Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Die Republik der Skandale

10/11

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In der Schlussphase der, voraussichtlich ihrem Ende zugehenden, Präsidentschaft Sarkozy wird die Staatsspitze durch immer neue Enthüllungen diskreditiert. Im Mittelpunkt stehen u.a. Rüstungsexporte, die für (illegale) Finanzflüsse in die französische Politik sorgten.

Wird Frankreich Präsident Nicolas Sarkozy das „Superwahljahr“ 2012, in dem von Ende April bis im Juni nacheinander Präsidentschafts- und Parlamentswahlen anstehen, halbwegs ungeschoren erreichen? Oder wird er derart „gerupft“ aussehen, dass er nur noch eine peinliche Figur abgibt? Diese Frage stellen sich derzeit immer mehr Beobachter.  

In den letzten Wochen spitzt sich der Druck von Medien und Justiz zu, der durch immer neue Enthüllungen über wenige Jahre zurückliegende Praktiken der illegalen Parteienfinanzierung durch Rüstungsgeschäfte ausgelöst wurde. Besonders der Verkauf von Rüstungsgütern an Pakistan, Saudi-Arabien und in jüngerer Vergangenheit auch an Libyen - noch unter Muammar al-Qadhafi (eingedeutscht ,Gaddafi’) -  hatte offenkundig zur Zahlung von illegalen „Kommissionen“ an diverse Unterhändler den Anlass gegeben. Letztere flossen dann zum Teil, unter dem Tisch, an französische Politiker zurück. 

Besonders im Visier steht dabei der frühere französische Premierminister der Jahre 1993 bis 95, Edouard Balladur: Da dieser nicht über einen eigenen Parteiapparat verfügte, weil er als Rivale innerhalb der damaligen neogaullistischen Partei RPR gegen deren Vorsitzenden Jacques Chirac zur Präsidentschaftswahl 1995 kandidierte, konnte er nicht auf gefüllte Parteikassen zurückgreifen. Um dennoch über eine „Kriegskasse“ zu verfügen und eine Kandidatur - die mangels massenhafter Anhängerzahl von bezahlten Aktivisten unterstützt werden musste - zu finanzieren, baute er auf Gelder aus solchen Rüstungsgeschäften. Balladur Haushaltsminister und Sprecher während seines Wahlkampfs hieß Nicolas Sarkozy.

Seit Juli dieses Jahres häufen sich die Ermittlungen. Gegen Sarkozys Ex-Innenminister und jetzigen Berater Brice Hortefeux – der unter anderem aufgrund seiner erstinstanzlichen Verurteilung wegen rassistischer Äußerungen über einen vermeintlich arabischstämmigen Parteifreund, Amine Benalia-Brouch, vor acht Monaten aus dem Ministeramt abgelöst wurde - läuft seit Ende September 11 ein Strafverfahren. Die Untersuchungsrichter hatten herausgefunden, dass Hortefeux einem im Zentrum der Ermittlungen stehenden Vermittler von Waffengeschäften, es handelt sich um Sarkozys Ex-Berater Thierry Gaubert, jüngst am Telefon Tipps erteilt hatte. Über dessen Exfrau - Prinzessin Helen von Jugoslawien - hatte er ihm telefonisch mitgeteilt, dass „Hélène anscheinend ziemlich viel (bei der Polizei) auspetzt“. Von seiner derzeitigen Funktion her konnte Hortefeux keinerlei rechtmäßig erfolgenden Zugang zu diesem Wissen besitzen. Am Donnerstag vergangener Woche wurde Hortefeux deswegen polizeilich vernommen. Er bestreitet jedoch alle Vorwürfe in dieser Angelegenheit energisch. 

Gleichzeitig platze am 11. September 11 eine zusätzliche Bombe. An jenem Sonntag plauderte der Pariser Anwalt Robert Bourgi, der seit 25 Jahren als Mittelsmann zwischen der französischen Politik und diversen Autokraten in Frankreichs neokolonialer Einflusssphäre in Afrika diente, in der Wochenendzeitung Journal du dimanche munter drauf los. Er berichtete über mit Bargeld gefüllte Koffer, die er bei Ex-Präsident Jacques Chirac und Ex-Premierminister Dominique de Villepin abgegeben habe: „20 Millionen Euro im Jahr“. Gelder, die den oft armen und Not leidenden afrikanischen Staaten gestohlen und zwischen französischen Politikern sowie örtlichen Potentaten aufgeteilt wurden. Die Geschichte war am darauffolgenden Montag auf vielen Titelseiten, die Pariser Abendzeitung Le Monde sah „Feuer an die Republik“ gelegt.

