Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Tatort Internet

10/09

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Die französische Regierung versucht seit einigen Monaten, ein Gesetz gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet durchzusetzen. Der Entwurf sieht für so genannte Raubkopierer Internetsperren vor, die Verfassungsrichter sehen darin die Verletzung des Grundrechts auf Informationsfreiheit.

Die französische Regierung blieb eisern, und hielt an ihrem Fahrplan fest: Auf HADOPI 1 folgt jetzt HADOPI 2 - und demnächst HADOPI 3… Das Kürzel ist inzwischen fast allen Französinnen und Franzosen geläufig. Was für seltsame Krümelmonster haben sich die Regierenden da nun wieder ausgedacht?  

Auf dieses Namensungetüm, das auch in den Titel des neuen und demnächst zur Verabschiedung anstehenden Gesetzeswerks zur „Regulierung“ des Internet und gegen „Raubkopieren“ eingegangen ist, hört eine neu zu schaffende Institution. Es handelt sich um die „Hohe Behörde für die Verbreitung von Werken und (Urheber-)Rechten im Internet“. 

Das dazu gehörige Gesetz, kurz Loi HADOPI, kam nach längeren vergeblichen Bemühungen (siehe unten ausführlich) vor kurzem in einem neuen Anlauf ins französische Parlament, und wurde nun am 15. September 2009 durch die Nationalversammlung definitiv verabschiedet. Die Abstimmung erfolgte mit 285 gegen 225 Stimmen. (Der Senat, also das parlamentarische „Oberhaus“ in Frankreich, hatte die Gesetzesvorlage bereits früher, im Juni dieses Jahres, angenommen. Da jedoch die dort verabschiedete Fassung leicht von jener Version abweicht, die durch die Nationalversammlung angenommen wurde, tagt nun ein Vermittlungsausschuss von je sieben Mitgliedern beider Parlamentskammern, um eine gemeinsame definitive Endfassung zu finden.) 

Längeres Gezerre & Gewürge bis zur Verabschiedung

Bei dem jetzt verabschiedeten Gesetz - der Loi HADOPI II - handelt es sich um die zweite Fassung, aber bereits um den dritten Versuch: Anfang April 2009 war die damals geplante feierliche Verabschiedung von HADOPI I daran gescheitert, dass die erforderliche Mindestanzahl von Abgeordneten der Nationalversammlung (von zehn Prozent ihrer Mitglieder) nicht zusammengebracht werden konnte. Nur 16 Parlamentarier hatten sich eingefunden: Die Abgeordneten der oppositionellen Sozialdemokraten hatten die Sitzung boykottiert, und zahlreiche Mitglieder der konservativ-liberalen Mehrheitsfraktionen wollten sich gern um die Notwendigkeit drücken, zu dem Gesetzentwurf „Farbe zu bekennen“. Denn auch im bürgerlichen Lager herrschten erhebliche Bedenken gegen das Vorheben vor, die von „Zensur des Internet“ über „Verletzung von Grundrechten“ bis zu „handwerklichem Pfusch des Gesetzgebers“ reichten. 

Am 12. Mai 2009 war es dann doch so weit: Nachdem die Einpeitscher des Kabinetts die Abgeordneten der Regierungspartei UMP auf die Fraktionsdisziplin einschwören konnten, wurde die erste Fassung des „HADOPI-Gesetzes“ doch noch verabschiedet. Aber das Glück der Regierenden hielt nur für kurze Zeit an: Am 10. Juni 09 kassierte das französische Verfassungsgericht, das durch die Oppositionsfraktionen eingeschaltet worden war - die französischen Verfassungsrichter können nicht durch die einzelnen Bürger, sondern nur durch mindestens 60 Parlamentarier angerufen werden - den Entwurf. Es sah eine Verletzung von Grundrechten, nämlich der juristischen „Unschuldsvermutung“ sowie der „Kommunikationsfreiheit“, unmittelbar drohen. Verletzt sahen die Richter diese Bürgerrechten auf gravierende Weise vor allem durch die längerfristigen Intersperren für Nutzerinnen und Nutzer, die laut dem Entwurf HADOPI I durch die gleichnamige Behörde im Alleingang, also ohne gerichtliches Urteil, hätten vorgenommen werden sollen. 

Dabei ließen sich die französischen Verfassungsrichter auch durch eine Resolution des Europaparlaments inspirieren, die kurz zuvor - am o6. Mai 2009 - verabschiedet worden war: Darin wird der Zugang zum Internet für alle europäischen Bürger als ein grundlegendes Recht definiert, das nicht beliebig eingeschränkt werden dürfe. Eine Mehrheit der Abgeordneten in Strasbourg hatten einen Antrag in diesem Sinne, gegen den ausdrücklichen Wunsch und Willen des europäischen Ministerrats, angenommen.  

Nun gilt es also ernst, das Votum der französischen Nationalversammlung vom 15. September 2009 sorgt für die Annahme der Vorlage  in ihrem oberflächlich überarbeiteten Neuentwurf (HADOPI II). Aber eine neue Anrufung des Verfassungsgerichts durch die Oppositionsparteien, vor allem die Sozialdemokratie, ist bereits angekündigt. Und dann wird, neben dem politischen Streit, auch der Rechtsstreit in eine neue Runde gehen. Noch ist völlig unsicher, wie die neun Richter dieses Mal entscheiden werden; die Regierung darf nicht davon ausgehen, dass sie die Neufassung des Gesetzes einfach durchwinken werden, da es nur in kleinen Teilbereichen abgeändert worden ist und die Änderungen, laut Kritikern,  eher kosmetischer Natur. Unterdessen kündigte der seit Frühsommer 2009 amtierende neue Kulturminister Frédéric Mitterrand bereits die Ausarbeitung eines weiterführenden Textes, also HADOPI III, für die nahe Zukunft an. 

Der Kern des Pudels  

Aber worum ging es bei dem Streit um die Vorlage, im Kern? Es handelt sich bei den diversen HADOPI-Entwürfen um ein „Anti-Raubkopier-Gesetz“, das die Nutzung des Internet regulieren soll. Es sieht in seinen unterschiedlichen Fassungen jeweils vor, dass, wer gegen die Regeln verstöbt, mit dem Absperren seines Zugangs zum Internet sanktioniert werden kann. Eine kleine, aber tückische Zusatzbestimmung schreibt ferner vor, dass die solcherart bestrafte Person dennoch für die Dauer eines Jahres weiterhin ihren - gesperrten - Internetzugang bezahlen muss, also nicht etwa kostenlos vom Internet abgeschnitten wird. Der Druck der Internetprovider, die sich weniger an den Sperren als am drohenden Verdienstausfall zu stören schienen, ermöglichte es. Eine Doppelbestrafung? Nein, falsch, sondern eine dreifache: Denn auch die Kosten für die technischen Vorrichtungen, die zur Sperrung eines Access zum „Netz der Netze“ mobilisiert werden, werden in einem solchen Fall dem User aufgehalst, der sich einer Regelverletzung schuldig gemacht haben soll.  

„Soll“, denn bestraft wird die Userin oder der User nicht für nachgewiesenes eigenes Verhalten, sondern für mutmabliches „Nichtbeherrschen der Schaffung eines sicheren Internetzugangs“. Das bedeutet: Wenn eine Person einen Access unterhält und ihr Computer auch von anderen Personen - etwa heranwachsenden Kindern, Lebensgefährten oder auch Freundinnen u. Bekannten - genutzt wird, dann ist der Anmelder haftungspflichtig, sofern  „Raubkopieren“ von ihrem Internetzugang aus festgestellt wird.  

Zuständig dafür war, nach dem ersten Entwurf, zunächst allein die Aufsichtsbehörde HADOPI. Diese Bestimmung wurde nun durch die Verfassungsrichter kassiert, denn sie verletzt laut ihrer Auffassung die Unschuldsvermutung - und das Recht auf richterliches Gehör, welches einer Sanktion vorausgehen müsse. Zumal die Sanktion, für bis zu einem Jahr lang vom Internet ausgeschlossen zu werden, einen doch ziemlich gravierenden Charakter habe, da sie eben in ein Grundrecht eingreife. Die Neufassung des Gesetzeswerke wurde an diesem Punkt abgeändert, aber nur oberflächlich: Die HADOPI muss demnach künftig eine Eilklage bei einem Strafrichter erheben und eine Einstweilige Verfügung erwirken, um die Internetzugänge möglicher Übeltäter sperren zu können. Dabei wird jedoch deren „Schuld“ noch gar nicht geklärt sein, denn eine Einstweilige Verfügung ist eine vorübergehende Maßnahme, die bis zu einer Klärung des Sachverhalts erlassen wird. 

Die Behörde HADOPI wird dann aktiv werden, wenn sie von den Eigentümern privater Urheberrechte angerufen wird. Das kann zum Beispiel im Namen von Künstlern oder auch ihre Erben, aber auch von Plattenfirmen oder Filmgesellschaften geschehen. Dabei ist höchst unwahrscheinlich, dass die finanzschwache Künstlerin, die sich in ihren Werken selbst verwirklicht und nur mit Müh’ und Not von ihrem Schaffen (über)leben kann, ins Spiel kommt, um ihre Urheberrechte geltend zu machen: Antragsberechtigt bei der HADOPI sind nämlich private Verfolgungsgesellschaften - eine Art Privatdetektive im Internet -, die das technische Know-How dazu haben, um als Experten tätig zu werden, die der Verletzung von Urheberrechten im Internet nachspüren. Die nötigen Mittel, solche Agenturen tätig werden zu lassen, besitzen aber eher die Kulturfirmen denn die jetzt in diesem Zusammenhang viel beschworenen kleinen Künstlerinnen, freien Journalisten und andere Geistesschaffende ohne finanzielle Mittel. 

HADOPI, Antiterrorismus, Zensur und „autoritäre Regierungen“ 

Die HADOPI kann sich dabei zunutze machen, dass seit dem im November/Dezember 2005 verabschiedeten Anti-Terrorismus-Gesetz „praktischerweise“ alle Internetprovider gesetzlich dazu verpflichtet worden sind, zwölf Monate lang sämtliche Zugangsdaten aufzubewahren. Dies können die Verfolger der „missbräuchlichen Internetnutzung“ sich nun ihrerseits, zu ganz anderen Zwecken als den ursprünglich vorgesehen („Terrorismusbekämpfung“), zunutze machen – und dadurch die Vorratsspeicherung nochmals neu legitimieren. 

Während einzelne prominente Künstler aus vermeintlichem finanziellem Interesse heraus für das neue Gesetz aktiv wurden und die französische Sozialdemokratie für ihre Opposition zur Gesetzesvorlage tadelten, hagelte es von Bürgerrechtlern und auch vielen anderen Kulturschaffenden Kritik. Noch ist unterdessen völlig unklar, ob die Kulturschaffenden überhaupt, wie von manchen erhofft, finanzielle Vorteile von diesem (brachialen) Vorgehen gegen „Raubkopierer“ im Internet haben werden. Denn wenn junge Leute heute – technisch versiert - im Internet „wie wild“ Musikstücke oder Filme herunterladen und ihnen dies morgen verwehrt wird, bedeutet dies ja noch lange nicht, dass sie dann umso mehr CDs kaufen oder kostenpflichtige Downloads vornehmen werden. Sofern es ihnen am nötigen Kleingeld fehlt, werden sie schlicht und einfach weniger Zugang zur Kultur haben als bisher. Und die fündigeren unter ihnen werden ohnehin schnell jene Webseiten, auf denen Downloaden unter gleichzeitiger Anonymisierung ihrer Daten möglich ist, zu nutzen wissen. 

Es hätte auch Alternativen gegeben, wie etwa die radikal linke Zeitung Tout est à nous (Alles gehört uns) dazu anmerkte. So hätte die Regierung oder Parlamentsmehrheit dafür sorgen können, dass die Urheberrechte mit dem Tod des oder der Kulturschaffenden erlischt; anstatt die Plattenfirmen/Filmgesellschaften/Buchverlage usw. dazu zu verpflichten, auch über das Ableben des Anspruchsberechtigten hinaus dessen Erbinnen und Erben (bis zum Eintritt der Verjährungsfrist) einen regelmäbigen Obulus zu überweisen. Die dadurch frei werdenden Mittel – die dann nicht mehr Leuten zukämen, die keinerlei  Inhalte „geistigen Eigentums“ geschaffen haben, sondern aussschlieblich von ihrer juristischen Person als Nutznieber einer Erbschaft profitieren – hätten dazu dienen können, bspw. einen Fonds zu alimentieren, der einen allgemeinen Zugang zu Kulturgütern garantiert und finanziert.  

Eher, weitaus eher als im Interesse der Kulturschaffenden handelte die französische Regierung, als sie an die Schaffung des Gesetzesmonstrums Loi HADOPI ging, im Auftrag der groben kulturindustriellen Konzerne, ihrer Anwältinnen und Anwälte. 

Noch ein weiterer Aspekt wird auch in Zukunft für heftigen Streit sorgen: Das „HADOPI-Gesetz“ sieht ferner vor, dass die Aufsichtsbehörde ein Qualitätsurteil über im Internet anzuklickende Seiten abgibt. Der Zugang zu „illegale“ Webseiten, und insbesondere solchen, über die das „Raubkopieren“ von Inhalten möglich ist, soll französischen Internet-Usern verwehrt werden können. Umgekehrt soll die HADOPI ein Label für „Qualitätsseiten“, die nur „überprüfte“ Informationen ins Netz stellen - und etwa von professionellen Journalisten betrieben werden - erteilen können, um diese Seiten von den zahllosen Blogs unterscheiden zu können. In einem Beitrag für die Pariser Abendzeitung Le Monde gibt der Präsidentenberater und frühere Mitarbeiter des Kulturministeriums Franck Louvrier - der den Entwurf zu dem umstrittenen Gesetz mit verfasste - folgende Zielsetzung aus: Künftig müsse man das Internet „vor der Manipulation durch Inhalte, die von autoritären Regierungen“ ausgingen, durch ihre Agenten ausgearbeitet und ins Netz gesetzt würden, schützen. Jérémie Zimmermann, Mitbegründer der Bürgerrechtsinitiative La Quadrature du Net, freilich ist der Auffassung, genau dadurch töte man die Informationsfreiheit im Internet, die man zu schützen vorgebe.

Editorische Anmerkungen

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