Texte
zur antikapitalistischen Organisations- und Programmdebatte

10/11

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Antwort der Sozialistischen Initiative Berlin (SIB) auf die Stellungnahme der Gruppe Arbeitermacht


Liebe GenossInnen von der Gruppe Arbeitermacht,

wir haben bei unserem vergangenen Treffen Eure Stellungnahme diskutiert und freuen uns, daß Ihr Euch mit Euren Vorschlägen, Einschätzungen und Kritikpunkten an der Debatte beteiligt.

Zu unserem Treffen lagen von mehreren GenossInnen schriftliche Anmerkungen vor, die wir zustimmend zur Kenntnis nahmen. Die folgende Zusammenfügung und Schlußredaktion des Textes ist keine Kollektivarbeit, sondern wurde vertrauensvoll an das bei der Sitzung Protokoll führende Mitglied delegiert.

1. Programmatische Grundlagen

Wir teilen Eure Einschätzung, daß wir programmatisch und strategisch nicht „bei Null“ anfangen. Wir denken allerdings auch, daß wir an die „Tradition der Komintern der ersten vier Weltkongresse“ weder einfach wieder anschließen können noch müssen.
Seitdem ist ja nun ökonomisch, militärisch, politisch, theoretisch, kulturell wirklich einiges passiert. Und daß der Stalinismus solange im Marxismus hegemonial war und auch TrotzkistInnen kaum vom Zusammenbruch des Stalinismus profitiert haben, hat auch damit zu tun, daß auch Lenin und Trotzki nicht auf alle Fragen Antworten hatten – und auf manche auch falsche. Einige der relevanten Themen, die sich daraus ergeben, wurden hier im blog schon (mehr oder minder ausführlich oder eher knapper) angesprochen: Geschlechterverhältnis, De-Konstruktion, Ökologie. Was ist denn zu diesen Themen Eure Auffassung?

Und – Ihr bekundet ja ausdrücklich Eure Unterstützung für unseren Satz, daß „‚Marxismus’ und ‚Autonomie’, Links-Sozialisten / Links-Kommunisten und Bewegungslinke eine solidarische und kontroverse, ergebnisoffene und zielgerichtete Debatte anfangen“ sollten.
Diese Debatte hat unserer Überzeugung nach nur Sinn, wenn nicht nur von Autonomen erwartet wird, daß sie zugeben, daß sie vielleicht etwas von den Erfahrungen und theoretischen Positionen von KommunistInnen lernen können, sondern auch KommunistInnen zugeben, etwas von den neuen politischen Strömungen, die seit Mitte der 20er Jahre entstanden sind, lernen können.

2. Organisationsfrage

Wir finden gut, daß Ihr die Frage aufwerft oder in Erinnerung ruft, wo die Reise hingehen soll: Netzwerk und/oder Organisation oder „Partei“. Auch wir fänden ein Netzwerk als Dauerlösung unzureichend. Trotzdem kann ein Netzwerk ein notwendiger Zwischenschritt sein – nur sollte dann unserer Auffassung nach klargestellt werden, daß das Netzwerk mit dem Ziel gegründet wird, dieses mittelfristig in eine Organisation umzuwandeln oder ggf. durch eine Organisation zu ergänzen, wenn ausreichende Gemeinsamkeiten und ausreichende Beteiligung gegeben sind. Aber wir betonen noch einmal: Was erste Schritte und die Abfolge der einzelnen Schritte anbelangt, gehen wir offen und kompromißbereit in die Debatte hinein – auch wenn wir logischerweise Präferenzen haben, von denen wir im Moment überzeugt sind.
Zum Begriff „Partei“ teilen wir die Skepsis der hier bisher schon geposteten Kommentare. Im üblichen Sprachgebrauch ist das Wort im Sinne von „Organisation, die sich an Wahlen beteiligt“ besetzt. – Geht es Euch darum? Oder was macht für Euch den Unterschied zwischen einer „Partei“ und anderen politischen Organisationen aus?
Ihr schreibt, Ihr teilt unseren Traum, eine leninistische Massenpartei“ aufzubauen. Genau gesagt sprachen wir allerdings von unserem jugendlichen (!) Traum „von einer revolutionären Massenorganisation“. Wir denken allerdings nicht, daß wir heute daran gehen können, ihn zu verwirklichen. Das leninistische Modell scheint uns das Modell einer AktivistInnenpartei zu sein – und massenhaft kommunistische AktivistInnen wird es wahrscheinlich erst ab einer vorrevolutionären oder revolutionären Situation geben. Davon sind wir weit, weit entfernt. – Am Ende unseres Papiers schrieben wir ausdrücklich: „Das neue Projekt sollte keine Mitgliederpartei, kein Verein von ‚Karteileichen’ sein, sondern eine Organisation von Aktivisten. Zweitens ist es u. E. nicht zielführend jeden sofort aufzunehmen, der den Kapitalismus irgendwie doof findet oder was gegen Sparpolitik hat. Eine gewisse theoretische Basis (deshalb wichtig: nicht nur ‚Kampagnenreiterei’, sondern auch Selbst-Qualifikation) […] sollten wir schon verlangen“.

