Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Rwandas Präsident Paul Kagamé in Paris
17 Jahre nach dem Völkermord mit französischer Unterstützung

10/11

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Eine Freundschaft oder selbst eine zwischenstaatliche Annäherung sieht anders aus. Aber für ein Zweckbündnis reicht es vielleicht aus. Am Montag und Dienstag, den 12./13. September 2011 fand eine historische Premiere statt: der erste Staatsbesuch eines Präsidenten des ostafrikanischen Rwanda in Frankreich. Das französische Staatsoberhaupt Nicolas Sarkozy traf am Montag zum Mittagessen mit seinem Amtskollegen Paul Kagamé zusammen – aber nicht einmal eine gemeinsame Pressekonferenz wurde dazu abgehalten. Danach gab es nur ein eher lakonisches Kommuniqué des Elysée-Palasts, worin das französische Präsidialamt von einer „neuen Etappe im Normalisierungsprozess zwischen den beiden Ländern“ sprach.

Beide Staaten hatten im November 2006 alle diplomatischen Beziehungen zueinander abgebrochen, weil Frankreich seine negative Rolle während des Völkermords in Rwanda 1994 nicht anerkennen wollte. Im Gegenteil hatte die französische Anti-Terror-Justiz unter dem zwischenzeitlich entlassenen Richter Jean-Louis Bruguière damals Ermittlungen gegen neun Spitzenfunktionäre der aktuellen Regierungspartei „Rwandische Patriotische Front“ (RPF) eingeleitet – unter der Anschuldigung, die vor allem durch Tutsi geleitete RPF habe den Völkermord selbst bewusst ausgelöst, um die Macht in Kigali übernehmen zu können. Die Hauptopfergruppe des Genozids waren die in Rwanda lebenden Tutsi gewesen, von ihnen wurden 80 % Prozent während der drei Monate dauernden Schlächterei vernichtet. Die RPF hatte seit Oktober 1990 militärisch von der Nordgrenze aus gegen das damalige Regime in Rwanda gekämpft. Es ging dabei darum, eine Rückkehr der nach früheren rassistischen Massakern in den Nachbarländern wie Uganda lebenden Tutsi-Flüchtlingen in das Land zu erzwingen. In demselben Zeitraum bereiteten die Milizen der rechtsextremen Hutu Power-Bewegung sich darauf vor, als vermeintliche „Lösung der sozialen Frage“ und zugleich Abwehr der äuberen Bedrohung alle im Land lebenden Tutsi zu ermorden. Ab April 1994 schlugen sie los. Im Juli desselben Jahres übernahm die RPF die Macht: Da fast alle militärische Anstrengungen des Regimes auf das Ermorden von Zivilisten konzentriert worden war, brach die Front von Norden her zusammen.

Gründe für eine Unterstützung des Genozid-Regimes

Frankreich hatte das Hutu Power-Regime, das ab April 1994 offen die Macht übernommen hatte, unterstützt – seine „provisorische Regierung“ war in den Räumen der französischen Botschaft gebildet worden. Ursächlich dafür war einerseits, dass Präsident François Mitterrand glaubte, er müsse die französische neokoloniale Einflusssphäre in Afrika verteidigen, die nach dem Ende des Kalten Krieges durch US-Amerikaner und Briten in Frage gestellt werde: Er erblickte im Vormarsch der RPF vom englischsprachigen Uganda aus eine „Aggression“ gegen die französischsprachige Zone in Afrika. Andererseits hielten viele französische Militärs zu den Hutu Power-Milizen. Letzteren war durch französische Offiziere seit Jahren eine Doktrin eingeimpft worden, die auf den Namen „Revolutionärer Krieg“ hörte. Es handelt sich um eine Anti-Subversions-Technik, die in den französischen Kolonialkriegen und vor allem in Algerien zur Anwendung kam. Ihre Theorie ging auf eine Übernahme von Thesen des deutschen Erste-Weltkriegs-Generals und späteren Wegbegleiters der Nazis, Erich von Ludendorff, zurück: Im modernen Krieg gebe es keine unbeteiligte Zivilbevölkerung mehr, deswegen müsse die Bevölkerung in Milizen organisiert, propagandistisch gedrillt und organisatorisch erfasst werden[1]. Französische Militärs wandten diese Theorien im Algerienkrieg an und brachten sie lateinamerikanische Foltergenerälen besonders in Argentinien bei. In Rwanda hatten sie ein Spielfeld vorgefunden, weil die Hutu Power-Bewegung dort versuchte, die Mehrheitsbevölkerung der Hutu in rassistischen Milizen gegen die Tutsi zu organisieren.

