Positives Denken als
Schmiermittel der Unterwerfung.

Zu dem neuen Buch von Barbara Ehrenreich "Smile or Die".

von Christian Girschner

10/10

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"Die neuen Spezialisten, die nichts anderes tun, als solche menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, die ihre Zunft erst erfunden und definiert hat, kommen gern im Namen der Liebe daher und bieten irgendeine Form der Fürsorge an." Ivan Illich

Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland war das Buch "Secret- Das Geheimnis" aus der Schmiede der Positiv-Denker-Industrie ein regelrechter Verkaufshit (s. Spiegelbestsellerliste). Seit vielen Jahren finden Bücher über das >positive Denken< einen reißenden Absatz, obwohl schon vor über zehn Jahren der Psychologe Günter Scheich feststellte: "Positives Denken macht krank" (1997). Er hielt in einer späteren Veröffentlichung außerdem gegenüber der Manie des positiven Denkens fest: "Ärgern ist gesund" (2002). In dem Standardwerk über die deutsche "Psycho-Szene" von Colin Goldner kann man ebenfalls eine kurze und fundierte Kritik am positiven Denken bzw. an Motivationsseminare lesen (Goldner 2000, 363ff.).

Ein bekannter Vertreter des positiven Denkens kann beispielsweise ungeniert behaupten, dass wer "arm sei, habe Armutsbewusstsein ausgesandt, verdiene keinen Wohlstand. Niemand falle wirtschaftlichen oder sozialen Missständen
zum Opfer ohne selbst entsprechend negative Energie ausgesandt zu haben; noch nicht einmal einem Verbrechen falle man zufällig anheim." (Goldner 2000 368) Ähnlichen Unsinn verbreitet der oben genannte Bestseller "Secret", wie
die amerikanische Autorin Barbara Ehrenreich in ihrem neuen Werk über das positive Denken darlegt[1]. Dieses Buch "Secret" wurde in den USA "zur theologischen Grundlage der erfolgreichsten evangelikalen Prediger und
etablierte sich als Ergänzungstherapie bei nahezu allen Krankheiten" (Ehrenreich 2010, 20f.) Sie ergänzt mit ihrem Buch die in Deutschland begonnene Kritik am positiven Denken aus amerikanischer Sicht, indem sie nicht nur die Irrationalität dieser neuen Heilslehre anprangert, sondern auch die inzwischen allgegenwärtige Verbreitung und Anwendung des positiven Denkens im Alltagsleben, im Gesundheitswesen, in Unternehmen und in der Finanzbranche aufzeigt und kritisiert. Inzwischen hat das positive Denken auch die amerikanischen Hochschulen im Namen der >positiven Psychologie< kolonialisiert (ebd., 21). Diese >positive Psychologie<, die an den bestehenden sozialen und ökonomischen Herrschafts- und Machtverhältnissen nichts auszusetzen hat, erscheint aufgrund ihres wissenschaftlichen Mantels seriöser, was sie aber keineswegs ist, vielmehr ist sie nur eine neue Verkaufsmasche bzw. "Marke" des positiven Denkens für gehobene Kreise und Unternehmen (ebd., 170ff., 183ff., 201).

Positives Denken als Adaptionshilfe

Man kann davon ausgehen, dass die Attraktivität des positiven Denkens in Deutschland vor allem durch die marktradikale Wirtschafts- und Sozialpolitik verursacht wird. Die wirtschaftsliberale Reorganisation und Umwälzung der
Gesellschaft im Namen von Deregulierung, Privatisierung und >mehr Eigenverantwortung< benötigt für die darunter leidenden Seelen das positive Denken als ein herrschaftssicherndes Schmiermittel. In Zeiten der zunehmenden sozialen Unsicherheit, des Sozialabbaus, der wachsenden sozialen Polarisierung, Verarmung, Arbeitslosigkeit und der Prekarisierung der Arbeits- und Lebensbereiche wächst das Bedürfnis nach schnellen unpolitischen Lösungen, die einem im Leben helfen, mit den neuen Unwägbarkeiten, Unsicherheiten, Ängsten, gestiegenen Anforderungen und
sozialen Verwerfungen bzw. Brüchen zurechtzukommen. Das positive Denken wird schließlich als eine vermeintliche Universalmethode zur Lösung seelischer und sozialer Probleme und körperlicher Erkrankungen angepriesen, mehr noch, es soll zu einem andauernden Glück und Reichtum führen. Bei diesen Versprechungen ist es kein Wunder, wenn das >positive Denken< ein besonders erfolgreicher Geschäftszweig (Bücher, Kalender, CDs, DVDs) der Lebenshilfe-
und Bewusstseinsindustrie geworden ist. In den USA kaufen schon "Millionen (!) diese Produkte. Besonders empfänglich sind Menschen, die an einer schweren Krankheit leiden, Arbeitslose und diejenigen, deren Arbeitsplatz
gefährdet ist." (ebd., 115)

Aber auch die finanziell besser gestellten Einkommensgruppen und Unternehmen greifen auf das positive Denken in Gestalt von Motivationstrainern, Coachs und Therapeuten zurück, die dem Führungspersonal dann die Vorzüge des
>positiven Denkens< beibringen, um so die Rendite der Unternehmen zu steigern (vgl. für Deutschland: Schüle 1998).

Angesichts dieses Markterfolges des >positiven Denkens< ist es verständlich, wenn auf diesen fahrenden Zug auch die Politik aufspringt. So beruhen die Hartz->Reformen< des Arbeitsmarktes nicht nur auf einer neoliberalen
Ideologie, sondern ebenfalls auf dem >positiven Denken<: Die Erwerbslosen als sich beständig positiv motivierende und perfektionierende Bewerbungs- und Selbstvermarktungsunternehmen übernehmen >Eigenverantwortung<, in dem
sie nicht mehr die schlechten Umstände bzw. den Mangel an entsprechenden Arbeitsplatzangeboten für ihre eigene Lage verantwortlich machen, sondern in dem sie ab sofort die >große Chance< ergreifen, jede Arbeit zu jeder Bedingung anzunehmen.

Hierzu passend stellt B. Ehrenreich den apologetischen Inhalt des positiven Denkens für die marktradikal gewordene Gesellschaft heraus, wenn sie ausführt: Das positive Denken "eignet" sich "gut als Rechtfertigung für die brutalen Züge der Marktwirtschaft. Wenn der Schlüssel zu wirtschaftlichem Erfolg Optimismus ist, und wenn man sich eine optimistische Haltung durch die Methode des positiven Denkens aneignen kann, gibt es fürs Scheitern keine Entschuldigung mehr. Die Kehrseite der Positivität ist daher ein hartnäckiges Insistieren auf der persönlichen Verantwortung: Wenn dein Geschäft zusammenbricht oder deine Stelle wegrationalisiert wird, muss es daran liegen, dass du dich nicht genügend angestrengt, dass du nicht fest genug an deinen unausweichlichen Erfolg geglaubt hast." (Ehrenreich 2010, 17)

Dem >positiven Denken< liegt eine ungenannte Annahme über die bestehende Gesellschaft und Ökonomie zugrunde. Diese lässt sich so skizzieren: Das Individuum findet die kapitalistische Ökonomie und Gesellschaft in ihrer
jetzigen Ausformung samt den dazugehörigen Institutionen stets fertig vor. Die Aufgabe des Individuums besteht nun darin, sich an diesen eingerichteten (Konkurrenz-)Verhältnissen gewinnbringend zu bewähren. Erfolg oder Niederlage entscheidet deshalb für den Einzelnen, ob seine Bemühungen, Motivation und sein Wille richtig oder verkehrt waren. Nach einem Misserfolg wird das Individuum gezwungen, eine kritische Bilanz zu ziehen, in dem es sich einer moralischen Ãœberprüfung und Bestrafung unterzieht, um daraus entsprechende Einstellungs- und Verhaltensveränderungen für die Zukunft zu ziehen. Den Lohnabhängigen wird schon seit Langem diese "Marketing-Orientierung" aufgeherrscht, wie dies Erich Fromm einst darlegte. Der Einzelne muss sich hierbei als Selbst-Unternehmer begreifen: "Sein Körper, sein Geist und seine Seele sind sein Kapital, und seine Lebensaufgabe besteht darin, dieses vorteilhaft zu investieren, einen Profit aus sich zu ziehen. Menschliche Eigenschaften wie Freundlichkeit,
Höflichkeit und Güte werden zu Gebrauchswaren, zu Aktivposten des >Persönlichkeitspakets<, die zu einem höheren Preis auf dem Personalmarkt verhelfen. Gelingt es jemanden nicht, sich gewinnbringend zu investieren, so hat er das Gefühl, dass er ein Versager ist; ist er erfolgreich, so ist es sein Erfolg." (Fromm 2009, 125; vgl. Fromm 1985, 62ff.) Dieser Selbstunternehmer verfügt über folgende Marketing-Eigenschaften: hohe Anpassungsfähigkeit und Konformität gegenüber der anonymen und unberechenbaren Macht des Marktes, umfassende Flexibilität und Mobilität, ein rücksichtsloses Erfolgsstreben, Bindungslosigkeit und Unverbindlichkeit/Oberflächlichkeit, Streben nach Entemotionalisierung und Coolness (Frank 2007, 126).

