Blog-Beitrag. Ich bedanke mich sehr herzlich für die lebhafte und kontroverse Diskussion. Vorher hatte ich das Vorurteil, dass Blog-Debatten oft nur aus hingerotzten Bemerkungen und wüsten Beschimpfungen bestehen. Das mag ja sein, hier war es nicht so, hier wurde richtig diskutiert. Das war eine interessante Erfahrung.  In nächster Zeit werde ich nicht bloggen, oder falls einmal wieder, erfahrt ihr das auf meiner website unter »JuDit bloggt«. Jetzt werde ich an meinen Büchern und anderen Texten weiterarbeiten, auf Lesereise gehen – außerdem gibt es politisch viel zu tun, links und vorzugsweise außerparlamentarisch. Vielleicht sehen wir uns beim »Bundesweiten Rebellionsgespräch« am 10./11. Oktober (siehe unten), vielleicht auf einer der nächsten guten Demos. Herzlichen Dank und tschüss!

Aber vorher noch einige Thesen zu den 

1. PERSPEKTIVEN:

Wir erleben mit der Weltwirtschaftskrise nicht den Anfang vom Ende des Kapitalismus, wie einige gehofft hatten, sondern wir beobachten, wie der Kapitalismus sich auf Kosten der Ausgebeuteten und Erniedrigten »gesundschrumpft«, um »modernisiert« sowie autoritärer und mörderischer denn je aus der Weltwirtschaftskrise hervorzugehen.

Damit die sozialen Probleme hier nicht zum Aufstand führen müssen die Folgen der Krise in den Trikont ausgelagert werden, so dass sie Nicht-Deutsche treffen. Da das nicht ganz gelingt, braucht es auch innerhalb der BRD Instrumente der Unterdrückung und Befriedung. Die Hitliste führen an:

1. Befriedung. Zum Beispiel durch Billigstkonsum. Ohne Textilien, Kinderspielzeug etc aus China gäbe es Legitimationsprobleme.

2. Propaganda. Also Ablenkung und die Täuschung über die realen Zustände. Also Tageschau, Esoterik, Horst Köhlers Weihnachtsansprachen.

3. Überwachung und Bespitzelung. Würden sämtliche antidemokratischen Möglichkeiten dieses Staates auf einmal und zur gleichen Zeit eingesetzt, lebten wir sichtbar in einer Diktatur.

4. Repression. Amtsschikanen, psychische Bedrohung, Denunziationen bei Ausbildern und Betriebsleitungen, Berufsverbot, Schläge, Prügel, Einkesselung, Freiheitsberaubung, Überwachung, Psychiatrisierung, Sicherheitsverwahrung auch von Jugendlichen. Für beinahe jedes soziale Milieu gibt’s die passende Repression. So funktioniert soziale Spaltung in einer entsolidarisierten Gesellschaft.

5. Militarisierung. Krieg gegen Jugoslawien (mit Hilfe von SPD/Grünen), Krieg in Afghanistan (dank SPD und Grünen). Schritt für Schritt wird deutsches Militär auch im Inland eingesetzt, Beispiel: der G-8-Gipfel von Heiligendamm im Juni 2007.

Bald nach der Wahl wird es Millionen neue Arbeitslose und ihre Angehörigen geben. Sofern sie sich nicht ihr »Schicksal« und in Hartz IV ergeben, wird die soziale Frage mit Hilfe von Polizei und Justiz »gelöst«, notfalls mit Hilfe von Heimen, Sicherheitsverwahrung und Psychiatrien. Die soziale Ordnung in Deutschland bleibt eine Gefängnisordnung.

Soziales Elend bringt keine automatische Linksentwicklung, schon gar nicht im autoritären, reaktionären Deutschland. Hier hat linker Widerstand keine erfolgreiche Tradition. Ein emigrierter Jude, vor deutschen Mördern geflohen, brachte erst in den 1960ern das Recht auf »résistance« nach Deutschland zurück. Herbert Marcuse sagte: »Ich glaube, dass es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein ›Naturrecht‹ auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzulänglich herausgestellt haben. […] Es gibt keinen anderen Richter über ihnen außer den eingesetzten Behörden, der Polizei und ihrem eigenen Gewissen. Wenn sie Gewalt anwenden, beginnen sie keine neue Kette von Gewalttaten, sondern zerbrechen die etablierte.« (Aus: Repressive Toleranz, 1964) 

