Betrieb & Gewerkschaft
Neue „alte“ Dienstverhältnisse
Einige Anmerkungen zur Arbeit in Minijobs

von
Karl Müller

10/11

trend
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Minijobs sind in der BRD keine Ausnahme mehr.  Laut Spiegel vom 26.04.2011 arbeiten rund 7,3 Millionen Menschen in einem geringfügig entlohnten Job – Tendenz steigend.

Bekanntlich sind es zuvorderst ökonomische Gründe, die die Menschen zur Verrichtung solcher Minijobs treiben. Auf der anderen Seite bauen die Unternehmen zunehmend ihre Arbeits- und Verwertungsstrukturen so um, dass sie mit solchen ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen nicht nur gut weiter funktionieren, sondern auch der Anteil des Mehrwerts, den sie aus den Beschäftigen nun saugen, größer als zuvor ausfällt. 

Vor diesem Hintergrund ist sich die Bundesagentur für Arbeit  nicht zu schade auf ihrer Website zu tönen: „Sie zahlen keine Steuern und Abgaben. Sie erhalten eine Chance, Ihr Wissen einzubringen, anzuwenden und weiter auszubauen. Der Arbeitgeber erlebt Sie und Ihre Arbeitsergebnisse im Arbeitsalltag. Sie knüpfen neue Kontakte, sammeln Referenzen, erwerben neue Qualifikationen und Einblicke – gerade wenn es sich um einen Mini-Job in einer für Sie fremden Branche handelt.“ 

Einer der boomenden Einsatzorte für Minijobs findet sich aber auch im Bereich der so genannten „haushaltnahen Dienstleistungen“ wie Kochen, Wäsche Waschen, Putzen, Gartenarbeit und Kinderbetreuung. 

Hier haben sich nun endgültig die Arbeitsbedingungen von denen eines „normalen“ Lohnarbeitsverhältnisses, wie es durch die ArbeiterInnenbewegung  in  ihrem über 100 Jahre währenden Kampf durchgesetzt werden konnte, entkoppelt. Was wir heute hier vorfinden, sind im Kern die alten Dienstverhältnisse  von Knecht, Magd, Diener und Kinderfrau. Die Beschäftigten sind vollends der Willkür des sie beschäftigenden Patrons oder der Patronin, auch wenn  sie sich als moderne „Weltbürger“ labeln, ausgeliefert, inklusiver emotionaler Wechselbäder zwischen Anerkennung und drohendem Rausschmiss. 

Besonders unterworfen unter solche Beschäftigungsstrukturen mit Gutherrenmentalität sind Menschen, die von ALG 2 leben müssen.  

Bekanntlich können nämlich zu Hartz IV max. 100 Euro dazuverdient werden, sonst rechnet es nicht, denn alles, was darüber im Rahmen eines Minijobs von 400 Euro hinausgeht, wird von der Grundsicherung bis auf 20 % wieder abgezogen (1). Würde nun ein Mindestlohn von 10 Euro gezahlt werden, stünden Hartz-IVerInnen ja nur  noch 10 Stunden im Monat als verwertbare Arbeitskraft zur Verfügung - das allerdings mit einem einigermaßen akzeptablen Stundenlohn.

Solch ein entsprechend entlohntes Arbeitsverhältnis lohnt sich nicht aus der Sicht von Betrieben, die selber nur funktionieren, weil die BesitzerInnen sich als Pseudoselbständige  selber ausbeuten oder/und Verwandte oder Bekannte für Trinkgeld mit“helfen“ lassen, erst recht nicht. Wer in solchen Betrieben als Hartz-IVerIn Anstellung findet, der hat stattdessen davon auszugehen, dass die Arbeitszeit nur mit einem Trinkgeld entlohnt wird. Aber nicht nur das. Obwohl die Tätigkeiten durchaus anspruchsvoll und vielfältig sein können, ist ihr Status des eines/r Mithelfenden. Und so ist auch der Umgang mit ihnen.  

KleinstunternehmerInnnen blähen sich auf zu Bossen, die mal den Firmenwagen verleihen, nur wenn er gewaschen zurückgegeben wird. Oder auch mal dazu einladen, ein Bier auf Kosten des Hauses zu trinken, die aber sofort aus der Haut fahren, wenn sie spüren, dass die Beschäftigten nicht - sinnbildlich - die Hände an die Hosennaht legen und beständig in Habachtstellung agieren. 

Die Prekarität des kapitalistischen Lohnarbeitsverhältnisses ist in diesen  Kleinstbetrieben und Schwitzbuden auf die Spitze getrieben, weil sie dort nicht nur die Seite der Lohnarbeit ergreift, sondern weil dort die Prekarität der Kapitalsseite noch zusätzlich voll auf die bereits prekäre Seite der Lohnarbeit abgewälzt wird.  

Ein typischer Beschäftigungsfall wurde in den letzten Wochen in Berlin-Friedrichhain in einem Spätkauf  bekannt. Im TREND wurde darüber bereits berichtet. Das besondere an diesem Fall ist, dass der Beschäftigte sich gegen seine fristlose Entlassung wehrt und  in einem Arbeitsgerichtsverfahren vorenthaltenen Tariflohn erstreiten will.  Dies ist insofern einzigartig, als MinijobberInnen,  denen es ähnlich ergeht, sich in aller Regel nicht zur Wehr setzen. Deswegen haben sich - unterstützt von der FAU - im Abschluss an eine Info-Veranstaltung  Menschen zu einer Gruppe zusammengeschlossen, die durch Öffentlichkeitsarbeit nicht nur den kämpferischen Kollegen unterstützen will, sondern vor allem auch Wege finden will, wie mit anderen betroffenen MinijobberInnen Gegenwehr aufgebaut werden kann. 

Die erste öffentlichkeitswirksame Aktion im Kiez wird eine  Soli-Kundgebung am Dienstag, den 18. Oktober 2011 um 18 Uhr Ecke Samariter Str. / Frankfurter Allee sein. 

Weitere Informationen: http://www.fau.org/artikel/art_110923-124300

1) Bei Online Berechnung von ALG II / Hartz  kann mensch das nachrechnen.

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor.