Die beim
gewerkschaftspolitischen Ratschlag (22.23. Sept. 2012)
in Frankfurt versammelten KollegInnen und Kollegen aus
den verschiedenen DGB-Gewerkschaften haben sich mit den
aktuellen Herausforderungen
auseinandergesetzt, vor denen die Gewerkschaften in der
Krise stehen. Gewerkschaften in
der Krise in doppelter Bedeutung: Zum einen, weil es
sich nicht nur um eine
tiefgreifende Wirtschaftskrise handelt, es ist auch eine
ökologische Krise, eine Ernährungskrise usw.
Zum anderen, weil ganz unübersehbar die
Gewerkschaften – auch in der Bundesrepublik – selbst in
der Krise sind: Ihre faktische Gestaltungsmacht
ist gesunken. Die Mitgliedsverluste der letzten 20
Jahre in den meisten Einzelgewerkschaften sind
nicht gestoppt, geschweige denn wieder ausgeglichen.
Zweifellos gibt es
objektive, gesellschaftliche Gründe, die zum
Bedeutungsverlust beigetragen haben (Änderungen in der
Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse, weniger
Großbetriebe, Ausgliederungen von
Betrieben usw.). Ganz wesentlich aber erscheint uns die
seit Jahren praktizierte Politik
des Stillhaltens, der Konfliktvermeidung und oft auch
des Co-Managements. Die
Gewerkschaften sind auf diese Weise sehr weit von einer
Position der Gegenmacht
abgerückt.
Dies erweist
sich vor allem bei folgenden Fragen:
-
In der Frage der Euro-Krise
vermissen wir bei den Gewerkschaftsführungen eine klare
Positionierung internationaler Solidarität mit den
Kolleginnen und Kollegen in den
südeuropäischen Ländern, die unter der grausamen
Sparpolitik der Troika leiden. Stattdessen
haben die Gewerkschaftsführungen sogar an die
Bundestagsabgeordneten appelliert, dem
Stabilitätspakt zuzustimmen, der genau diese
Politik fortsetzt und verschärft. Das halten wir
für skandalös. Wir engagieren uns für eine breite
internationale Solidaritäts- und
Widerstandsbewegung gegen die Politik der Troika ein und
werden uns dafür einsetzen, dass
europaweite Aktionstage auch hier eine breite
Beteiligung erfahren.
-
Wir begreifen prekäre
Beschäftigung als Herausforderung an alle
GewerkschafterInnen. Sie ist eine Bedrohung und ein
Druckmittel auf alle Beschäftigten. Speziell die
Leiharbeit müsste unmöglich
gemacht werden, was mit Bezug auf den Grundsatz „Equal
pay and equal treatment“
(gleicher Lohn und gleiche Behandlung für gleichwertige
Arbeit) eigentlich leicht zu
machen wäre. Aber die Gewerkschaften haben ihre
Unterschrift unter
Leiharbeitstarifverträge gesetzt, was diesen Grundsatz
unterläuft und den Kampf der Gewerkschaften
gegen Billiglöhne und Leiharbeit politisch völlig
unglaubwürdig macht. Wir machen
uns für die Abschaffung der Leiharbeit stark.
-
Wir setzten uns dafür ein,
den fortgesetzten Reallohnabbau zu stoppen und die
Verteilungsfrage neu zu
stellen. Wir erwarten dies auch von unseren
Gewerkschaftsvorstände. Allerdings haben Ver.di
und IG Metall es auch dieses Jahr
versäumt, ihre Tarifrunden offensiv zu führen,
miteinander zu verschränken und zu einer politischen
Auseinandersetzung zu machen. Wir engagieren uns für
eine aktive Tarifpolitik und
wollen Armut und Reichtum zum Thema der
gesellschaftlichen Auseinandersetzung
machen. Dabei scheuen wir uns auch nicht, die
Systemfrage zu stellen.
-
Wir betrachten die
Arbeitszeitverkürzung als ein zentrales, wenn nicht das
zentrale Instrument im Kampf gegen Erwerbslosigkeit und
Unterbeschäftigung und erwarten eine
solche Haltung auch von den
Gewerkschaftsführungen. Wir sind uns bewusst, dass es
keine einfache Aufgabe ist, aber wir setzen uns dafür
ein, den Kampf für Arbeitszeitverkürzung in
großen Schritten bei vollem Personal- und
Entgeltausgleich wieder aufzunehmen und wollen
entsprechende Initiativen in den Gewerkschaften
vorantreiben. Nur über eine massive Arbeitszeitverkürzung
und die dadurch zu erzwingende Neueinstellung von
Erwerbslosen können die
gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nachhaltig
verändert werden.
-
Das Streikrecht ist bedroht,
u. a. durch die Aktivitäten des Kapitalverbandes BDA,
der dies durch
Gesetzesänderungen massiv einschränken will. Hier darf
keine Gewerkschaft mitspielen!
Und: Wegducken hilft nicht. Vor allem das politische
Streikrecht wird in Zukunft immer
wichtiger werden und wir werden es nur dann durchsetzen,
wenn wir das Streikrecht
praktisch in Anspruch nehmen, also nicht Streiks
vermeiden, sondern so oft und so intensiv
wie möglich auch real wahrnehmen.
-
Die Gewerkschaften müssen
sich mehr der Jugend öffnen und sich flexibler zeigen,
um sie
zum aktiven Engagement zu ermutigen.
Die an dem Ratschlag
beteiligten Organisationen, Arbeitsgemeinschaften und
Netzwerke sprechen sich
ausnahmslos dafür aus, ihre Zusammenarbeit zu
intensivieren. Dabei wollen wir in nächster Zeit
unsere Initiativen untereinander absprechen, um
sie möglichst wirksam voranzubringen. Dazu
werden wir uns zu verschiedenen Kampagnen
verabreden, die wir gemeinsam in den verschiedenen
Einzelgewerkschaften einbringen wollen. Wir
unterstützen die Kampagne zur Abschaffung der
Leiharbeit sowie zur Einführung eines
Mindestlohns von 10 Euro lohnsteuerfrei.
Wir laden alle Gruppen, Organisationen und einzelnen
KollegInnen, die sich als kritische, linke
GewerkschafterInnen verstehen, ein, sich mit uns
in Verbindung zu setzen und mit uns gemeinsam
ein breites Netzwerk aktiver GewerkschafterInnen
aufzubauen, um gegen die vorherrschende
Stillhaltepolitik einer Politik aktiver
Gegenmacht zum Durchbruch zu verhelfen.
(Zur Kontaktaufnahme: HKroha@t-online.de)
Frankfurt, den 23. September 2012
Editorische Hinweise
Veranstalter waren: Initiative zur Vernetzung der
Gewerkschaftslinken; Netzwerk für eine kämpferische und
demokratische ver.di;
ver.di Linke; LabourNet Germany; Redaktion express/AFP
e.V.; AG Betrieb und Gewerkschaft
der Partei Die Linke; Forum Gewerkschaften der
Zeitschrift Sozialismus; DKP AG Betrieb und
Gewerkschaft.