Bankstertum und /als Schwindelökonomie
Zur aktuellen Parole "Verstaatlichung"

von Richard Albrecht

10/11

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Kapitalismus ist Gangstertum in der Ökonomie. Imperialismus ist Gangstertum in der Politik.
(Gus Hall [1910-2000])
 

Neubert

„Verstaatlichung“ ist die alte staatsfromme Formel deutscher Politsozis aller Farben, Formate und Strömungen. Sie wird als staatsbezogene oder etatistische Politik heute vertreten von Hickel in der SPD und in der PdL von Lafontaine, Wagenknecht und (zuletzt auch) Ernst: "Mittelfristig muss der ganze Bankensektor unter öffentlich-rechtliche Kontrolle"[1]. Diese „Verstaatlichung“ von Banken und Versicherungen ist freilich o h n e Investitionslenkung oben u n d basisdemokratische Kontrolle unten ein „Holzweg der Holzwege“ (Joseph Dietzgen). In Nordrhein-Westfalen etwa war von 1991 bis 2001 zwei lange Jahrzehnte lang der „rote“ Revier-„Pate“ Friedel Neubert (SPD) als Chef der Landeszentralbank (LZB) der politisch mächtigste Mann im größten deutschen Bundesland NRW … und das Ding wurde mit Hilfe seiner diversen Hundertschaften überbezahlter LZB-"Experten" nachhaltig runtergewirtschaftet – ein bis heute so unaufgeklärter wie „unerhörter Vorgang“ (Bertolt Brecht).

Lenin

Lenin war ausweislich seiner Imperialismusbroschüre[2] noch so und zu naiv: Er glaubte damaligen und namentlich deutschbürgerlichen Wirtschaftsprofessoren, hielt sie für Fachleute und vernachlässigte wichtige kapitalismuskritisch-geldgeschichtliche US-amerikanische Studien[3]. Heutige ganzdeutsche Wirtschaftsprofessoren wie Hickel, Rürup und Sinn mögen im Gegensatz zu diversen Bundesvizekanzlern den Unterschied zwischen brutto und netto kennen und wissen, daß die Forderung Mehr Netto als Brutto absurd ist – und zeichnen sich doch wie ihre diversen Auftraggeber durch nachhaltige eindimensionale „Denke“ aus[4]. Wer auch immer heute diesen als „Wirtschaftswissenschaftler“ getarnten Ideologen auch nur einen Satz glaubt und die Sinn, Rürup und Hickel für nationalökonomische "Fachleute" hält – hat schon morgen verloren. Und übermorgen vermutlich noch Sparguthaben – freilich mit kaum mehr als Nullkaufkraft.

Staatsverschuldung

Ein Meilenstein zu Entwicklung enormer Schwindelvermögen der „Finanzinstitute“ genannten Großbanken war die nominelle Absenkung der Liquiditätsreserve als "gesetzliche Mindestreserve" auf heuer zwei Prozent (in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre begann es mit deficit spending genannter ständiger Staatsverschuldung). Aber auch diese Mindestdeckung kann umgangen werden von international handelnden Großbanken: Mindestreserven sind z.B. in GB "ganz abgeschafft"[5]. Heute soll das Verhältnis von gebuchtem Giral- zu realexistierendem Bargeld 50:1 sein. Daraus folgt, daß solange dieses Finanzbankensystems nicht entmachtet bzw. das Finanzbankensystem mit seinen Bankstermethoden als solches nicht abgeschafft wird, die nächste Krise mit allen (Folge-) Problemen nächst folgen wird.

Geldschöpfung

Ein Schlüssel zur (immer noch kapitalistisch-systemischen) Krisenbewältigung ist aktuelles Eindämmen und tendenzielles Aufheben des Profitmechanismus auf dem Pfad G´ -> G´´ -> G´´´ -> G ad infinitum. Die geld“markt“-bezogene - sowohl aufgeblähte als auch beschleunigte - Parasitärökonomie (parasite economy) ist inzwischen n i c h t mehr auf realwirtschaftliche Prozesse gesellschaftlich nützlicher Produktion, produktiver Dienstleistungen, strategischer Mobilität etc. rückbeziehbar. Sie wirkt aber nach wie vor als das Gesamtsystem bestimmende Gravitationszentrum der Gesamtwirtschaft (nerves of economy). Dem fiktiven gesellschaftlichen Identitätstyp des homo oeconomicus im herkömmlichen Kapitalismus entspricht die reale Momentpersönlichkeit des (all)gegenwärtigen Banksterkapitalismus.

Marxistisches

Auch Karl Marx und Friedrich Engels sahen die empirische Entwicklung zum Primat der Politik. Im von Engels ediertem „Kapital“ Band III: „Kritik der politischen Ökonomie. Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion“ ist von Kapital, Zinsen und „zinstragendem“ Kapital die Rede und von der „Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst“ als „einem sich selbst aufhebenden Widerspruch“, etwa in Form monopolistischer Staatsintervention bei Kapitalakkumulationsprozessen mit einer „neuen Finanzaristokratie, einer neuen Sorte Parasiten in Gestalt von Projektemachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren“ an der Spitze, genauer: „einem ganzen System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und Aktienhandel. Es ist Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums.“[6]

Soll & Haben

Wer heute bei einer der kleineren Genossenschaftsbanken in der NRW-Rheineifel ein Girokonto für 6 € monatliche Grundgebühr hat, hat bei Girokontenüberziehung den (in Banksterkreisen als relativ moderat geltenden) Überziehungszinssatz in Höhe von 14.04 Prozent zu zahlen. Bei eintägiger Kontoüberziehung in Höhe von 5.000 € sind (gerundet) 2 € zu zahlen. Der gleiche Betrag auf einem (gebührenfreien) Tagesfestgeldkonto eingezahlt ergibt gleichentags bei einem Zinssatz von 0.7 Prozent (gerundet) ein Zinsguthaben in Höhe von 10 Cent. Das Soll/Haben-Verhältnis ist hier mit 20.06 das gut Zwanzigfache (und bei benachbarter öffentlich-rechtlicher Kreissparkasse mit Gebezins von einem und Nehmezins von 19.9 Prozent das knapp Zwanzigfache) – ein jeweils recht „unegales Verhältnis“ (Marx). Die Frage, wo die Differenz - im rheineifler Volksbankbeispiel etwa 1.9 € pro Tag - bleibt, ist müßig. Nicht aber der Hinweis, daß ein realexistierender Termingeldzinssatz von (weniger als) einem Prozent bei einen etwa zwanzig Mal so hohen Kreditgeldzinssatz alle(s) Spar(guthab)en ad absurdum führt und darauf verweist, daß diese Sparökonomie nicht nur so unnötig wie überflüssig ist. Sondern auch eher morgen als übermorgen wegfallen kann …

Abstinken

Wer auch immer in diesem Feld selbständig in überzeugenden Perspektiven weiterdenkt, glaubhafte Alternativen entwickelt und öffentlichkeitswirksam vorstellt wird in die politische Vorhand kommen (können). Einen Automatismus nach links gibt es - wie die geschichtliche Krisen“lösung“ in Deutschland 1930/33 zeigt - nicht. Insofern höchste Zeit, daß die „Verstaatlichung“sparolisten aller Strömungen, Formate und Farben das tun, was Heinrich Mann zutreffend benannte: ABSTINKEN ...

Anmerkungen

[1] Leipziger Volkszeitung (LVZ), 8. Oktober 2011: http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2011-10/21576198-linken-chef-ernst-verlangt-bankenverstaatlichung-003.htm
[2] W.I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Gemeinverständlicher Abriß [1917];
Ausgewählte Werke Band II, Dietz, Berlin 1970: 643-770
[3] Gustavus Myers, History of Public Franchises in New York City [1900]; History of the Great American Fortunes,
three volumes [1909/10]; dt. Ausgabe: Geschichte der großen amerikanischen Vermögen, S. Fischer,
Berlin 1916, zwei Bände; Nachdruck: Zweitausendeins, Frankfurt/Main 1979
[4] Richard Albrecht, Kritik des eindimensionalen Denkens [2009]:
http://ricalb.files.wordpress.com/2009/08/eindimensionalitaet.pdf
http://www.saarbreaker.com/2009/09/kritik-des-eindimensionalen-denkens/
[5] Sarah Wagenknecht, Freiheit statt Kapitalismus, Eichborn, Frankfurt/Main ²2011: 69/70
[6] Marx-Engels-Werke (MEW), Dietz, Berlin ²1968, Band 25: 454

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor.

Richard Albrecht, Dr.phil. et rer.pol.habil., lebt als Freier Autor und Editor in Bad Münstereifel.

Letzte Buchveröffentlichungen:

StaatsRache. Justizkritische Beiträge gegen die Dummheit im deutschen Recht(ssystem). München:
GRIN, 2005; ²2007.
Genozidpolitik im 20. Jahrhundert. Drei Bände. Aachen: Shaker; Bd. 1: Völkermord(en)
2006; Bd. 2: Armenozid 2007; Bd. 3: Hitlergeheimrede 2008.
Crime/s Against Mankind, Humanity, and Civilisation.
München: GRIN, 2007.
DEMOSKOPIE ALS DEMAGOGIE. Kritisches aus den Achtziger Jahren [mit CD]. Aachen:
Shaker, 2007.
SUCH LINGE. Vom Kommunistenprozeß zu Köln zu google.de. Sozialwissenschaftliche Recherchen zum langen, kurzen und neuen Jahrhundert. Aachen: Shaker, 2008.
HELDENTOD. Kurze Texte aus Langen Jahren. Aachen: Shaker Media, 2011.
[Hg.] FLASCHEN POST. Beiträge zur reflexivhistorischen Sozialforschung. Bad Münstereifel: VerlagsKontor, 2011.

Bio-Bibliographischer Link -> http://wissenschaftsakademie.net
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