An dieser Stelle setzt das >positive Denken< den Hebel an, in dem es dem Verlierer oder der Verliererin verspricht, die richtige Methode für den ausgebliebenen Erfolg zu besitzen. Statt an sich selbst zu zweifeln, an entstandene Minderwertigkeits- und Ohnmachtsgefühle zu leiden und in eine Depression zu fallen, verspricht das >positive Denken< diesen Verlierern der kapitalistischen Konkurrenz ein glückliches, erfolgreiches und sorgenfreies Leben, wenn sie die Methoden des >positiven Denkens< übernehmen und praktizieren. Und diese bestehen vor allem aus Heilsversprechen, Autosuggestion, Konditionierung, Visualisierung und Gedankenkontrolle.

Infolgedessen werden die positiv Denkenden die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mehr hinterfragen, sondern als unveränderliche und unbeeinflussbare Begebenheiten voraussetzen, den man sich nicht nur optimistisch zu unterwerfen, sondern an den man sich erfolgreich zu bewähren hat, in dem man das >positive Denken< unbeirrt praktiziert. Sollte trotz der Anwendung des positiven Denkens der Einzelne nur Misserfolge zustande bringen, dann liegt es niemals am positiven Denken, sondern daran, dass der Verlierer es nicht intensiv angewendet hat. Für die Betroffenen heißt es daher: Wenn der Erfolg ausbleibt, so müsst ihr die Dosis des positiven Denkens weiter erhöhen. Positives Denken hat sich damit gegen jegliche Kritik immunisiert.

Positives Denken führt deswegen nicht nur zu einer neuen, zwanghaften wie realitätsverzerrenden Innerlichkeit und zur sektenhaften Weltentfremdung, sondern vor allem zur Entpolitisierung, Entsolidarisierung der Menschen und deshalb zu einer Verschärfung des inzwischen allgegenwärtigen kapitalistischen Konkurrenzprinzips auf der einen und zu einer
Naturalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die nun als unveränderlich gelten, auf der anderen Seite. Kritik, Revolten, Widerstand, politische und solidarische Gegenwehr gegenüber den eingerichteten Verhältnissen sind damit hinfällig und antiquiert. Politische Alternativen gibt es nicht mehr.

Begreift man jedoch - wie dies im positiven Denken geschieht - sein privates und berufliches Leben nur noch als ein sich auf dem Markt zu bewährendes Selbst-Unternehmen, führt dies in letzter Konsequenz dazu, dass "man das ganze Leben unter dem Gesichtspunkt einer Bilanz sieht, als ob es sich um ein Unternehmen handelte, das Konkurs machen kann. Viele Selbstmorde werden durch das Gefühl verursacht, dass >das Leben ein Fehlschlag war<, und es sich nicht lohnt weiterzuleben. Man begeht Selbstmord, genau wie ein Geschäftsmann seinen Bankrott erklärt, wenn die Verluste größer sind als der Gewinn und wenn er keine Möglichkeit mehr sieht, die Verluste auszugleichen" (Fromm 2009, 133)

Positives Denken ist deswegen zu einer riskanten Sinnprothese nicht nur für Menschen geworden, die an diesen verrückt gewordenen kapitalistischen Verhältnissen leiden und deshalb nach einer einfachen Adaptions- und Lösungshilfe suchen, sondern auch für die politisch Erschöpften und Resignierten, die keine Möglichkeit mehr sehen, dass eine grundlegende und rasche Änderung in Politik und Gesellschaft machbar ist. Soweit lässt sich festhalten, dass das positive Denken nicht nur krank macht, sondern einen wichtigen Beitrag zur Legitimation und Zementierung des neoliberalen Status quo leistet. Folge: Je mehr positives Denken von den Menschen praktiziert und propagiert wird, desto ungehemmter und rücksichtsloser kann sich der Kapitalismus gebärden. Damit verschlechtert sich die soziale Lebens- und Arbeitssituation weiter. Die Flucht der verzweifelten und verunsicherten Menschen in die anti-politische Sphäre des positiven Denkens erweist sich so als ein gefährlicher Pyrrhussieg für die weitere gesellschaftliche Entwicklung.

Das positive Denken mit seinem Glücks- und Heilsversprechen ist inzwischen zu einer allgegenwärtig anzutreffenden Norm geworden, deshalb gerät immer mehr in Vergessenheit, dass ein "lebendiger und empfindender Mensch (!) gar
nicht umhin (kann), oftmals in seinem Leben traurig und bekümmert zu sein. Hieran sind nicht nur die vielen unnötigen Leiden schuld, die auf die Unvollkommenheit unserer gesellschaftlichen Einrichtungen zurückzuführen sind, sondern es liegt im Wesen der menschlichen Existenz begründet, dass es unmöglich ist, dass wir nicht mit mannigfachem Schmerz und Kummer auf das Leben reagieren. Da wir lebendige Wesen sind, müssen wir uns voll Trauer darüber klar sein, dass zwischen dem, was wir erreichen möchten, und dem, was wir in unserem kurzen, mühsamen Leben erreichen können, eine tiefe Kluft besteht. Da der Tod uns vor die unvermeidliche Tatsache stellt, dass entweder wir vor denen, die wir lieben, sterben werden oder sie vor uns- da wir täglich um uns herum unvermeidliches wie auch vermeidbares und überflüssiges Leiden mit ansehen müssen -, wie können wir es da vermeiden, Kummer und Traurigkeit darüber zu empfinden?" (Fromm 2009, 173)

Positives Denken als Unterwerfungsmittel

Für die heutige Machtelite, die ihre neoliberale Politik durchsetzen und absichern will, ist es lohnend, wenn sie ihren Herrschaftsunterworfenen das positive Denken aufzwingt, in dem sie es fördert und finanziert: "In den Händen der Arbeitgeber" ist das positive Denken "zu einem Mittel sozialer Kontrolle am Arbeitsplatz geworden, zum Ansporn, immer höhere Leistungen zu bringen. (…) Mit der >Motivation< als Peitsche wurde positives Denken zum Kennzeichen des fügsamen Angestellten schlechthin" (Ehrenreich 2010, 117). So sind in den USA die großen Unternehmen zu den wichtigsten Kunden der Motivationsprodukte des positiven Denkens geworden, sie kaufen "Tausende von Büchern", um "sie kostenlos an ihre Angestellten zu verteilen. Und sie verfügen über das nötige Geld für Motivationstrainer, die in der Regel fünfstellige Summen und mehr für einen Auftritt verlangen." (ebd., 116) Seit den achtziger Jahren, wie Ehrenreich ausführt, bangt die einst stabile Mittelschicht in den USA immer mehr um ihre Zukunft (Ausweitung des Niedriglohnsektors, befristete Arbeitsplätze, Personalabbau durch Unternehmensumstrukturierungen, wachsende Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne etc.), da aber die Unternehmen weiterhin auf loyale, qualifizierte und leistungsbereite Mitarbeiter aus der Mittelschicht zurückgreifen wollten, setzten diese auf die massive Verbreitung des positiven Denkens: "Positiv denken- das große Geschenk der Unternehmenswelt an ihre entlassenen Mitarbeiter und die ausgebrannten Beschäftigten". (ebd., 135) Für die entlassenen Mitarbeiter lautet die Kernbotschaft des positiven Denkens: "Alles, was uns widerfährt, ist eine Folge unserer Einstellung; wenn wir unsere Verbitterung überwinden und uns eine positive oder >gewinnende< Haltung zu legen, können wir den Traumjob an Land ziehen." (ebd., 139)
Verbittert merkt Ehrenreich dazu an: Die sozial deklassierten Angestellten "gingen weder auf die Straße noch wechselten sie in großer Zahl das politische Lager, die erschienen auch nicht mit einem Maschinengewehr in der
Hand an ihrem Arbeitsplatz. (!) Während ihnen die Macht, ihre Zukunft zu gestalten, immer weiter abhanden kam, gab man ihnen als Ersatz eine Ideologie- ein Glaubenssystem, fast eine Religion -, die behauptete, sie hätten alle Macht der Welt, vorausgesetzt, es gelinge ihnen, ihre Gedanken zu beherrschen." (ebd., 142)

Das positive Denken ist nicht nur zu einem weltweiten "Werkzeug der Unterdrückung" (ebd., 231) geworden, dass die Menschen zur beständigen "Wartungsarbeit am Ich" (ebd., 233) zwingt, sondern beflügelte auch den Finanzsektor, weshalb die dortigen Akteure nicht nur an Selbstüberschätzung, sondern auch einen weitgehenden Realitäts- und Urteilsverlust erlitten (ebd. 210ff.): "Aber was war dieser Marktfundamentalismus anderes als aus dem Ruder gelaufenes positives Denken?" (ebd., 220)

Ähnlich wie bei den Finanzunternehmen verwarfen viele der großen US-Konzerne die "alten, langwierigen, durchdachten Methoden des professionellen Managements" und liefen stattdessen zum positiven Denken über, um sich "von Intuition, spontanen Entscheidungen und Gefühl" als die neuen Methoden des unternehmerischen Handelns blenden zu lassen. Für das Management gab es nun ">Visionssuchen< und indianische Heilkreise für Spitzenmanager, Gebetsgruppen, buddhistische Seminare, Feuerläufe, Workshops zum >Erzählen von Stammesmärchen< und >Deep Listening<" (ebd., 128/130).

Kritiker dieser Entwicklung in den und außerhalb der Unternehmen wurden massiv angegangen, was nicht sehr verwunderlich ist, da schon im "Standardrepertoire" des positiven Denkens gefordert wird: ">Lösen sie sich von negativen Menschen<" (ebd., 67) und lassen sie ">negative Menschen fallen" (ebd., 69). Eine Forderung die auch Unternehmen gegenüber >negativ< denkenden Mitarbeitern gerne beherzigten: "Die Sanktionen für nichtkonformes
Verhalten haben sich verschärft und reichen von der Kündigungsandrohung und Ablehnung bis hin zu sozialer Ächtung und völliger Isolation." (ebd., 66f.) "Die >positiv< Denkenden", bemerkt G. Scheich dazu passend, "stellen ihrer
Ansicht nach die Elite dar, die Andersdenkenden sind schief gewickelt, werden als minderwertig betrachtet und müssen auf den richtigen Weg gebracht werden. Fast könnte man sagen, die >Positiv-Denker< gebärden sich als Herrenmenschen. Denn sie geben erst Ruhe, wenn alle in eine, nämlich in ihre Richtung marschieren beziehungsweise denken." (Scheich 2002, 15)

Schon vor langer Zeit machte der Philosoph Günther Anders auf den totalitären Anspruch des ominösen Wortes >Positiv< aufmerksam, als er ausführte: "Sei misstrauisch, wenn deine Nachbarn die Gewohnheit annehmen, vom >Positiven< zu sprechen. Und noch misstrauischer, wenn sie beginnen, dieses Wort salbungsvoll auszusprechen. Die Funktion dieses Wortes besteht ausschließlich darin, das, was ist, zu sanktionieren und- denn als >negativ< meint es stets Kritik- Kritik zu diffamieren. Der Ausdruck ist der Vorbote des Terrors, und wer ihn in den Mund nimmt, der lockert immer bereits seinen Revolver." (Anders 2002, 54)

Literatur

Anders, Günther 2002: Philosophische Stenogramme; München (3. Auflage)

Ehrenreich, Barbara 2010: Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt; München

Fromm, Erich 1985: Psychoanalyse und Ethik. Bausteine zu einer humanistischen Charakterologie; München (zuerst 1947)

Fromm, Erich 2009: Wege aus einer kranken Gesellschaft. Eine sozialpsychologische  Untersuchung; München (6. Auflage)

Funk, Rainer 2007: Erich Fromms kleine Lebensschule; Freiburg

Goldner, Colin 2000: Die Psycho-Szene; München

Illich, Ivan 1979: Entmündigende Expertenherrschaft; in: I. Illich (Hg): Entmündigung durch Experten. Zur Kritik der Dienstleistungsberufe; Hamburg (S. 7-35)

Scheich, Günter 1997: Positives Denken macht krank: Vom Schwindel mit gefährlichen Erfolgsversprechen; Frankfurt/M.

Scheich, Günter 2002: Ärgern ist gesund! Immer positiv denken macht krank; München

Schüle, Christian 1998: Die Diktatur der Optimisten; unter: http://www.zeit.de/2001/25/Die_Diktatur_der_Optimisten

Anmerkungen

[1] "Ein großer Erfolg war 2006 'The Secret'. Darin heißt es, du kannst alles haben, was du willst, wenn du nur deine Gedanken darauf konzentrierst. Sie werden mit dieser Vorstellung eingewickelt: Du musst nur dein Denken ändern, dann kannst du alles bekommen", so B. Ehrenreich, in: Interview über Barbara Ehrenreich neues Buch Bright-Sided...'Die unsägliche Macht des positiven Denkens' von Amy Goodman; unter: http://zmag

Barbara Ehrenreich
Smile or Die: Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt

Kunstmann Verlag
19.90 EUR
256 Seiten
gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-88897-682-7
erschienen im September 2010