In der letzten Rede vor seinem Tod, im Juni 1968, stimmte der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, dem wir verdanken, dass es die Auschwitzprozesse in den 1960ern gegeben hat, explizit diesen Aussagen Marcuses zu: »Das ist ganz in Übereinstimmung mit dem, was Gemeingut der Rechtsgeschichte ist.«

Wenn es also darum geht, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«, wie Karl Marx es formulierte, ist die herrschende Ordnung zu erschüttern. Es ist die schönste vorstellbare Utopie, in einer Welt zu leben, in der alle Menschen, die Chance haben, ihr ganzes soziales, intellektuelles und kreatives Potenzial frei zu entfalten. Ein menschenwürdiges Leben für alle in einer Gesellschaft ohne Lohnarbeit und Kapital und ohne das grenzenlose Wachstum des kapitalistischen Wirtschaftens mit seinem Zwang zu Profit, Konsum und Konkurrenz.

Ereignisse wie die Weltwirtschaftskrise produzieren für kurze Momente in der Geschichte flüchtige Zeitfenster, Risse, in die wir Widerhaken werfen können, bevor die mörderische alte Ordnung sie wieder zuschmiert.

Also: Was tun? Theorie, Aktion, Organisation. Kopfarbeit, lesen, denken, streiten, klüger werden. Ohne Praxis und Aktion schläft die Theorie aber im Elfenbeinturm. Der theorieblinden Praxis wiederum droht die Sektierei oder die Kriminalisierung. Also Aktion und Theorie. Was aber sind beide aber ohne Organisierung? Organisierung ist im Land der unverbindlichen, von Mittelschichtskids geprägten »Netzwerke« auch so ein Tabu, das den Herrschenden gefällt. Was tun also?

Bündnisse funktionieren nicht unterhalb eines gewissen Niveaus. Das Ziel ist klar: Kapitalismus abschaffen. Das geht nicht mit sozialdemokratischen Organisationen, egal ob SPD oder Linkspartei. Das ist klar:

– seit der SPD/Linkspartei-Koalition in Berlin,

– seit dem Deutschen Herbst 1977,

– seit den Notstandsgesetzen von 1968,

– seit Bad Godesberg und der Absage der SPD an den Antikapitalismus (1959) 

– seit Ebert und Noske und der verratenen Novemberrevolution von 1918/19.

Konsequenz: Bündnisse der antikapitalistischen und staatsunabhängigen Linken sind: antinationale und reformismusfreie Zonen!

Die Arbeiterklasse existiert – soziologisch. Aber nicht mehr als das klassische revolutionäre Subjekt, denn sie hat kein kollektives Bewusstsein ihrer selbst als revolutionäre Klasse. Also, mit wem? Unsere potenziellen Bündnispartner sind: mit dem politisch bewussten Teil der Arbeiterklasse, mit Migranten, Subproletarierinnen, Straßenkindern, Schülern, Studentinnen, Leiharbeiterinnen, Künstlern, Hartz-IV-Empfänger, Intellektuelle. Klar, das ist mühsam. Aber auch ziemlich interessant über den spießigen Tellerrand des eigenen Milieus zu schauen. Aber man kann tatsächlich mit Leuten Revolte machen, die nicht die gleiche Musik mögen wie man selbst. Aber, ich gestehe die Grenzen meiner Toleranz: auf ewig ausgeschlossen sind volkstümliche Musik, Operette und Marschmusik.

Unser Ziel ist eine Gesellschaft, die auf Solidarität aufbaut und auf sozialer Gleichheit, in der es keine Ausbeutung und keine Herrschaft von Menschen über Menschen mehr gibt, eine Gesellschaft, in der wir basisdemokratisch entscheiden, wie wir leben und arbeiten wollen. Das ist ein tollkühner Plan. Den Weg, durch den wir dieses Ziel erreichen könnten, nennen wir soziale Revolution. Einverstanden.

Und wie wird die Sache ausgehen? Das soll Marx beantworten: »Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen werden würde.« 

2. EINLADUNG ZUM BUNDESWEITEN »REBELLIONSGESPRÄCH«

Ich lade diejenigen, die mit dem Inhalt meiner Blog-Beiträge etwas anfangen konnten, zum bundesweiten Rebellionsgespräch der Ökologischen Linken ein. Auch diese Diskussion ist eine antinationale und reformismusfreie Zone…

Thema: »Was kommt nach der Weltwirtschaftskrise? – Ruhe? Aufruhr? Widerstand?«

Datum: Sa. 10.10.2009,15:00 Uhr bis So. 11.10.2009,16:00 Uhr

Ort: Frankfurt/Main. Eintritt kostenlos. Mit der Anmeldebestätigungwird der Ort bekannt gegeben. 

Anmeldung bitte über: jutta.ditfurth@t-online.de

Zum Inhalt: Das Land in dem wir leben: Millionen neue Arbeitslose, Schutzlosigkeit, Sklavenarbeit und Lohnraub. Weltweite Raubzüge auch deutschen Kapitals. Lebensgefährlicher Klima»wandel«. Ein aufgerüsteter Atomstaat. Kriege mit deutscher Beteiligung. Mit Sicherheit in einer Überwachungsgesellschaft. 2010.Wenn es das Ziel allen linken politischen Handelns ist, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen  der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« (Marx 1844)  – wo stehen wir heute?  

3. EINLADUNG ZU MEINEN NÄCHSTEN VERANSTALTUNGEN: 

»Zum 75. Geburtstag von Ulrike Meinhof: Szenische Lesung –Ermittlungen über Ulrike Meinhof (mit Bildern und Fundsachen)«

Mi. 30.9.2009, 20:00 Uhr, WUPPERTAL, Forum Maximum im Rex-Theater, Kipdorf 29, 42103 Wuppertal-Elberfeld, Tel. 0202/426 55 45, Fax 0202/426 55 41. Tickethotline: 0202/44 11 59, eMail: info@rex-theater.de, Eintritt:  AK: 14 Euro / ermässigt: 11 Euro, VVK: 11 Euro

Mo. 5.10.2009, 20:00 Uhr, HAMBURG, Theater »Polittbüro«, Steindamm 45, www.polittbuero.de, Eintritt: 15 Euro / ermäss. 10 Euro


Di. 6.10.2009, 20:30 Uhr, BERLIN, Berliner Ensemble, Pavillon, Bertolt-Brecht-Platz 1, 10117 Berlin, VVK: http://www.berliner-ensemble.de/spielplan.php?c=1&date=2009-10. Eintritt: 7 Euro.

Mi. 7.10.2009, 20:15 Uhr, STUTTGART, Theaterhaus, Spielort Glashaus, Siemensstr. 11, 70469 Stuttgart, Eintritt: 9 Euro

sowie Lesung & Diskussion zu Zeit des Zorns

Di. 13.10.2009, 20:00 Uhr, FRANKFURT/MAIN, Eröffnungsveranstaltung der GEGENBUCHMASSE, KOZ (Kommunikationszentrum) im Studierendenhaus, Campus Bockenheim, Universität Frankfurt/Main, Mertonstr. 26-28, 60325 Frankfurt/Main. Veranstalterin: antifa [f]. Eintritt frei

Alle weiteren Veranstaltungen siehe: www.jutta-ditfurth.de 

4. MEINE BÜCHER

Ulrike Meinhof. Die Biografie, 480 S., Hardcover: Berlin: Ullstein 2007, 22,90 Euro. Taschenbuch: Berlin: Ullstein Taschenbuch Verlag 2009, 9,95 Euromehr: http://www.jutta-ditfurth.de/ulrike-meinhof/Klappentext.htm

Rudi und Ulrike. Geschichte einer Freundschaft, 250 S. (mit Fotos), Hardcover, 16,95 Euromehr: http://www.jutta-ditfurth.de/rudi-ulrike/Bild/Vorschau-Ditfurth-Rudi-Ulrike.pdf

Zeit des Zorns. Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft,
 272 S., München: Droemer 2009, 16,95 Euro. Mehr: http://www.jutta-ditfurth.de/Zeit-des-Zorns/ZeitdesZorns-Info.htm  

Editorische Anmerkungen

Wir spiegelten den letzten Blogeintrag von Jutta Ditfurth auf  Ihrem BLOG bei PRINZ