3. Aufarbeitung der NLO-Erfahrung

Ihr schreibt:

„Hier [Nach dem SoKo-Vorschlag] soll es also um einen ‚Pol’ gehen, also eher etwas in Richtung Netzwerk/Bündnis verschiedener antikapitalistischer Kräfte, welcher zumindest aktionsfähig sein sollte. Bei der ‚Klärung der Organisationsfrage’ muss daher schon klar werden, warum wir mehr als ein neues Netzwerk oder das x-te Bündnis brauchen. Dabei muss auch offen diskutiert werden, warum denn die bisherigen Netzwerke/Strömungen diesen Anforderungen nicht genügt haben.“

„Über eine Kritik am Fusionsprozess und der programmatischen Grundlage der neuen Linkspartei kam die NLO nicht hinaus. Es blieb zunächst ein Diskussionszusammenhang mit Internetpräsenz (linke Zeitung), dieser spaltete sich dann (Scharf-links) und fand keine Übereinkunft zum Verhältnis zur Linkspartei und die Aufbauperspektive der NLO. Ohne hier zu lang über alte Diskussionen zu berichten, ging es grundsätzlich um die Frage, ob das NLO sich zu einer revolutionären Organisation entwickeln und so die Parteifrage praktisch aufwerfen soll oder ein loser Diskussionszusammenhang bleibt. Für die Konferenz im Herbst wie auch für die weitere Diskussion sollten die damaligen Diskutanten und MitstreiterInnen auch eine Auswertung vornehmen.“

Ja, die Erfahrungen mit dem Netzwerk Linke Opposition (NLO) sollten aufgearbeitet werden – damit sich ein neues Netzwerk oder eine neue Organisation nicht gleich wieder über die gleichen Fragen zerstreitet.
Wir würden diesbezüglich sagen:
-- Inhaltlich würden wir eher der Präferenz derjenigen, die die Linke Zeitung blieben, für verbindlichere Organisierung zuneigen – nur waren damals noch weniger als heute die Bedingungen für ein Organisierungsprojekt links von der Linkspartei gegeben. – Ob sie heute gegeben sind, wird sich zeigen müssen.
-- Hinsichtlich dessen, wie wohl versucht wurde, diese Orientierung innerhalb des Netzwerkes durchzusetzen (nämlich ohne breite Diskussion innerhalb des Netzwerkes, sondern durch knappe Mehrheitsentscheidung im NLO-Rat), scheint dagegen die Kritik derjenigen, die sich als scharf-links vom Netzwerk abspalteten, berechtigt zu sein.
Die falsche Methode diskreditierte damals wohl das richtige Anliegen – und die Spaltung scheint auch kurze Zeit danach in ein Ende des ganzen Netzwerkes gemündet zu sein…

4. Das Spektrum der subjektiven Revolutionäre

Ihr weist zurecht auf eine Unklarheit in unserem Bezug im „Na endlich!“-Papier auf ein Zitat der AGM hin. Das Zitate lautete: „Mit allen uns bekannten internationalen Strömungen haben wir doch so relevante Differenzen, dass wir uns nicht auf einer seriösen politischen Grundlage anschließen könnten. […]. Wir sehen uns vielmehr als Teil des Spektrums subjektiver Revolutionär/inn/en“. – Der Vorschlag unserem Papier beruht dagegen auf der Überzeugung, daß die existierenden Differenzen jedenfalls zwischen erheblichen Teilen der subjektiven RevolutionärInnen nicht so groß sind, daß ihnen nicht in Form von Fraktionen einer gemeinsamen Organisation Rechnung getragen werden könnte.
Die politische Beurteilung historischer Ereignisse, die 20, 30 oder noch mehr Jahre zurückliegen, oder Differenzen über das Agieren in revolutionären Situationen oder Fragen der nach-revolutionären Politik müssen eine gemeinsame Organisierung und politische Praxis heute und in den nächsten Jahrzehnten nicht ausschließen – was nicht heißt, daß es nicht auch hier und heute relevante Differenzen im Spektrum der subjektiven Revolutionäre gibt.

