"Bedingungsloser Schutz für Sinti und Roma" gefordert
Massenabschiebung für Roma nach Kosovo droht – das heißt absolutes Elend und ethnische Übergriffe, warnen Protestbündnisse

von
Birgit v. Criegern

10/09

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An drei Tagen konnten die Passantinnen und Flaneure am Potsdamer Platz von dieser besonderen Kundgebung Kenntnis nehmen. "Born to be deported" war das Motto. Bei stürmischer Witterung an den Tagen vom 2. bis zum 4. Oktober standen die TeilnehmerInnen des Protestbündnisses gegen die Massenabschiebung der Roma nach Kosovo auf dem S-Bahnhofsvorplatz, vor den gläsernen Türmen der Berliner Vorzeige-Business-Centre. Mit Redebeiträgen und einem Kulturprogramm machten sie auf die Situation der Roma aufmerksam. 

Ihre Situation ist lebensbedrohlich, denn rund 10 000 Roma in Deutschland sollen laut Vorhaben nach Kosovo abgeschoben werden. Ein neues "Rückübernahmeabkommen", speziell bezogen auf die ungehinderte Abschiebung der zuvor noch geschützten Roma-Minderheiten, wurde in diesem Jahr der Kosovo-Regierung durch die BRD aufgenötigt. Im Juli trat das Abkommen, das jedoch noch nicht ratifiziert ist, in Kraft. Mehrere Landesinnenminister erkannten es per Unterzeichnung an - besonders in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen werden jetzt Maßnahmen für Umsetzungen des Abkommens mit Abschiebungen getroffen. Ein erster Charterflug aus Düsseldorf nach Pristina mit Roma und Ashkali ging am 28. September - "im Windschatten der Wahl," wie Pro Asyl-Referent Bernd Mesovic feststellte. Pro Asyl www.proasyl.de meldete massive Kritik an dem Abkommen an und befürchtet die Gefahr ethnischer Übergriffe. "Abschiebung wird die meisten von den betroffenen Roma in Elend und Slum-Dasein oder Obdachlosigkeit führen," warnte Mesovic. Auch Konflikte könnten drohen. So seien zuletzt im August verbale und physische Angriffe gegen Roma in den Orten Gnjilane und Ferizaj erfolgt. Infolge der Übergriffe warnten Human Rights Watch und Amnesty International am 7. September in einer gemeinsamen Erklärung in Brüssel: Es hätte sich gezeigt, "wie verwundbar die Roma im Kosovo immer noch sind."

Nach der Anerkennung des Staates Kosovo solle dieser für die Rücknahme von Flüchtlingen  verantwortlich zeichnen – so die Argumentation heute von der Seite der Bundesregierung. Die meisten Roma waren während des NATO-Krieges von 1999, der seinerzeit von der deutschen Regierung unterstützt wurde, aus dem damaligen Jugoslawien geflüchtet. Bei den schweren ethnischen Konflikten waren die jugoslawischen Roma zwischen alle Fronten geraten – der größte Teil der Roma-Bevölkerung des Kosovo mit einer Zahl zwischen 100 000 und 200 000 sei geflohen, teilt das Berliner Bündnis gegen die Abschiebung der Roma mit. Auch nach dem Krieg wurden Roma unter den Augen der stationierten KFOR-Truppen aus dem Kosovo vertrieben. Heute lebe dort nur noch ein Bruchteil der früheren Roma-Bevölkerung in ethnisch getrennten Vierteln der Städte und Dörfer, fast ohne Zugang zu Einkommen, medizinischer Versorgung und Bildung, dazu in ständiger Angst vor erneuten Angriffen. Wer von ihnen dorthin zurückkehre, werde zu einem Dasein hinter Stacheldraht und Mauern, auf Müllhalden und in Ghettos verurteilt. Der Menschenrechtskommissar des Europarates Thomas Hammarberg formulierte im Juli 2009 eine "dringende Empfehlung", von einer Massenabschiebung von Roma nach Kosovo abzusehen. Seine Sondermission vom März habe gezeigt, dass die Roma-Lager dort "eine humanitäre Katastrophe" seien. Indessen will das deutsche Innenministerium von diesen Bedenken unbeeindruckt das Vorhaben ausführen. Dieser hemmungslose Abschiebewille lässt zugleich an das deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen von Anfang dieses Jahres denken, bei dem die Lebensgefahr für die Betroffenen, KurdInnen in diesem Fall, ignoriert wird.

"Die Bundesregierung sagte immer wieder gegenüber den Roma, sie müssten erst zurück, wenn die Lage im Kosovo geklärt ist. Aber die Lage ist jetzt noch nicht geklärt", so Miman Jasarovski vom Berliner Bündnis gegen die Abschiebung der Roma www.ari-berlin.org. Der 32-jährige ist in Mazedonien aufgewachsen. Das Zusammenleben mit den Albanern erinnert er aus früherer Zeit als friedlich. Das hätte sich mit dem Krieg geändert: Bei der Tendenz, Schuld für verheerende Probleme auf die Roma-Minderheit abzuladen, wäre deren Situation im strukturell zerstörten Kosovo lebensbedrohlich geworden. Was nun zähle, sei mehr Aufmerksamkeit für die Situation der Roma seitens der deutschen Bevölkerung, und mehr Protest gegen die Massenabschiebung.    

Während die Strukturen im Kosovo noch immer zerstört sind, hofften die kosovarischen Roma-Flüchtlinge in anderen europäischen Ländern auf Schutz und den Aufbau eines selbständigen Lebens mit Bildung und Arbeit. Viele der heute von Abschiebung bedrohten Roma sind Kinder und Jugendliche, die kein albanisch sprechen, eine Ausbildung in Deutschland beginnen wollen.

Zivilgesellschaftlicher Protest bei der deutschen Bevölkerung, der die Notlage der Roma hörbar macht, müsse darum stärker werden, erklärt Jasarovski. In Münster etwa hatte die Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender www.ggua.de seit dem Juli die "Aktion 302- rettet eure Nachbarn" ins Leben gerufen. Dabei hatten Roma, MitarbeiterInnen der Flüchtlingsberatung Münster und studentische Linke eine Unterschriftenkampagne organisiert, um die drohende Abschiebung von 302 kosovarischen Roma aus dieser Stadt zu stoppen. 

Das Berliner Bündnis gegen die Abschiebungen der Roma ist von TeilnehmerInnen aus Berlin und Hannover gegründet worden. Bei der Kundgebung auf dem Potsdamer Platz suchte es mit Unterstützung von Antirassistischer Initiative und Flüchtlingsrat Berlin die Öffentlichkeit mit Musikprogramm, Flamenco von Celia Rojas "La Indie" und der Verlesung von literarischen und politischen Texten des Berliner "Rroma Aether Klub Theaters" www.rromaakt.de.

Die Metropole konnte übrigens mit einem jüngsten Ereignis, bei dem rund hundert Roma aus der Stadt verwiesen wurden, kein Ruhmesblatt aufweisen. Die Roma-Familien rumänischer Herkunft waren im Sommer 2009 in einem Kreuzberger Park von der Polizei aufgegriffen worden, die eine Wohnsitzklärung verlangte. Es folgte eine Auseinandersetzung zwischen Senats- und BezirksvertreterInnen und UnterstützerInnen aus Antirassistischer Initiative und Flüchtlingsrat um den Verbleib der mittellosen Familien. Rund die Hälfte der Familien besetzten die Kreuzberger Sankt-Marienkirche. Tage später wurden sie polizeilich geräumt. Die antirassistischen UnterstützerInnen nahmen die Ängste und auch Berichte der Roma von Verfolgung in ihrem Herkunftsland ernst und erklärten: "Rassistisch Verfolgte sind keine Touristen". Sie forderten, dass mit Hilfe des Bezirks und Senats eine Unterbringung der Roma in leerstehenden Wohnungen oder Unterkünften sichergestellt würde. Auf die Interpretation, die rumänischen Roma seien als TouristInnen ohne Wohnsitz hier, legten sich jedoch BezirkspolitikerInnen und Senat fest, und forderten innerhalb weniger Wochen die Klärung des Wohnsitzes von den Roma. Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner schlug die Unterbringung der Familien im Flüchtlingslager Motardstraße im Spandauer Industriegebiet vor. Doch selbst, nachdem mehrere Familien das akzeptiert hatten, folgte die Aufforderung aller Roma zur Ausreise nach Rumänien mit ausgehändigtem "Reisegeld" von Berlin. In kurzem Zeitraum setzte das Land Berlin die Denkhaltung durch, dass eine Verfolgung der rumänischen Roma in ihrem Herkunftsland- die stark als zwielichtige Behauptung dargestellt wurde - kein Berliner Problem sein dürfe, und die Roma hier "auf Kosten der Allgemeinheit" lebten. Die Antirassistische Initiative dokumentierte dazu die Berliner Tagespresse mit deren antiziganistischer Hetze im Verlauf des Streits. "Bettelroma räumen Kirche", "Roma-Bettler bedrängen Sozialsenatorin" und "Zischt ab, ihr Wischer!" (in Bezug auf Auto-Scheibenwischende Roma) titelten BZ und Bild. Bei der Kundgebung auf dem Potsdamer Platz wurde das mit einer Zeitungsdokumentation auf dem Gehweg noch mal sichtbar gemacht. Ein rassistischer Tenor, bei dem auch der Tagesspiegel mitmachte. Das Magazin Hinterland www.hinterland-magazin.de hat übrigens die antiziganistische Presse-Kampagne des Tagesspiegels gegen die Roma dokumentiert.

In dieser Zeit um den nationalistischen Zirkus mit dem 3. Oktober erinnerten die Kundgebungs-Teilnehmenden an die historische Verantwortung Deutschlands, welches den Nachfahren der von den Nazifaschisten ermordeten und verfolgten Roma, die heute um Schutz vor Verfolgung suchen, ein uneingeschränktes Bleiberecht einräumen müsse. "Der Terror der Nazifaschisten gegen die Sinti und Roma von Zwangssterilisation, pseudomedizinischen Versuchen, Sklavenarbeit und Deportation in die KZ und Vernichtungslager – unterstützt oder zumindest stillschweigend geduldet von der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung - gipfelte im Nazivölkermord an schätzungsweise einer halben Million Sinti und Roma Europas." Die Jugendantifa Berlin http://jab.antifa.de, die ein Flugblatt zum antifaschistischen Gedenken verteilte, berichtete auch davon, dass eine polizeiliche Sondererfassung und Schikanierung der Sinti und Roma in sogenannten "Zigeunerkarteien" bis heute existiere. "Bedingungslosen Schutz für Sinti und Roma" forderte die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes http://berlin.vvn-bda.org laut Erklärung vom 30. September und gemahnte an die deutsche Verantwortung aufgrund der Vergangenheit mit NS-Verbrechen an Sinti, Roma und Ashkali: "Es wirkt unglaubwürdig, wenn heute der faschistische Völkermord an Jüdinnen und Juden sowie an Sinti und Roma als Verbrechen verurteilt, aber den Roma-Flüchtlingen aus dem Kosovo ihr vorbehaltloser Schutz verweigert wird."

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel und das Foto auf der Startseite von der AutorIn zur Veröffentlichung.