Bourgis Auslassungen stehen im Zusammenhang mit einem wenigen Tage später erschienenen Buch des nationalistischen und populistischen „Enthüllungsjournalisten“ Pierre Péan. In dessen neuestem Werk, La République des mallettes (ungefähr: „Die Republik der Geldkoffer“), geht es um diverse Finanzskandale, bei denen Politiker und ihre Günstlinge insbesondere zum Dank für das Einfädeln von Waffengeschäften mit Millionenzahlungen belohnt worden waren. Die  Bourgi hatte Pierre Péan als Gesprächspartner zur Verfügung gestanden. Die im Kern seit längerem - besonders seit dem 1994 ausgebrochenen „Elf-Skandal“ um den damaligen französischen Ölkonzern Elf Aquitaine - bekannten Praktiken der Abschöpfung von Geldern aus den französischen Vasallenstaaten in Afrika a wurden dabei durch anschauliche Schilderungen aufgepeppt. So schilderte er, wie Chiracs früherer Berater und zeitweiliger Außenminister de Villepin vom Präsidenten Burkina Fasos, Blaise Compaoré, mehrere traditionelle Trommeln in Empfang nahm. Die Trommeln seien so schwer gewesen, dass er, Bourgi, sich beinahe einen Rückenbruch zugezogen hätte: Sie seien in den Hohlräumen mit Geldscheinbündeln ausgestopft gewesen. 

Nicolas Sarkozy selbst belastete Bourgi, der in den Jahren 2008 bis 10 in wesentlichen Teilen dessen Afrikapolitik mit gestaltete, zwar nicht direkt. Als Empfänger von Geldzahlungen bezeichnete er dessen Vorgänger Chirac und seinen Erzrivalen de Villepin. Allerdings erklârte Bourgi, Sarkozy sei seit 2005 Mitwisser dieser Praktiken gewesen. Abgesehen davon, dass niemand glaubt, diese Praxis habe mit dem Wechsel im Präsidentenamt (2007) ein jähes Ende genommen - selbst wenn dem so wäre, hätte sich Sarkozy allein nach dem bisherigen Stand schon strafbar gemacht. Als Innenminister wäre er nämlich, bei Kenntnis strafbarer Handlungen durch Politikerkollegen, gesetzlich zur Anzeige verpflichtet gewesen. (Aber natürlich dürfte in Wirklichkeit auch Sarkozy profitiert haben.)  

Auch wenn die Enthüllungen nicht in allen Einzelheiten bewiesen sind - natürlich gibt es keine sonstigen gesprächsbereiten Augenzeugen -, so sind sie doch im Grundsatz „plausibel“, da sie im Prinzip nur Bekanntes bestätigen. Den Kontext dafür bilden der neokoloniale Rohstoffraub in Afrika und der Charakter einheimischer Eliten, die keinerlei Interesse an einer Entwicklung ihrer „eigenen“ Länder haben, da sie ihre durch Korruption angehäuften Vermögen ohnehin in Frankreich oder in der Schweiz investieren, etwa im Immobilien- und Bankensektor.

Und dennoch boten die Auslassungen Bourgis in einigen Punkten Neues. So belastete er auch den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen als Empfänger solcher Zahlungen, insbesondere vom früheren Präsidenten der Erdölrepublik Gabun, Omar Bongo, der von 1967 bis zu seinem Tod im Juni 2009 ununterbrochen regierte - sein Nachfolger ist seitdem eines seiner über 50 Kinder, sein Lieblingssohn  und früherer Verteidigungsminister Ali Ben Bongo. Aufgrund seiner Jahrzehnte langen Kenntnis der französischen Politik und weil er über viel „belastendes“ Material verfügte, da er seine Besucher stets filmen ließ, konnte Omar Bongo in den letzten Jahren, obwohl er einem total vom Neokolonialismus abhängigen Staat vorstand, doch einigen aktiven Einfluss in der Pariser Innenpolitik ausüben. Péan schildert sogar, wie er den Regierenden seine Empfehlungen für die Kabinettsbildung abgab - in den Jahren nach 2002 habe er Präsident Chirac so empfohlen, Sarkozy zum Premierminister zu machen, diesem Rat folgte Jacques Chirac jedoch nicht.

Bisher schon war bekannt, dass auch Jean-Marie Le Pen und sein Umfeld an den Ausbeutungspraktiken in der neokolonialen Einflusssphäre Frankreichs in Afrika partizipierten. So bereiste Le Pen (senior) im April 1987 drei Schlüsselstaaten der damaligen Einflusszone Frankreichs auf dem Kontinent, deren Grenzen sich zwischenzeitlich ein wenig hin- und herverschoben haben: Côte d’Ivoire, Gabun und das damalige Zaire unter dem operettenreifen Diktator Mobutu Sese Seko. Dort besuchte der damalige FN-Chef die „Auslandsfranzosen“, von denen viele aktive Träger des Neokolonialismus waren. Seinen Präsidentschaftswahlkampf 1988 eröffnete Jean-Marie Le Pen, wohl nicht zufällig, am 18. April 1987 in Libreville, der Hauptstadt von Gabun. Von dort aus verkündete er seine Präsidentschaftskandidatur in Frankreich. Dabei dürften, nun ja, finanzielle Motive in nicht geringem Ausmaß den Ausschlag gegeben haben.

