Fiktives Exklusivinterview zur Agenda 2020

Ein exklusives Interview des Wirtschaftsblattes "Hauptsache Bunt" (HB) mit Herrn Dr. G. Säß-Faller (SF), dem Chef der neu etablierten Staatskanzlei für Staatswesen, Sicherheit, Grundrechte und Bedarfssicherung (StaSiGruBe) vom 25.09.2009.

(das Interview wurde geführt von R. Lindner)

10/09

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HB: Zunächst vielen Dank für dieses Exklusivinterview über die Inhalte der neuen Agenda 2020, die von Ihrem Hause maßgeblich erarbeitet wurde. Finden Sie den Namen Ihrer Staatskanzlei passend gewählt ?

SF: Gerne. Doch zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass wir an dieser Stelle nicht detailliert über die neue Agenda 2020 sprechen werden.

Es ist richtig, dass die Agenda zwar schon in nahezu allen Bereichen während der vergangenen Legislaturperiode fertig gestellt wurde, aber vor einer Veröffentlichung müssen noch zahlreiche andere Abteilungen ihr Einverständnis geben, somit wäre es nicht legitim, jetzt schon allzu ins Detail zu gehen, da - zumindest theoretisch - noch entsprechende Änderungswünsche an uns herangetragen werden können.

Wir hatten SGB als Abkürzung vorgesehen. Allerdings haben unsere Kollegen von Public Relation dieses Kürzel in letzter Zeit schon überstrapaziert durch die Sozial-Gesetzbücher. Mittlerweile wissen selbst die Autoren nicht mehr genau,

in welcher SGB-Nummer sie was finden. Die andere Alternative, SSGB, war lange Zeit ein Favorit, aber erstens war die Ähnlichkeit zu SGB zu groß und außerdem bestand die Gefahr, dass SS wieder mit dem Dritten Reich in Verbindung gebracht wird.

StaSi ist zwar auch in gewisser Weise negativ vorbelastet, aber immerhin hat ein gutes Drittel der Bevölkerung diesen Begriff noch in Erinnerung. So etwas schafft Nähe, Vertrautheit und stillt die aufkeimende Sehnsucht nach "der guten alten DDR". Ein wertvoller Beitrag zur Integration. Wir haben diesen Leuten ja nicht nur die Heimat und die Identität genommen, sondern Sie auch ohne große Vorbereitung in unsere Planungen integriert. Das hat das Gesamtfunktionieren des Staates schon etwas gehemmt.

Diesen Fehler möchten wir nunmehr durch die Anlehnung an die DDR wieder etwas korrigieren.

HB: Gut. Die Wahl ist vorbei, es gab ein knappes, aber im Ergebnis letztendlich doch vertretbares Votum des Wählers, demzufolge die CDU/CSU-Koalition zusammen mit der FDP über 14 +/- Stimmen Mehrheit im Parlament verfügen. Wenngleich natürlich diese Tatsache zu einem großen Anteil der FDP geschuldet wird. Etwas überraschend war natürlich, dass die erste Amtshandlung der Kanzlerin

Frau Dr. Merkel - quasi noch kommissarisch als alte Kanzlerin - war, Ihre Dienststelle zu errichten. Warum war dies scheinbar so wichtig ?

SF: Nun, es war bereits seit 11 Jahren mit der Regierung vereinbart, dass eine zentrale, koordinierende Stelle geschaffen werden muss, die alle Teilaspekte und Themengebiete der Agenda 2020, sozusagen unter einem Dach, verantworten und betreuen kann. Deswegen ist diese Behörde auch direkt dem Regierungschef unterstellt und arbeitet sozusagen fachbereichsübergreifend über alle Ministerien.

HB: Somit war dies mit Herrn Schröder und Frau Merkel bereits seit langem vereinbart ?

SF: Nein, ich sagte mit der Regierung war dies vereinbart.

HB: Soweit ich weiß, waren im Zeitraum von 11 Jahren Herr Schröder und Frau Merkel die Regierungschefs.

SF: (lacht) Sie scheinen noch neu in der Branche zu sein. Ich erkläre Ihnen die Zusammenhänge gerne noch einmal:

Herr Schröder, Frau Merkel und wie diese Personen auch immer heißen, sind die Leiter der Abteilung für internationale Geschäftsbeziehungen (International Relationship). Sie vertreten Deutschland nach außen, sichern dort unsere

Einflussgebiete, vertreten Deutschland in den internationalen Konzerngremien (UN, IWF, G20) und sind die Chefs der einzelnen Minister, sowie natürlich - quasi - jeweils der primus inter pares im Parlament.

Die gesetzgebende und - wenn Sie so wollen - regierende Abteilung obliegt dem Aufsichtsrat von Deutschland. Hier werden die entsprechenden Rahmenbedingungen für die internen Belange Deutschlands erarbeitet und dann durch die Fachbereichsleiter, also die Minister, in die demokratischen Rahmenprozess eingebracht, als Gesetz verabschiedet und umgesetzt.

Mit dem Aufsichtsrat wurde die Schaffung meiner Behörde verabredet, allerdings kam es 2005 durch eine katastrophale Kette von Fehlern in den Abteilungen Marketing, Demokratie-Virtualisierung und Point-of-Sale (Anm: Wahlkampfabteilung) zu einem vollkommen falschen Wahlergebnis.

HB: Aha, was wurde denn erwartet ? Und wer stellt dann die Regierung ?

SF: Das sind zwei Fragen. Aber gut. Erwartet wurde ein deutliches Votum für CDU/CSU und FDP. Dies war notwendig, da die Marktposition der SPD - nach unseren Berechnungen - durch die Etablierung der Agenda 2010 verschlissen war. Demzufolge wäre, unseren Prognosen zufolge, ein deutliches Votum für CDU/CSU und FDP zu erwarten gewesen. Dies wurde in den vorausgegangenen Planspielen mit den Vertriebsabteilungen (Anm: Parteien) SPD, B90, FDP und CDU besprochen und geplant. Der Wahlkampf ist ja auch entsprechend verlaufen, allerdings haben wir den Fehler gemacht, die individuellen Komponenten nicht exakt zu berücksichtigen.

Herr Schröder hat eindeutig gegen die getroffenen Vereinbarungen verstoßen und ein aus individuellen Persönlichkeitsdefiziten resultierendes Ego-Trip-Aufholprogramm gestartet. Da dies zwei Wochen vor der Wahl passierte, konnte unsere Eskalationsabteilung leider nicht mehr vollständig korrigierend eingreifen. Das Ergebnis haben Sie dann ja am Wahlabend gesehen. Glücklicherweise konnten wir schlimmeres verhindern und haben durch unseren Alternativplan Herrn Schröder aus der Schusslinie gebracht. Das ...

HB: worin bestand dieser geniale Plan B ?

SF: Wir konnten Herrn Schröder davon überzeugen, dass es für seine Persönlichkeit und seine Reputation besser wäre, das Aktionsfeld zu verlassen. Sie erinnern sich sicherlich an die "Elefantenrunde" nach der Wahl ? Der Auftritt von Schröder war natürlich geplant.

Unsere Marketingabteilung hat in einer Blitzanalyse ermittelt, dass eine parteiinterne Lösung unseren Zielen nicht nützen würde und sehr hohe Kollateralschäden verursacht hätte. Somit musste er sich selbst aus der Schusslinie bringen, natürlich komplett raus aus dem politischen Umfeld und auch Deutschland.

Nun, ein kleiner Scheck und ein paar lukrative Jobs in unseren Auslandsabteilungen konnten Herrn Schröder letztendlich davon überzeugen, unsere Strategie umzusetzen. Aber da haben wir schon alle geschwitzt .... Gut, aber das Ergebnis der Wahl war natürlich noch immer da.

HB: aber das sollte doch kein Problem für Sie sein, dies zu ignorieren, oder ?

SF: Sind Sie wahnsinnig ? Die Marke Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte haben wir exklusiv besetzt, das sind unsere wertvollsten Assets. Man kann sagen, ohne diese Marken läuft unser Masterplan ins Leere. Nein, das sind heilige Kühe. Sehen Sie, nehmen Sie Milka die lila Kuh oder Coca Cola das Logo, was bleibt dann noch übrig ? Nein, hier hatten wir tatsächlich einen katastrophalen Fehler gemacht.

Letztendlich haben wir dadurch 4 wertvolle Jahre verloren, die es nun aber wieder aufzuholen gilt.

HB: Sie haben die zweite Frage noch nicht beantwortet. Wer stellt ...

SF: ... jaja, wer stellt die Regierung ? Gut, es handelt sich um einen Finanztrust, bestehend aus internationalen Großkonzernen, Hedgefonds, Kapitalgebern, leider in letzter Zeit auch zunehmend Staatsbanken bzw. -fonds, was wir übrigens etwas mit Sorge verfolgen.

Der Chef für Deutschland ist Herr Feldfrau, aber weitere Personalien kann ich Ihnen aus verständlichen Gründen nicht nennen.

HB: Interessant. Also agieren die Regierungen weltweit ?

SF: Die Regierung. Es gibt nur eine Regierung. Wir haben weitgehend eigenständige Landesfilialen, die - wie im Falle von Europa oder

Asien - zusätzlich von übergeordneten Administrations-Departments verwaltet werden.

HB: Verraten Sie doch ein kleines Geheimnis. Wer sind die Chefs von USA, von China ?

SF: USA, kein Kommentar. China befindet sich erst im Bachelorstatus. Die gehören noch nicht richtig zu unserem Konzern. Sie befinden sich im Evaluierungs-Stadium. Wir müssen erst sehen, ob dieses Land überhaupt in unsere Strukturen integriert werden kann. Es sieht zwar gut aus, aber wir müssen abwarten, in dieser Zeit halten wir Indien als kleines Druckmittel noch am Leben, man kann ja nie wissen. Aber primär wäre schon China unsere erste Wahl, nicht zuletzt wegen der gefestigten inneren Strukturen und der eindeutig kapitalismuskonformen Affinität.

HB: China ? Diktatur, keine Menschenrechte ? Die wollen Sie integrieren ?

SF: Optimale Voraussetzungen. Wir müssen ein möglichst breites Modell an Regierungsformen vorhalten, damit wir auch situationsbezogen agieren können. Sehen Sie, der Chinese ist es gewohnt, in einer zentralistischen Regierung zu leben. Menschenrechte sind ihm weitestgehend egal, er möchte ein wenig Wohlstand, ein Auto, sein gutes Essen und viel Unterhaltung. Da spielt es keine Rolle, ob nun eine kleine Gruppe an Akteuren das Land führt, oder ein Parlament. Ob freie Wahlen, sinnlose Wahlen oder gar keine Wahlen. Die innere Ruhe muss gegeben sein, das Volk muss eine Identität haben und dementsprechend den Leitlinien der Führung auch folgen - bereitwillig folgen.

All diese Voraussetzungen sind in China gegeben. Warum die Leute mit Dingen verwirren, die Sie a) nicht wollen, b) nicht kennen und die Ihnen letztendlich sowieso nichts bringen, da wir natürlich die Rahmenprozesse so anpassen würden, dass die scheinbaren "Zugewinne" wieder wettgemacht würden. Einziges Problem bei China ist, dass man nie genau weiß, wie die Führungsakteure die vorgegebenen Planungen einhalten.

Sagen wir es salopp: China ist immer für eine Überraschung gut, und so etwas muss unterbunden werden. Aber wir sind dort auch erst in der zweiten Phase, somit besteht noch kein Grund zur Sorge. Allerdings ist es natürlich ein großer Schritt von Phase 2 zu Phase 3. Ab Phase 3 ist es schwierig, wieder auszusteigen. Deshalb wird bis 2012 die Phase 2 andauern. Aber insgesamt sind wir schon optimistisch.

HB: Verlassen wir kurz diesen Themenkomplex und kommen wir auf die Agenda 2020 zu sprechen. Was regelt diese Agenda ?

SF: Es ist die konsequente Weiterentwicklung der Agenda 2010, allerdings mussten wir, durch die bereits genannten vier Verlustjahre, einen Strategiewechsel einleiten. Es handelt sich, wenn Sie so wollen, um die Agenda 2020 Version 2.0.

Es wird die interne Strategie abgebildet und die für unsere Zielerfüllung notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen definiert.

HB: Da haben Sie sich aber ein schwieriges Umfeld ausgesucht. Wirtschaftskrise, Geldverluste, niedrige Börsen.

SF: Wieso ? Wir haben das Umfeld doch geschaffen. Die Ertragssituation hatte sich in den letzten Jahren schwierig gestaltet. Wissen Sie, andauernder Wirtschaftsaufschwung ist kontraproduktiv. Es war zu viel Geld im Umlauf, auch virtuelles Geld, das wir nicht kontrollieren konnten. Außerdem steigen die Stückkosten mit jedem Prozent Wachstum um den Faktor 1,5 an. Weiterhin gab es Bestrebungen von Banken und anderen eigenständig agierenden Firmen, in unseren Masterplan durch Aufkäufe etc. einzugreifen. Unsere Experten haben berechnet, dass dieser Trend dazu führen könnte, eine Parallel-Regierung zu etablieren. Dies musste natürlich verhindert werden.

Außerdem sind die immer wieder auftretenden Krisen notwendig um den Masterplan oder einzelne Anpassungen, wie z.B. die Agenda 2020, schnell und ohne große

Nachfragen einzuführen. Dass die Krise diesmal etwas heftiger ausgefallen ist, war geplant. Wir haben damit die nicht kontrollierten Kapitalströme vernichtet und unsere Monopolstellung wieder hergestellt. Gleichzeitig nutzen wir ein solchen Umfeld immer dazu, unsere eigene Struktur etwas zu verschieben und natürlich auch zur Expansion.

HB: Sie haben die Krise also ausgelöst ?

SF: Klar, wer sonst. Aber noch mal: es ist keine Krise. Ein Problem ist, wenn Sie in Ihrer Jackentasche kramen, ein Feuerzeug herausnehmen und bemerken, Sie haben keine Zigaretten. Eine Krise ist, wenn Sie eine Zigarette rauskramen und merken, Sie haben kein Feuerzeug.

Unsere PR-Abteilungen haben dieses Wording erfunden, um in den jeweiligen Zielgebieten einen negativen Bevölkerungskontext herzustellen.

Es ist ein kontrollierter Absturz der wirtschaftlichen Einheiten, im Normalfall nur auf lokale Zielgebiete begrenzt, aber in diesem Fall war es aus genannten Gründen notwendig, das Szenario weltweit anlaufen zu lassen.

Wir haben nichts weiter gemacht, als die Kapitalströme geordnet, die Assets entsprechend der Masterplanung verschoben und eine negative Stimmung erzeugt, damit ohne großes Aufsehen die aufgelaufenen Renditen in unsere Extractunits (Anm: Einheiten, aus denen die Gesamtrendite abgeschöpft wird) verschoben werden konnten.

Es gab schlicht auch zu viel Privatkapital, was in Zeiten andauernden Wachstums natürlich zwangsläufig generiert wird. Dieses haben wir wieder abgegriffen und die Notwendigkeit geschaffen, Restkapital für Aufbauszenarien einzusetzen. Da es uns gelungen ist, sogenannte Schwarzgeldoasen stillzulegen, dürfte der Zeitraum bis zur nächsten globalen Krise um 15 Jahre angewachsen sein.

HB: Ok, wann ist die Krise - pardon: das Planspiel - vorbei ?

SF: Das Szenario ist bereits beendet. In einzelnen Regionen halten wir das negative Erscheinungsbild noch etwas aufrecht, aber grundsätzlich kann der Masterplan wieder wie gewohnt weiterbetrieben werden. Wir werden entsprechend unserer Prozesse den globalen Wirtschaftskreislauf bereits in den nächsten Monaten wieder moderat anlaufen lassen.

HB: Allerdings werden Sie durch die Schuldenlast des Staates und die damit verbundenen Zinszahlungen wenig Handlungsspielraum im Staatsbudget zur Verfügung stellen können. Haben Sie das auch berücksichtigt ?

SF: Natürlich. Die Staatsverschuldung ist ein gewolltes Mittel, gewisse Prozessmechanismen gezielt steuern zu können. Ich habe jetzt keine aktuellen Zahlen vorliegen, aber Deutschland dürfte in etwa zu 86% des BIP verschuldet sein. Da Deutschland ein Premium-Segment ist, haben wir das Ranking für Deutschland (Anm: Kreditwürdigkeit) auf das höchste Niveau gestellt. Somit kann Deutschland zu sehr günstigen Konditionen von uns Kredite erhalten. Wir können bei Deutschland ohne Probleme eine Verschuldungsrate von 145% BIP generieren. Eine Rückzahlung der Kredite ist nicht vorgesehen, da wir die Kredite generell durch entsprechendes Staatsvermögen absichern können.

Die Zinszahlungen sind aus dem laufenden Haushalt zu bedienen. Um einen gewissen Handlungsspielraum sicherzustellen, müssen ausreichende Einnahmen generiert werden. Wir können durch Verändern der Kreditparameter (Zinssätze, Ranking) jederzeit steuern, wie groß die Zinsbelastung ist und demzufolge wie groß der Handlungsspielraum des Staates ist. Erscheint uns zur Durchsetzung von strukturellen Maßnahmen ein niedrigerer Handlungsspielraum erforderlich, erhöhen wir die Zinsen für Umschichtungskredite oder Stufen das Ranking herab. Benötigen wir einen größeren Handlungsspielraum, z.B. für Konjunkturprogramme oder in Wahlphasen, können wir die Parameter in die andere Richtung verändern.

HB: Ja schon, aber irgendwann müssen die Kredite zurückgezahlt werden.

SF: Falsch, wir schöpfen unsere Rendite aus den Zinszahlungen. Die eigentlichen Kreditsummen sind durch Hardfacts abgesichert. Wenn das Modell Deutschland beendet wird, werden wir die Kredite fällig stellen und uns aus den Sicherheiten bedienen, da am Zyklusende sehr wahrscheinlich keine großen liquiden Mittel mehr vorhanden sein werden.

HB: Somit hat sich also nach der sogenannten Krise nichts geändert ?

SF: Was sollen wir ändern ? Es gab keine außergewöhnlichen Probleme mit dem Masterplan. Wir werden die Banken etwas regulieren, einfach um zukünftige Verselbständigungen nicht integrierter Einheiten zu erschweren. Wir haben das Gesamtlevel um 2,6 Punkte nach unten korrigiert und werden in sechs Monaten damit beginnen, die Produktivität wieder langsam auf positives Niveau zu bringen.

Speziell in Deutschland müssen wir noch einige kleinere Bereinigungen durchführen, dies kann aber abseits des Szenarios erfolgen. Somit wird auch in diesem Land spätestens im November wieder zum Normalstatus zurückgekehrt.

HB: Was gibt es hier noch anzupassen ?

SF: Ich kann nur soviel sagen: eine neue Regierung muss sich ja erst etablieren. Die Akteure müssen eingewiesen werden, die neuen Prozesse müssen bekanntgegeben werden, die Agenda 2020 muss eingeführt werden und das Vertriebsspektrum (Parteien) muss etwas neu geordnet werden.

Dazu benötigen wir noch eine Krisenstimmung, auch um die industrielle Reorganisation abzuschließen ist ein solchen Instrumentarium sehr hilfreich.

HB: Was wird reorganisiert ?

SF: Sie wollen aber auch alles wissen. Ich kann Ihnen soviel verraten: Deutschland wurde unproduktiv. Eines unserer besten Operationsgebiete brachte nicht mehr genug ein. Wir müssen eine Verlagerung zu anderen Produktivitätskriterien hin erreichen. Sehen Sie, Deutschland ist ein Exportland.

Wenn China in Stufe 3 eintritt, werden wir aber die Exportkapazitäten in erster Linie dort benötigen. Deutschland muss sich auf andere Gebiete verlagern und langsam wieder eine Produktionsrolle einnehmen. Wir werden Deutschland auf neue Technologien hin ausrichten, da haben wir bereits die benötigten Ressourcen geschaffen. Gleichzeitig ist dies aber für ein Land der Größe und Bedeutung Deutschlands nicht ertragsreich genug.

Bisher haben wir Produktionseinheiten primär nach China ausgelagert, damit wir dort Phase 2 anlaufen lassen konnten. Wenn China in Phase 3 einsteigt, fallen aber Großteile dieser Kapazitäten weg. Unser nächstes Panel, Afrika, ist strukturell noch nicht soweit, die Phase 2 zu beginnen.

Also müssen wir die zur Renditeerzielung dringend benötigten Produktionen wieder hier ausführen lassen. Dazu müssen wir die Strukturen etwas anpassen, was natürlich nur in einem negativen Umfeld ohne Probleme möglich ist.

HB: Wie kann Deutschland die Rolle Chinas als Billigproduktionsland übernehmen ? Das ist doch illusorisch, zwischen beiden Ländern liegen 40 Jahre Entwicklungsdefizit.

SF: Vierzig Jahre sind relativ, da wir den tatsächlichen zeitlichen Abstand kontrollieren können. Natürlich wird Deutschland nicht die Rolle Chinas übernehmen, aber ein gewisser Anteil muss hier erledigt werden, da wir sonst keine ausreichende Rendite hier erwirtschaften können.

Deutschland ist unser Premiumsegment, dass wir noch für mindestens 40 Jahre aktiv bewirtschaften müssen.

Soweit es notwendig erscheint, werden wir die Rahmenbedingungen schaffen, dass Deutschland dieses Part übernehmen kann. Dazu dient ja auch in weiten Teilen die Agenda 2020.

HB: Genau. Lassen Sie uns wieder über die Agenda 2020 sprechen. Was beinhaltet sie im Detail ?

SF: Nun, nehmen wir das Bildungssystem, die Kernkompetenz unserer Abteilung Education. Die Reform des Bildungssystems wurde eingeleitet durch die Föderalismusreform bzw. -kommission. Um das Bildungssystem gezielt steuern zu können, mussten wir den Einfluss der Zentralregierung minimieren und auf die einzelnen Bundesländer verlagern. Nur so konnte sichergestellt werden, dass wir durch kontrollierten Zu- bzw. Abfluss der finanziellen Mittel einen schnellen, effektiven und vor allem planbaren Einfluss langfristig sicherstellen können.

Die Schaffung von Eliteunis und ein Umbau des Schulsystems leiten die Neuaufstellung unserer Ausbildungskapazitäten ein.

HB: Aber warum steuern Sie das Schulsystem nicht zentral ? Wäre doch viel einfacher und vor allem billiger ?

SF: Nein, das sehen Sie falsch. Wenn - nennen wir es der Einfachheit halber Bund und Länder - wenn der Bund eine primäre Verantwortung hat, kostet das sehr viel Geld. Außerdem ist der Bund zur paritätischen Verteilung der Mittel auf alle Länder verpflichtet. Das ist wirtschaftlich mit sehr großen Streuungsverlusten verbunden. Sehen Sie, wenn im Land 7 die Bürger eine Ganztagsbetreuung und Ganztagsschulen fordern, muss der Bund dies prüfen und ggf. finanzieren. Die Folge wäre ein Anspruch von anderen Ländern, der dann sehr wahrscheinlich ebenfalls befriedigt werden müsste. Ist hingegen das Land verantwortlich, können wir sofort ermitteln, welches Level wir für dieses Land vorgesehen haben und dann durch einfache Mittelzufuhr die Vorhaben fördern oder durch Mittelverweigerung das Vorhaben scheitern lassen.

Das Volk wird das Argument "kein Geld" immer verstehen, zwar murren, aber solche Randeffekte können durch unser Marketing leicht wieder aufgefangen und in gewünschte Richtungen gelenkt werden. Hat ein Land zuviel Geld und setzt womöglich die Pläne ohne uns um, können wir auf dem begrenzten Areal eines Landes viel einfacher durch Industrieverlagerung, Neuverschuldung oder lokale Krisen intervenieren als auf Bundesebene.

HB: Was meinen Sie mit den verschiedenen Levels ?

SF: Wir benötigen in jeder Verwaltungseinheit (Land) ein bestimmtes Niveau an Bildung. In Bereichen, die wir als Niedrigqualifikationszone ausgewiesen haben, sind Eliteunis und hohe Schulbildung unproduktiv. Ein Arbeiter mit einem Stundenlohn von 4 Euro benötigt weder Abitur, noch eine andere hochwertige Schulbildung. Migration im Land können wir gezielt durch die Niveausteuerung innerhalb der einzelnen Länder kontrollieren. Wenn wir in einem Land unsere Hightech-Industrie oder die sogenannten Umsatzbringer angesiedelt haben oder dies planen, dann muss dort auch das Bildungsniveau entsprechend angepasst werden. Auch müssen die Rahmenbedingungen geändert werden. Niedrige Kriminalität, gut positionierte Polizei, niedriger Ausländeranteil und hohe Lebenskosten. Auch Infrastruktur, Lebensraum und alle weiteren Parameter werden

auf diese Weise entsprechend unserer Ansiedlungspläne angepasst. Da wir auf Basis unserer drei Marken die interne Migration nicht ganz verhindern können, müssen wir den Zugang zu guten Bildungseinrichtungen mit Hindernissen versehen. Studiengebühren, Schulgebühren, Abbau der Förderung und natürliche Zugangshemmnisse sind da ganz erprobte Methoden.

HB: Gibt es eine zentrale Aussage der Agenda 2020 zu Bildung ?

SF: Ja, ganz klar. Ich kann soviel verraten: wir benötigen im Jahresmittel 38-40 Millionen Arbeitskräfte. Diese werden bis 2020 im Mittel pro Jahr um 0,5 bis 1 Millionen pro Jahr verringert, so dass wir Ende 2020 auf unsere Sollgröße von 32 bis 34 Millionen Jobs kommen werden.

Bei 85% der jeweiligen Jobs müssen wir die Kosten, sprich die Lohnkosten, um bis zu 55% senken. Auf dieses Niveau hin wird das Bildungssystem ausgerichtet werden. Wir werden den öffentlichen Druck durch eine leichte Bildungsreform etwas entschärfen, indem wir das Schulsystem, bestehend aus Haupt-,Realschule und Gymnasium etwas modifizieren. Hauptschule ist marketingtechnisch nicht mehr verwertbar, da es mittlerweile nur noch mit negativen Aspekten assoziiert wird. Wir werden die Trennung auf Fachschulen später vornehmen, die Hauptschulen step by step in Basisschulen - oder wie auch immer genannt - umstrukturieren. Das stellt die Leute erstmal wieder für ein paar Jahre zufrieden.

