Protestkulturen "linksaffiner" Mittelschichtsmilieus von 1968 bis heute
Ein Bericht über ein interessantes Seminar von reflect! e.V. und Helle Panke vom 7.-9.10.2011 in Berlin

von Anne Seeck

10/11

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Zunächst einige Gedanken, die ich im Vorfeld des Seminars hatte und die mich motivierten, dieses Seminar zu besuchen.  

Kollektive Identität: Ein "Wir"- Gefühl...  

Ja, die Welt in der DDR war "einfach". Da die "Spießer" und da "wir", die "wir" uns durch unser Aussehen, lange Haare oder Iro, unkonventionelle Kleidung, durch unsere Faszination von westlicher Rock- und Punkmusik, gelegentliche oder kontinuierliche Arbeitsverweigerung, das stille Besetzen von Wohnraum, das Stellen von Ausreiseanträgen etc. gegen die Standardisierung des Lebens von den "Spießern" abgrenzten. Dabei inszenierten "wir" uns nicht schlecht, politisch war das nur, weil der Staat unser Dasein als "dekadent" und "feindlich-negativ" zum Politikum machte. Und weil viele mit Repression konfrontiert waren, z.B. mit Kriminalisierung wegen versuchter Republiksflucht, Asozialität oder staatsfeindlicher Hetze, mit Vorladungen z.B. zum ABV, Abteilung Inneres oder Stasi, mit Auflagen wie Arbeitsplatzbindung oder Verboten wie Alexverbot. Zugleich waren "unsere" Entwicklungschancen in der real-sozialistischen DDR aufgrund der staatlichen Berufs- und Studienlenkung sehr eingeschränkt. So hangelten "wir" uns im unteren Beschäftigungssegment von Job zu Job, als Pförtner, Reinigungskraft, Heizer, Friedhofsarbeiter, Brief- oder Telegrammbote, Essensträger bei der Volkssolidarität, Fließbandarbeiter etc. Oder fertigten und verkauften Waren, die es in der Mangelgesellschaft nicht gab, z.B. Lampenschirme, Ohrringe, Gipsfiguren, Lederklamotten. (Es gab allerdings auch "Freaks", die normal in die Arbeitswelt integriert waren und nur am Wochenende "die Sau rausließen". Die Woche gehörte dem Staat, das Wochenende der Anarchie.) Die Subkultur war von Rock- und Punkmusik fasziniert, las Belletristik und träumte vom "Mythos Kreuzberg".

Jugendopposition in der DDR: http://www.trend.infopartisan.net/trd1010/t231010.html  

Subkultur in der DDR und heute 

Damals hatte ich noch ein "Wir-Gefühl", das ist lange weg, es ist zersprungen in Tausend Scherben. Denn der "Mythos Kreuzberg" wurde die Enttäuschung. Ich stellte eine Vermarktung und Entpolitisierung der Subkultur im Westen fest und hatte das Gefühl, dass die Subkultur in der DDR authentischer gelebt hatte. Durch das Buch "Der neue Geist des Kapitalismus" begriff ich, dass die Gegenkultur und die neuen sozialen Bewegung im Westen schließlich zur Modernisierung des Kapitalismus beigetragen hatten.

Auch die Subkultur in der DDR wollte eine Modernisierung, einen Wandel der Gesellschaft, das ließ das erstarrte real-sozialistische System aber nicht zu. Die Kulturkritik der Subkultur wurde vom Staat bekämpft, im Westen wurde sie vom Kapitalismus regelrecht aufgesogen. Aus der Forderung nach Autonomie wurde "Macht, was ihr wollt, aber seid profitabel".

Die Subkultur ist die Avantgarde gesellschaftlicher Wandlungsprozesse, also der Modernisierung? Aber wie erreicht man wieder eine Politisierung, dass aus der Subkultur eine Gegenkultur wird?  

In dem Reader zum Seminar, der uns im Vorfeld zugeschickt wurde, fand sich ein Abschnitt zur „Kulturalisierung der Ökonomie“ von Anja Schwanhäußer. Der heutige subkulturelle Typ ist zumeist kein Aussteiger, sondern ein Einsteiger.

Schwanhäußer schreibt: „Es besteht ein zunehmendes gesellschaftliches Interesse an Produkten aus der Subkultur, an Mode, Musik, Magazinen, Filmen etc., dass durch immer neue kreative Ideen bedient werden muss. Um dieser Bedürfnis zu stillen, sind die Unternehmen auf einen permanenten Zustrom kreativer und innovativer Potenziale angewiesen.“ Für die „Lifestyle-Ökonomie“ sei die Subkultur inzwischen zu einem Synonym für Kreativität und Innovation geworden. „Kulturelle Produkte wie Musik- und Kleidungsstile werden der Sphäre der Subkultur abgeschaut und massenhaft produziert und subkulturelle Akteure werden selbst als ‚Kreative’ angestellt, werden als Musiker, Texter und Designer in den Produktionsfirmen und Agenturen angestellt und somit in den Produktionsprozess einbezogen.

Es gebe drei Beschäftigungstypen von Kreativen:

1.   „Überwiegend erfolglose Start Ups, deren Aktivitäten aus einem Szeneengagement heraus entstehen und deren Aktivitäten zunächst für die Szene, das heißt die eigene Klientel gedacht sind.“ Das hat oft experimentellen Charakter, ist selten von Dauer und hat selten ökonomischen Erfolg.

2.   „Angestellte der Lifestyle-Ökonomie, die im Bereich der Populärkultur und urbanen Dienstleistungskultur arbeiten, dort aber nicht als kreative Akteure tätig sind, sondern profane Dienstleistungen und Handlanger- Dienste verrichten.“ Sie verbinden ihre Szene- Existenz mit der beruflichen Tätigkeit, von der „Schönheit der Freiheit“ sei wenig übriggeblieben. Sie arbeiten im Bereich der popkulturellen Produktion (Musik, Film, Fernsehen, Werbung) als Techniker, Produktionsassistenten etc, in der städtischen Unterhaltungskultur als Kellner, Kartenabreißer etc. Die Stadt als Event sei ein zunehmendes Beschäftigungsfeld, auch die neuen Formen der Wellness- Kultur.

3.   „Ein neuer Typus des kreativen Proletariers“. Sie arbeiten handwerklich und verrichten körperliche Arbeit, zum Beispiel beim Messebau. Sie stilisieren sich als „Proletarier“ und haben doch eine Nähe zum kreativen Feld.

„Mit der Kulturalisierung der Ökonomie entwickelt sich somit ein Feld, in dem Szene- Existenz und Mainstream-Existenz keinen Widerspruch mehr darstellen. Akteure der Szene haben hier nicht Teil, weil sie Aussteiger-Neigungen haben, sondern sie benutzen die Szene vielmehr als Einstieg in die Gesellschaft. Die Attraktivität dieses Felds besteht darin, dass der ständige Wechsel in gesellschaftlich legitimierter Form stattfinden kann. Auch hier wird ein Leben mit permanentem Wechsel geführt, doch ist dies Teil der Logik des Felds, in dem man ein Projekt nach dem anderen verfolgt.“ (Schwanhäußer, S.253ff.)  