Präsident Sarkozy, der während des Völkermords von 1994 Regierungssprecher in Frankreich war, hat dieses politische Erbe der damaligen Regierung zwar übernommen. Anders als seine Amtsvorgänger aber hat er verstanden, dass Frankreich mit Leugnen und Abstreiten seiner Verantwortung langfristig nicht weiterkommt, sondern eine diplomatische Zeitbombe am Ticken hält. Deswegen leitete er eine Entspannung gegenüber Rwanda ein, das er im Februar 2010 – für drei Stunden Gesamtdauer – selbst besuchte. Sein UMP-Parteifreund Bruguière wurde aus seinem Richteramt geschasst. Sarkozy traf Kagamé erstmals beim EU-Afrika-Gipfel in Lissabon im Dezember 2007 und beim Welt-Klimagipfel in Kopenhagen Ende 2009, zwei Monate später auch in Kigali.

„Nicht bei der Vergangenheit aufhalten“

Nun hielt Kagamé sich also zum Gegenbesuch bei Nicolas Sarkozy auf. Fragen der Vergangenheitspolitik blieben dabei jedoch ausgespart: In einem Interview mit der Pariser Tageszeitung Libération vom vergangenen Mittwoch betonte Kagamé, man habe zusammen „über die Zukunft diskutiert“. Und er fügte hinzu: „Wir dürfen uns nicht durch die Vergangenheit in einer Falle festhalten lassen.“ Die Zukunft, das bedeutet für das arme, doch – zum Teil auch dank des Raubs von Rohstoffen im Osten des benachbarten Bürgerkriegslands „Demokratische Republik Kongo“ (DRK) – wirtschaftlich ziemlich erfolgreiche Rwanda vor allem: Investitionen. Solche anzuziehen, war eines der Hauptanliegen Kagamés bei seinem Aufenthalt in Paris.

Rwanda interessiert sich dabei vor allem für Investitionen im Energiesektor, unter anderem zwecks Nutzung der im Kivu-See liegenden immensen Reserven an Methangas. Diese auszubeuten, setzt eine Kooperation zwischen Rwanda und dem Nachbarstaat DRK voraus, da der See zwischen beiden Ländern geteilt ist. Dies ist auch einer der Gründe dafür, dass Rwanda und die kongolesische Regierung ihre Feindschaft – aufgrund der Rolle Rwandas in den Kriegen im Ostkongo – offiziell überwanden und noch nun auch Frankreich in die neue regionale Kooperation einbezogen werden soll.

Kagamés Besuch begann am Nachmittag des Sonntag, 11. September 11 mit einer Großveranstaltung von 2.000 in Frankreich, aber auch in Belgien, Großbritannien und im übrigen Europa lebenden Rwander auf einem Messegelände in der Pariser Vorstadt Aubervilliers. Der Verfasser dieser Zeilen war dabei. Paul Kagamé selbst, der gegen 16 Uhr am Flughafen von Paris-Roissy eingetroffen war, stieß am Spätnachmittag als Hauptredner dazu. Zuvor ging es stundenlang um das Bankenwesen, um Investitionserleichterungen und wirtschaftliche Entwicklungschancen – mit VertreterInnen der rwandischen Entwicklungsagentur, von Kreditinstituten und Privatunternehmern. Kagamé selbst versprach in seiner gut einstündigen Ansprache, er werde auf unbürokratischem Wege dafür sorgen, dass im Lande investierende Auslandsrwander die Staatsbürgerschaft erhielten. Über das problematische Verhältnis zu Frankreich sprach er nicht. Als jemand aus dem Publikum ihn fragte, was mit den auf französischem Boden lebenden Völkermordtätern und  eventuellen Strafverfolgungen gegen sie passiere, antwortete er nur, dazu sei schon jemand ernannt, „der sich darum kümmert“. Was im Übrigen zutrifft, seit anderthalb Jahren kam es erstmals zu Verhaftungen von in Frankreich lebenden Beihelfern oder Tätern des Genozids von 1994. Diese gingen auch in diesem Monat weiter.

Draußen vor den Türen demonstrierten unterdessen vielleicht 3.000 Gegner des rwandischen Präsidenten – im Ausland lebende Anhänger der Hutu-Extremisten, aber auch kongolesische Nationalisten. Sie klebten in ganz Aubervilliers Plakate mit der Aufschrift „Tyrann“, auf denen Kagamé mit bluttriefenden Vampirzähnen abgebildet war. Am folgenden Vormittag demonstrierten sie erneut und breiteten auf der Pariser Ringautobahn brennende Autoreifen aus, um ihren Protest zu unterstreichen. Dabei fing an jenem Montag auch ein Auto mit an der Sache unbeteiligten Insassen Feuer, so dass für Aufsehen gesorgt war.

Hinter den Kulissen knallt es

Auch in der französischen Politik wurde die historische Premiere, besonders im Vorfeld, durch heftige Konflikte hinter den Kulissen überschattet. Diese hingen eng damit zusammen, dass Alain Juppé am Wochenende des 27./28. Februar 2011 zum alt-neuen französischen Außeminister ernannt worden war. Juppé hatte diesen Posten  auch 1994 während des Völkermords bekleidet. Der derzeit noch amtierende Botschafter Frankreichs in Rwanda, Laurent Contini, hatte zu Anfang September 11 im Wochenmagazin Jeune Afrique wörtlich erklärt, diese Ernennung sei „keine gute Nachricht aus Sicht der Rwander“. Infolge eines Wutanfalls des französischen Außenministers wurde im Elysée-Palast mutmaßlich der Austausch des Botschafters beschlossen, der Abgang Continis wird für demnächst erwartet. Der Mann war Anfang 2010 durch Juppés Amtsvorgänger Bernard Kouchner eingesetzt worden, nachdem Frankreich und Rwanda Ende November 2009 die Wiederaufnahme der drei Jahre zuvor abgebrochenen diplomatischen Beziehungen bekannt gegeben hatten. Er war daraufhin der erste Botschafter Frankreichs in Kigali.

Alain Juppé selbst hatte im Mai 2011 erklärt, es treffe sich gut, dass Rwanda ihn nicht einlande möge – denn er habe „keinerlei Absicht, nach Rwanda zu reisen oder gar Paul Kagamé die Hand zu geben.“ Als dieser sich nun in Paris aufhielt, ging der französische Außenminister Alain Juppé opportunerweise auf Reisen – und besuchte zeitgleich zum Staatsbesuch Kagamés Australien und China. Viel weiter weg auf diesem Planeten hätte er kaum reisen können.

Hinzu kam eine Mobilisierung früher in Rwanda eingesetzter französischer Militärs, die sich durch die Präsenz von Paul angegriffen fühlten. Er personifiziert in ihren Augen die ihnen verhasste RPF ebenso wie die vormaligen scharfen Kritiken aus Kigali an Frankreichs Rolle im Frühjahr 1994. Der französische General a.D. Didier Tauzin, der sich in jenem Jahr des Völkermords (1994) in Rwanda aufhielt und heute in Aubeterre in Südwestfrankreich lebt, betrieb im Vorfeld des Kagamé-Besuchs eine publizistische Kampagne. In Regionalzeitungen wie Sud-Ouest und Charente libre wetterte er Ende August 11 gegen den Besuch:  „Den General Kagamé zu empfangen würde bedeuten, dass Frankreich seine lügnerischen Anklagen anerkennt und akzeptiert.“ Dadurch, dass Kagamé anlässlich seines Besuchs auf jede Diskussion über „die Vergangenheit“ offiziell verzichtete, wurde ihr Vorwurf jedoch Lügen gestraft.

Anmerkungen

[1] Vgl. dazu Gabriel Périès und David Servenay: Une guerre noire. Enquête sur les origines du génocide rwandais (1959-1994), Paris 2007, zu v. Ludendorff speziell St. 30/31.

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor.