Von der Schuldenkrise in die Rezession

von
Tomasz Konicz

10/11

trend
onlinezeitung

Die eskalierende Schuldenkrise führt die Weltwirtschaft an den Rand einer abermaligen Rezession – auch wenn bürgerliche Medien und Ökonomen die Beziehung zwischen diesen beiden Phänomenen beständig auf den Kopf stellen.

Während Europas Staaten und Banken unter einer immer weiter anschwellenden Schuldenlast zusammenzubrechen drohen, mehren sich zugleich weltweit die Anzeichen für eine abermalige Wirtschaftskrise. Innerhalb der bürgerlichen „Wirtschaftswissenschaft“ und Fachpublizistik wir nur noch darüber spekuliert, ob der Weltwirtschaft nun eine Stagnationsperiode bevorsteht, oder ob ein erneute Rezession droht. Auf beiden Seiten des Atlantik - im Euroraum wie in den USA - stehen die wirtschaftspolitischen Alarmzeichen nämlich schon längst auf Rot.

Am 4. Oktober warnte Bern Bernanke, der Chef der US-Notenbank FED, dass die Vereinigten Staaten kurz davor seien, ökonomisch „ins Taumeln“ zu geraten. Bernanke warnte vor einer anhaltend hohen Arbeitslosigkeit und einem anämischen Wachstum. Die konjunkturelle Erholung seit dem Ausbruch der Finanzkrise in 2008 seit weitaus schwächer ausgefallen als ursprünglich angenommen, gab der oberste Währungshüter der USA zu bedenken. So wuchs das US-Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Halbjahr 2011 nur um 1,0 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der bekannte Ökonom Nouriel Roubini, der die Weltwirtschaftskrise von 2008 korrekt prognostizierte, sieht hingegen kaum noch Chancen, um eine erneute Rezession sowohl in den USA wie in Europa zu verhindern: „Die Frage lautet nicht, ob es einen erneuten Rückfall in die Rezession geben werde, sondern wie sanft oder stark die Abkühlung im Vergleich zu anderen Finanzkrisen ausfallen wird.“

Eurozone und USA am Rande der Rezession

Eine ähnlich düstere Prognose legten bürgerliche „Wirtschaftswissenschaftler“ aus drei europäischen Wirtschaftsinstituten am vergangenen Freitag vor, in der sie die Eurozone „am Rande der Rezession“ sehen. Die vom deutschen Ifo-Institut, dem italienischen Istat- und dem französische InseeInstitut veröffentliche Analyse sieht das reale BIP im europäischen Währungsraum „in den kommenden Quartalen nahezu stagnieren“. Schon ende September ging der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, davon aus, dass die Eurozone im Winter sogar in eine Rezession absacken werde: „Ich bin immer weniger der Meinung, dass wir es mit einer bloßen Wachstumsverlangsamung in der Eurozone zu tun haben.“

Doch zugleich offenbarte Krämer ein merkwürdiges Verständnis der Ursachen der drohenden Rezession: „Die Staatsschuldenkrise verunsichert die Wirtschaft und hat sich wie Mehltau über den Ausblick gelegt.“ Diese „Verunsicherung“ habe dem Kapital regelrecht „Angst“ eingejagt, was zu einem Ansteigen des „Unsicherheitsindex“ der Commerzbank geführt habe, so Krämer: „Die Angst macht sich auch zunehmend in den Marktpreisen bemerkbar.“ Die oben erwähnten europäischen Wirtschaftsinstitute sahen die Ursachen der Konjunkturabkühlung ebenfalls in der „Staatsschuldenkrise, den Finanzmarktturbulenzen“ und dem damit einhergehenden Sinken des „Unternehmer- und Konsumentenvertrauens“. Eine ähnliche Interpretation der Rezessionsursachen liegt auch den verbalen Attacken zugrunde, die Washington immer wieder gegen die Europäer richtet. Die Schuldenkrise in Europa könne die USA und die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft zeihen, erläuterte etwa US-Finanzminister Timothy Geithner Anfang Oktober, da diese „Vertrauen und Nachfrage massiv beschädigen“ würde.

Staatsverschuldung als Konjunkturlokomotive

Ist das Alles nur eine Frage des Vertrauens? Verhält es sich tatsächlich so, dass „raffgierige Banker“ und „Finanzmarktzocker“ die Zuversicht der braven Industriekapitalisten erschütterten und somit die Wirtschaft in die Rezession treiben? Eine erste Ahnung von dem wahren Zusammenhang zwischen Schuldenkrise und Konjunktureinbruch verschaffen uns die vordergründig absurden versuche der US-Administration, die Europäer mitten in der Schuldenkrise zur Auflage weiterer Konjunkturpakete zu bewegen. Geithner startete eine entsprechende Initiative im September auf dem EU-Gipfeltreffen in Wroclaw. Auch Fed-Chef Bernanke warnt beständig trotz anwachsender Schuldenberge vor Kürzungen bei Staatsausgaben.

Tatsächlich bildeten die schuldenfinanzierten staatlichen Konjunkturprogramme, die weltweit nach Krisenausbruch in 2008 aufgelegt wurde den wichtigsten globalen Konjunkturtriebstoff, der die Weltwirtschaft aus ihrer tiefen Rezession führte. Die weltweiten Konjunkturaufwendungen beliefen sich auf nahezu fünf Prozent der damaligen Weltwirtschaftsleistung, was ja insbesondere exportorientierten Wirtschaften wie der deutschen zugute kam. Die meisten dieser Konjunkturpakete liefen aber Mitte oder spätestens Ende 2010 aus – und seitdem befindet sich die Weltwirtschaft insgesamt im Sinkflug, der diese nun an die Schwelle zur Rezession führt. Die Forderungen nach weiteren schuldenfinanzeirten Konjunkturpaketen aus Washington sind aber letztendlich nur ein implizites Eingeständnis, dass der Kapitalismus ohne diese kreditfinanzierte Nachfrage nicht mehr reproduktionsfähig ist.

Kapitalismus am Abgrund

Mit dieser staatlichen – und im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten durchaus erfolgreichen - Defizitkonjunktur wurde aber nur die Verschuldungsdynamik „verstaatlicht“, die zuvor im Rahmen der diversen Spekulationsblasen auf den wuchernden Finanzmächten betrieben wurde. Mehr noch: Letztendlich wurden ja alle kostspieligen Krisenmaßnahmen – wie auch die Konjunkturpakete - der Politik zumindest in der EU und in den USA über weitere Verschuldung auf den Finanzmärkten realisiert. Deswegen ist ja die europäische Staatsschuldenkrise zugleich eine Finanzmarktkrise. Die derzeitige europäische Bankenkrise resultiert gerade nicht aus wilden Spekulationsbewegungen, sondern gerade aus der Tatsache, dass viele Banken die vermeintlich „sicheren“ Staatsanleihen aufkauften, die sich nun aufgrund der Überschuldung vieler Staaten in Finanzschrott verwandeln. Letztendlich enthüllt die gegenwärtige „Spirale zwischen Staatsschulden- und Bankenkrise“ in der EU nur die gemeinsame ökonomische Funktion, die den staatlichen- wie privaten Verschuldungsprozessen der Letzten Jahre innewohnte:: Diese Schuldenberge haben eine zusätzliche kreditfinanzierte Nachfrage geschaffen, ohne die der Kapitalismus aufgrund einer beständig zunehmenden Produktivität nicht mehr funktionieren kann. Sobald die – private oder staatliche – schuldengenerierte Nachfrage wegbricht, setzt eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale ein, in der Überproduktion zu Massenentlassungen führt, die wiederum die Nachfrage senken und weitere Entlassungswellen nach sich ziehen

Sobald einer der beiden Pole kapitalistischer Vergesellschaftung - Staat oder Kapital – unter seiner Schuldenlast zusammenbricht, wird er den Anderen aufgrund der Verflechtung der Schulden und somstigen Finanzverpflichtungen mit in den Abgrund ziehen: Staatspleiten würden die Banken zusammenbrechen lassen, Bankenpleiten führen in den Staatsbankrott. Hiernach wird auch die aus der systemischen Überprodukteiskrise resultierende Abwärtsspirale einsetzen in einen katastrophalen Wirtschaftseinbruch führen. Die Weltwirtschaft befindet sich somit tatsächlich am Rande des Absturzes, aber nicht weil das Kapital als „scheues Reh“ (Otto Graf Lambsdorf) aufgrund von Finanzmarktzockereien alle Zukunftszuversicht verloren habe, sondern weil die Verschuldungydynamik kaum noch aufrecht erhalten werden kann, mit der die an ihrer eigenen Produktivität erstickende kapitalistische Zombie-Ökonomie überhaupt noch am Scheinleben gehalten wird.
http://www.konicz.info/

Editorische Hinweise

Den Text spiegelten wir von Indymedia, wo er am 13.10 erschien. Weitere Texte des Autors finden sich auf den Website: http://www.konicz.info/