Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Syrien-Interventionsdebatte
Die harte Abschottungspolitik gegen syrische Flüchtlinge steht unterdessen im Widerspruch zum offiziellen Vorpreschen „für das syrische Volk und gegen die Diktatur“

10-2013

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In diesen Tagen ist es unklar, ob es zu einem militärischen Angriff von außen auf Syrien kommen wird, wie er sich Anfang September 13 noch abzuzeichnen schien (vgl. http://www.heise.de/tp/blogs/8/154961 ). Aufgrund des Beginns der Tätigkeit von UN-Inspektoren, die am 30. September d.J. in Syrien eintrafen und das dort gebunkerte Arsenal an chemischen Waffen abrüsten sollen, scheint diese Perspektive jedoch vorläufig erst einmal in die Ferne zu rücken.

Infolge der Kehrtwende von US-Präsident Barack Obama, der erst ein Votum des Kongresses einholen wollte, vor allem aber der russischen Initiative – der Vorschlag Russlands, die syrischen Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen, wurde vom Regime in Damaskus angenommen – wurde eine Intervention mindestens aufgeschoben. Von manchen Seiten wird angenommen, die Option für einen militärischen Angriff sei damit vom Tisch. Andererseits betonte US-Präsident Obama, im Falle eines „Scheitern der Diplomatie“ bleibe sie aktuell ( vgl. http://www.lorientlejour.com/ ) Unterdessen beschuldigt die syrische Opposition das Regime, sein C-Waffen-Arsenal lediglich in die Nachbarländer Libanon und Iraq zu verschieben. (Vgl. http://www.lorientlejour.com )

Öffentlichkeit gespalten

Auch in Frankreich, das aller Wahrscheinlichkeit nach neben den USA die zweite intervenierende Macht im Falle von Luftangriffen auf Syrien (gewesen) wäre, ist das politische Establishment gespalten. Ebenso wie die Bevölkerung. Laut einer Umfrage, die am Montag, den 09. September dieses Jahres auf der Webseite des sozialliberalen Magazins Le Nouvel Observateur publiziert wurde, unterstützen nur 35 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen ein militärisches Eingreifen in Syrien; 56 Prozent stellen sich dagegen. (Vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com/)

Gespalten ist besonders die stärkste Oppositionspartei, die konservativ-wirtschaftsliberale UMP, während das sozialdemokratisch-grüne Regierungslager jedenfalls offiziell hinter Staatspräsident François Hollande steht. Der französische Präsident François Hollande war Ende August 13 zunächst wagemutig vorgeprescht und hatte sich an die Spitze der Interventionsbefürworter gestellt. Doch das Votum des britischen Parlaments gegen eine Beteiligung an einer Syrienintervention sowie das eher vorsichtige Taktieren von US-Präsident Obama wirkten wie eine kalte Dutsche für Hollande: Es sah so aus, als ließen David Cameron und Obama ihn allein in vorderster Front stehen.

Von München nach Moskau; oder umgekehrt?

Zumindest ein Teil des konservativen Bürgerblocks versucht, sich unterdessen dagegen als Friedensfreunde und gleichzeitig als ein Art Nachfolger der Politik Charles de Gaulles – die zumindest offiziell auf Äquidistanz zwischen den damaligen „Supermächten“ USA und UdSSR (in Wirklichkeit freilich viel näher an den USA) stand, und dadurch vorgeblich peinlich auf die hochheilige „nationale Unabhängigkeit“ achtete – zu profilieren. Auch versucht man, in die Fußstapfen Jacques Chiracs mit seiner Positionierung während des Iraq-Kriegs 2003 (vgl. dazu ausführlich: http://www.trend.infopartisan.net/trd0303/t510303.html ) zu treten; und man kritisiert François Hollande dafür, dass er von der Linie der damaligen Achse Chirac/Schröder/Putin abgewichen sei. In diesem Sinne fiel der Besuch des rechten Ex-Premierministers Fraçois Fillon am 19. September 13 bei Wladimir Putin in Moskau aus, wo er vor dem russischen Oberdemokraten gegen den „Mangel an Unabhängigkeit“ (gegenüber den USA) der französischen Regierung zu Hause wetterte. (Vgl. http://www.lexpress.fr oder http://www.lepoint.fr ) Dies trug ihm allerdings von sozialdemokratischer Seite quasi den Vorwurf der nationalen Nestbeschmutzung ein (vgl. etwa http://www.lefigaro.fr ), nachdem der sozialdemokratische Parteivorsitzende Harlem Désir zuvor schon bei den Opponenten gegen den Regierungskurs einen „Geist des Münchener Abkommens“ kritisiert hatte (im deutschsprachigen Raum würde man vor „Appeasementpolitik“ warnen). Vgl. dazu http://www.rtl.fr oder http://www.lexpress.fr sowie zu den Reaktionen: http://leplus.nouvelobs.com