Linke Szene 

Die Linke durchwandern wiederum Heerscharren von Politik- und Soziologiestudenten, die diese Szene oftmals auch als Einstieg z.B. in Netzwerke, dem Erproben politischer Bildung oder dem Ergattern von Jobs in der Linkspartei etc. nutzen. "Ausstiegsprogramme" für die linke Szene sind Quatsch, denn Ausstiegsprogramme sind Lohnarbeit und (Patchwork-) Familie, in die viele Linke nach ihrem Studentendasein ab 30 abtauchen. Solange Linke nach ihrem Studium sich wieder in die Gesellschaft eingliedern, ist für den Staat alles Bestens. Da kann man sich auch mal radikal gebärden.

Mir scheint ebenfalls der Abschnitt zum „Studium als institutionalisierte Übergangsphase“ von Schwanhäußer wichtig zu sein, z.B. bedeutsam für die Frage, warum die linke Szene hauptsächlich nur aus Studenten besteht. Das Studium ist eine gesellschaftliche Übergangsphase, in dieser Zeit gewährt die Gesellschaft den Studierenden eine Szene- Existenz. In der jugendlichen Sturm- und Drang- Phase können sie an künstlerischen Projekten teilnehmen, um die Häuser ziehen, die Nächte durchmachen etc. Das sei eben wichtig für die persönliche Entwicklung. Die Szene-Akteure können sich ausprobieren, was Neues entdecken, Erfahrungen machen, können so leben, wie es innerhalb der Szene sinnvoll erscheint.

Die Universität hat dabei eine Schwellenfunktion. Durch die selbständige Strukturierung des Studiums und durch die relativ freie Einteilung (was sich aber mit der Bachelor- und Master- Verschulung des Studiums mittlerweile ändert), hätten sie auch Zeit für die Szene. Und das Schönste ist:

„Die gesellschaftliche Legitimierung dieser Übergangsphase bedeutet auch eine ökonomische Absicherung der Szene-Existenz.“ Sie werden von den Eltern finanziert, erhalten BAFÖG oder Stipendien und/oder machen Gelegenheitsjobs in Cafes, Call Centern, Kinos, Agenturen etc.

Was ist aber nach der Studi-Zeit? Dann wird es existentiell und schwupps sind viele aus der Linken verschwunden.  

Viele in der linken Szene verstehen sich als linke Intellektuelle und betreiben mit ihrer Sprache Klassenausschluß, so verbleiben ihre Erkenntnisse in einem innerlinken Zirkel. Unter linken Studis und Intellektuellen heißt es dann immer, man solle es differenziert sehen. (In der Zivilgesellschaft, man solle konstruktiv sein.) Intellektuelle neigen dazu, mit ihrem Sprachgeklimper die Welt komplizierter zu machen als sie ist, das ist natürlich auch eine Vermarktungsstrategie und dient der Profilierung im Wissenschaftsbetrieb, in dem ein Publikationswahn herrscht. Die Ästhetik steht zunehmend im Mittelpunkt, der inhaltliche Kern ist oft dürftig. Trotzdem gibt es natürlich hervorragende linke Theoretiker, was aber ein Studium vorraussetzt. Nicht jede/r ist so privilegiert, sich den Stoff aneignen zu können, das sollte in der Linken bedacht werden.  

Und jene Älteren, die noch in der linken Szene verharren, haben oftmals eine K-Gruppen-Sozialisation durchlaufen oder sind erwerbslose Akademiker und verfügen damit über mehr Zeitressourcen.  

Schockieren: Der radikale Aussteigertypus, der massenhaft auftritt... 

Die Subkultur wiederum weiß nicht mehr, wie sie schockieren kann. Die Hippies schockten in den 60er Jahren durch ihre langen Haaren und ihre Kleidung, die Punks mit ihrem bizarren Aussehen und ihrem „No Future“, die Techno-Szene in den 90er Jahren mit ihrer lauten Musik. Seitdem ist nicht viel Neues entstanden, außer Revivals. 

Nur radikaler Antikapitalismus und konsequenter Ausstieg aus der kapitalistischen Lohnarbeit könnte heute noch schockieren, wenn er massenhaft auftritt. Nur- wer das tut, muß auch mit Abwertungen der Mehrheit der Bevölkerung rechnen, das hat die neoliberale Bewusstseinsindustrie erreicht.  

Radikale Gesellschaftskritik/-praxis und Ausstieg aus der kapitalistischen Lohnarbeit sind auch in der Linken selten. Beides ist gesellschaftlich nicht akzeptiert und wird ausgegrenzt. Vor der massenhaften Mischung von Beidem, also dem Aufstand der Armen, haben die Herrschenden am meisten Angst.  

Ein Buch zum Aufstand der Armen in den USA:
Ein aktuelles Interview mit Frances Fox Piven in den USA: http://www.democracynow.org/ 

Wer für die Abschaffung des Kapitalismus kämpft, wird in die extremistische Ecke gestellt. Wer im Kapitalismus die Lohnarbeit verweigert, wird als Schmarotzer diffamiert. In beiden Fällen hat man mit Repression und Kontrolle zu rechnen.

So ein Leben ist verdammt hart, zumal jede/r Mensch irgendwie Anerkennung braucht. Die persönlichen Kosten, die für solch eine politisch und sozial marginalisierte Existenz im Kapitalismus zu zahlen sind, sind enorm. Viele ertragen diese Folgen nicht und beugen sich dem Druck der autoritären Seite des Kapitalismus, die nach unten gerichtet ist. Die liberale Seite, die nach oben zeigt, lernen sie nicht kennen. Freiheit gibt es im Jobcenter nicht, Freiheit gibt es auch nicht für radikale Antikapitalisten, sie werden häufig vom Verfassungsschutz überwacht.

Antikapitalistische Aussteiger sind selten, das liegt auch daran, dass die hohen Lebenshaltungskosten und die Eigentumsverhältnisse zumeist einen wirklichen Ausstieg aus dem System verhindern, man verbleibt als Einkommensarmer in Abhängigkeit des Staates. Die DDR-Aussteiger hatten aufgrund der geringen Lebenshaltungskosten und Eigentumsverhältnisse diese Abhängigkeit vom Staat nicht, natürlich mußten sich wiederum auch viele dem Erwerbsarbeitsregime unterwerfen, da es keine Sozialleistungen für Arbeitsfähige gab.

Alternative wäre z.B. ein Leben in Kommunen: http://www.contraste.org/kommunen.htm

Oft sind die Mitglieder der Kommunen aber nur noch am Arbeiten und haben kaum Zeit für politische Arbeit.

Auch sie sind im Kapitalismus mit dem Marktregime konfrontiert.  

Der Seminareinstieg 

Ich gebe hier Ausschnitte der Inputs und Diskussion wieder, die auf einem hohen Niveau geführt wurde. So wie es mir als Nicht-Theoretikerin (ich verstehe mich eher als Aktivistin) möglich ist. Hier die Ankündigung des Seminars 

Referent des Seminars war Max Lill, er studierte bis 2010 Politikwissenschaften und Geographie auf Lehramt, in Kürze erscheint seine Abschlussarbeit zur Bedeutung von Rockmusik in den Protestkulturen der 60er Jahre, er bereitet seine Promotion vor. 

68 war mit einem gesellschaftlichen Umbruch verknüpft. Es war Ausgangspunkt der neuen sozialen Bewegungen. Und es war von einer klassischen Gegenkultur, den Hippies begleitet. Auch die Krise des fordistischen Modells wurde eingeleitet. 68 war der Türöffner für die "Erlebnisgesellschaft", für den deregulierten Kapitalismus. Die Strukturen gerieten zunehmend aus dem Blickpunkt, das Individium kam in den Vordergrund. Um 68 toben heute ideologische Schlachten.  

Heute befinden wir uns in einer Zeit, in der das neoliberale Modell in der Krise steckt. Diese Krise wird von zwei Phänomenen begleitet, eine großen Dynamik an sozialen Kämpfen, wie in der arabischen Welt, Israel, Spanien, Griechenland, USA etc. Gleichzeitig erstarkt der Rechtspopulismus in Europa, autoritäre Tendenzen nehmen wieder zu. Sind wir wieder an einem "historischen Moment" wie 68 angekommen? Die Linke wird sich dazu verhalten müssen.  

Max Lill meinte, dass in Berlin zunehmend zwei Szenen miteinander agieren, die linke Szene und die Club- und Technokultur. Er nannte als Beispiel Megaspree. Stadtpolitische Initiativen versuchen, mit anderen Akteuren Bündnisse aufzubauen. Die Clubkultur trägt allerdings zur "Ausstrahlungskraft" Berlins bei und ist Teil der Marketing-Strategie der Stadt Berlin. Deshalb hat sie ein ambivalentes Verhältnis zur Stadtpolitik. Sie ist sehr bedroht und andererseits wird sie instrumentalisiert.  

In vielen Metropolen der westlichen Welt ist die Gentrifizierung der Innenstädte weiter fortgeschritten als in Berlin, in der es mittlerweile (m.E. fast schon zu spät: die Karwane zieht weiter) eine "Recht auf Stadt"- Bewegung gibt.

Das Konzept eines "Recht auf Stadt" hatte Henri Lefèbvre 1968 in dem Buch "Le droit à la ville" entwickelt. Siehe dazu: http://wiki.rechtaufstadt.net/index.php/Henri_Lef%C3%A8bvre

Die Verknüpfung von Alltagskultur und Politik stand 1968 auf der Tagesordnung. Es ging nicht nur um Veränderungen des Systems, sondern auch um Veränderungen im eigenen Alltag. Auch diese Verknüpfung gewinnt heute zunehmend an Bedeutung.  

Einführung zu Ansätzen der Bewegungsforschung und Cultural Studies  

In der klassischen bürgerlichen Gesellschaft waren Initimität (weiblich) und Öffentlichkeit (männlich) voneinander getrennt. Zur Öffentlichkeit gehörten Staat, Politik, ein abstraktes bürgerliches Rechtsverhältnis, die kapitalistische Ökonomie und der dazugehörende Klassenkampf. Zum Intimbereich zählte die patriarchale Kleinfamilie in bürgerlichen Kreisen (im Fordismus auch in Arbeiterschichten), wobei die Frauen für die Haushalts- und Reproduktionsarbeit zuständig waren. Es bestand eine Kultur der Innerlichkeit, in der Emotionalität und Sinnlichkeit gelebt werden konnten. Im 20. Jahrhundert trat dann immer mehr die Zivilgesellschaft hervor, es waren vermittelnde Instanzen wie Vereine, Bildungseinrichtungen etc. Gramsci meinte, die Zivilgesellschaft würde die Bedingungen des Klassenkampfes ändern. Die Zivilgesellschaft stellt die Trennung zwischen Öffentlichkeit und Intimität in Frage. 1968 wurde dann diese Trennung niedergerissen. Das Private ist politisch. (Übrigens ist auch die "Politik der ersten Person" ein politisches Konzept, das eine Stellvertreterpolitik ablehnt, die Trennlinie zwischen „privat“ und „öffentlich“ zurückweist und die Politisierung der Privatsphäre beinhaltet. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Politik_der_ersten_Person)  

Wie kam es nun zu diesem Punkt, zum Bedürfnis, Subjektivität auszudrücken? 

Thesen in der Bewegungsforschung sind laut Max Lill Folgende: 

1. Nach dem 2. Weltkrieg erlebte eine breite Generation soziale Sicherheit und eine massive Bildungsexpansion.  

(Ein Schwerpunkt der sozialliberalen Koalition ab 1969 lag in der Bildungspolitik. In den 1960er-Jahren leitete das Hamburger Abkommen 1964 die Reform der unteren Schulformen und Vereinheitlichung der Schulsysteme der Bundesländer ein, es folgten der Hochschulausbau und viele Hochschulneugründungen. Die Einführung einer allgemeinen Förderung durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz 1971 für Schüler der gymnasialen Oberstufe, der Beruflichen Schule und Studenten ermöglichten breiteren Bevölkerungsschichten den Hochschulzugang und bessere Bildung. Vor der Bildungsexpansion hatten 8% eines Altersjahrgangs studiert. In den USA wurden bereits seit Ende der 1950er- bzw. Beginn der 1960er-Jahre Versuche einer Bildungsexpansion und höheren Qualifizierung unternommen. In den Massenuniversitäten brach die Revolte los.)   

2. Hochqualifizierte soziale und kulturelle Dienstleistungsberufe spielten eine größere Rolle. Es war der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Die Hochqualifizierten wurden mehr gefordert und wollten auch mehr mitbestimmen.  

3. Es gab eine Tendenz zur Auflösung der patriarchalen Kleinfamilie, die Frauen waren immer mehr im öffentlichen Raum, die Phasen in der Öffentlichkeit wurden länger. Der Reproduktionsbereich wurde zunehmend politisiert, Konsum, Ökologie, Nutzung des öffentlichen Raums etc.  

Die neuen sozialen Mittelschichten waren die soziale Basis der "neuen sozialen Bewegungen". Es fand eine Ausdifferenzierung in alltagsästhetisch gerahmte, partizipativ orientierte Milieus und Szenen statt.  

(Heute sickert die Ästhetik in alle Alltagsbereiche (Ästhetisierung des Alltagslebens). Wir sind mit einer Reizüberflutung konfrontiert.)   

Max Lill benannte einige Ansätze der Bewegungsforschung, die ich hier nur kurz andeuten will: 

Kollektive Identität: Hier entsteht ein Wir- Gefühl durch Zugehörigkeit und Abgrenzung. Wie kommt eine Wir- Definition zustande? Wer sind die Gegner? Das Konzept der kollektiven Identität sieht einen inneren Zusammenhalt der Gemeinschaft und eine Abgrenzung nach außen als zentral für die Mobilisierung sozialer Bewegungen an.

http://www.uni-konstanz.de/FuF/Verwiss/holzinger/shaunss/texte/Diss/Haunss.Diss.Ch03.pdf  

Milieus/ Subkulturen/Szenen: als eine alltagskulturelle Einbettung in die Lebenswelt 

Framing: eine interne Aushandlung von gefühlten Welt- und Konfliktdeutungen. Wie wird ein Deutungsrahmen innerhalb der Bewegung entwickelt? Der Framing-Ansatz beschreibt, wie Deutungsrahmen von Bewegungen hinsichtlich Protestanlass, -ziel und Adressaten konstruiert werden. 

Neue Soziale Bewegungen: Ursachen gesellschaftlicher Grundwidersprüche, sozialstrukturelle Trägergruppen 

Ressourcen/ Mobilisation: Organisationskapazitäten. Der Ansatz der Ressourcenmobilisierung konzentriert sich auf die mobilisierbaren materiellen, ideellen und personellen Ressourcen.  

Political Opportunity structure: Es geht um Wechselverhältnisse und politische Möglichkeiten. Der Ansatz der politischen Gelegenheitsstrukturen erklärt das Auftreten und die Formen von Protest vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen Gegebenheiten.  

(Der Structural Strains-Ansatz führt die Entstehung sozialer Bewegungen auf − äußere − sozialstrukturelle und gesellschaftliche Wandlungsprozesse und Umbruchssituationen zurück.) 

Autonome sind in der Bewegungsforschung fast vollständig ignoriert worden. 

Erwähnenswert seien noch Rolf Schwendter (Theorie der Subkultur) und Walter Hollstein (Der Untergrund/ Die Gegengesellschaft). Das wäre zwar im Duktus der Zeit geschrieben, es seien aber Zeitdokumente.  

cultural studies 

In diesen wird das Moment von Alltagspraxis betont, Menschen erzeugen in ihrem Alltag Kultur und damit Klassenstruktur.

"Cultural studies erforschen die Bedeutung von Kultur als Alltagspraxis. Diese Bedeutungen werden als sozial konstruiert aufgefasst, das heißt sie sind keine vermeintlich „natürlichen“, sondern entstehen im Laufe der Kulturgeschichte.

In der Betrachtung von kulturellen Phänomenen der Gesellschaft wird nicht mehr vom vermeintlichen Gegensatz zwischen Populärkultur und Hochkultur ausgegangen. Wichtiges Anliegen ist das Überwinden eines ideologisch voreingenommenen Blickes. Die cultural studies untersuchen einzelne kulturelle Erscheinungen auf ihren Zusammenhang mit sozialstrukturellen Merkmalen, wie zum Beispiel Ethnie, Klasse, Schicht, Gender und sexueller Orientierung." (http://de.wikipedia.org/wiki/Cultural_studies) 

Begründer war Stuart Hall: http://de.wikipedia.org/wiki/Stuart_Hall_%28Soziologe%29

Das meist rezipierte Buch war: Resistance Through Rituals: Youth Subcultures in Post-War Britain http://books.google.de/

Wichtigen Einfluss hat auch die Rezeption von Antonio Gramsci und der Begriff der Hegemonie.

http://de.wikipedia.org/wiki/Antonio_Gramsci#Hegemonie

"Mit Hegemonie wird im Anschluss an Gramsci „ein Typus von Herrschaft benannt, der im Wesentlichen auf der Fähigkeit basiert, eigene Interessen als gesellschaftliche Allgemeininteressen zu definieren und durchzusetzen“[2]. (Vgl. dazu Universalismus und Partikularismus.) Die Orte der Auseinandersetzungen um Hegemonie bezeichnete Gramsci als Zivilgesellschaft. Seine Überlegungen zur Übersetzung weltanschaulicher Auffassungen in den „gesunden Menschenverstand“, zum Verhältnis von traditionell agierenden Intellektuellen und Parteien als „kollektiven Intellektuellen“ und ähnlichem ergeben ein Konzept eines widerständischen und demokratischen Kampfes um „kulturelle Hegemonie“. Ihr Gewinn schafft nach Gramsci erst die Möglichkeit von politischer Herrschaft, ihr Verlust untergräbt die herrschende Macht. Dabei reicht die kulturelle Hegemonie nach Gramsci bis in Formen der Alltagskultur und der Folklore, in den Aberglauben und ähnliches hinein."(http://de.wikipedia.org/wiki/Hegemonie) 

Ebenfalls großen Einfluß hat auch Bourdieu mit seinen Kapitalformen. Es gebe auch subkulturelles Kapital.

ökonomisches Kapital: Geld, Besitz an Produktionsmitteln

soziales Kapital: Vitamin B

kulturelles Kapital: der Habitus, der durch Sozialisation in der Familie, Schule, Uni, Beruf, Subkultur etc. erworben wird.

Zum Habitus gehören Geschmack, Sprache, Körperhaltung etc. Man vergleiche z.B. die Körperhaltung mit Wartenden im Jobcenter und in einem Mangagerseminar...

http://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Bourdieu

Soziologie ist ein Kampfsport: http://www.youtube.com/watch?v=oMa3WD68mpI&feature=related  

Gegenkultur und Subkultur 

Es wird unterschieden zwischen Gegenkulturen und Subkulturen.

Die Gegenkultur ist ein politisches Projekt, sie wendet sich gegen die herrschenden Verhältnisse. Die Subkultur wird dann politisch, wenn sie es sich bewußt machen.

"Gegenkultur beschreibt eine bestimmte, längerfristig gesellschaftlich wirksame Untergruppe einer gegebenen Kultur. Im Gegensatz zu einer „Subkultur“ wird – nach J. Milton Yinger – unter „Gegenkultur“ das Infragestellen von primären Werten und Normen der Mehrheitskultur verstanden. Dabei spielen mitunter (gesellschaftliche) Visionen und Utopievorstellungen eine Rolle. Einige Jugendkulturen des 20. Jahrhunderts  waren Gegenbewegungen: Wandervogel, Hippie-Bewegung, 68er-Bewegung, Provo-Bewegung, Neue Soziale Bewegungen.  Als eine Gegenkultur in der westlichen Welt wird seit den 1980er Jahren einigenorts die Punk-Bewegung verstanden. Allerdings ist m.E. das Modell zu statisch. Gegenkulturen sollen oftmals den Mittelschichten entstammen, viele Punks kamen aber auch aus unteren Schichten, ebenso die "Subkultur" in der DDR.  

Der Begriff der Subkultur („Unterkultur“) ist ein seit den 1940er Jahren in der Soziologie verwendeter Terminus, mit dem eine bestimmte Untergruppe der sozialen Akteure einer Kultur beschrieben wird, die sich im Hinblick auf zentrale Normen deutlich von der „herrschenden“ Kultur abgrenzen. Eine völlige Abgrenzung, also eine den herrschenden Normen diametral gegenübergestellte soziale Gruppe wurde von Soziologen (vor allem seit den Protestbewegungen der 1960er Jahre) häufig als „Gegenkultur“ (counterculture) bezeichnet." (aus wikipedia) Subkulturen stammen oft aus der Arbeiterklasse, wie Rocker und Skins.

Die Jugendkulturen grenzen sich von ihrer Stammkultur ab, also der Kultur der Eltern. Dabei werden Symbole umgedeutet, also mit anderen Bedeutungen gefüllt. Sie grenzen sich auch von der hegemonialen Kultur ab. Ob das allerdings die heutigen Jugendkulturen noch tun, ist z.T. fraglich. D.h. ob sie sich z.B. von ihren 68er Eltern abgrenzen oder vom neoliberalen Modell, wenn sie selbst eine Unternehmermentalität verinnerlicht haben.  

Die Subkultur zeichnet sich durch eine expressive Sprache, Jargon, Musik, Kleidung, ungebundene Freiheit, sexuelle Hyperaktivität, Rituale aus. Sie ist oft noch nicht in Beruf und Familie eingebunden, Probleme verlagern sie in die Freizeit.   

Bei der Subkultur ist der Stil die Identität. Sie verfügt über eine alternative Symbolwelt, die inszeniert wird. Man kombiniert die Kleidung (unterschiedliche Kombinationen von wild und angepasst), distanziert sich von der Dominanzkultur, hat subkulturelles Kapital (Bescheidwissen, Rhetorik totaler Inklusivität) und schließt jene aus, die nicht über das subkulturelle Kapital verfügen. (Exklusionsfunktionen) Es gebe eine "eingebildete Authentizität“ von Subkulturen. 

„Subkulturelles Kapital ist Dreh- und Angelpunkt einer alternativen Hierarchie, in der die Achsen von Alter, Geschlecht, Sexualität und ‚Rasse’ alle eingesetzt werden, um Bestimmungen von Klasse, Einkommen und Beruf möglichst zurückzudrängen.“ Um also das täuschende Bild von Inklusivität in Bezug auf die Klassenposition und Einkommenslage der Clubber aufrechtzuerhalten, werden Distinktionslinien entlang anderer Kategorien wie Alter oder Geschlecht gezogen. An keiner Stelle dieser beweglichen Kräftelinien wird man auf eine authentisch- widerständige Subkultur treffen. (Thornton)  

Trotz aller Kommerzialisierung von Jugendkultur sei die Jugend noch politisch, so Hall. In Form von Jugendrevolten ist die Jugend immer wieder politisches Subjekt. Es sei die Idee eines radikalen Ausbruchs aus den entfremdeten gesellschaftlichen Rollen. Politisierung erfolgte z.B. bei den Autonomen durch die „Politik in der ersten Person“.

Seit der Bildungsexpansion verblieben viele junge Menschen länger in einem Übergangsstadium an den Universitäten. Die wichtigsten Trägergruppen der frühen StudentInnenbewegung stammten aus gut situierten Elternhäusern. Sie lehnten die bürokratische Standardisierung der Erwerbsarbeit und die Kultur des Rückzugs ins Private ab. (Das Persönliche, Private ist politisch) Sie wollten eine radikale Befreiung von allen Konventionen.  

Sex& Drugs& Rock`n Roll: http://www.freiheitpur.i-networx.de/sexdrugsrock.html  

Jugendkulturen und ihre Zeit 

In der Adenauer Zeit, der Wohlstandsgesellschaft und der konservativen Hegemonie; in den USA gab es die Bürgerrechtsbewegung, kam um 1960 die Folk- Bewegung auf. 

Um 1970 entstand der Rock. Es werden Ideale in die Rockmusik projiziert. Es ist das Symbol, trotz widriger Umstände etwas bewegen. Der politische Inhalt des eigenen Tuns wird kollektiv bestätigt. „ Gerade jene authentischen  Symbole der Devianz sind es, durch die sich die Erlebnisgesellschaft auf ihrer Suche nach dem permanent Neuen reproduziert.“ ( Schwanhäußer)

Die Zeit Anfang der 70er Jahre unter Brandt war von einer sozialdemokratischen Euphorie geprägt. 74/75 begann dann die Krise des Fordismus. Es gab Suchbewegungen. Hippies. 68 die Studentenrevolte, der Prager Frühling. Wilde Streiks, Betriebsintervention, Randgruppenstrategie, Frauenbewegung, Spontis, K-Gruppen, Hausbesetzerbewegung, Alternativbewegung.  

Um 1980 entstand der Punk. Unter Schmidt gab es eine Tendenzwende, schließlich kam Kohl. In Berlin regierte die CDU. Es gab ein neoliberales "Roll back", die Sparpolitik begann. Es entstanden die Autonomen. Hausbesetzerbewegung, Anti-AKW-Proteste, Friedensbewegung. Grüne. Die alternativen Projekte schufen sich eigene Strukturen. Die alte Arbeiterbewegung war kooperatistisch eingebunden, die Linke konzentrierte sich auf die Reproduktion. Von der Arbeiterklasse und Randgruppen wendete man sich ab und befand sich in der Mittelschichtssackgasse, ein Grund für die Verbürgerlichung der Grünen. 

Um 1990 entstand Techno. Das neoliberale Modell setzte sich durch, auch bei SPD und Grünen. (Neue Mitte, Dritter Weg). Die sozialen Disziplinierungsprogramme wurden verschärft, die Prekarisierung nahm rasant zu. In Berlin war die Hausbesetzerbewegung bedeutsam, auch für Techno. 

Um 2000 war dann die Zeit der Revivals und Neukombinationen. Es war der Beginn der Krise des Neoliberalismus. Die globalisierungskritische Bewegung entstand.  

Um 2010 gab es musikalisch nichts Neues. Aber politisch. Die Anti- Gentrifizierungsbewegung "Recht auf Stadt". Krisenproteste. Stuttgart 21, Anti-AKW. Revolten im arabischen Raum...Rechtspopulismus in Europa.  

Die Hippies 

In die Friedhofsruhe der 50er Jahre in den USA brach die Bürgerrechtsbewegung ein.

"Der Busboykott von Montgomery von 1955/56 wird als Geburtsstunde der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung angesehen. Infolge der Festnahme von Rosa Parks, die sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz in einem Bus in Montgomery, Alabama, für einen Weißen zu räumen, boykottierte die afroamerikanische Bevölkerung der Stadt 13 Monate lang das Busunternehmen. Zusätzlich reichte eine Gruppe Betroffener Klage ein (Gayle v. Browder), mit der Begründung, die Regeln der Rassentrennung des Busunternehmens verstießen gegen den 14. Zusatzartikel zur Verfassung. Dieser Klage wurde mit Verweis auf die Grundsatzentscheidung Brown v. Board of Education stattgegeben, was der Oberste Gerichtshof am 13. November 1956 bestätigte....

Mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams, zu dem der gewaltlose Widerstand mit unterschiedlichen Formen des friedlichen Protests gehörte, konnte die Bürgerrechtsbewegung die Aufhebung der institutionellen Segregationspolitik in den US-Südstaaten durchsetzen." 1964 war der Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung, mit einem Marsch auf Washington.

http://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrgerrechtsbewegung  

Die Bildungsexpansion hatte in den USA schon früher eingesetzt, als in Deutschland. Die ersten Studentenproteste fanden in Berkley statt. "Die Free Speech Movement (FSM, Bewegung für Meinungsfreiheit) war eine studentische Protestaktion, die im Jahr 1964 an der University of California, Berkeley als Reaktion auf die von der Universitätsleitung veranlasste Einschränkung der politischen Betätigungsmöglichkeiten für studentische Gruppierungen gegründet wurde. In den Protesten forderten Studenten zum ersten Mal eine Anerkennung ihrer Rechte auf freie Rede und freie Forschung."

http://de.wikipedia.org/wiki/Free_Speech_Movement

Filmtipp: Berkley in the Sixties:  http://en.wikipedia.org/wiki/Berkeley_in_the_Sixties

Auslöser in den USA für die Studentenrevolte 1968 war der Vietnamkrieg. 

Wichtig waren aber auch die Hippies. Gemeinsam mit der Bürgerrechtsbewegung, den vorherigen Studentenprotesten und der Kulturrevolte der Hippies mit dem Auslöser Vietnamkrieg kam es schließlich zur Studentenrevolte 1968. Es setzte ein Radikalisierungsprozeß ein. 68-70 lag das Gefühl eines Bürgerkrieges in den USA in der Luft. Nach 1968 ging es auch in Deutschland in zwei Richtungen, die des Dogmatismus und die der Gegenkultur.  

Nun zur Gegenkultur der Hippies. Das Motiv des Aussteigens trat massenhaft auf. Herrschende Normen wurden mit diesem Aussteigerideal abgelehnt. Die Hippies identifizierten sich mit Außenseitern und Randexistenzen.

Körperliche Expressivität stand im Mittelpunkt, vor allem bei der Musik. Rockmusik wurde gemeinsam produziert. Sie drückte eine radikale Befreiung von allen Konventionen und eine überwältigende Entfesselung aus. Die Rockmusik faszinierte.

Die Hippies lehnten die Lohnarbeit fundamental ab. Sie identifizieren sich mit Armen und idealisierten die Armut. Viele bettelten. Schließlich schufen sie sich eigene Strukturen wie Tauschringe, Umsonstläden, caritative Einrichtungen. (Diggers)

Sie flüchteten oft aus den Vororten der Mittelschichten in die Städte und romantisierten zugleich die Natur und kleine Idylle. Nach der Hippie-Welle zogen sie sich oft in Kommunen auf dem Land zurück. Aber auch in Mystizismus und Esoterik. Kennzeichnend für diese Bewegung war der große Aufbruch in den Osten, Richtung Indien und seiner orientalischen Mystik.  

Das kulturrevolutionäre Element hat die Zeit mindestens so stark geprägt, wie das Politische.

Es gab ausgeprägte Tendenzen von anarchistischen Ideen. Die neuen kulturellen Formen sind für viele langfristig prägend geblieben. (Duzen, neue Formen des Zusammenlebens, Kinder- und Schülerläden, Musik etc.) Bei der Politik sieht das anderes aus. Viele der Hippies aus der Mittelschicht haben sich wieder in die Gesellschaft integriert. Andere, vor allem aus den Unterschichten, haben sich durch einen enormen Drogenkonsum, zugrunde gerichtet, viele sind tot.  

Buchtipp: Hippies von Barry Miles (Taschenbuch - 1. Februar 2005)  

Die Autonomen 

Berlin, Hamburg und Frankfurt waren die Hochburgen der Autonomen. Sie sind aus dem Kontext der zweiten Mobilisierungswelle der neuen sozialen Bewegungen Anfang der 80er Jahre entstanden. Die Themen lagen vor allem im Reproduktionsbereich, Hausbesetzungen, Friedensbewegung, Anti-AKW, Startbahn West. Die Autonomen grenzten sich von den dogmatischen K-Gruppen ab, die sich auch auflösten, und von dem gemäßigten Block. Den Grünen, die den Marsch durch die Institutionen antraten. Der Friedensbewegung, die große Bündnisse einging. Der gemäßigten Alternativbewegung mit ihrem alternativen Bildungsbürgertum. Sie verwiesen auf die Sponti-Szene der 70er Jahre, wollten antistaatliche und radikale Politik machen, die Politik der 1. Person, verknüpft mit der Alltagskultur. Sie bauten gegenkulturelle Initiativen mit basisdemokratischen Strukturen auf. (besetzte Häuser, Plenas etc.) Es wurde ein bestimmter habitueller Code entwickelt, der über die Zugehörigkeit entschied. Seit Ende der 80er Jahre wurde gegen die Yuppisierung der Innenstädte mobilisiert, gegen die ehemaligen mittlerweile verbürgerlichten neuen sozialen Bewegungen (z.B. taz). 1988 gab es Proteste gegen den IWF. Zuvor hatte es lange Diskussionen gegeben.  

Daraus entwickelt sich die Heinz Schenk- und Organisationsdebatte: http://books.google.de/ 

1990 gibt es in Ostberlin dann einen Aufschwung der Hausbesetzerbewegung. Es setzt auch eine Kritik an der Politik der 1. Person, der eigenen Betroffenheit ein, die zu wenig in die Breite der Gesellschaft geht. Die Dominanz der Mittelschichts- Subkultur wird kritisiert. Die Autonomen beschäftigen sich viel mit sich selbst, man will aber über die Szene hinauswirken.

1991 entsteht die Gruppe FelS, die sich offen gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen zeigt. Sie öffnet sich stärker und reflektiert intellektuell. Trotzdem kommen die Autonomen kaum über den Szenehorizont hinaus.

Mitte der 90er Jahre kommt die Gender-Diskussion hinzu, Judith Butler wird rezipiert. Der Diskurs ist allerdings nach innen gerichtet. (z.B. in der Interim) Themen sind neben Sexismus auch Antifaschismus, aufgrund der Übergriffe Anfang der 90er Jahre, und Antirassismus, wobei jetzt auch Stellvertreterpolitik betrieben wird.

In den 90er Jahren bilden sich auch sektiererische Gruppen, wie die Antideutschen im Konflikt mit den Antiimps. 

Erst Ende der 90er Jahre mit der globalisierungskritischen Bewegung und später Heiligendamm gelingt auch die Interaktion mit anderen Spektren, Höhepunkt ist Genua. Man bedient sich zunehmend situationistischer Elemente. (Spaßguerilla, Happenings etc.)  

M.E. führt die Eventkultur (Gipfelhopping wie auch Clubkultur) und die Suche nach dem Kick eben nicht dazu, dass sich Leute mit dem eigenen prekären Alltag beschäftigen und sich in die "Mühen der Ebenen", die alltägliche linke Kleinstarbeit begeben. Dann durchlaufen sie nicht Lernprozesse und sind mit 30 wieder aus der Linken verschwunden.

Mit dem Krieg gegen den Terror ab 2001 nimmt die Kritik am Gipfelhopping zu, nun konzentrieren sich Autonome mehr auf lokale Aktivitäten. In der Sozialforumsbewegung versucht man die lokale mit der globalen Ebene zu verknüpfen. Es gibt Versuche, Häuser zu besetzen, um ein soziales Zentrum aufzubauen. 2005 wird ein Seitenflügel des Bethanien besetzt. Es gründet sich eine Initiative für Bethanien.

Schließlich öffnet sich die linksradikale Szene auch für das hedonistische Milieu. Techno spielt in der linken Szene eine größere Rolle. Seit 2008 im Rahmen der Krisenproteste wird auch die Stadtpolitik als Folge der Privatisierung des Sozialen Wohnungsbaus zum Thema. Man wird zusehends stadtpolitisch aktiver, so entsteht Megaspree und Recht auf Stadt in Hamburg und dann Berlin.  

Die radikale Linke versuchte zunächst eine Öffnung durch Sozialforen, was in Berlin gescheitert ist. Mit den stadtpolitischen Initiativen scheint das besser zu gelingen.  

Literatur: Sebastian Haunss: "Identität in Bewegung", Bewegung. Prozesse kollektiver Identität bei den Autonomen und in der Schwulenbewegung. (Wiesbaden 2004)

Autonome in Bewegung: Aus den ersten 23 Jahren (Assoziation A 2003) Feuer und Flamme 

Techno 

Techno entsteht in einer Zeit, wo die neoliberale Ideologie hegemonial ist. Techno symbolisiert die "Erlebnisgesellschaft". "Wir wollen nicht leistungsfähig sein, wir wollen spielen. Wir finden uns in den Integrationsangeboten nicht wieder", so ein Seminarteilnehmer. Dabei muß man aber zwischen kommerzialisierten Formen wie der Love-Parade und dem Techno- Underground unterscheiden, letzteres sei ein Gegenraum, der sich rauszieht. Der Techno-Underground sei verknüpft mit Wagenburgen, Hausbesetzern und mit der Anti-Gentrifizierungsbewegung. Die Szene ist insgesamt sehr heterogen, sowohl von den musikalischen Richtungen, als auch vom Publikum.   

1990 ist Techno in Berlin entstanden (80er Jahre Westbam), durch einen enormen Leerstand und Brachen. Diese wurden für den Technountergrund umfunktioniert. Die Inszenierung und Umgestaltung der Räume wurde zur Hauptbeschäftigung, die locations und die Subjekte inszenieren sich. 1990 war eben ein rechtsfreier Raum und großer Leerstand in Ostberlin, Berlin wurde zu einem Labor für alternative Lebensstile. Viele haben heute existentielle Sorgen, aber die Pflicht zum Genuss (zwar einen Leidensdruck, aber in einer oberflächlichen Szene). Es geht um das Hier und Jetzt in der Erlebnisgesellschaft. Ihre Ordnung ist der Wandel, sie propagieren permanenten Wandel. In die Techno-Szene fließt sowohl die anarchistische Hausbesetzerbewegung (Leerstand) als auch die Hippiekultur (Flower Power) ein. Die Gesellschaft ist subkultureller geworden, der „Kult der Zerstreuung“ ist zur dominanten Kultur geworden.  

Techno kommt ursprünglich mit House aus Chicago. Dann wird Techno in Detroit in leeren Fabrikhallen gespielt:

http://de.wikipedia.org/wiki/Underground_Resistance

In Manchester ist "Die Hacienda" mit dem Aufstieg von Acid House und Rave- Musik verbunden.

In Berlin ist der Club Tresor zentral in den 90er Jahren. http://de.wikipedia.org/wiki/Tresor_%28Club%29  

Insgesamt ist es aber eine wandernde Clubkultur, es geht immer um Aktualität. Ende der 90er Jahre setzte eine starke Kommerzialisierung ein (siehe Love Parade). Dann zog sich die Szene wieder in den Underground zurück. Mitte der 2000er gab es wieder einen Hype um das Berghain und Club 25, sowie den Partytourismus. Mittlerweile werden in der Techno-Szene auch verträumte Hippieelemente eingebaut, wie Naturelemente, Verkleidungen, Raumästhetik etc.  

In der Techno-Szene in Berlin gibt es eine Abgrenzung der mittelschichtsgeprägten Kultur, dem kreativen Milieu, das am Puls der Zeit sein will, von der Szene, die proletarisch, ostdeutsch und ländlich geprägt ist, letzte pflegen den traditionellen Stil. Diese beiden Szenen differenzieren sich noch aus. 

Das Berghain zelebriert eine düstere, existentialistische Ästhetik, beleuchtet die abgründigen Seiten der Gesellschaft. Der Sound ist sehr schwer:  http://de.wikipedia.org/wiki/Berghain  

Berühmt berüchtigt der Türsteher Sven Marquardt: http://de.wikipedia.org/wiki/Sven_Marquardt  

Tobias Rapp schreibt über das Berghain "Was auch mit dem parallelgesellschaftlichen Charme des Ladens zu tun hat, hier funktioniert es tatsächlich, die restliche Welt auszuschalten. Oder noch besser: sie sogar als Effekt einzusetzen, als zusätzliche Stimulanz, als zusätzliche Stimulanz, als Intensivierungsmaschinerie." (Rapp, S.147)  

In der Bar 25 ist dagegen das Selbstdarstellungselement stärker (feel good- Stimmung) Es ist dort verspielter, unschuldiger, kindlicher. http://de.wikipedia.org/wiki/Bar_25  

In der Techno-Szene gibt es sowohl a-politische Leute, die sich gut integrieren lassen, als auch bewußt Politische im Techno-Underground. Wo gibt es ein latentes alternatives Wertesystem in kritischer Distanz zum Mainstream und wo gibt es einen Übergang zum Oppositionellen? Wie ist das Verhältnis von Hedonismus in Konfrontation mit der Zuspitzung der Verwertungslogik, wenn Räume ausgetrocknet werden. Wenn gemütliche Nischen unter Druck geraten.  

Es gibt einen Szenekern, der gleichzeitig auch mit Techno seine Existenz sichert. Der Job fällt mit der Szeneaktivität zusammen. Und es gibt Techno-Fans, die woanders arbeiten und dort nur feiern, wo Arbeit und Freizeit getrennt sind. Oftmals sind Clubs auch Beziehungsbörsen. Im Club 25 werden z.B. auch Kontakte gepflegt, über die man die Existenz absichert, da es einen Zwang zur Selbstvermarktung gebe. Es gibt das Bedürfnis antikommerziell zu sein, andererseits besteht auch existentieller Druck. Ökonomische Zwänge sind präsent. Viele finden für ihre Produkte keine Absatzmärkte. Einerseits wird die Leidenschaft zum Beruf gemacht. Andererseits besteht die Gefahr der Kommerzialisierung. Man gerät in die ökonomische Logik und muß unternehmerisch denken.

Wann handle ich instrumentell, wann gehe ich meiner Leidenschaft nach? Es existieren Selbstökonomisierungszwänge.

Die meisten in der Szene würden lieben, was sie machen. Das sei ein subkultureller Impuls. Sie sagen dann, komm mir nicht mit staatlichen Regulierungen. Gleichzeitig sind sie mit großen Marktakteuren konfrontiert, die sie plattmachen.  

Veranstaltungstipp: Techno zwischen Stadtpolitik und Arbeitswelt

Kreativwirtschaft und stadtpolitische Initiativen in Berlin  

Berlin nach 1989 war gekennzeichnet durch die Hausbesetzerbewegung und die Techno-Szene. Gleichzeitig durch niedrige Löhne und billige Mieten/ Lebenshaltungskosten und schließlich durch eine Aufwärtsspirale der Aufwertung, Profiteure sind letztlich die neuen Mittelschichten und die Immobilienbesitzer.  

Berlin kreiert sich als Marke, dazu gehört das innovativ-kreative Milieu und die Club- und Subkultur. Ganze Stadtteile werden durch eine touristische Infrastruktur übernommen. Durch Politik und Investitionskapital wird die Unverwechselbarkeit zerstört, es ist eine ständig weiter ziehende Karawane der Zwischennutzer.  

Ingo Bader schreibt, dass es eine reflektierte Kooperation zwischen linken Akteuren in Linkspartei, Gewerkschaften und außerparlamentarischer Bewegung geben muß.  

Margit Mayer meint dagegen, dass es institutionellen Akteuren immer wieder gelingt, kritische Akteure für sich zu vereinnahmen und in die Wettbewerbslogik einzuspannen.  

Es gibt zwei Tendenzen: 

Kreative und Yuppies werden als Feindbild gesehen, weil sie die Träger der Gentrifizierung sind. Nicht jede/r Kreative ist allerdings Gentrifizierer, weil er/sie selbst wieder verdrängt wird und in der Existenz bedroht ist.

Künstler hatten mal ein anderes symphatisches Image (bei mir): Hier "ver-rückte" Künstlerexistenzen:

http://www.freiheitpur.i-networx.de/verrueckte%5B1%5D.pdf

Heute wollen viele Kreative sind, auch wenn sie nur Youghurt-Becher "designen". (wie früher die Flut der Sozialarbeiter)

Robert Kurz hat das gut beschrieben in: Die Welt als Wille und Design. Postmoderne, Lifestyle-Linke und die Ästhetisierung der Krise. Die junge Mittelschichtsgeneration auf der Suche nach Arbeit in der Kulturindustrie.  

Andererseits sind Initiativen entstanden, zusammen mit der Berliner Mietergemeinschaft, die Mietgrenzen einführen und die Immobilienmärkte regulieren wollen.  

Prekarisierung: Sozial-+Kulturkritik? 

Heute muß es um eine Verknüpfung der Kulturkritik mit der Sozialkritik gehen, Prekarisierung wäre daher eines der existentiellsten Themen dieser Zeit. Es geht also nicht nur darum, Arbeitsplätze z.B. in der Auto- und Waschmaschinenproduktion zu sichern, also um traditionelle Arbeitskämpfe, sondern darum, auch die Überproduktion aus ökologischer Sicht zu kritisieren, eine imperiale Lebensweise, die in die Klimakatastrophe führt. Die Sozialkritiker müssen lernen, dass es auch um kulturkritische Aspekte geht. Die Kulturkritiker müssen lernen, auch die eigene und gesellschaftliche soziale Situation zu hinterfragen. Nicht nur die Reproduktion (wie die Wohnsituation), sondern auch die eigene Beschäftigungs- oder Erwerbslosenexistenz muß thematisiert werden.  

Robert Kurz hat in seinem Buch „Die Welt als Wille und Design“ gut beschrieben, warum viele der „postmodernen Youngsters“ keine Probleme mit ihren prekären Arbeitsverhältnissen haben, nämlich weil sie im Gegensatz zur Lidl-Verkäuferin oftmals einen finanziellen Hintergrund aufgrund ihrer Mittelschichtsherkunft haben.

Privathaushalte in Deutschland hatten zum Ende des Auftaktquartals 2011 ein Geldvermögen von 4,825 Billionen Euro. Sachwerte wie Immobilienbesitz sind darin nicht erhalten. Der Anstieg kommt durch  kräftige Zuwächse bei Bankeinlagen, Wertpapieren und Ansprüchen gegenüber Versicherungen zustande.  
 

Und zum Schluß ein persönliches Erlebnis: 

Szene in einer Weiterbildung.
An den Tischen sitzen die Teilnehmer, leises Gemurmel, vorne steht der langhaarige Lehrer. 

Lehrer: Die Märkte sind gesättigt, es geht nur noch um Verdrängung. Faktisch ist alles gleich, es müssen Unterschiede suggeriert werden. Sie müssen sich als Marke begreifen und als relevante Marke präsentieren. Sie müssen als Marke zum Kopf der Menschen vordringen. 

Sie murmelt leise: Ich bin schon so eine Marke. 

Lehrer: Sie müssen sich Tummeln. Networking, das hatten sie ja schon, einen Kontaktplan aufstellen. PR hatten sie ja auch schon. Da müssen sie bestehende Meinungen unterstützen. Sie müssen Selbst-PR machen. 

Lehrer wird lauter und gewichtiger: Und vor allem, Sie müssen trennen, was sie wirklich sind und was Erfolg bringt. 

Musik: Ton Steine Scherben, Die letzte Schlacht gewinnen wir 

Literatur des Readers: 

Oliver Marchart:Cultural Studies, Konstanz 2008
Max Lill: Rockmusik als Utopie 'authentischer Öffentlichkeit"
Stuart Hall: The Hippies In: Nagel, Student Power, London 1969
Anja Schwanhäußer, Kosmonauten des Underground, Frankfurt/New York 2010
Tobias Rapp, Lost und Sound, Frankfurt 2009
Ingo Bader, Be creative? In: Holm etc., Linke Metroplenpolitik, Berlin, Münster 2011
Margit Mayer, Recht auf Stadt- Bewegungen in historisch und räumlich vergleichender Perspektive, in Holm/Gebhardt, Initiativen für ein Recht auf Stadt
Die Große Krise. Hamburg 2010
 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text von der Autorin.