In ausgewählten Einrichtungen werden wir das Gesamtniveau etwas anheben, damit die Unterschiede innerhalb der Länder noch bestehen bleiben.

Wir benötigen diese Stellschrauben für die Migrationskontrolle. Ansonsten müssen wir die Schulzeit insgesamt verkürzen, da Schuljahre unproduktive Jahre sind. Unser Spitzenpersonal rekrutieren wir über die Privatschulen, da dort auch die genetischen Voraussetzungen, einen Leistungsträger zu produzieren, viel besser sind als in anderen Instituten.

HB: Dann werden wir uns also auf bis zu 20 Millionen Arbeitslose bis 2020 einstellen müssen ?

SF: Keineswegs. Wir haben die Filter der offiziellen Statistik entsprechend gestaltet, dass die Arbeitslosenzahl in keinem Fall über die Schwellenmarke von 5,5 Millionen steigen wird. Das Mittel wird bei 3,5 bis 4 Millionen liegen, der Rest nach oben ist ein Kontrollinstrument, falls die Agenda 2020 nicht vollständig umgesetzt werden kann.

HB: Rechnen Sie wie Sie wollen, es bleiben 20 Millionen ohne Job.

SF: Falsch. Wir haben, nicht zuletzt durch die Hartz4-Gesetze der Agenda 2010 und der neuen Arbeitsmaßnahmen, die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen, dass das Wort "ohne Beschäftigung" auf nicht mehr als die genannten 3,5 Millionen Leute zutreffen wird.

HB: Das müssen Sie näher erklären ....

SF: (ungeduldig) Noch mal: nehmen wir ein einfaches Beispiel:

Deutschland stellt 30 Millionen Jobs zur Verfügung. Da wir eine partielle Umwandlung in Produktionsbetriebe benötigen, gliedert sich diese Zahl in 300.000 Spitzenjobs, 7 Millionen gut bezahlte Jobs mit Regulierungsniveau, 11 Millionen Jobs auf unterem Niveau aber mit Regulierungsniveau und der Rest wird in Billigjobs für die Produktion ausgewiesen.

Aus dem vorhandenen Arbeitnehmerangebot rekrutieren wir einen Teil der 300.000 Spitzenjobs, die 7 Millionen gut bezahlte Jobs und einen großen Teil der 11 Millionen LowLevel-Jobs. Der Rest wird aus dem Pool der sogenannten Erwerbslosen rekrutiert, unter Zuhilfenahme der bestehenden und erweiterten Gesetze von Hartz4 und Agenda 2020 können wir diese Jobs teilweise ohne direkte Lohnkosten abdecken. Diese Jobs werden durch staatliche Lohntransfers entlohnt. Somit sichern wir die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen im globalen Umfeld, müssen die Unternehmen nicht auf andere Länder verteilen und weißen eine hohe Beschäftigungsstatistik aus.

Die staatlichen Transferleistungen wären sowieso zu bezahlen, da unsere Marken ja einen Sozialstaat beinhalten, der natürlich auch real existent sein muss. Wir erhalten quasi den Produktivitätszuwachs "for free", da wir die dafür anfallenden Kosten auf die Kostenstelle Staat buchen werden. Somit erreichen wir ein gutes Volksklima, da wir der politischen Führung ausreichend Instrument geben, die marketingtechnisch verwertet werden können und gleichzeitig eine Legitimation für restriktive Maßnahmen hergeben. Die Firmen weißen Gewinne aus, Leute haben einen Job, durch die Regulierungsniveaus können wir auch gleichzeitig den Zufriedenheitsstatus des Einzelnen optimal anpassen. Wir erreichen dadurch ein Wachstum, was es der politischen Führung ermöglicht, die notwendigen Steuern zu erheben, die Rendite zu bedienen und Produktivkräfte am Standort zu halten.

HB: Tut mir leid, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute da mitmachen werden ....

SF: Sie tun mir leid. Wir fragen nicht, ob die Leute mitmachen wollen. Das ist überflüssig. Die Leute müssen mitmachen.

Der Einzelne hat die Alternative:

a) keinen Job, wenig Einkommen, nur staatliche Transferzahlungen (was wir nur in bedingtem Umfang dulden werden)

b) den angebotenen Job (egal in welchem Segment) anzunehmen

c) gefällt ihm dieser nicht, gehe zu a), wenn es eine gute Ressource ist, greift das Regulierungsniveau durch eine Beförderung oder etwas mehr Geld.

Müssen wir die Billigjobs besetzen und haben zu wenig Angebot auf dem normalen Arbeitsmarkt, werden die Personen aus der Gruppe a) zwangsverpflichtet. Ok, wir nennen es "gefordert, integriert oder vorbereitet". Egal, nimmt er den Job nicht an, kürzen wir die staatliche Transferzahlung bis über den Schmerzpunkt hinaus. Sagen wir es ganz ehrlich: entweder Suizid oder Arbeitsaufnahme. Beides ist in unserem Sinne, da beides die Rendite sichert bzw. erhöht.

HB: Da wird das Volk rebellieren ....

SF: Nein, nicht das Volk. Nur die Angehörigen der Kaste, pardon, der Gruppe der Prekarianer. Dafür haben wir die in der Agenda 2020 vorgesehenen Richtlinien der Abteilung Sicherheit, Bereich intern. Darauf kommen wir später noch.

Der Rest des Volkes ist erst einmal froh, dass er nicht zu den Prekarianern gehört. Streueffekte sind nur im Low-Level-Jobbereich zu erwarten. Hier kann es vorkommen, dass das für Deutschland vorgegebene Existenzminimum strukturell nicht ganz erreicht werden kann. Aber dafür haben wir vorgesorgt: der Rest wird durch staatliche Transferzahlungen abgedeckt. Somit auch für das einzelne Unternehmen eine gute Situation, da auch hier durch geringe Lohnkosten maximale Rendite erzielt werden kann.

Wir haben die letzten Jahre durch unser Marketing und die PR-Abteilungen bereits Vorarbeit geleistet. Wir haben das Label "Leistungsträger" erfolgreich eingeführt. Die Kernfrage, die wir wahrlich 5 Jahre im Volk penetriert haben, lautete:

"Soll jemand, der 40 Stunden pro Woche arbeitet, mehr Geld haben als jemand der nur Hartz4 bekommt" ?

In Deutschland ist das relativ einfach, da hier ein sehr einmaliges Wertegefühl der "Gerechtigkeit" herrscht. 98,9% aller

Antworten lauteten demzufolge auch JA.

Ein Leistungsträger muss mehr haben als "ein anderer". Somit ist das interne Bevölkerungsniveau bezüglich personal value auf dieses Attribut abgestimmt. Nur ein Leistungsträger ist ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft. Und wer in diese LT-Gruppe gehört, bestimmen in den meisten Fällen wir. Natürlich nicht im Einzelfall, aber strukturell. Hier haben wir eine optimale Stellschraube, die Stimmung in der Bevölkerung zu regulieren. Droht die Rendite zu sinken, vernichten wir LT-Gruppen (statistisch), droht die Zufriedenheit abzugleiten, erhöhen wir diese Gruppe.

Um den Leitgedanken wieder aufzugreifen:

Wir haben nie gefragt, bezüglich des Einkommensunterschieds, ob ein Arbeiter z.B. 1800 Euro haben muss, wenn ein Hartzer 1200 Euro hat.

Es geht nur um das Delta, die Differenz aus beiden Einkommensarten !

Es wird nicht erwartet, dass ein Bürger mit Job einen höheren Lohn erhält, der Abstand muss sichergestellt sein. Die Leute sind froh, wenn sie überhaupt einen Job haben und nicht in die Prekarianer-Gruppe abgleiten.

Also werden wir dies dadurch realisieren, dass wir die Transferleistungen senken. In geringem Umfang und auch nicht direkt, aber über eine

Verschärfung der Rahmenparameter.

Wir haben hier ein ganzes Massnahmenpaket entworfen: größere Freigrenze bei zwangsweise zugewiesenen Billigjobs als Anreiz, dafür aber Absenkung des Transfergeldes. Oder Senkung der Unterkunftskosten, die staatlich übernommen werden usw. Da sehen wir kein Problem.

Jedenfalls hat derjenige mit 1300 Euro Monatseinkommen 2010 mehr in der Tasche, als jemand, der nicht arbeitet oder nur im Rahmen seiner Gruppenzugehörigkeit (Anm: Prekarianer) arbeitet.

Das lässt sich auch gut im Vertrieb (Anm: Parteien) und im Marketing verwerten. Der dafür zuständige Vertriebskanal FDP hat dies bereits im Rahmen des Wahlkampfes gut publiziert.

HB: Also hat diese Partei einen Großteil der Wählerstimmen durch Vorspiegelung falscher Tatsachen erhalten ?

SF: Nein, im Gegenteil. Die FDP wurde für den aktuellen Demokratiezyklus ausgewählt, eine neue Marketingstrategie einzuführen.

Wir haben mit diesem Vertriebskanal das Label "Leistungsträger" mit einem bestimmten gesellschaftlichen Image versehen, haben dort die klassischen Zyklus-Topics (dieses mal war es Bildung, Steuern, Gesundheit und Aufschwung) in den Vordergrund gestellt und eine allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz geschaffen, um diese Positionen im demokratischen Auswahlprozeß zu favorisieren. Und Sie sehen ja, es hat funktioniert.

HB: Wie findet eigentlich die Kommunikation zwischen der Industrie und der "Regierung" statt ?

SF: Wir bedienen uns da allgemeiner Kommunikationsmittel. Die Wünsche und Anforderungen der Industrie werden durch unsere Beratergesellschaften aufgenommen, entsprechend unserer Prozessterminologie formuliert und dann in die Umsetzungsorgane (Ministerien) transportiert. Für nicht direkt an uns gebundene Unternehmen bedienen wir uns der klassischen Lobby-Branche.

Unsere Lobby-Promoter nehmen bei diesen Unternehmen die Wünsche entgegen, besprechen diese in den einzelnen Ministerien mit unseren Fachkoordinatoren und - entsprechend unserer Masterprozesse - werden diese dann bei Bedarf in die Umsetzungsorgane eingebracht.

Diese Art der Kommunikation hat sich bewährt und wird schon seit Ewigkeiten in nahezu unveränderter Form von uns praktiziert.

HB: Zurück zur Bildung. Da wird es aber Zeit, dass das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt wird

SF: Wenn es unvermeidlich wird, werden wir dies auch tun. Aber das wird an den Rahmenbedingungen prinzipiell nichts ändern. Diese Option ist in der Agenda 2020 bereits vorgesehen. Durch die demographische Entwicklung - Stichwort Renten - wird dies sowieso unumgänglich werden.

HB: Was wird aus den Renten und den Rentenbeziehern ?

SF: Wer über unsere Produkte private Vorsorge getroffen hat, wird einen moderaten Lebensabend führen können. Die gesetzlichen Systeme werden schrittweise zu einer Grundsicherung umfunktioniert. Dies ist leider notwendig, da die Renditen im Bereich Rente katastrophal sind.

Wir verzeichnen hier einen massiven Kapitalabfluss an nicht mehr produktive Einheiten. Natürlich fangen wir einen Großteil dieses Geldes wieder durch die Konsumbesteuerung ein, durch die dadurch ausgelöste oder gesicherte Produktivitätssteigerung in Firmen, aber letztendlich ist es ein Minusgeschäft. Natürlich können wir als ein humaner Staat diese Einheiten nicht eliminieren, aber gewisse Stellschrauben können wir hier noch nutzen. Ich möchte an dieser Stelle nur das Gesundheitswesen nennen.

Das Rentenniveau muss zukünftig vermehrt aus Steuereinnahmen finanziert werden. Bisher konnten wir Pensionen der Beamten noch aus den Massnahmenpaketen raushalten, da diese Personengruppe substantiell in die inneren Bereiche der gesamten Staatsführung involviert ist.

Eine Unzufriedenheit hier zu riskieren, wäre momentan noch fatal. Aber wir haben in der Agenda 2020 dieses Problem erkannt und werden erste Schritte zu einer Restrukturierung einleiten. Hier müssen wir nur darauf achten, dass wir den Bestandsschutz nicht antasten. Somit ist eine finale Problemlösung nur durch die Demographie, sprich natürliche Verkleinerung der Zielgruppe, erreichbar.

Derzeit laufen Testprojekte, in denen wir die Arbeitszeit der Beamten versuchen zu verringern. Dies erreichen wir primär durch Arbeitsüberlastungen, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen etc. Natürlich spart dies keine Kosten, da der Status des Beamten ja eine Auslese auf natürlichen Wege (Kündigung, Abfindung etc.) verbietet. Aber immerhin schaffen wir es dadurch, dass diese Zielgruppe zunehmend weniger Arbeitszeit in Anspruch nimmt und früher aus dem Dienstverhältnis ausscheidet.

Wie gesagt, bezahlen müssen wir sie natürlich weiterhin, aber der Einfluss, genauer die statistische Einflussgröße, wird dadurch reduziert. Wobei das im Rahmen der volkswirtschaftlichen Betrachtung nicht weiter auffallen wird, da eine wirkliche Produktivität von dieser Zielgruppe bisher sowieso nicht erbracht wurde.

HB: Komischerweise ist das Thema Gesundheit bei Ihnen gar nicht enthalten.

SF: Das stimmt so nicht. Der Bereich Gesundheit ist dem Bereich Bedarfssicherung unterstellt.

HB: In Ordnung, gibt es in der Agenda 2020 Auswirkungen auf den Bereich Gesundheit ?

SF: Nur marginal. Es ist unabdingbar, dass wir weiterhin eine von jedem bezahlbare medizinische Grundsicherung bereitstellen.

Der Bereich Pharma ist in den letzten Jahren überproportional gewachsen, wirft eigentlich mehr Rendite ab, als geplant. Hier werden wir etwas gegensteuern und die Preise erstmal stabilisieren, in Teilbereichen sogar absenken. Das ist von der PR bereits vorbereitet.

Natürlich müssen wir, das gesamte Gesundheitswesen betrachtend, die Rendite etwas anheben. Dies erreichen wir primär durch eine Weiterführung bisheriger Maßnahmen. Der Patient hat sich schon daran gewöhnt, dass es eine Zwei- oder Mehrklassenmedizin gibt. Das Gesundheit, oder genauer gesagt,

negative Gesundheit Geld kostet, ist mittlerweile auch erfolgreich platziert worden. Prinzipiell gilt natürlich hier auch, wer sich Gesundheit auf einem höheren Niveau leisten kann, bekommt in keinem Land eine bessere Versorgung als hier. Für die anderen Personen wird es eine Frage der Rentabilität sein, inwieweit und auf welchem Niveau wir Gesundheitsleistungen zur Verfügung stellen.

HB: Soll heißen: Arme bekommen keine wirksamen Medikamente ?

SF: Nein, soweit können wir nicht gehen. Aber natürlich müssen wir bei bestimmten Versorgungs- und Leistungselementen in der Medizin zukünftig schon eine Abwägung machen, ob die zu erwartenden Kosten in Relation zur erwartenden Produktivität des Patienten wirtschaftlich noch abbildbar sind. Sehen Sie, eine Transplantation oder aufwändige Krebstherapie bei einem Billigjob macht nicht viel Sinn, da der Produktivitätsbeitrag gemessen an der Restproduktivitätszeitspanne des Patienten die Therapiekosten deutlich unterschreitet.

Wir werden diese Therapieangebote mit größeren Kosten (Transplantationen etc.) natürlich nicht verweigern, aber zukünftig wahrscheinlich nur noch im Rahmen der Deckungsbeitragsgrenzen anbieten.

HB: Bedeutet ?

SF: Krebstherapie ja, aber lass uns erstmal die kostengünstigste Variante probieren. Danach die zweitbilligste usw. Notwendige Operationen, Transplantationen oder ähnlich teuere Angebote müssen zeitlich verlagert werden und könne nur dann durchgeführt werden, wenn die Auslastung der Einrichtungen und dessen Personal dies zulässt.

HB: Das bedeutet, ein höherwertiger Mensch erhält schnellere und bessere Hilfe ?

SF: Wir haben kein Wertigkeitsschema. Es handelt sich um einfache betriebswirtschaftliche Bemessungsgrößen. Und schnellere Hilfe: nein, nicht schneller, sondern sofort im Rahmen der Ressourcenauslastung. Das ist ein großer Unterschied.

Für uns ist jedes Lebewesen gleich viel wert, lediglich hinsichtlich Produktivität und daraus resultierender indirekter Rendite gibt es gewisse Unterschiede. Da ist es in er Medizin wie in allen anderen Bereichen des Lebens.

Was meinen Sie, wer zuerst eine Autoreparatur z.B. in einer BMW-Werkstatt erhält ? Der Kunde mit seinem gebrauchten 1er BMW, oder der Kunde mit dem neuesten 7er Modell ? Wer glauben Sie kommt eher in ein Nobelrestaurant ? Der Gast mit einem gewissen finanziellen Background, einer gewissen Popularität, oder der Lagerarbeiter mit seiner Frau ? Ich könnte Ihnen hier unzählige bereits seit jeher gelebte Beispiele aufzählen. Warum also sollte es in der Medizin anders gehandhabt werden ?

HB: Weil es hier eventuell um Leben und Tod geht ?

SF: Das ist relativ. Sie, ich, wir alle müssen irgendwann sterben. Und gesellschaftlich gesehen kann ein früher Tod sogar positive Effekte haben. Stellen Sie sich vor, es werden Ressourcen freigegeben, Arbeitsplätze, Studienplätze, Transferzahlungen, billiger Wohnraum. So dramatisch würde ich diese eventuell sich ergebenden Konsequenzen nicht bewerten.

HB: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Steht sogar im Grundgesetz, falls Sie wissen was das ist.

SF: (schmunzelt) Ich habe diese Polemik von Ihnen erwartet. Wir haben und werden nie etwas initiieren, was elementaren Grundrechten widerspricht.

Die Würde des Menschen ist für uns immer unantastbar gewesen und wird es auch immer bleiben. Natürlich nehmen wir aber Einfluss darauf, wie das Einzelindividuum seine ureigenste Würde definiert und wahrnimmt.

Aber im Rahmen dessen, was wir als Würde definiert haben, achten wir diese Grenzen ohne Ausnahme.

Das müssen wir schon zur Werterhaltung unserer Kernmarken so handhaben. Schauen Sie nach Großbritannien. Dort gibt es ein viel restriktiveres Heilsystem als hier. Der Klassiker "Hüftoperationen bei 86jähriger abgelehnt" - das wird es bei uns niemals geben. Natürlich bekommt Omi eine neue Hüfte, auch als Prekarianer-Rentnerin. Aber natürlich nicht unbedingt das neueste Modell und gleich morgen. Wobei das auch keinen Unterschied macht, da die zu erwartende Restlebenszeit auch durch billigere Modelle nicht negativ beeinflusst wird.

HB: Also wollen Sie das Solidarprinzip bei Rente und Krankenversicherung aufheben ?

SF: Nein, das können wir nicht so direkt und das würde auch bestehende Probleme nicht lösen. Natürlich werden wir andere Verteilungsmechanismen finden. Durch die rückläufige Geburtenrate und die rückläufige Jobrate kommt nicht mehr genug Kapital in diese Systeme. Deswegen wird es eine Verlagerung zu mehr Eigenleistung geben müssen. Entstehende Differenzen müssen aus dem Staatsbudget ausgeglichen werden.

Wir können hier mehr oder weniger direkt nur dadurch Einfluss nehmen, dass wir das Lebensalter wieder auf die ursprünglichen demographischen Faktoren zurückführen.

HB: Billigjobs können keine Privatversicherung abschließen, weder für Gesundheit noch für Rente.

SF: Das ist klar. Aber wir werden die Systeme so gestalten, dass während der Produktivzeit des Einzelnen ausreichende Leistungen zur Verfügung stehen. Wer die meiste Zeit seiner Produktivität mit angenommenen 900 Euro ausgekommen ist, benötigt im Alter durch die verminderten notwendigen Ausgaben nicht mehr wie 500 Euro. Sofern hier Differenzen durch das Solidarprinzip entstehen, werden diese über die Bedarfssicherung durch Transferzahlungen vom Staat ausgeglichen.

(lacht etwas) Aber um es nicht gar zu trostlos erscheinen zu lassen, haben wir ja genügend Hoffnungselemente eingebaut. Lotterien, Wahlgeschenke, psychologische Destabilisierung, kostenloses Entertainment - das alles lenkt doch von einer als trostlos empfundenen Situation etwas ab, schürt Hoffnung und mobilisiert dadurch zusätzliche Energie, den eigenen Zustand zu ertragen. Wir zeigen den Leuten jeden Tag, wie die Situation in anderen Ländern ist. Somit schaffen wir eine subjektiv andere Wahrnehmungsebene und senken die Erwartungsschwelle.

HB: Andere Frage: wofür ist das Staatswesen in Ihrer Abteilung zuständig ?

SF: Das ist nichts großartiges. Hier geht es lediglich um die Verwaltung und prozessuale Kontrolle der eingeführten Maßnahmen. Eigentlich ein internes Controlling, dass uns rechtzeitig informiert, falls einzelne Stellschrauben korrigiert werden müssen.

HB: Und wofür zeichnet Grundrechte verantwortlich ? Wie ich Ihren Erläuterungen entnehme, wollen Sie diese ja weitgehend abschaffen.

SF: Mit nichten. Grundrechte sind elementar für unsere Markenpolitik und unseren Masterplan. Dieser Bereich kontrolliert die Einhaltung der Grundrechte, passt auf, dass unsere Maßnahmen nach Möglichkeit nicht gegen diese verstoßen und korrigiert eventuelle Rahmenparameter, falls nicht kurzfristig lösbare Kollisionen auftreten.

HB: Dafür haben wir aber doch das Verfassungsgericht

SF: (seufzt) Ein leidiges Thema. Wir können und dürfen es nicht abschaffen, aber es ist auch ein sehr zeitraubender Prozess, die Mitglieder dieses Organs durch linientreues Personal zu ersetzen. Es gibt durch die exponierte Stellung dieses Organs leider immer wieder Mitglieder, die in eine Art Eigeninitiative verfallen und nicht prozesskonform urteilen. Dieses Problem kann kurzfristig nicht gelöst werden, aber wir arbeiten daran, die Entscheidungen dieses Organs für unseren Standort hinsichtlich ihrer Bedeutung abzuschwächen.

Erst kürzlich haben wir weitreichende Kompetenzen auf die übergeordnete Einheit Europa verschoben. Die restlichen Probleme bekommen wir dadurch in den Griff, dass wir die Grundlage des Organs verändern werden. Die Mitglieder des Verfassungsgerichtes sind auch weisungsgebunden, nämlich an die Verfassung selbst. Diese aber wiederum gestalten wir. Wo wir das auf demokratisch, sprich parlamentarischen, Weg nicht realisieren können, werden wir Bypassprozesse etablieren, die letztendlich die Einhaltung des Masterplanes sicherstellen.

Aber das ist ein sehr sensibles Thema, über das wir lieber nicht weiter sprechen sollten.

Nur so viel: wir haben es immerhin schon geschafft, durch Bypassprozesse bzw. bewusst verfassungs-inkonforme Gesetze die Wirkungsweise dieses Organs zu schwächen. Durch die vielen notwendigen Klagen vor diesem Organ sind die Zeitabstände, in denen eine Klage angenommen, bearbeitet und entschieden werden kann, drastisch gestiegen. Somit kann das angebliche Regulativ nur rückwirkend eingreifen, dann aber meistens auch nur in die Zukunft gerichtet.

Im Detail: wir erlassen ein Gesetz, nach 2 Jahren kann der Klageweg beim Verfassungsgericht angelangt sein. Wegen der Auslastung ist dann frühestens in einem Jahr mit einer Entscheidung zu rechnen, die aber in den überwiegenden Fällen nur die Zukunft betrifft.

Bis dahin haben wir schon neue Gesetze etabliert, die dann zwar auch wieder "kassiert" werden können, aber eben wiederum 3 Jahre später, usw.

Das ist natürlich nur suboptimal, sichert uns aber international und auch national eine breite Legitimationsbasis unserer Prozesse.

Denn das Gericht weißt ja die Politik regelmäßig zurecht, was ein sehr wirkungsvolles psychologisches Element in der Bevölkerung darstellt.

Es gibt jemanden, der für Gerechtigkeit sorgen kann, letztendlich. Das bringt die notwendige Demutskomponente in die Regierungsakteure und sichert uns den internationalen Werterhalt der Marken Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte.

Aber jetzt möchte ich nicht weiter darüber sprechen.

HB: Gut, ich wage kaum zu fragen, was die Abteilung Sicherheit zu verantworten hat, aber der Vollständigkeit halber muss ich das tun.

SF: (wirkt genervt) Sie haben um das Interview gebeten. Ich habe genug zu tun, wenn ..

HB: Schon in Ordnung. Bitte erklären Sie mir den Bereich Sicherheit und was er im Zusammenhang mit Agenda 2020 bewirken soll.

SF: Kurz gesagt: Sicherheit hilft die Rahmenprozesse zu stabilisieren, stellt ein subjektives Geborgenheitsgefühl bei der Bevölkerung her, kontrolliert die einzelnen Zielgruppen oder Produktiveinheiten und sorgt für Recht und Ordnung.

HB: Jetzt enttäuschen Sie mich aber. Da können Sie sicherlich noch etwas mehr ins Detail gehen, oder ?

SF: Ungern, denn Sicherheit ist ein sensibles Umfeld. Wir wollen natürlich nicht zuviel verraten, denn das würde die Gefahr erhöhen, dass unsere Strategien unterlaufen werden könnten.

HB: Gut, dann konfrontiere ich Sie doch einfach mal damit:

Das Onlinemagazin Heise.de berichtete über die Erforschung und geplante Einführung weitreichender optischer Überwachungssysteme

(Anm: Details unter http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31176/1.html  und http://www.europnews.de/2009-09-22-eu-uberwachung-total-geplant.html )

Weiterhin berichtet die Süddeutsche Zeitung, dass Sie die Aufhebung der Grenzen zwischen Polizei und Geheimdienst planen.

Wie wäre es mit einer kurzen Stellungnahme dazu ?

SF: Das ist unfair. Sie konfrontieren mich da jetzt mit Fakten, die in keinem Zusammenhang mit dem Zweck des Interviews stehen.

HB: Sicherheit hat doch einen großen Stellenwert in Ihrer Agenda 2020. Oder nicht ?

SF: Schon gut, bevor Sie wieder wilde Spekulationen im Land verbreiten, kann ich dazu natürlich Stellung beziehen.

Bleiben wir bei der Erforschung neuer Videosysteme. Natürlich müssen wir bestehende Systeme weiterentwickeln. Wir erproben, entwickeln - wie in anderen technischen Bereichen übrigens auch - immer wieder neue Systeme. Forschung sichert Wissen, Erfahrung und Kompetenz.

Natürlich auch effektivere und moderne Produkte.

Dieser Meldung würde ich keinen besonderen Stellenwert beimessen, da dadurch nichts neues geschaffen wird, im optimalsten Fall werden bestehende Systeme lediglich modernisiert.

HB: Somit haben wir diese Systeme bereits ?

SF: natürlich, das ist aber kein großes Geheimnis. Unser Pilotanwender USA hat schon 2002 mit der landesweiten Einführung dieser Technologie begonnen. Auch in England, Australien, und vielen weiteren Standorten gibt es diese Systeme schon, natürlich auch bei uns.

HB: Wozu gibt es diese Systeme ?

SF: Das ist ja mehr eine philosophische Frage.

Warum gibt es Kerzen, warum Autos ? Aber gut, bevor Sie weiter nerven.

(lacht) Da fällt mir ein, Sie wissen bestimmt nicht, wie das mit den Sicherheitssystemen überhaupt angefangen hat. Oder doch ?

HB: Nun, da war das berühmte NINE-ELEVEN und dann fing Herr Schäuble an, verzeihen Sie den Ausdruck, irgendwie auszuticken.

SF: Ha, das war gut formuliert. Sie haben ja sogar ein wenig richtig gelegen mit Ihrer Vermutung, aber ich erzähle Ihnen gerne die ganze Geschichte.

Versetzen wir uns doch einfach einmal ein paar Jahre zurück ..... Spendenskandal der CDU.

Damals gab es einen Generalsekretär der CDU - nennen wir ihn der Einfachheit halber Schäuble (hat ja auch irgendwie einen harmlosen Klang, so ein Name), der sich absolut nicht mehr an die Vorgänge erinnern konnte, wie - ob überhaupt - und wenn ja, warum - eine Aktentasche mit Geld an ihn übergeben wurde.

Natürlich kann es schon mal passieren, dass man derart alltägliche Vorgänge zeitlich und inhaltlich nicht mehr exakt zuordnen kann, zumal erst dann, wenn man sich innerlich schon auf die (endlich) nahende Kanzlerschaft positioniert hat und dementsprechend auch die tagesüblichen Vorgänge nicht immer mit der notwendigen Aufmerksamkeit wahrnehmen kann.

Leider ist es im politischen Tagesgeschäft nicht unüblich, dass ein derartiger Fauxpas vom politischen Gegner sofort und gnadenlos ausgenützt wird.

Erst recht dann, wenn dieser politische Gegner aus den eigenen Reihen kommt, weiblichen Geschlechts ist und selbst gleichlautende Pläne für eine - sagen wir mal - aufstrebende Position verfolgt. Hier gilt, so gnadenlos und unmenschlich es auch für den Außenstehenden klingen mag, das klassische Highlander-Prinzip: es kann nur eine(n) geben !

Man kann sich natürlich in etwa vorstellen, wie peinlich das für ihn gewesen sein muss. Als intelligenter Mann, ausgebildeter Jurist und auch im Rahmen seiner zahlreichen politischen Mandate immerwährend gehuldigt muss er zwangsläufig über einen messerscharfen Verstand, ein gutes Gedächtnis und natürlich auch über Arbeitsmethoden verfügen, die es ihm ermöglichen, eine derartige Fülle an Zahlen, Fakten, Daten und sonstigen Informationen zu verwalten.

Und dann dies ...... der lang ersehnte Traum, unser Land führen zu dürfen, wurde durch einen nichtssagenden Vorfall ad absurdum geführt.

Von Selbstzweifeln geplagt und natürlich auch durch die unvermeidbar aufkommende Häme der Medien beschämt, fasste er für sein zukünftiges Leben einen wahrhaft meisterlichen Plan: so etwas darf nie wieder passieren !

Nachdem seine bis dato für unser Land unschätzbaren Leistungen endlich in entsprechender Weise gewürdigt wurden und er einen Ministerposten durch den Highlander zugesprochen bekam, legte er alle Energie darauf, einen derartigen Fehler in seinem neuen Aufgabengebiet unbedingt zu vermeiden.

Wenn schon das eigene Gedächtnis mitunter Schwächen zeigt, wenn zunehmendes Alter die allgemeine Leistungsfähigkeit sicherlich nicht erhöhen wird, wenn man die traumatischen Erfahrungen und damit verbundenen psychischen Einschränkungen eines Attentats auf das eigene Leben egalisieren wollte, musste man dafür sorgen, dass alle Situationen des täglichen Lebens ohne Einschränkung protokolliert werden würden. Somit könnte man im Falle eines Falles ohne große Schwierigkeiten auch längst vergangene Situationen wieder präsent machen und entsprechende Erinnerungslücken damit eliminieren.

Da ein Minister primär unserem Land dienen muss, kann man diese Protokollpflicht nicht auf einen bestimmten geographischen Ort konzentrieren.

Deswegen musste sichergestellt sein, dass alle Ereignisse, bundesweit, jederzeit und lückenlos aufgezeichnet werden.

Im Zuge der technischen Weiterentwicklung standen schon bald auch die entsprechenden Instrumente dafür zu Verfügung.

Als hundertprozentiger Demokrat mussten natürlich die gesetzlichen Rahmenbedingungen entsprechend geschaffen bzw. angepasst werden, denn nur die auf Basis unserer demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung und Legitimation erhobenen Daten können einen Minister im Falle eines Falles rechtssichere Hinweise liefern.

HB: Lustige Geschichte, aber ich glaube nicht, dass Sie darauf angewiesen waren, so ein banales Ereignis als Vorwand für ...

SF: Langsam, langsam. Natürlich haben wir derartige Konzepte schon immer vorgesehen, aber unsere Experten haben immer wieder abgewunken, da derartige Maßnahmen unseren drei Marken massiven Schaden zufügen kann. Die Basis war noch nicht vorbereitet. Das kann natürlich immens lange Zeit in Anspruch nehmen. Die Leute hätten die Regierung stürzen können, wenn man so etwas unvorbereitet einführt. Das geht nur sehr langsam, schleichend durch die Hintertüre. Aber in Demokratien ist das so eine Sache. Da gibt es immer Profilneurotiker, die auf Rechte und diese Dinge achten um dann sofort loszupoltern, wenn mal was nicht ganz so konform abläuft. Da müssen schon gewaltige Gründe vorliegen, um ein Volk erstmal darauf vorzubereiten.

HB: Dann war also NINE-ELEVEN ein Fake oder gar von Ihnen geplant ?

SF: Nein, ob es ein Fake war, kann ich Ihnen nicht mal sagen. Es spricht zwar einiges dafür, aber letztendlich glaube ich nicht.

Um das zu erklären, muss ich weiter ausholen.

Unsere Experten haben erkannt, dass es in Deutschland nicht einfach sein würde, derartige Veränderungen einzuführen. Schon alleine wegen der geographischen Ausdehnung, viel zu klein. Da hat unsere Strategieabteilung in einem Mastermeeting einfach mal eruiert, wie, wo und wann man solche Prozesse testen kann. Die Wahl ist dabei auf die USA gefallen. Ich kann Ihnen versichern, das war ein Schock für uns alle. Ausgerechnet die Weltmacht, der Vorreiter in Sachen Freiheit und Demokratie, der Godfather of Menschenrechte.

Aber die Strategieabteilung hat das gut begründet.

1. Das Aufrechterhalten dieses Weltmachtstatus kosten enorm viel Geld

2. Die interne Rendite des Landes war schlecht, Punkt 1 war ein maßgeblicher Kostenfaktor, der keine allzu praktische Anwendung finden konnte.

3. Wenn es in USA gelingt, gelingt es überall.

4. Wenn wir diese Prozesse einführen, dann nur weltweit, ansonsten macht es wenig Sinn, wird unrentabel.

Nun gut, also wurde der Beschluss gefasst, die USA als Testpanel herzunehmen.

Nachdem wir den ominösen George W. Bush endlich ins Amt bekommen haben, waren wir schon etwas optimistischer.

Wir haben dann die entsprechende Strategie ausgearbeitet und freigegeben.

Aber wir merkten sehr schnell, dass die USA nicht so einfach zu handhaben war. Es konnte nur auf psychologischer Ebene angegangen werden.

Somit haben wir den Irak-Krieg Version 2 definiert. Das konnten wir den Regierungsakteuren auch gut verkaufen, der Sohn des reichen Vater-Präsidenten hatte da psychologisch einiges aufzuholen, musste selbst mal beweisen, dass er eben nicht nur der Sohn ist. Naja, jedenfalls war Irak wunderbar geeignet, dieses Psychodefizit auszugleichen.

Das Problem war, wir können nicht einfach nach Lust und Laune einen Krieg anfangen. Da musste schon ein Grund gegeben sein.

Und - ich muss Ihnen hier ganz offen gestehen - der gesamte islamistische Raum gehört nicht zu unseren Mitgliedern. Wir können denen leider keinerlei Beitrittsanreize bieten, da wir prinzipiell ideologisch nicht operieren können, weil keine nennenswerte Rendite zu erwarten ist.

Somit - und bitte: das ist nur meine persönliche Vermutung, uns liegen da keine Erkenntnisse vor - muss George W. scheinbar mit den befreundeten Bin Ladens irgendwie eine Absprache getroffen haben, dass der ungeliebte Sohn Osama ein bisschen in den USA sein Image pflegen soll.

Ich denke, dass der dann gleich so ein Wahnsinnsding da abzieht, das hätte niemand gedacht.

Gut, aber man muss natürlich jede Gelegenheit nutzen, eine bessere Chance hatten wir nicht, alle unsere Probleme auf einen Streich zu lösen.

Wir konnten den Krieg realisieren, unsere Rendite durch Kriegskosten erhöhen, die psychologische Grundlage für Angst und Gefahr setzen und nebenbei den Prozess aus dem Testland USA gleich auf weitere Operationsgebiete ausdehnen.

Das war ein Glücksfall, wie er nun mal passiert, wir würden die Lorbeeren gerne in Anspruch nehmen, aber leider hatten wir da keinen Einfluss darauf.

HB: Also war NINE-ELEVEN für Sie der Start des Prozesses ?

SF: Eindeutig: ja. Bessere Rahmenbedingungen kann man nicht einmal selbst erzeugen.

HB: Gut, die Geschichte kennen wir ja. Terror ist überall, bla bla und deswegen leiden alle darunter.

SF: Nein, so einfach ist das nicht. Terrorgefahr bestand und besteht. Wir müssen lediglich dafür sorgen, dass das Szenario nicht in Vergessenheit gerät und der Ball weiter rollt. Ein bisschen Krieg in Afghanistan, gepaart mit Wiederaufbau. Da haben wir unser auserkorenes Testland, das erste islamistische Land übrigens. Wir testen hier erstmalig unsere Aquise-Prozesse auf Funktionalität. Unsere praktischen Erfahrungen mit dem Islam sind gleich Null. Wir betreiben hier wahrlich learning by doing.

HB: Gut, was hat das nun mit Agenda 2020 zu tun ?

SF: Sie haben es scheinbar eilig. Soll mir recht sein.

Wir haben nunmehr die Grundlage geschaffen, dass die Leute Angst vor Terroranschlägen haben. Diese Angst müssen wir aus dem Volk herausnehmen, nicht ganz, immer nur soweit, dass wieder eine gewisse Beruhigung eintritt.

Und jeder Schritt wird von der Einführung entsprechender Überwachungsmethoden begleitet. Das Volk schreit ja förmlich danach. Wir können gar nicht so schnell die Prozesse anpassen oder erstellen, wie das Volk diese haben möchte.

HB: Das heißt, Sie glauben wirklich an die Terrorgefahr ?

SF: Ja. Es gibt de facto die Gefahr, das in Deutschland ein Terroranschlag verübt wird. Wann, wo, womit - das weiß keiner, aber statistisch wird er kommen, die Wahrscheinlichkeit bis 2012 liegt bei 12%, bis 2020 bei 20%. Nach jetzigen Berechnungen. Also: nicht sehr wahrscheinlich, aber möglich und machbar.

HB: Und sie verhindern diesen Terroranschlag ?

SF: (lacht) Sie Komiker. Natürlich nicht, wenn dann bestenfalls weil die Terroristen zu dumm sind oder uns der Zufall zur Hilfe kommt.

Mal scherzhaft: wir können ein NINE-ELEVEN in Deutschland nicht verhindern, aber durch unser umfassendes Sicherheitskonzept können wir innerhalb von 30 Minuten sofort 75 Millionen Bürger als Tatverdächtige ausschließen.

Somit müssen sich die Sicherheitsorgane nur noch auf wenige Bürger konzentrieren, was die Aufklärung beschleunigt und die Kosten minimiert.

HB: Das war ein Scherz, nicht wahr ?

SF: Eigentlich nicht. Die Überwachung wegen Terror war einmal. Wir haben sehr schnell erkannt, dass wir uns gegen eine angreifende Armee wehren können, aber nicht gegen Terroristen. Organisationen, wie z.B. die RAF, könnten wir in den Griff bekommen, aber die fanatischen Leute kriegen wir im Vorfeld nicht oder nur durch Zufall. Erinnern Sie sich noch an das Attentat auf das Oktoberfest ? Das war ein Verrückter, ein Freak.

Wie hätte man den an der Ausübung hintern können ? Selbst mit heutiger Technik - gut, die Chancen wären höher, aber bestenfalls auch nur bei 85%.

Derartiges passiert - ein 100% Sicherheitspaket kann und wird es nicht geben. Zumal die Kosten für 100%-Sicherheit exorbitant hoch sind und somit die Folgen eines Attentats wesentlich einfacher zu verbuchen wären wie permanente Hochsicherheit.

Wir nutzen die Technik, die Prozesse und natürlich die Rahmenbedingungen wie Gesetze mittlerweile für unsere eigene Prozesskontrolle.

HB: Wie das ? Haben Sie Saboteuer in den eigenen Reihen ?

SF: Natürlich nicht, obwohl man das Verhalten mancher Politakteure schon fast als Sabotage bezeichnen könnte. Nein, unsere Agenda 2020 definiert eine klar umrissene Zielgruppe, die durch Aufbegehren, Unzufriedenheit, Beeinflussung tatsächlich eine Art Aufstand initiieren könnte.

In Demokratien kann das leicht passieren. Unsere DefCon für Deutschland liegt derzeit auf 4, wird aber nach der Regierungsbildung auf 3 angehoben.

HB: Sind die Terroristen eingereist ?

SF: Es geht nicht um Terroristen, es geht um Arbeitslose, Prekarianer, Migrations-Gruppen und die nicht kontrollierbaren Personen mit schlechtem Bildungsniveau. Diese werden zunehmend renitent, sie sehen für sich keine Perspektive mehr und setzen mehr oder weniger alles auf eine Karte. Hier droht die eigentliche Gefahr für unser Land.

Wir haben versucht, für den Fall der Fälle auf die Armee zurückgreifen zu können, aber das klappt politisch noch nicht ganz. Liegt wieder mal primär am Verfassungsgericht. Also können wir keine Aufstände niederschlagen, sondern müssen sie in der tat verhindern.

Das ist natürlich viel aufwändiger und teurer als der Einsatz der Armee, die sowieso vorhanden ist.

HB: Sie glauben also, dass die Bürger, Verzeihung: bestimmte Gruppen der Bevölkerung, wegen der Rahmenbedingungen, die Sie ihnen vorgeben, so unzufrieden werden, dass sie rebellieren. Ist das nicht ein Widerspruch ?

SF: Scheinbar ja, de facto aber nein. Die Bevölkerung muss sich natürlich erst an die neu eingeführte Gesellschaftsordnung gewöhnen. Eine breite Mehrheit haben wir schon konditioniert, aber gerade bei den untersten Schichten greifen unsere Strategien nicht.

HB: Was ? Sie haben für irgendwas keine Strategie ?

SF: Nicht so sarkastisch. Wir können auch nur aus dem Bewährten schöpfen. Die Leute kapieren die Aussagen unserer PR-Abteilung nicht.

Selbst die Vertriebsabteilungen, egal welche, schaffen es nicht, die Botschaften bis an die unterste Ebene zu transportieren.

Im Gegenteil: wir müssen teilweise mit teueren Mitteln gegensteuern, damit die Eskalation nicht zu früh erfolgt und wir nicht handlungsfähig sind. Vielleicht haben wir bei der Bildungsreduktion etwas zu viel gemacht, das wird zu prüfen sein.

Jedenfalls werden die Nicht-Leistungsträger immer unzufriedener und die technischen Möglichkeiten der Vernetzung via Mobilfunk, Internet usw. bringen diese Gruppen dazu, sich sogar zu vernetzen. Das könnte - wenn da jemand kommt, der die ganzen Emotionen einsammelt und lenkt - ein enormes Gefahrenpotential werden.

HB: Sie sprechen von Rechts ?

SF: Das ist doch Firlefanz, verzeihen Sie den Ausdruck. Es gibt kein Links, Rechts, Mitte, das sind alles Rahmenbegriffe, die wir geprägt haben, um unser Vertriebskonzept plastisch vermitteln zu können. Wir müssen schließlich alle Zielgruppen bedienen und die Leute neigen zu Individualität, die muss man Ihnen anbieten.

HB: Welche Rolle spielen die Parteien ?

SF: Parteien sind unsere Vertriebskanäle. Das menschliche Wesen ist dual aufgebaut. Wir brauchen Trauer, damit wir Freude fühlen können, wir brauchen Wärme, um die Kälte zu erkennen. Das ist in allen Dingen so. Also müssen wir den Vertriebskanal auch dual gestalten.

Da wir auch verschiedene Alternativkanäle vorhalten müssen, haben das Spektrum etwas breiter gefächert.

HB: Kurzer Exkurs: erklären Sie mir das.

SF: Erstes Semester unserer Schule ... Gut.

Wir haben eine CDU/CSU. Wir haben diesen Kanal für konservative Werte reserviert und breitflächig im Volk etabliert. Da Bayern unser Prime-Location ist, mussten wir hier andere Angebote hin und wieder platzieren. Damit das Parteienkonzept aber in sich schlüssig bleibt, haben wir für Bayern eine Bayerische CDU aufgestellt.

Dann haben wir die SPD: diese darf primär die unteren Gesellschaftsschichten bedienen. Arbeiter, einfache Angestellte, eben die Prekarianer oder die noch-nicht-ganz-Prekarianer.

FDP: Hier bedienen wir die Leistungsträger und Leistungseliten. Dazu muss nicht mehr viel gesagt werden.

Grüne: damit wollten wir die Grundbedürfnisse nach Natur, Frieden und Gemeinschaft auffangen. Studenten und alternative Einstellungen konnten hier eine Heimat finden.

Es muss eine Führungsstruktur etabliert sein und dann massiv Werbung für Mitglieder oder Sympathisanten machen. Mitglieder sind ein notwendiges Übel, also nicht unbedingt notwendig. Solange das demokratische Kreuz entsprechend unserer Planungen gemacht wird, reichen Sympathisanten durchaus aus. Schon hat man eine Partei.

Wir entscheiden jeweils, welches politische Spektrum wir benötigen, und dementsprechend werden die Strategien der einzelnen Parteien ausgerichtet.

Damit das ganze etwas lebendig wirkt und auch gewisse Überraschungsmomente dabei sind, habe wir entsprechende Rahmenereignisse programmiert, die bei Bedarf abgerufen werden können. Ein Rücktritt, ein kleiner Skandal, was eben so zu einem guten Schauspiel dazugehört.

HB: Also sind Sie die Parteien ?

SF: Nicht ganz, denn eine gewisse Eigendynamik gibt es schon. Aber wir kontrollieren diese Dynamik.

Ein Beispiel: durch die Einführung der Agenda 2010 dachten wir eigentlich, dass der Kanal SPD und auch Grüne erstmal nicht mehr vermittelbar sein wird.

Deswegen haben wir die SPD geteilt und einen Kontrapart, Die Linke, eingeführt. Wir haben damit gleichzeitig die aufkommende Unzufriedenheit der neuen Märkte (Anm: ehem. DDR) aufgegriffen und auch dieser Klientel ein Zuhause gegeben.

Somit konnten wir die Akzeptanz der SPD und der Linken im Gesamtniveau relativ konstant halten.

Die Linke wurde durch die neuen Prozesse als Assimilationsbasis für die neuen Prekarianer gestaltet. Hier können wir einen großen Anteil der unzufriedenen Zielgruppe erst einmal auffangen, kontrolliert betreuen und erstmal - sehr wichtig - für eine gewisse Zeit ruhig halten.

Wir halten Die Linke bewusst aus den politischen Prozessen (Regierung) heraus, da wir derzeit noch funktionierende Alternativen haben und somit im Bedarfsfall einen nicht vorbelasteten Alternativkanal verfügbar haben.

HB: und die anderen Parteien ?

SF: damit haben wir wenig zu tun. Das sind Bürger, die einfach auch mal eine Partei gründen wollen. Wir versuchen, diese etwas zu steuern, aber prinzipiell genügt es uns, wenn wir sie aus dem politischen Prozess raushalten können. Es ist auch für die Bürger wichtig zu erkennen, dass es ausreichend Alternativen gibt. Das hält das Bürgerinteresse wach und den Demokratieprozess am Laufen. Hin und wieder mal auf kommunaler Ebene einzelne platzieren, dass hält die Hoffnung der anderen, dass ihnen das auch gelingen kann, aufrecht.

HB: Und die Abgeordneten, Funktionsträger usw. spielen da so einfach mit ?

SF: (schmunzelt)Na klar. Man gebe Ihnen eine Aufgabe, ein gutes Gehalt, eine handvoll Privilegien, einen gewissen gesellschaftlichen Status, schon funktionieren sie. Aber es sind Statisten, wenn man es ganz krass ausdrücken will, viel Einfluss haben sie nicht und sie sind relativ leicht zu entsorgen. Stellen Sie sich Ben Hur ohne ein übervolles Stadion vor, das wäre doch überhaupt nicht spannend. Genauso funktionieren die Politiker, wie Sie unsere Alibistatisten auch bezeichnen.

HB: Dann hat ihr Konzept bei der aktuellen Wahl nicht funktioniert. Schade.

SF: Doch, natürlich hat es funktioniert.

Die CDU/CSU war uns etwas zu dominant geworden. Deswegen haben wir die FDP etwas aufgebaut mit neuen Konzepten und einen hochmotivierten Wahlkampf. Somit weiß die CDU genau, dass wir - falls sich hier eine Eigendynamik entwickeln sollte - jederzeit umswitchen können zur FDP.

Da wir angenommen haben, die Grünen wären erstmal nicht vermittelbar, haben wir uns hier nicht groß engagiert. Aber mittlerweile sind die neuen 5-Partei-Prozesse nicht ganz regelkonform angelaufen. Wir haben bemerkt, dass die Wähler doch eine sehr große taktische Komponente - ob beabsichtigt oder zufällig sei dahingestellt - einbringen. Das hat für die Grünen eine neue Option der unbedingten Regierungsbeteiligung ermöglicht. Quasi die Rolle der FDP, den Mehrheitsbeschaffer zu spielen, übernommen. Das war in Teilen so gewollt, da wir die FDP diesmal aufbauen und mit einer neuen Funktion als Imageträger für unser Marketingkonzept der Leistungsträger versehen wollten. Aber natürlich müssen wir eine mögliche Eigendynamik der Grünen etwas bremsen, deswegen haben wir die Kernaussage - die Umwelt - nun in alle Parteien transportiert.

Somit fällt dieses Alleinstellungsmerkmal schon mal weg. Analog dazu haben wir Bildung auch in allen anderen Kanäle eingeführt.

HB: Schafft aber mehr Verwirrung als es hilft

SF: Sie erkennen es richtig. Das ist der Sinn und Zweck. Wir brauchen eine neutrale Ausgangsbasis, wenn wir Agenda 2020 publizieren.

Primär werden die Linken erstmal hier den Auffangbehälter spielen, aber tendenziell können wir alle Parteien entsprechend umgestalten, da wir die Primärziele auf alle Parteien verteilt haben.

Stellen Sie sich ein Supermarktregal vor, sie möchten einen Joghurt kaufen. Unterstellen wir, der Preis, die Inhaltsstoffe und die sonstigen Merkmale sind bei allen 20 Sorten gleich.

Nun entscheiden Sie sich mal. Genau, egal welchen sie nehmen, sie bekommen immer das Gleiche. Damit ist das Volk erstmal beschäftigt.

Die Einführung der Agenda 2020 wird die CDU etwas abschwächen, aber falls es zu weit geht, verschieben wir die Verantwortung auf die FDP und stufen diese dann eben wieder zurück. Hauptsache der Laden läuft.

HB: Wir waren beim Sicherheitskonzept ...

SF: Richtig. Wir ...

HB: Sorry, gestatten Sie mir noch eine Zwischenfrage: wie und warum wird Deutschland reorganisiert ?

SF: Das warum ist einfach erklärt. Die Rendite ist zu niedrig gewesen.

Nehmen Sie das Beispiel Automobil, nehmen wir diesmal VW. Ein Produkt wird gebaut, erhält den Namen Golf, kommt auf den Markt und wird verkauft. Nach einer gewissen Zeit stellen sich Marktsättigungen ein. Durch Bedarfsdeckung oder durch mittlerweile verfügbare Konkurrenzprodukte. Also wird der Golf genommen, ein wenig aufgepeppt (Facelifting) und dann unter der Bezeichnung Golf 2 auf den Markt gebracht.

Geringe Kosten und wieder eine gewisse Nachfragesteigerung. Das kann sich mehrmals wiederholen. Spätestens beim Golf 5 wird das Modell dann eingestellt und ein Nachfolger muss her. Genauso funktioniert ein Land. Deutschland 2 ist durch die Globalisierung hinsichtlich Rendite kleiner geworden. Das war durchaus zu erwarten.

Im Normalfall hätten wir diesen Status Quo noch zwei oder drei Jahre aufrechterhalten müssen, aber da wir das Programm Weltwirtschaftskrise dringend anfahren mussten, kommt Deutschland 3 eben etwas früher. Wir werden prinzipiell die gleichen Rahmenparameter behalten, aber eine Verlagerung von Export zu Binnenwirtschaft einplanen. Als Facelift haben wir Neue Energien benutzt.

Dieses Land muss wegen seiner hohen Wertigkeit immer ein gewisses Kompetenzzentrum bleiben. Ein Premium-Produkt, sozusagen. Die Version 3 wird allerdings gewisse Binnenleistungen wieder selbst erzeugen müssen, da wir den Asiatischen Markt langsam auf Level 3 bringen müssen. In Deutschland sind genug Leute, aber mit den neuen Produkten können wir nicht ausreichend Jobs anbieten und außerdem nicht genug Rendite erwirtschaften. Folglich müssen konkurrenzfähige Produktionsumgebungen geschaffen werden. Da wir allerdings das Modul Gewerkschaft, Lohnniveau und Sozialstaat integriert haben, kann man das auf reguläre Weise nicht erreichen.

Deswegen haben wir Agenda 21010 und nun Agenda 2020. Leute ohne Job kosten nur, Billigjob brauchen wir nicht anbieten, da die Nachfrage danach sehr gering ist. Wir haben versucht, durch Agenda 2010 die Akzeptanz im Volk zu wecken, aber das hat wie wir erwartet haben nur marginal gegriffen. Somit kommt jetzt Agenda 2020, die billige Arbeitskräfte in ausreichender Anzahl zur Verfügung stellt, gleichzeitig das Gesamtniveau der arbeitenden Gesellschaft senkt und somit die Rendite erhöht, gleichzeitig auch die Produktivität steigert, denn durch Agenda 2020 haben wir genug psychologische Modelle, um unzufriedene Leute mit Fulltime-Jobs zu disziplinieren. Die Alternative lautet immer: entweder diesen Job oder in die Gruppe der Prekarianer. Da die Nachfrage nach Jobs immer wesentlich über dem Angebot liegen wird, sollten hier keine nennenswerten Probleme auftreten.

HB: Kurze Nachfrage: dann werden unsere Kernkraftwerke abgeschaltet ?

SF: Natürlich nicht. Es handelt sich bei diesen schließlich um erstklassige Renditeträger. Wir haben auch entsprechende Vorsorge getroffen, dass diese möglichst lange am Netz bleiben. Die Frage der Endlagerung haben wir bewusst ausgeklammert. Und, glauben Sie mir, solange diese Frage nicht final beantwortet ist, wird niemand es ernsthaft in Betracht ziehen, diese Kraftwerke still zu legen. Aber zurück zum Relaunch:

Wie oft dieses Relaunch wiederholt werden kann, ist leider nicht genau vorherzusehen. Ich kann ihnen aber den allgemeinen Zyklus beschreiben,  wie wir mit Landeseinheiten verfahren. Auf einem niedrigen Niveau steigen wir ein und versuchen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die uns eine Renditeerwartung in Aussicht stellen. Wenn es funktioniert, fahren wir das Land schrittweise auf ein höheres Niveau (z.B. China). Bewährt sich der Masterplan auch hier, kommt Stufe 3. Vergleichbar mit Deutschland in den 60er Jahren.

Je nachdem, wie sich das Land und die Bevölkerung selbst weiterentwickeln,  entscheiden wir dann, ob wir es auf Level 3 belassen, oder wie im Fall von Deutschland zum Premium-Segment auf Level 5 bringen. Dieses Level-5 wird solange wie möglich gehalten, danach eine Abstufung auf Level 4. Kann man von hier ausgehend wieder auf Level 5 kommen (bei realistischen Kosten und entsprechender Rendite) wird dies versucht, ansonsten erfolgt schrittweise die Heranführung an Level 3.

Wenn Level 3 stagniert oder gar droht, abzusinken, dann ziehen wir uns aus dem Land zurück und überlassen es dem eigenen Schicksal. Natürlich entnehmen wir vorher die verbleibenden Assets zur Rückzahlung der von uns gewährten Kredite.

Nach einer gewissen Zeit, wahrscheinlich bei Level 1 oder darunter, greifen wir es wieder auf und versuchen mit dem dann gültigen Masterplan eine neue Runde.

Wir haben Deutschland derzeit noch auf einer knappen 5, durch den Relaunch werden wir die 5 erstmal stabilisieren. Ich denke, wir können in Deutschland noch weitere Relaunches durchführen, da ein Premium-Land auch auf Level 4 noch ausreichende Rendite abwerfen kann.

HB: Aber Sie können doch nicht einfach mit Ländern, Milliarden von Menschen, Gefühlen spielen ?

SF: Spielen ... (nachdenklich). Tun wir eigentlich nicht. Die ganze Existenz läuft nach einem - von mir aus göttlichen - Schema ab.

Wir haben lediglich einen daran angelehnten Plan eingeführt. Schauen Sie...

Das Leben selbst: ein Männchen und ein Weibchen treffen sich, verbringen 20 tolle Minuten miteinander - daraus entsteht ein neues Leben. Dieses wird aufgezogen, ausgebildet, arbeitet, wird älter und stirbt. Das wiederholt sich Milliarden mal, Millionen von Jahren hindurch. Alleine durch permanente Wiederholung wird ein Vorgang als solches nicht unbedingt besser oder interessanter.

Damit es aber dennoch nicht langweilig wird und die Leute weiterhin mitmachen, muss ein Anreiz geschaffen werden. Also werden durch Zufälle, individuelle Unterschiede gewisse Einzigartigkeiten geschaffen. Und diese Einzigartigkeit ist das Streben, die Motivation, diesen banalen, im Prinzip immer gleichen Vorgang, unendlich zu wiederholen.

Nichts anderes tun wir. Wir geben einem vorhandenen "Etwas" einen Plan, eine Struktur und eine Hoffnung auf Einzigartigkeit.  Die Evolution kann das natürlich viel filigraner, aber im Prinzip sind wir schon sehr nahe am Original angelangt. Und: wir lernen ja dazu, perfektionieren unsere Prozesse, generieren neue Masterpläne. Somit sind auch wir eine Art Evolution.

Was ist daran verwerflich ?

Wenn Sie unsere Tätigkeit in Frage stellen, können Sie auch die Evolution an sich, den Sinn des Lebens überhaupt, genauso gut in Frage stellen.

HB: Bevor Sie mich noch weiter deprimieren, erklären Sie mir noch schnell das Thema Sicherheit, damit das hier zu einem Ende gebracht werden kann.

SF: Sie wollen schon gehen ? Jetzt fängt es gerade an, mir Spaß zu machen. Aber sehen Sie die Sache nicht zu starr, wir geben letztendlich nur den Rahmen vor, was darinnen abläuft unterliegt immer noch - weitestgehend - Ihrer eigenen Kontrolle u...

HB: oder das was Sie mir als Kontrolle vermitteln ...

SF: Genau, Sie haben ja doch was gelernt. Aber solange Sie nicht wissen, dass es nicht Ihre originäre Kontrolle ist, werden Sie auch nichts vermissen. Sie sind Ihres Glückes Schmied, der Zufallsfaktor bestätigt dies und garantiert dies auch - wir sind dafür als Ausgleich sozusagen Ihrer Schmied.

Aber zurück zu Sicherheit....

Eine Veränderung der Bevölkerungsstruktur geht in einem Premium-Land immer mit einen wachsender Unzufriedenheit einher. je nach landesspezifischer Mentalität, kommt es somit früher oder später zu Krawallen, Aufständen oder Rebellionen. Diese gefährden den Betrieb des Landes, kosten Geld und schmälern die Renditen. Das zu verhindern ist oberstes Dogma unserer Masterplans.

Wir müssen daher Sicherheitsrisiken für unsern Masterplan bereits im Vorfeld erkennen und im Optimum nicht erst entstehen lassen, sozusagen im Keime bereits ersticken.

Schauen Sie unser Agenda 2020 Konzept doch an. Es beinhaltet ganze Maßnahmenpakete um unsere Kontrollhoheit zu sichern.

Sie gelangen in die Prekarianer-Gruppe oder sind nur knapp außerhalb dieser Gruppe. Ihre Unzufriedenheit wächst. Durch das breite Medienangebot werden Sie früher oder später erkennen, dass Sie keine wirkliche Perspektive haben. Also werden Sie unzufrieden. Eine gewisse Anzahl an Personen scheidet - durch Krankheit oder eigene Entscheidung - aus dem Leben. Gut, dies ist die kostengünstigste Lösung. Aber die meisten rebellieren gegen sich selbst und erzeugen massive Wut. Diese Wut muss sich kanalisieren. Falls im direkten Umfeld keine Möglichkeit dazu besteht, werden Sie einen schuldigen ausmachen und gegen diesem seine Wut richten.

Sie werden gleichartige Personen suchen und finden. Somit entstehen schon kleine Netzwerke. Sie werden im Internet in Foren Ihren Frust ausleben, werden eventuell politisch aktiv, natürlich bei einer nicht kontrollierten, weil extremen, Partei.

Somit potenziert sich ihr Netzwerk bereits. Dann irgendwann, wenn diese vielen kleinen Netzwerke aufeinander treffen und größere Frustcluster bilden, entsteht eine kritische Masse, die sich irgendwann entladen wird.

Durch die Kontrolle Ihrer Kommunikation können wir schon mal die Kontaktaufnahmen mit potentiellen Gleichgesinnten erfassen. Durch die Zensur und Protokollierung Ihrer Onlinetätigkeiten erlangen wir weitere Hinweise, auf welcher Frust-Stufe sie sich gerade befinden.

Durch die Einführung biometrischer Kennzeichen in Ausweisdokumenten machen wir sie auf jeden Fall erst einmal identifizierbar.

Der Zugriff auf Ihre Gesundheitsunterlagen bringt uns Aufschlüsse darüber, in welche Risikoklasse wir Sie einstufen müssen (suicide-Status).

Die Videoüberwachung bringt uns die Informationen, wo und mit wem Sie sich außerhalb Ihrer Wohnung bewegen. Ihre Kontodaten liefern uns Hinweise auf Ihre Konsumgewohnheiten, Ihre Reserven und natürlich Ihre Erwerbsquellen.

Da es schwer durchsetzbar ist, Ihre Post zu öffnen, können wir nur die Personen ermitteln, mit denen Sie brieflich in Kontakt stehen.

Aber wenn Ihr Risiko-Index durch andere Informationen bereits ein gewisses Level erreicht hat, können wir zukünftig durch den Einsatz der Geheimdienste auch diese Kommunikation kontrollieren. Per Email, SMS und anderen Medien dürfen wir bereits heute Ihre Kommunikation mitlesen.

Wir wissen, wann Sie sich wo mit wem aufgehalten haben, was Ihre Vorlieben sind, welche Informationsquellen Sie nutzen, über welche Themen Sie sich informieren, wie viel Geld sie für was ausgeben und wo Sie dieses herbekommen.

Wenn die großflächige Überwachung installiert ist, dann können wir Sie anhand Ihres Gesichtprofils mit Kameras, anhand der RFID-Chips in Ihren Ausweisdokumenten, anhand der Standortermittlung Ihres Handys jederzeit lokalisieren. Wir wissen somit was Sie wann wo mit wem machen, was Sie planen und alle weiteren relevanten Details.

Erreicht Ihr Profil einen gewissen Level, werden wir Sie aus dem Verkehr ziehen, damit Ihr Frustfaktor nicht über die kritische Marke ansteigt und Sie uns gefährlich werden können. Da dies gesetzlich legitimiert und als Einzelaktion ausgeführt wird, wird es die anderen Bürger nicht sonderlich beunruhigen.

Sie sehen also, um unsere Prozesse funktionsfähig zu halten und jegliche Störungen möglichst ohne Aufsehen und mit geringsten Kosten von diesen fernhalten zu können ,benötigen wir diese Sicherheitsmechanismen.

Und eine gute Nebenwirkung: die Terroranschlagsgefahr sinkt dadurch auf 10% !

HB: Und Sie glauben, das Volk spielt da mit ?

SF: Der Zug, mein verehrter Bürger, ist schon abgefahren. Es fehlt noch ein wenig die Infrastruktur, aber das ist nur eine Frage der Zeit.

Es wurden bereits alle notwendigen Gesetze etabliert, die technische Infrastruktur ist schon fast flächendeckend eingeführt, lediglich die intelligenten Vernetzungskomponenten müssen noch flächendeckend eingesetzt werden.

HB: Das ist alles Verfassungskonform ?

SF: Wie gesagt, die Gesetze sind da, es gibt gewisse Einschränkungen durch das Verfassungsgericht, aber damit können wir leben.

Letztendlich geht es ja nur um Formalien, am Prinzip wird dadurch ja nichts geändert.

HB: Das sehe ich anders. Sie dürfen die Daten nur speichern, Zugriff ist nur in begründeten Einzelfällen und nur mit richterlicher Einzelfall-Genehmigung erlaubt. Obwohl Sie in Hamburg ja bereits eine flächendeckende Videokontrolle eingeführt haben.

SF: Das ist korrekt. Aber Sie kenne sich ja auch im IT-Umfeld etwas aus. Wo Daten gespeichert werden, gibt es ein Gateway, auf das die Daten reingehen.

Auf dem gleichen Gateway kann ich Daten auch wieder abrufen. Natürlich würde das protokolliert, aber wenn Sie das Protokoll in Ihrer Struktur betrieben, sollte es nicht weiter auffallen, wenn die Abrufe nur dann protokolliert werden, wenn die von Ihnen genannten Voraussetzungen vorliegen. Ein Richter unterschreibt letztendlich alles, weil er wegen seiner Arbeitsüberlastung einen Einzelfall gar nicht prüfen kann.

Er verlässt sich da auf die Ermittlungsbeamten, die ihn den Vorgang vorliegen. Und immerhin haben wir den notwendigen Anfangsverdacht so niedrig gelegt, dass im Prinzip selbst ein 10minütiger Schluckauf schon als Gefahr-im-Verzug betrachtet werden kann.

Daten, die einmal gespeichert wurden, können immer für eine Auswertung herangezogen werden. Es gibt in der IT keine Einbahnstraßen.

(lacht) und selbst wenn: da kein Ordnungshüter zu erwarten ist, kann man auch mal in der falschen Richtung in der Einbahnstraße fahren. Zur Not sagt man einfach "Uups, ein Versehen", bekommt einen Klatsch auf die Hand und das war's.

Zu Hamburg: Da ist eines von mehreren Testpanel. Wir testen hier die zielgruppenspezifische (also Studenten und Prekarianer) Überwachung, möglichst lückenlos. Aber es sind schon entsprechende Verbesserungen für die nachfolgenden Standorte vorgesehen.

HB: Dann planen Sie also so was wie Guantanamo in Deutschland ?

SF: Nein, auf keinem Fall. Unser Wohnungskonzept dient nur den Schutz der Prekarianer.

HB: Wohnungskonzept ?

SF: Ach ja, haben wir noch gar nicht erwähnt. Gehört aber auch zur Sicherheit.

Die Prekarianer haben den Nachteil, dass sie geographisch sehr weit verbreitet sind. Hier ist eine individuelle Überwachung, die im Einzelfall notwendigen werden kann, nur sehr kostspielig zu realisieren. Ebenso muss die gesamte Überwachungsinfrastruktur sehr weitläufig angelegt werden, was wiederum zu hohen Kosten führt.

Wir haben die Kosten für billigen Wohnraum in den letzten Jahren nach oben verschoben. Gleichzeitig haben wir durch die Agenda 2010 die Kostenübernahme durch Transferzahlungen weiter gesenkt. Dieser Prozess ist nahezu beendet. Die neue Regierung wird als erste Maßnahme ein neues Konjunkturprogramm auflegen, das bezahlbaren Wohnraum schafft. Dieser wird bevorzugt im gleichen Gebiet einer Stadt liegen. Diese Kosten werden durch Transferzahlungen vollständig übernommen und werden somit auch auf eine hohe Akzeptanz stoßen. Wobei diese nicht notwendig ist letztendlich, da wir genug Sanktionsmöglichkeiten haben, diese Akzeptanz notfalls auch zu erzwingen. Aber natürlich wird es erstmal auf freiwilliger Basis versucht.

HB: Schon wieder eine Grundrecht-Einschränkung: freie Wahl des Aufenthaltsortes

SF: Nur bedingt. Hartz4 regelt, Sie müssen einen angemessenen Wohnraum beziehen. Wenn es aber außer diesem Angebot nicht viele weitere gibt, dann werden Sie freiwillig diese Unterkunft wählen, da als Alternative nur die Brücke oder ein Asyl bliebe.

HB: Klar, wie auch sonst. Und ich dachte, Sie wollten nur den Missbrauch aufdecken.

SF: Leistungsmissbrauch und Steuerhinterziehung ?

Also der Missbrauch von Sozialleistungen ist kein Problem. Natürlich haben wir durch Marketing und PR-Abteilung gerade dieses Argument penetriert, da hier am schnellsten das individuelle Gerechtigkeitsempfinden der Bürger angesprochen werden kann und damit schon mal ein gewisses Branding der Zielgruppe Prekarianer vorbereitet wird.

Im Ernst: Was kann ein Prekarianer an Leistungen missbrauchen ? Nehmen wir an, ein Jahr lang 500 Euro pro Monat, sind 6000 Euro pro Jahr. Unterstellen wir, 50% der Prekarianer würden dies tun, dann hätten wir 5 Millionen x 6000 Euro = 30 Milliarden Euro pro Jahr. Das waren jetzt aber wirklich sehr plakative Zahlen. Wir gehen davon aus, dass maximal 500 000 Personen pro Jahr 3000 Euro "hinterziehen" könnten. Das wären dann gerade mal 1,5 Milliarden. Diese Summen sind für die Gesamtrendite doch absolut irrelevant, da ein Großteil sowieso durch Konsum und indirekter Besteuerung wieder aufgefangen wird.

Steuerhinterziehung bei Leistungsträgern oder Top-Leistungsträgern tut da schon mehr weh. Am Beispiel Zumwinkel sehen Sie deutlich, dass Sie nur 6000 dieser Gattung benötigen, die jeweils 5 Millionen an Steuern hinterziehen.

Dann sind Sie auch schon bei 30 Milliarden. Also, warum 5 Millionen Leute überwachen, wenn der gleiche Effekt durch die Überwachung von 6 000 ebenfalls erreicht werden kann ?

Das mit der Überwachung ist nur psychologisch. Durch die Geldstromkontrolle wissen wir meistens sowieso, wenn größere Steuerbeträge hinterzogen werden.

Ab und zu müssen wir allerdings eingreifen. Schon alleine um dem Volk zu zeigen, dass wir wachsam sind und dass es eben auch die "Großen" trifft. Das gibt dem Volk wieder etwas vom verlorengegangenen individuellen Gerechtigkeitsempfinden zurück.

Für uns ist es natürlich bitter, wenn ein Leistungsträger oder sogar ein TopLT sanktioniert werden muss. Denn dieser muss dann natürlich aus dem System entfernt werden. Betrachtet man seinen Produktivbeitrag, seinen ethischen Output und natürlich die Ausbildungskosten, gehen hier schon wertvolle Ressourcen verloren. Aber wie gesagt, Opfer müssen gelegentlich zur Stärkung der Integrität des Volkes gebracht werden.

Natürlich auch bei den Prekarianern, auch hier müssen wir signalisieren, dass wir nicht untätig oder blind sind.

Wobei hier die Sanktionsfolgekosten immer höher sind als die Missbrauchskosten.

Deswegen benutzen wir bei dieser Zielgruppe diese Sanktionen auch nur, um eine gewisse Disziplinierung zu erreichen, bzw. um sie aus dem System zu entfernen. Legal - und mit Volkes Segen natürlich.

Generell vermeiden wir es aber, die LT-Gruppe verschärft zu überwachen. Denn ein Mitglied dieser Gruppe wird nervös und unaufmerksam, wenn es Eingriffe in die Privatsphäre erkennt. Dies ist natürlich kontraproduktiv, da dadurch wertvolle Ressourcen falsch benutzt werden.

HB: weiter mit dem Wohnkonzept ...

SF: Zur weitern Kostensenkung können die entsprechenden Produktionsbetriebe mit Zero-Lohn oder geringfügig darüber gleich in der Nachbarschaft angesiedelt werden. Entsprechende Steueranreize werden dies ermöglichen. Somit konzentrieren wir die Zielgruppe schon mal geographisch.

Danach werden wir durch gezielte PR-Arbeit die Prekarianer gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen als Feindbild etablieren. Kleinere Übergriffe, z.B. Steine werfen, mal ein kleiner Brandanschlag ohne Opfer, sollte hier ausreichen. Natürlich muss der Staat auch die "ärmsten der Gesellschaft" mit den notwendigen Schutz versehen, weshalb die Wohnanlagen dann großzügig eingezäunt und sogar mit entsprechenden Überwachungsgeräten ausgestattet werden. Sof...

HB: Und über den Eingang kommt ein Schild "Arbeit macht frei"

SF: Schon wieder diese Polemik. Zwar ist es richtig, dass Arbeit in gewissen Situationen eine Befreiung aus der Prekarianer-Gruppe bedeuten kann, aber per se sind diese Leute ja nicht "unfrei", somit würde zusätzliche Arbeit sie auch nicht frei machen können, lediglich die mit Wut und Aggression blockierten Köpfe eventuell.

HB: Gut, was für tolle Überraschungen verbirgt die Agenda 2020 denn noch ?

SF: Im Prinzip nicht viel mehr. Wie gesagt, im Detail können wir noch nicht darüber sprechen, aber im Grossen und Ganzen haben Sie den wesentlich

Inhalt nun erfahren. Prozessuale Anpassungen werden natürlich immer mal wieder notwendig sein, aber die nächste Release ist erst für 2014 geplant. Bis 2025 sollten die jeweils ergänzten Masterprozesse erst einmal ausreichen.

HB: Und die Terrorsatire wird weiterhin aufrecht erhalten ?

SF: Im Prinzip ja, aber wir müssen sehr wahrscheinlich Herrn Schäuble austauschen, da er beim Volk absolut negativ besetzt ist und somit kein Vertrauen mehr transportieren kann.

HB: Deutschland wird weinen. Obwohl ...

SF: ... Sie kennen den Nachfolger noch nicht ...

HB: Sie schon ?

SF: kein Kommentar.

HB: Eine Frage noch. Sie erzählen hier alles im Detail, wenn die Leute das Erfahren, dann haben Sie die Revolution schon übermorgen.

SF: Wer glauben Sie, wird diese Geschichte veröffentlichen ? Wir kontrollieren alle seriösen Medien. Somit bleibt Ihnen nur die Wahl, es auf extremen Plattformen mit nur wenig Zustrom zu publizieren. Selbst wenn Sie ein seriöses Medium finden sollten: wer meinen Sie, wird Ihnen diese Geschichte glauben ?

HB: Ich werde Wege finden ...

SF: Vergessen Sie es - auch Sie können jederzeit überwacht werden. Und dann noch hier oder dort etwas platziert, vielleicht ein paar steuerliche Unkorrektheiten, vielleicht ein paar Kinderpornos am PC - wollen Sie sich das wirklich antun ?

HB: Warum erzählen Sie es mir denn dann überhaupt ?

SF: Erstens, weil Sie um ein Interview gebeten haben, zweitens weil Sie gefragt haben, drittens weil Sie es sicherlich irgendwo veröffentlichen werden, was ich sehr hoffe. Denn dann, viertens, kann niemand sagen, er hätte von der Realität nichts gewusst oder wir hätten nichts gesagt - was uns für das eventuell notwendige Relaunch 3 dann schon eine gewisse Kollektivschuld sichert, auf die man sehr ergiebig einen neuen Prozess starten kann. Sie kennen das ja bereits aus der Geschichte.

Aber wenn Sie ... (ein Assistent betritt den Raum und reicht eine Notiz)

Tut mir leid, die chinesische Delegation ist schon eingetroffen. Ich habe jetzt leider keine Zeit mehr.

HB: Planen Sie mit denen schon die Phase 3 ?

SF: Level 3, aber : nein. Es geht nur um die neuen Straßenprojekte. Aus Kostengründen werden das chinesische Firmen ausführen, allerdings kommen die nur mit eigenen Leuten, weil sie ansonsten nicht so billig anbieten können. Das geht natürlich nicht.

Stellen Sie sich vor. tausend Chinesen bauen unsere Straßen und wir haben keine Jobs für unsere eigenen Leute. Das geht nicht.

Aber das sollte kein Problem sein. Durch Hartz4 und Agenda 2020 können wir durch entsprechende Maßnahmen jederzeit ein paar tausend Arbeitskräfte for-zero oder für 1,50 Euro die Stunde abstellen, da brauchen die keine Chinesen mitbringen.

HB: Müssen wir Straßen schon mit Billiganbietern bauen ? Was ist mit den Mauteinnahmen ?

SF: Die Mauteinnahmen sind natürlich im Staatsbudget enthalten und werden für die Rendite benötigt. Und Sie wissen ja - je billiger, desto

HB: ... mehr Rendite, ich hab's kapiert.

SF: Gut, aber jetzt muss ich wirklich gehen. Treffen wir uns doch bei der Vorstellung der Agenda 2020 wieder und bleiben einfach mal im losen Kontakt, es war ein sehr angenehmes Gespräch. Hier meine Privatnummer, rufen Sie einfach an, wenn Sie mal in der Nähe sind.

HB: aber das sehen Sie doch am Monitor

SF: im Prinzip ja, aber etwas Eigeninitiative kann man ja wohl noch erwarten. Schönen Tag noch.

HB: das kann ich mir nicht vorstellen.

 

Editorische Anmerkungen

Das fiktive Interview erhielten wir von Rainer M. Lindner. Er ist Mitglied der Partei Die Linke (KV-Dachau, Bayern) und in zahlreichen Arbeitsgruppen (u.a. BAG/LAG Hartz IV, BAG BGE) aktiv.