Dies alles wirft natürlich die Frage nach den Motiven des französischen Regierungslagers auf. Dabei drängen sich zwei Motive auf. Das eine hängt mit dem manifesten Autoritätsproblem François Hollandes zusammen. Berater des Staatsoberhaupts im Elysée-Palast werden durch die französische Presse (vgl. http://www.lemonde.fr) mit den Worten zitiert: „François Hollande ist bemüht darum, sein Image als Präsident aufzubauen, obwohl er sich darüber bewusst, dass dies (Anm.: Entscheidungen in der Außenpolitik) nicht seine Wiederwahl sichert“, denn diese hängt vor allem an den Ergebnissen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Hinzu kommt das Wirken seines Amtsvorgängers, Nicolas Sarkozy, der im März 2011 scheinbar fest entschlossen in Libyen eingriff, als das Gaddafi-Regime dort oppositionelle Protestierer zu massakrieren drohte. Hollande muss den Vergleich mit seinem besonders aktiv wirkenden Vorgänger aushalten. Sarkozy hatte damals seine eigenen Motive: Anfang 2011 hatte sich seine Regierung wegen übergroßer Nähe zum soeben gestürzten Ben Ali-Regime in Tunesien blamiert. Das ging über fast alle Kanäle, und Außenministerin Michèle Alliot-Marie musste damals aus diesem Grund zurücktreten : Noch zwischen Weihnachten 2010 und Neujahr 2011, als bereits Teilnehmer an dem Aufstand gegen die Ben Ali-Diktatur erschossen wurden, ließ sie sich von Personen aus dem Umfeld des Autokraten einen Privaturlaub unter großzügigen Bedingungen in Tunesien spendieren. Die Enthüllungswelle hätte sich zu Libyen fortgesetzt und noch intensiviert – zumal Alliot-Maries Lebensgefährte Patrick Ollier der führende Libyen-Lobbyist in Frankreich war und den Vorsitz in der parlamentarischen Freundschaftsgesellschaft Frankreich-Libyen innehat. Zur selben Zeit war er noch Minister in Sarkozys Kabinett. Und bis heute halten sich hartnäckig Gerüchte, Gaddafi habe 2007 Sarkozys Wahlkampf in mehrfacher Millionenhöhe illegal finanziert. Die Situation wäre also für die damalige Regierung zum PR-Desaster geworden, hätte Sarkozy das Ruder nicht um 180° herumgeworfen und die bisherige Allianz mit dem libyschen Regime blitzartig aufgekündigt. Die TV-Bilder von toten Demonstranten in Libyen wären sonst in breiten Kreisen mit Sarkozys Politfinanzierungs-Geschichten assoziiert worden.

Humanitäre Motive?

Die aktuelle – „rot-grüne“ – französische Regierung beruft sich ihrerseits darauf, das syrische Regime begehe völkerrechtswidrige Verbrechen, etwa durch den Einsatz von Giftgas, und die Bevölkerung müsse sich von einer solch brutalen Diktatur befreien können.

Kritisiert wird das Regierungslager auch aus der ihm nahe stehenden Presse wie der linksliberalen Abendzeitung Le Monde jedoch dafür, dieser Diskurs stehe im offenen Widerspruch zum Verhalten gegenüber syrischen Flüchtlingen. Denn den Opfern bleibt die Tür in Frankreich oft verschlossen. Bislang hat Frankreich im vergangenen Jahr nur weniger als 700 Syrern Asyl gewährt, während sogar Deutschland – das ebenfalls für eine eher restriktive Einwanderungspolitik bekannt ist – dem UNHCR zusicherte, 5.000 Syrienflüchtlinge aufzunehmen. (Vgl. http://www.lemonde.fr)

Und während bis vor kurzem syrische Staatsbürger visafrei im Transitverkehr über französische Flughäfen reisen konnten – was es ihnen prinzipiell erlaubte, in Frankreich einen Asylantrag zu stellen – führte die Pariser Regierung erst zu Anfang dieses Jahres wieder das Transitvisum im Flugverkehr für Syrer ein, wie das Außeninisterium am 04. Februar 2013 verkündete. (Vgl. http://www.gisti.org/spip.php?article3017 ) Dies verhindert, dass Menschen aus Syrien ohne französisches Visum Flughäfen des Landes betreten können. Derzeit verfolgt Frankreich innerhalb der EU sogar mit die härteste Abschottungspolitik gegenüber eventuellen Syrienflüchtlingen. Dies führte jedoch zu massiver Kritik. (Vgl. http://combatsdroitshomme.blog.lemonde.fr/)

Aufgrund des immer offener auftretenden Widerspruchs zwischen militärischem Vordrängeln einerseits, Abweisung von fliehenden Opfern aus Syrien andererseits hat Frankreichs Außenminister nun Ende vergangener Woche angekündigt, die Aufnahmepolitik für syrischen Flüchtlinge zu ändern. (Vgl. http://www.lemonde.fr ) Unterdessen blockieren am Tag des Abschlusses dieses Artikels – am Mittwoch, den 02. Oktober – mehrere Dutzend syrische Flüchtlinge den Hafen in Calais am Ärmelkanal und drohen mit einem Hungerstreik (vgl. http://www.lefigaro.fr/). Dadurch versuchen sie, ihre Überfahrt auf die britischen Inseln, wo sie sich leichtere Aufnahme versprechen, durchzusetzen – gleichzeitig fordern sie jedoch auch ein Ende der Abschiebungen aus Frankreich. In Calais waren am 05. September dieses Jahres syrische Flüchtlingen aus einem squat – aus ihren Notunterkünften in einem besetzten Gebäude – polizeilich geräumt worden (vgl. http://www.liberation.fr).

Kaum komisch: Rassisten als „Friedensbewegung“

Ungeahnte Friedensliebe erwacht an manchen Ecken und Enden, wo man sie nicht erwartet hätte. Etwa bei den gewöhnlich eher martialisch auftretenden Anhängern des Bloc identitaire, einer rechtsextremen außerparlamentarischen Aktivistengruppe.

Ihre Mitglieder und Sympathisanten können nicht eben als sensible Pazifisten durchgehen. Doch die jüngst verkündeten, und nach einer außenpolitischen Initiative Russlands wieder verschobenen, Pläne für ein militärisches Eingreifen der USA und Frankreichs in Syrien empören die „Identitären“ gar sehr. In einer E-Mail-Aussendung vom 11. September forderte der Bloc identitaire daraufhin, Barack Obama müsse den Friedensnobelpreis – der ihm 2009 verliehen wurde – umgehend zurückgeben. An seiner statt müsse er an Russlands Präsident Wladimir Putin überreicht werden. Putin ist auch aus anderen Gründen, wegen der „Stärkung des Nationalbewusstseins“ und der Staatsmacht auf russischer Seite sowie der verschärften Einwanderungspolitik gegen Kaukasier und Zentralasiaten, ein Vorbild für weite Teile der extremen Rechten. Auch Marine Le Pen, Vorsitzende des Front National, äußerte aus diesen und anderen Gründen wiederholt Lobeshymnen an die Adresse des russischen Staatsoberhaupts.

Ihre Nichte, die 23jährige Abgeordnete und Jurastudentin Marion-Maréchal Le Pen, ging in diesen Tagen demonstrieren. Am Montag, den 09. September 13 nahm sie an einer Protestkundgebung vor der Botschaft des Golfstaats Qatar in Paris teil. Ihre Schärpe, durch die Mitglieder der französischen Nationalversammlung und andere Mandatsträger sich bei öffentlichen Auftritten zu erkennen geben, trug sie allerdings nicht bei sich. (Vgl. http://www.citizenside.com/) Gegenstand der Kundgebung war es, gegen die qatarische Rolle in Syrien zu protestieren, im Namen der Notwendigkeit, die örtlichen Christen zu schützen. Aufgerufen dazu hatte ursprünglich zunächst die Webseite des Observatoire de la christianophobie – diese „Beobachtungsstelle für Christenfeindlichkeit“, als Antwort auf Vorwürfe der Diskriminierung von Muslimen unter der umstrittenen Bezeichnung Islamophobie konzipiert, ist eine rechtsextreme Initiative gegen so genannte „Inländerbenachteiligung“. Mit Bezug auf den Mittleren Osten mobilisiert sie derzeit lautstark für eine Unterstützung des syrischen Regimes, das als Schutzmacht für die Christen im Lande dargestellt wird. Als vermeintliche einzige Alternative zu dem Regime wird ein militärischer Sieg von Al-Qaida und verwandten Kräften präsentiert.

Linke und Rechte: Unterschiedliche Motive

Mit den linken Demonstrationen gegen eine mögliche US-amerikanische und französische Intervention in Syrien, die es seit Ende August auch gegeben hat, die aber schwach blieben, hatte die Kundgebung vom 09. September sich nicht vermischt. Zu offensichtlich unterschiedlich waren die Ausgangspunkte. Regimenahe Syrer unter ihren Fahnen nahmen allerdings an ihr teil. Sowohl Regimeanhänger als auch Rechte unterschiedlicher Couleur kamen auch zu den ersten Anti-Interventions-Kundgebungen wie jener in Paris am 29. August 13. Sie war zwar von Linken oder Linksnationalisten geprägt, aber Pro-Assad-Leute mischten sich darunter, während die rechtsextreme verschwörungstheoretische Webseite Le Cercle des volontaires ausführlich live von der Kundgebung berichtete. Ein Teil der Linken zog daraus inzwischen die Schlussfolgerung, solchen Kundgebungen entweder fern zu bleiben oder auf einer klaren räumlichen Trennung zu Anhängern des syrischen Regimes ebenso wie zu französischen Nationalisten zu beharren. Als einzige Möglichkeit, inhaltliche Grenzlinien zu ziehen, betrachten viele radikale Linke – die gegen einen Militärschlag eintreten – inzwischen Aufrufe, in denen explizit der politische und militärische Sieg der syrischen Opposition gegen das Regime gefordert wird, bei gleichzeitiger Präferenz für ihre progressiven Teile. Eine Intervention der USA und Frankreichs wird hingegen als schlechtes Mittel dafür betrachtet.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.