Mehr Diktatur wagen?
Das Buch WENIGER DEMOKRATIE WAGEN ist hyperliquide.
Genauer: es ist so überflüssig wie´n Kropf.

von Richard Albrecht

10/11

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"Nur in der Demokratie kann sich die Massenkraft der organisierten Arbeiterschaft wirtschaftlich und politisch frei entfalten und dadurch den Kapitalismus…überwinden. Die Arbeiterklasse hat daher ein Lebensinteresse…am planmäßigen Ausbau des deutschen Staates zu einer sozialen, demokratischen Republik." (Carlo Mierendorff [1897-1943]; Arisches Kaisertum oder Juden-Republik: 1922)

Der Titel kontrapunktet die Willy-Brandt-Ankündigung in der ersten Regierungserklärung der ersten sozialliberale Bundesregierung in Deutschland vom 28. Oktober 1969[1]. Er ist ebenso Parole wie die scheinbar eingängigen Schlagworte, die als „Plädoyer für die repräsentative Demokratie und effiziente Führung“ ausgegeben werden. Was dann kapitelweise folgt sind meist nur schlagwortartige Auflistungen bekannter Demokratiedefizite. Sie werden, rechts gewendet, als Folgen von zu viel praktizierter Demokratie ausgegeben. Entsprechend werden die „Eliten“ angemahnt, sich öffentlich stärker zum kapitalistischen Profitmotiv als gesellschaftlichem Leitbild zu bekennen. Das Schlußkapitel plädiert in Form des dort vorangestellten Zitats (eines polnischen Multimilliardärs) für angeblich "Echte Demokratie". Diese „besteht nicht darin, dass wir alle vier Jahre zur Wahl gehen dürfen, so bedeutend das ist. Wichtiger ist, dass wir selbst bestimmen dürfen, was wir mit unserer Freiheit und unserem Geld machen."

Die antidemokratische Kernaussage des (im mir unerträglichen Krottenwir-Jargon geschriebenen) Buchs ist weder neu noch originell. Sondern nur aktualisiert-griffige frühe Anti-68er-Polemik: "Wer Demokratie missversteht als ein System, in dem immer alle überall mitbestimmen und partizipieren können…bedroht das Funktionieren und die Effizienz in Gesellschaft, Staat und Wirtschaft." Trankovits 2011 weiter: "Wir sind angesichts vieler Krisensymptome unserer Demokratien gut beraten, etwas weniger Demokratie zu wagen.“ So schon Scheuch 1968: „Für das Funktionieren eines politischen Systems als Demokratie ist…eine umfangreiche Beteiligung aller Menschen eines Landes nicht notwendig. Für Demokratie reicht es schon aus, wenn für Entscheidungen ein solches Maß an Öffentlichkeit besteht, daß Personengruppen zusätzlich zu denjenigen, die per Amt oder Position an Entscheidungen teilnehmen, informiert sind.“[2] Trankovits 2011: „Statt aber unsere durchaus soziale Marktwirtschaft zu verteidigen, darauf zu verweisen, dass die oberste Priorität eines Unternehmens Gewinn und Wettbewerbsfähigkeit sein müssen, sind die Wirtschaftskapitäne Deutschlands im politisch-gesellschaftlichen Diskurs nahezu unsichtbar und unverständlich leise. Hier braucht es mehr Mut, zu privat- und marktwirtschaftlichen Prinzipien zu stehen.“[3]

Was als WENIGER DEMOKRATIE WAGEN „repräsentative Demokratie“ und „effiziente Führung“ profilieren soll ist jedoch als rechtes politisches Manifest[4] untauglich. Nicht nur, weil das bereits vor zwanzig Jahren beschriebene „doppelte demokratische Defizit“[5] mit fehlender Repräsentation „unterer“ abhängiger Sozialschichten und unzureichenden Partizipationsmöglichkeiten sozial aktiver Mittelschichten unbegriffen bleibt. Sondern auch, weil was als „bessere Demokratie“ ausgegeben wird inhaltlich im wesentlichen nichts als publizistischer Kotau vor den Wenigen ist: MEHR DIKTATUR WAGEN brächte dies im Bloch´schen Sinn zur Kenntlichkeit.

Dieses Buch regt gleichwohl in einer Hinsicht zur wissenschaftlichen Hypothesenbildung im Bereich der politischen Kultur an: im gegenwärtigen Deutschland sind dumme politrechte noch platter als dumme politlinke Ideologen. Und: dieses Buch kommt mir schon während seines Erscheinens im Frühherbst 2011 höchstantiquiert vor. Hier ist als FAZ-Buch etwas rechts angezettelt, das sich im FAZ-Feuilleton als zunehmend überholt gibt: nach einem FAZ-Mitherausgeber bekannte sich auch FAZ-Feuilletonredakteur Dr. Lorenz Jäger nach jahrzehntelangem Rechtstechtelmechtel so öffentlich wie ironisch als neulinker „Gutmensch“[6].

Das Buch WENIGER DEMOKRATIE WAGEN ist so überflüssig wie´n Kropf. Oder allgemeiner: es ist hyperliquide.

Anmerkungen

[1] http://www.fes-online-akademie.de/download.php?d=mehr_demokratie_wagen.pdf
[2] Erwin K. Scheuch, Soziologische Aspekte der betrieblichen Mitbestimmung: http://ricalb.files.wordpress.com/2010/09/ganzdumm-war-gestern1.pdf
[3] http://www.faz-institut.de/publikationen/faz-buch/presse/interview-laszlo-trankovits
[4] Klatt, Johanna; Lorenz, Robert, Hg., Manifeste. Geschichte und Gegenwart des politischen Manifests. Bielefeld 2011 [= Studien des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zur Geschichte politischer und gesellschaftlicher Kontroversen 1]
[5] Richard Albrecht, Das doppelte demokratische Defizit; in: Recht und Politik, 28 (1992) 1: 13-19; vgl. http://ricalb.files.wordpress.com/2009/07/politische-soziologie.pdf
[6] FAZ 13. Oktober 2011: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/debatte-adieu-kameraden-ich-bin-gutmensch-11481906.html
 

http://www.german-foreign-policy.com/pics/trankovits.jpg 

Laszlo Trankovits
Weniger Demokratie wagen!
Wie Politik und Wirtschaft wieder handlungsfähig werden.

Frankfurter Allgemeine Buch,
Ffm,
2011, 288 p., 24,90 €
ISBN 13: 9783899812459

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor.

Richard Albrecht, Dr.phil. et rer.pol.habil., lebt als Freier Autor und Editor in Bad Münstereifel.

Bio-Bibliographischer Link -> http://wissenschaftsakademie.net
Kontakt -> eingreifendes.denken@gmx.net