Von Marlene Dietrich zu Gustav Heinemann

von
Peter Nowak

10/09

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Der sozialdemokratische Bundespräsident Gustav Heinemann hat Ende Anfang der 70er Jahre mit dem Satz, er liebe seine Frau und nicht Deutschland für Aufregung und Empörung in konservativen und nationalistischen Kreisen gesorgt. Eigentlich hätten die DemonstrantInnen sein Bild mit tragen können, die am 10. Oktober unter dem Motto „Wir lieben Deutschland noch immer nicht“ durch Leipzig zogen.

Mit dem „noch immer“ waren sie sogar vorsichtiger als Heinemann, der sich nicht zeitlich festlegen wollte. Nur wollten die DemonstrantInnen in Leipzig an die antideutsche Strömung anknüpfen, die 1989 und in den folgenden Jahren vor einem vierten Reich warnte, damals über mit dem Konterfei von Marlene Dietrich und ihren angeblichen Bonmot „Nie wieder Deutschland“ in den vorderen Reihen. Die pogromartigen Übergriffe auf Flüchtlinge in den 90er Jahren schien dieser These Plausibilität zu geben. Mehr noch das rassistische und antisemitische Alltagsbewusstsein in vielen Landstrichen in Ost- und Westdeutschland. Auf einer Seite Bullenketten, auf anderen Seiten ein deutscher Mob, der gegen Linke agierte. Damals wurden viele junge AntifaschistInnen zu BefürworterInnen antideutscher Politikansätze.

Doch auch die in den 90er Jahren sozialisierten DeutschlandkritikerInnen waren in Leipzig kaum anzutreffen. Sie fanden sich eher unter den FlugblattverteilerInnen, aus dem akademischen Umfeld von Halle. In ihrem vierseitigen Kritikpapier haben die AutorInnen richtig festgestellt, dass die Demovorbereiter im Grunde ein Deutschland kritisieren, dass so seit Ende der 90er Jahre nicht mehr besteht. Rassistische Pogrome bekommen heute von den ideologischen Staatsapparaten nicht mehr das Signal, eigentlich korrekt nur etwas zu radikal zu handeln. Das war nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts vorbei. Höchstens der Bürgermeister von Müggeln hat das noch nicht begriffen. Doch das Bild das die Hallenscher Altantideutschen zeichnen, ist genau so falsch. Danach wären die Deutschen ein “Volk“ von AntirassistInnen und genau diese Ansatz müsse Gegenstand einer antideutschen Politik auf der Höhe der Zeit sein.

Wir merken schnell, dass hier die Politik einer bestimmten Fraktion der Antideutschen verteidigt werden soll, die an Deutschland nur noch die Kritik haben, nicht westlich genug zu sein. Was in diese Realität nicht passt, wird ausgeblendet, beispielsweise die nur in Deutschland bestehende Residenzpflicht für Flüchtlinge. Aber die spielte auch auf der Leipziger Demo nur eine untergeordnete Rolle. Es gab einen Redebeitrag dazu, aber auf Plakaten und Transparenten war das Thema kaum präsent. Auch der Kampf des tschechischen Präsidenten, für den Erhalt der Benesch-Dekrete in einen in die EU integrierten tschechischen Staat wurde mit keinem Wort erwähnt. Dabei wäre die Abwehr von Rechtsansprüchen deutscher Vertriebenenverbände doch auch für sich selbst so verstehende Antideutsche der Mühe wert. Da blieb man im Ungefähren und wollte sich nicht konkret festlegen.

Demoanmelderin findet Mauerfall „Grund zum Jubeln“

Dafür äußerte man sich einer Frage besonders prägnant. In der Verurteilung der DDR. „Gegen jede DDR-Nostalgie“ lautete der Spruch auf einem Transparent am Lauti, was auch nicht falsch ist. Aber dann hätte man eine differenzierte Auseinandersetzung mit der DDR erwarten können, vielleicht von linken DDR-Oppositionellen, die im Herbst 1989 gegen die SED-Herrschaft für eine sozialistische und demokratische DDR eintraten. Mit dem Fall der Mauer, der von vielen linken DDR-Oppositionellen als die letzte Rache der DDR-Bürokratie an der Linken gesehen wird, war die Chance vertan.