Robert Bourgi formulierte dies am 12. September in einem Radiosender nun wie folgt: „Es hat Jean-Marie Le Pen nicht gestört, das Geld von einem Neger zu nehmen.“ Unter Anspielung, vielleicht, auf eine ironische Selbstbezeichnung Omar Bongos. Letztere im Winter 2000/01 ein autobiographisches Buch in Frankreich, um sich gegen damals bereits laut gewordene Vorwürfe bezüglich seiner Herrschaftspraktiken zu verteidigen. Sein Titel lautete: Blanc comme nègre, also „Weiß wie ein Neger“. Dies sollte ungefähr so viel ausdrücken wie die Vorstellung, er selbst habe eine wirklich blütenweiße Weste, und alle Vorwürfe gegen ihn beruhten lediglich auf Rassismus.

Der französische Oberrassist und langjährige Vorsitzende des Front National (FN) - den heute seine Tochter Marine Le Pen führt - giftete infolge der Enthüllungen zurück, Robert Bourgi sei „ein Lügner“. Ferner sei er „ein schiitischer Araber“; Bourgi ist libanesischer Abstammung, in vielen französischen Ex-Kolonien in Westafrika kontrollieren libanesische Familien Teile des Handels, wie die seinige im Senegal. Und er - Le Pen - glaube nun einmal „meinen Landsleuten eher als einem Ausländer“. Um das Ganze abzurunden, fügte Jean-Marine auch noch hinzu: „Wenn wir gerade bei Gerüchten sind, es ist mir zugetragen worden, dass Bourgi im Bois de Boulogne“ - einem als Prostitutionsgebiet bekannten Pariser Stadtwald - anschaffen geht. Aber mit dem Gesicht, das er hat, dürfte er nicht viel Geld verdienen!“ Doch am 28. September 11 bestätigte Bongos früherer Premierminister, Jean Eyedhe Ndong, die Äußerungen Bourgis über die finanziellen Verbindungen zwischen dem verstorbenen Präsidenten Gabuns und Jean-Marie Le Pen.  

Vor diesem Hintergrund fällt es dem Front National nun schwerer, sein Saubermann- oder, unter Marine Le Pen, Sauberfrauimage zu kultivieren. Dennoch behauptete die heutige Vorsitzende bei einer Großveranstaltung im September, die Enthüllungen dienten nur dazu, „die einzige saubere Partei in Frankreich“ und die „einzige Kandidatin“ mit Schmutz zu bewerfen. Also sie selbst.

Eine weitere Quelle von Unbehagen für Sarkozy und seine Umgebung liegt in den Strafverfahren, die vergangene Woche gegen den Chef des Inlandsgeheimdiensts DCRI - „Zentraldirektion für inneres Nachrichtenwesen“ - Bernard Squarcini und den nationalen Polizeichef Frédéric Péchenard eingeleitet wurden. Beiden wird vorgeworfen, einen Journalisten der liberalen Abendzeitung Le Monde auf illegale Weise bespitzelt zu haben. Ihre Dienste hatten im vergangenen Jahr die telefonischen Kommunikationsdaten des Journalisten bei dessen Telefonanbieter angefordert - und erhalten -, um herauszufinden, mit wem er telefoniert hatte. Es ging darum, zu erahnen, von wem er Angaben zu einem Strafverfahren gegen Regierungspolitiker, unter ihnen der damalige Arbeitsminister Eric Woerth, erhalten haben könnte. Es ging um illegale Finanzierung durch die Milliardärin Liliane Bettencourt und gleichzeitige Deckung von Steuerhinterziehung durch die Dame in zweistelliger Millionenhöhe. 

Innenminister Claude Guéant sieht jedoch, trotz eingeleiteten Strafverfahrens gegen die beiden Chefs „sensibler“ Apparate, keinen Grund zu ihrer Entlassung. Letztere hat inzwischen der sozialdemokratische Politiker François Hollande - derzeit der aussichtsreichste Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei - gefordert. Guéant hält die beiden jedoch für „verdienstvolle Mitarbeiter“. Lediglich die am 07. September geplante Verleihung eines Ordens an den obersten Polizeichef Péchenard hielt er für inopportun, die Ehrung wurde daraufhin aufgeschoben.

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor.