Kommentare zum Zeitgeschehen
Flügelkämpfe zu erwarten
Alternative für Deutschland nach der Wahl

Von Frank Behrmann

10-2013

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Nach ihrem guten Abschneiden bei der Bundestagswahl wird die Alternative für Deutschland (AfD) versuchen, sich dauerhaft als Partei rechts der Union zu etablieren. Zuvor stehen aber noch diverse programmatische Klärungen an – vor allem ein Richtungsstreit zwischen einem rückwärtsgewandten Konservatismus und einem Islamhass-Flügel.

Programmatisch ist viel zu tun, denn zu etlichen wesentlichen Themen hat die Partei bislang keine oder nur oberflächliche Aussagen getroffen. Wie steht sie zu Gewerkschaften, zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik? Hier gibt der „Hamburger Appell“, den Bernd Lucke mitinitiiert hatte, hinweise: Wenn die Wirtschaft kriselt, wird bei Löhnen und Sozialleistungen der Rotstift angesetzt. Mindestlöhne lehnt die Partei ab, was die AnhängerInnen erst via Wahl-O-Mat erfuhren (0). Auch zur Außenpolitik gibt es nur dürre Worte. Die Liste ließe sich noch fortführen. Entscheidend wird sein, ob die Partei sich auf gemeinsame Positionen wird einigen können, oder ob es bereits hier zu Abspaltungen kommt. Für Außenstehende ist die Gemengelage schwer durchschaubar, es hat aber den Anschein, dass es eine Anzahl Mitglieder gibt, die eine marktradikale Wirtschaftspolitik ablehnen.

Die wichtigste Auseinandersetzung aber wird darum gehen, ob sich die AfD offen rassistisch positionieren wird. Aus rechtsextremen Kreisen gibt es Hinweise darauf, dass jetzt, nach der Wahl, dieser Streit ausgefochten werden soll. Die der „Identitären Bewegung“ nahe stehende „Blaue Narzisse“ nimmt in „der äußerst bürgerlichen AfD durchaus patriotische Anklänge wahr“. Parteimitglieder hätten „berichtet, daß in den derzeitigen Führungspositionen auf Landesebene und bei den sich bewerbenden Mandataren eher die liberaleren Kreise dominierten, an der Basis aber gesunde ´konservative und rechte Meinungen´ vertreten würden“. Und weiter: „Ich erfahre von Insidern, daß es gerade in Hessen einen starken internen Richtungsstreit gäbe, der aus zahlreichen ´rechtskonservativen Köpfen in Reihen der AfD` resultiere.“ (1)

Auf einer „Pro Deutschland“ nahe stehenden Webseite schreibt ein User, der die Verhältnisse in der AfD offenbar gut kennt: „Die islamkritischen Kräfte in der AfD, die es allerorts gibt, werden sich spätestens nach dem 22.09. Gehör verschaffen. Dessen bin ich mir sicher, ebenso wie es Konsens in den LV Hessen u.a. und auch im Bundesvorstand ist, dass der schleichenden Islamisierung langsam Einhalt geboten werden muss.” (2)

Die Äußerungen der letzten Wochen des Wahlkampfs lassen ebenfalls nichts Gutes erahnen. Zunächst wollte sich das Führungspersonal nicht so recht darauf einlassen, dem Wahlvolk mit Simpel-Parolen nach dem Mund zu reden und alles zu versprechen, was gern gehört wird. Je näher aber der Wahlsonntag rückte, desto mehr wich die Parteileitung von dieser Linie ab und ging dazu über, gern vernommene Klischees und Ressentiments zu verbreiten.

„Im Bundestag sitzen Jasager und Abnicker und vor allem Diätenkassierer, aber keine Opposition und keine Abgeordneten, die das Volk vertreten“, so Lucke (3). Mit derselben Intention hat die AfD im Gefolge einer Attacke auf Lucke bei einer Wahlkampfveranstaltung in Bremen (er wurde von der Bühne geschubst) eine härtere Gangart gegen Kriminelle gefordert (4). Den „harten Hund“ bei der Kriminalitätsbekämpfung zu mimen, kommt immer gut an.

Außenpolitik mit Pickelhaube

Erst im September erschien ein von Alexander Gauland verfasstes Thesenpapier zur Außenpolitik der AfD. Aus der Weltpolitik solle sich die EU ´raushalten, es sei denn, „deutsche() oder europäische() Interessen“ wären bedroht; die aber solle die EU „auch mit militärischen Mitteln in angrenzenden Gebieten von vitalem Interesse, also zum Beispiel im Mittelmeerraum, gemeinsam wahr()nehmen. Deutschland wird bestimmt nicht am Hindukusch verteidigt, es kann aber durchaus die Notwendigkeit bestehen, es vor Bengasi oder Tunis zu verteidigen.“ (5)

Ganz in diesem Sinne war die zwei Wochen vorher formulierte AfD-Ablehnung eines Militärschlags gegen Syrien verfasst worden. Die Erklärung über den Bürgerkrieg wurde kulturrassistisch als „Kampf zwischen Schiiten, Aleviten und Sunniten“ interpretiert. (Nebenbei: es handelt sich nicht um Aleviten, sondern um Alawiten.) „`Dieser Bürgerkrieg ist nicht die Knochen eines bayerischen, hessischen oder sächsischen Soldaten wert`, um Bismarck zu zitieren.“ (6)

Gauland ist ein Militarist alter Schule. Vor einem Jahr regte er an, dass das deutsche „gestörte() Verhältnis zur militärischen Gewalt“ einer politischeren Betrachtung weiche: „Das aber setzt voraus, dass die Deutschen wieder eine Tatsache der Weltgeschichte akzeptieren lernen, die Bismarck … in die berühmten Worte fasste: ´Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden … sondern durch Eisen und Blut.´“ (7)

Selektive Schulpolitik

Lucke behauptet die „Pisastudien zeigen eindeutig, dass in Deutschland das dreigliedrige Schulsystem mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium die besten Ergebnisse hervorbringt.“ (8) Nun haben die Pisa-Studien das glatte Gegenteil bewiesen: Die besten Ergebnisse wurden von Staaten erzielt, die auf ein sozial selektives Schulsystem verzichtet haben.

Kommentar

So erfreulich es ist, dass die AfD knapp an der 5%-Hürde gescheitert ist und damit keine Gelegenheit erhält, den Bundestag als Tribüne zu nutzen und mittels einer finanziell und personell üppig ausgestatteten Fraktion die Partei weiter aufzubauen, so heißt das noch lange nicht, dass das Projekt, eine Partei rechts von CDU/CSU zu etablieren, gescheitert ist. Im Gegenteil.

Auf Anhieb 4,7 % - das wird zum Weitermachen motivieren. Die im Mai nächsten Jahres anstehende Europawahl bietet große Chancen in dreierlei Hinsicht: Es geht um das AfD-Schwerpunktthema; bei diesen als unwichtig wahrgenommenen Wahlen sind mehr Menschen als sonst zu Experimenten bereit und es gilt lediglich eine 3 %-Hürde.

Noch ist aber nicht einmal der Charakter dieser Partei klar. Die AfD könnte sich programmatisch als rechtskonservative und marktradikale Partei aufstellen, die um WählerInnen in erster Linie mit harscher Kritik an EU und Euro wirbt und der die Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik Wasser auf die Mühlen spült. Sie könnte sich aber auch zu einer rechtspopulistischen Partei mit rassistischen, islamfeindlichen Parolen entwickeln. Ein Teil der Basis fordert das. Dieser Parteiflügel war auf der AfD-Seite bei Facebook dominant, bis er etwa zwei Wochen vor der Wahl kalt gestellt wurde, wohl aus Sorge, zu aggressiv-rassistische Ausfälle könnten das Wahlergebnis verhageln.

Für die erste Variante spricht die Verankerung wichtiger Führungspersonen im bürgerlichen Milieu. Hier wird die Chance gesehen, weitere Einbrüche in die CDU- und FDP-Wählerschaft zu erzielen. Ein Zusammengehen mit dem euroskeptischen und marktradikalen Flügel der FDP ist durchaus denkbar, da die FDP künftig an Bindekraft verlieren wird. Der Vorzeigepolitiker dieses FDP-Flügels, Frank Schäffler, distanzierte sich bereits von Teilen seiner Partei, ihr „Ruf nach mitfühlendem Liberalismus“ werde nicht benötigt (FAZ, 24.9.13).

Für die zweite Variante spricht, dass der rassistische Parteiflügel wahrscheinlich deutlich größer ist, als man in den Medien einzugestehen bereit ist. Er speist sich auch nicht nur aus den 350 ehemaligen „Die Freiheit“-Mitgliedern, die laut Partei-Gründer Rene Stadtkewitz übergetreten sind, sondern v.a. aus zahlreichen IslamophobikerInnen, die bislang keiner Partei angehörten. Zudem würde es schwer fallen, der populistischen Versuchung zu widerstehen, die in den letzten Wochen vor der Wahl der Partei neue Stimmen brachte.

Natürlich gibt es auch die Möglichkeit eines Kompromisses zwischen diesen beiden Optionen. Die AfD könnte versuchen, ein Sammelbecken für alle Kräfte zwischen Union und offenem Faschismus zu werden.

Obwohl noch vieles unklar ist, hat die AfD eine große Chance sich zu festigen. Die innerparteilichen Widersprüche lassen aber auch auf ein Scheitern dieses Projektes hoffen.

„Ich sehe mit großer Sorge, dass in vielen Bundesländern die Hauptschule mit der Realschule zusammengelegt wird zu einer Art Oberschule. Wir haben auf der Hauptschule viele Probleme mit Kindern aus schwierigen Verhältnissen, aus zerfallenden Familien, die für die Bildung ihrer Kinder Defizite aufweisen, oder mit Kindern aus Migrantenfamilien ohne starke Bildungstradition.“ (8) Die Chancen gemeinsamen Schulunterrichts für alle, wie „Pisa“ sie nahe legt, interessieren den Elitenbefürworter nicht. Auch die Frage, was die AfD denn vorschlägt, damit HauptschülerInnen eine solide Schulausbildung bekommen, wird nicht beantwortet.

Dass Schulen auch die Aufgabe haben könnten, Nachteile auszugleichen, die SchülerInnen haben, deren Elternhaus sie nicht wirkungsvoll unterstützen kann, steht für die AfD nicht zur Debatte. Im Gegenteil, diese Unterschiede sollen zementiert werden, denn, so die Bundessprecherin Frauke Petry, „in erster Linie sind die Eltern für die Bildung und Erziehung ihrer Kinder verantwortlich“. (9)

Ressentimentgeladene Migrationspolitik

Zunächst hatte die AfD wert auf ihre bedingte Befürwortung von Einwanderung und Asylrecht gelegt, um damit Vorwürfen der Rechtslastigkeit zu begegnen: „Deutschland braucht qualifizierte und integrationswillige Zuwanderung. … Ernsthaft politisch Verfolgte müssen in Deutschland Asyl finden können.“ (10) Damit schlossen sie sich der ganz großen Koalition an, die Einwanderer daran misst, ob sie nützlich sind oder Kosten verursachen.

Das hatte sich zuletzt deutlich geändert. Ein andere Forderung aus dem Wahlprogramm stand nun im Mittelpunkt der Wahlkampfreden: „eine ungeordnete Zuwanderung in unsere Sozialsysteme muss unbedingt unterbunden werden“ (10). Lucke begann diese Wende mit einem Lob auf den Rassisten Thilo Sarrazin, dem „das große Verdienst (gebührt), mit seinem Buch auf wichtige Missstände in Deutschland hingewiesen zu haben: Unsere Bildungsmisere, Integrationsprobleme von Zuwanderern, unser enormes demographisches Problem“ (11).

Lucke hat in den letzten Wochen häufiger das Thema MigrantInnen bemüht, weil er merkte, dass er damit beim Publikum punktet. Immer wieder tauchen jetzt Roma-Familien bei seinen Reden auf, die, wenn sie schon nach Deutschland kämen, ihre Sozialhilfe weiterhin vom rumänischen Staat beziehen sollten (12). Und Frauke Petry behauptet, es gebe „Viertel, in die sich die Polizei nicht traut…“ (13)

Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet von einem Wahlkampfauftritt: „Lucke erklärt, dass es Menschen gebe, die ins Land kämen, ohne Deutsch zu können, überhaupt ohne Bildung … Für sie bliebe nur ein Leben in Hartz IV. ´Dann bilden sie eine Art sozialen Bodensatz - einen Bodensatz, der lebenslang in unseren Sozialsystemen verharrt.` Ein dauerhaftes Leben in Hartz IV aber wäre nicht menschenwürdig … Er bekommt jetzt heftig Applaus. Das ist jeden Abend so. Das Thema Zuwanderung komme sehr, sehr gut an, hat Lucke vorher in einem Gespräch berichtet.“ (14)

Die Sprache ist menschenverachtend. Die Rede vom „sozialen Bodensatz“ ist ein deutlicher Hinweis, wie weit zu gehen Lucke bereit ist, um politische Zustimmung zu gewinnen.

Ich rede, was Du gerne hörst…

Weil das Projekt einer rechtskonservativen Partei mit neoliberaler Wirtschaftsauffassung gestützt allein auf eine Anti-Euro-Politik an der 5%-Hürde zu scheitern drohte, ist die Führung der AfD auf einen populistischeren Kurs eingeschwenkt. Beim Thema Migrationspolitik spielt die AfD mit dem Feuer. Begriffe wie „Bodensatz“ werden von RassistInnen als Zustimmung verstanden.

Das langsame Ansteigen der AfD in den repräsentativen Umfragen von zwei bis drei auf vier und das Wahlergebnis von 4,7 Prozent belegen, dass ein rechtspopulistisches Auftreten Anklang findet. Erbrachten Befragungen Monate vor der Wahl einen Schwerpunkt bei älteren, westdeutschen Männern, so ergeben erste Analysen der Wahl eine Hochburg bei jüngeren, ostdeutschen Männern (15) – dieses Wählerreservoir fühlte sich offenkundig von dem lautstarken AfD-Wahlkampf der letzten Wochen angesprochen.

War bisher die Anti-Euro-Politik „der Angelhaken, den wir auswerfen“ (16), so hat die Parteiführung inzwischen ihr Repertoire um weitere Themen erweitert, mit denen Ressentiments bedient werden. Und schon zappeln weitere WählerInnen am Angelhaken.

Anmerkungen

(0) Bundeszentrale für Politische Bildung: Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl 2013
(1) Blaue Narzisse, 17.9.13
(2) freiheitlich.me, Mitte August 2013
(3) Bernd Lucke, AfD-Facebook(FB)-Seite, 18.8.13
(4) u.a. Welt, 26.8.13
(5) Alexander Gauland, AfD-FB-Seite, 11.9.13
(6) Alexander Gauland, AfD-FB-Seite, 27.8.13
(7) Alexander Gauland, Tagesspiegel, 23.7.12
(8) Bernd Lucke, AfD-FB-Seite, 12.9.13
(9) Frauke Petry, AfD-FB-Seite, 31.8.13
(10) Wahlprogramm der AfD
(11) Bernd Lucke, AfD-FB-Seite, 5.9.13
(12) u.a. ARD „Tagesschaum“, 5.9.13
(13) Zeit online, 13.9.13
(14) Süddeutsche Zeitung, 13.9.13
(15) FAZ, 24.9.13
(16) Martin Renner, stellvertretender Vorstandssprecher der AfD in NRW, in WDR „eins zu eins“, 13.5.13

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.