Umso unverständlicher ist daher die Einschätzung der Anmelderin der Leipziger Demo Angela Marquardt. Die heutige SPD-Politikerin schrieb in der Jungle World, der Fall der Mauer sei auch für Linke ein Grund zum Jubeln und dürfe daher nicht im Zentrum der antinationalen Proteste in diesem Herbst stehen. Damit aber stellt sie sich aber auch gegen die meisten linken DDR-Oppositionellen und kann dann auch keine Kritik an der Wiedervereinigung mehr entwickeln. Dann bleibt nur noch eine Deutschlandkritik, wie sie Marquardts ehemaliger Parteifreund Heinemann sogar prägnanter auf den Punkt gebracht hat.

Während der Kundgebung wurde in Kurzbeiträgen mehrmals erklärt, welch übler rassistischer Staat doch die DDR war. Darüber kann man diskutieren, das hatte aber in der konkreten Situation etwas sehr peinliches: es schien wie ein (vielleicht unbeabsichtigtes Anbiedern) an die Leipziger Bevölkerung, die, soweit sie die „Friedliche Revolution“ feierte, hier sicher nur zustimmen konnte.

Wer eine klare Kritik von Staat und Nation in Leipzig erwartet hätte, war auch über die USA-Fahnen in den verschiedenen Größen zumindest irritiert.Selbst in der antideutschen Logik machte das keinen Sinn. Ohne die Politik der USA Ende der 80er Jahre wären sowohl der Fall der Mauer als auch die Wiedervereinigung nicht möglich gewesen. Das Mittragen macht aber dann einen Sinn, wenn man im Sinne von Angela Marquardt Mauerfall und damit auch die Wiedervereinigung begrüßt. Wie wenig mit den Fahnen den Siegern über den NS denken wollte, zeigt sich am Fehlen von sowjetischen, französischen und britischen Fahnen. Letztere hätte an diesem Tag sogar einen Sinn gemacht, denn die damalige britische Regierung wollte die Wiedervereinigung behindern.

Für einen anderen Antinationalismus

Nun war die Leipziger Demo nicht das Ende antinationaler Aktivitäten in diesem Herbst. Für den 6. und 7. November ist ein antinationales Wochenende mit einer Diskussionsveranstaltung und einer bundesweiten Demonstration unter dem Motto “Es gibt kein Ende der Geschichte“ in Berlin geplant. Dabei könnte man aus den Fehlern von Leipzig lernen. Auf der Demo auf Nationalfahnen verzichten, eine Deutschlandkritik üben, die nicht bei 1992 stehen geblieben ist und eine DDR-Kritik zu formulieren, die nicht dem nationalen deutschen Konsens so verdammt ähnlich klingt, gehört dazu.

In Berlin sollen beispielsweise auch linke DDR-Oppositionelle auf einem Workshop-Tag am 31. Oktober ihre Sicht auf den Herbst 89 darstellen. In Leipzig waren die nicht gefragt.
Gerade eine Linke, der eine Kritik an Staat und Nation gelegen ist, kann es nur begrüßen, wenn von den Berliner Aktionen tatsächlich eine Erneuerung emanzipatorischer antinationaler Theorie und Praxis ausgehen würde. Denn in Leipzig fiel die Kritik an Deutschland hinter Gustav Heinemann zurück. Dann doch lieber Marlene Dietrich (Nie wieder Deutschland) und ein August Bebel auf der Höhe der Zeit: „Diesem Staat keinen Menschen und keinen Groschen“.
 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor zur Veröffentlichung.

31.10. 11-22 Uhr
Workshop-Tag zu Scheitern und Zukunft des Kommunismus.
Gemeinsam mit dem Berliner Bündnis gegen die Wendefeierlichkeiten

6.11. 20.15 Uhr
Podiumsdiskussion.
„Ausgerechnet Bananen!“ Zu Scheitern und Zukunft des Kommunismus

7.11. 16 Uhr
Bundesweite antinationale Demonstration vom Berliner Bündnis gegen die Wendefeierlichkeiten.
Treffpunkt: Checkpoint Charlie (Friedrichstr./Kochstr.)