Kristian Buchna: Nationale Sammlung
an Rhein und Ruhr
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ine „dritte Kraft“ rechts von CDU/CSU und SPD

von
Michael Lausberg

10/11

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onlinezeitung

Eine Forschungsarbeit arbeitet das Konzept der „Nationalen Sammlung“ des nordrhein-westfälischen FDP-Landesvorsitzenden Friedrich Middelhauve heraus, der aus der Partei eine „dritte Kraft“ rechts von CDU/CSU und SPD etablieren wollte.

Spätestens nach der Gründung der BRD wurden wieder extrem rechte Parteien und Organisationen wie die Sozialistische Reichspartei (SRP) gegründet, die sich als Nachfolgeorganisationen der NSDAP verstanden und die neu entstandene „Bonner Republik“ überwinden wollten. Extrem rechte Bestrebungen gab es jedoch nicht nur am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums sondern auch in der als liberal und demokratisch bezeichneten FDP.

In seinem Werk beschäftigt sich Kristian Buchna mit der vom damaligen nordrhein-westfälischen Vorsitzenden der FDP, Friedrich Middelhauve, ins Leben gerufenen „Nationalen Sammlung“, die aus der FDP eine dritte politische Kraft rechts neben CDU/CSU und SPD machen sollte. Dieses Konzept der „Nationalen Sammlung“ sah die Einbindung ehemaliger deutschnationaler und nationalsozialistischer Personen im FDP-Landesverband vor. Buchna vertritt die Ansicht, dass Middelhauve ehemalige Nationalsozialisten in das demokratische Staatswesen integrieren wollte und er selbst nicht als unverbesserlicher Antidemokrat zu beurteilen ist. Middelhauves naive Duldung ehemaliger Nationalsozialisten in seinem Landesverband führte schließlich dazu, dass immer mehr ehemalige Nazis Schlüsselpositionen besetzten und die Unterwanderungsversuche von Werner Naumann und seinen Anhängern begünstigte, wovon später noch die Rede sein wird.

Der rechte Flügel innerhalb der FDP konkurrierte mit dem linksliberalen Flügel aus dem späteren Baden-Württemberg und den Hansestädten Hamburg und Bremen. Die Radikalität des nordrhein-westfälischen Landesverbandes trug dazu bei, dass die lange Zeit schwelenden Konflikte ans Tageslicht kamen, so dass die gerade gegründete FDP mehrfach am Rande der Spaltung stand.
Seit Anfang 1948 setzten sich im Landesverband der FDP in Nordrhein-Westfalen immer mehr rechte Positionen durch, was zu Parteieintritten von antidemokratischen Nationalisten und auch ehemaligen Nationalsozialisten führte, die in der FDP ein neues Betätigungsfeld suchten. Die sofortige Beendigung der Entnazifizierung sowie die Begnadigung aller NS-Kriegsverbrecher waren wesentliche Punkte der Parteipolitik. Im Frühjahr 1950 ging der Landesverband NRW mit den antidemokratischen Nationalen Rechten ein Wahlbündnis ein. Diese Gruppierung bestand zum größten Teil aus ehemaligen Nationalsozialisten und anderen völkisch eingestellten Personen. Es handelte sich dabei um den früheren NRW-Landesverband der Deutschen Konservativen Partei/Deutsche Rechtspartei (DKP/DRP), deren Mitglieder in der Weimarer Republik überwiegend der von Alfred Hugenberg geführten Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) angehört hatten. Bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 1950 zogen drei Abgeordnete der Nationalen Rechten über die Landesreserveliste der FDP in den Landtag ein.

Der Landesverband verabschiedete auf seinem Landesparteitag in Bielefeld am 26.07.1952 das „Deutsche Programm“, das ein plebiszitäres Präsidialsystem auf völkischer Grundlage anstrebte. Das „Deutsche Programm“ hatte nichts mehr mit dem historischen Liberalismus im 19. Jahrhundert zu tun. Die Begriffe „liberal“ und „demokratisch“ tauchten im gesamten Text nicht ein einziges Mal auf. Für die FDP wurde die Forderung zur „Pflicht nach rechts“ erhoben.

Die „Naumann-Affäre“ Anfang 1953 und deren Auswirkungen auf Nordrhein-Westfalen sowie auf Bundesebene werden von Buchna eingehend analysiert. Werner Naumann, der letzte Staatssekretär des „Reichspropagandaministers“ Joseph Goebbels, startete mit nationalsozialistisch orientierten Gesinnungsgenossen den Versuch, die FDP und andere rechte Parteien und Organisationen zu unterwandern und eine völkisch-autoritäre Regierung zu installieren. Dieser so genannte Naumann-Kreis soll etwa 100 Mitglieder gehabt und mit ca. 3.000 Personen aus Wirtschaft, Verwaltung, Justiz und Politik in Kontakt gestanden haben. Durch die Installierung seiner Anhänger in Schlüsselpositionen der FDP-Parteiführung nahm Naumann längere Zeit Einfluss auf die Politik des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen. Anfang 1953 war der nordrhein-westfälische Landesverband an entscheidenden Stellen durchsetzt mit ehemaligen Nationalsozialisten wie Wolfgang Diewerge, Siegfried Zoglmann und Horst Huisgen. Die Bezirks- und Kreisverbände wurden ebenfalls von ehemaligen Nazis dominiert. Am 14.01.1953 wurden auf Veranlassung der britischen Behörden wegen des Vorwurfs der „Verschwörung ehemaliger Nationalsozialisten“ Naumann und weitere fünf Mitglieder des Naumann-Kreises verhaftet. Als die britischen Behörden das Untersuchungs- und Gerichtsverfahren an die deutsche Justiz abgegeben hatten, wurden die Beschuldigten kurzerhand wieder freigelassen und später auch von allen Anklagepunkten freigesprochen.

Ein Vergleich des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen mit den ebenfalls national ausgerichteten Landesverbänden Hessen und Niedersachsen wird zwar an manchen Stellen des Werkes angedeutet, aber nicht ausreichend beleuchtet. In Hessen bestanden Beziehungen zur extrem rechten Nationaldemokratischen Partei (NDP) unter Heinrich Leuchtgens. Im Juli 1949 schlossen die hessischen Liberalen ein Wahlabkommen mit der NDP, das bei der Bundestagswahl im selben Jahr 28,1% der Stimmen einbrachte. Im September 1957 ging die niedersächsische FDP ohne Billigung aus Bonn eine Fraktionsgemeinschaft mit der BHE ein und nahm sechs Abgeordnete der DRP in einem Hospitantenverhältnis auf. CDU und DP kündigten die Koalition in Hannover auf und bildeten mit der SPD eine Regierung. Dies ist die einzige Schwäche in einem sonst sehr lesenswerten Buch, das die Rechtstendenzen innerhalb der FDP Anfang der 1950er Jahre erstmals in systematischer und analytischer Form untersucht.

 

Editorische Hinweise

Den Text spiegelten wir von http://www.kritisch-lesen.de

Kristian Buchna
Nationale Sammlung an
Rhein und Ruhr.
Friedrich Middelhauve und die nordrhein-westfälische FDP 1945-1953.

Oldenbourg Verlag, München.
ISBN: 978-3-486-59802-5.
248 Seiten.
24.80 Euro.