5. Einheitsfront

Wir haben anhand verschiedenen Reaktionen den Eindruck das wohl notwendig ist, bei Gelegenheit noch mal etwas Genaueres zum Verhältnis von „Einheitsfront“ und „Aktionseinheit“ zu sagen.
Es gab schon skeptische Reaktionen in Bezug auf unseren Vorschlag einer Einheitsfront-Politik gegenüber der Linkspartei. Ihr schlagt nun gleich auch noch eine Einheitsfront mit der SPD vor… –
Was sollen denn die Inhalte, für die, und die Aktionsformen, mit denen eine solche Einheitsfront von SPD, Linkspartei und RevolutionärInnen ‚einheitlich’ kämpfen soll, sein? – Das muß wohl noch genauer diskutiert werden:
Klar sind gemeinsame Demonstrationen für begrenzte Ziele möglich – mit der Linkspartei (jedenfalls dort und solange sie nicht regiert) eher als mit der SPD. Aber gemeinsame Demonstrationen, Veranstaltungen, Streikunterstützungen, oder auch Unterschriftensammlungen – das würde viele wohl eher „Aktionseinheiten“ als „Einheitsfront“ nennen.
Die uns gegenüber ausgesprochene Befürchtung lautet: ‚RevolutionärInnen die heute SPD und Linkspartei eine „Einheitsfront“ vorschlagen, können dies entweder nur um den Preis, ihre inhaltliche Identität Preis zu geben oder aber sie an Bedingungen zu knüpfen, von denen eh klar ist, daß sie die Linkspartei und zumal die SPD ablehnen.’
Ihr schreibt: „Die Einheitsfront […] ist die Methode, um den Würgegriff des Reformismus zu brechen und die Führungen vor der Basis bloßzustellen.“ – Eine Methode, die von vornherein darauf ausgerichtet ist, die auserkorenen BündnispartnerInnen „bloßzustellen“, wird nicht funktionieren. Sie stellt vielmehr diejenigen – als unernsthaft! – bloß, die diese Methode anwenden.
Und: ‚Die gute Basis und die böse Führung’ – das ist auch viel zu einfach! Diejenigen, die in der Linkspartei oder der SPD organisiert sind, sind da ja nicht ohne Grund organisiert und wählen nicht ohne Grund die FunktionärInnen, die sie wählen. Wir haben den Eindruck, das, was Ihr vorschlägt läuft auf eine – von uns als sektiererisch kritisierte – „Einheitsfront von unten“ (also unter Ausschluß von reformistischen Führungen) hinaus. Eine solche ‚Taktik’ nimmt unseres Erachtens die politischen Positionen, die auch an der Basis (nicht nur in den Führungen) reformistischer Organisationen vertreten werden, nicht ernst.

6. Antisemitismus-Vorwürfe = rechts? / Antizionismus = links?

Ihr schreibt:

„Aktuell wird [in der Linkspartei] über Antisemitismusvorwürfe das linke Spektrum bekämpft, ein antideutscher, pro-zionistischer Mainstream wird immer mehr mehrheitsfähig in der Linkspartei. Doch dagegen bildet sich kein gemeinsamer Widerstand der linken Strömungen, […], stattdessen gibt es Verweise der KPF auf die ‚Neutralitätsbeschlüsse’ der Fraktion zum Nahostkonflikt und die SAV zieht die Unterstützung für den palästinensischen Widerstand zurück.“

„Wir wissen sehr wohl um den reaktionären Gehalt der Hamas und der kleinbürgerlichen Politik von Hamas und Fatah. […]. Die anti-imperialistische Einheitsfront kann daher nur nach der gleichen Methode funktionieren wie eine Einheitsfront mit reformistischen Organisationen.“

Da würden wir nicht mitgehen. KommunistInnen können unserer Überzeugung nach nicht pauschal mit „de[m] palästinensischen Widerstand“ solidarisch sein. Während Einheitsfronten – nach Maßgabe des oben Gesagten – bzw. jedenfalls Aktionseinheiten mit reformistischen Organisationen möglich sind, sehen wir keine Möglichkeit für Einheitsfronten mit Organisationen, die (unstreitig, Ihr charakterisiert ja selbst Hamas in dieser Weise) reaktionär sind.
Der angeblich anti-deutsche Pro-Imperialismus der Ex-Anti-Deutschen läßt sich nicht auf der Grundlage eines rechts-links-indifferenten „Antiimperialismus“ bekämpfen. Was wir brauchen, ist nicht ein solcher indifferenter „Antiimperialismus“, auch nicht eine pazifistische Duldsamkeit gegenüber beiden Seiten, sondern einen linken Antiimperialismus in doppelter Opposition sowohl zu Imperialismus als auch reaktionärem Antiimperialismus.

7. Wie kommen wir zum „Verein freier Menschen“?

Zu Euren Einwänden gegen Edith Bartelmus-Scholich: Eure Einwände finden wir in der Tendenz berechtigt, nur sollten die kein Vorwand werden, die in der Tat relevante Frage (und mit dieser Wendung würden wir dann Edith zustimmen) zu verdrängen, wie denn ein revolutionärer Prozeß und ein sozialistischer Übergangsstaat organisiert sein müssen, damit letzterer bei einem neuen Versuch zu einem „Verein freier Menschen“ zu gelangen, diesmal auch tatsächlich abstirbt.

Editorische Anmerkung

Wir spiegelten den Text vom Blog der SIB, wo er angesichts der eigentümlichen Blog-Struktur unserer Aufmerksamkeit entgangen war. Er erschien dort bereits am 17.9.2011