"Sozialreport 50+" 2013
Daten und Fakten zur sozialen Lage 50- bis 64-Jähriger in den neuen Bundesländern

hrg. von Volkssolidarität Bundesverband e. V.

10-2013

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Zusammenfassende Hauptaussagen

 Die Hälfte der Bürger in den neuen Bundesländern (inkl. Berlin-Ost) ist 2013 mit dem Leben alles in allem zufrieden. Die 50- bis 64-Jährigen sind weniger zufrieden als die Ostdeutschen insgesamt. Einfluss auf die Lebenszufriedenheit haben vor allem die erworbene und eingesetzte Qualifikation, der berufliche und familiäre Status sowie das damit verbundene Einkommen bzw. die vorhandenen Vermögenswerte, aber auch erlebte bzw. nichterlebte prekäre Arbeitsverhältnisse.

Es ist festzustellen, dass Zufriedenheit und Unzufriedenheit sich in den neuen Ländern sowie Berlin-Ost über die Jahre relativ stabil verhalten. Vor allem Bereiche, die vom Einzelnen in hohem Maße „selbstbestimmt“ gestaltet werden (Wohnung, Partnerschaft, Freizeitgestaltung), weisen hohe Zufriedenheiten aus. Im Vergleich zur Gesamtheit der Bürger der neuen Bundesländer ab 18. Lebensjahr gibt es eine hohe strukturelle Übereinstimmung.

Die Mehrheit der Bürger in den neuen Bundesländern anerkennt die im Ergebnis der friedlichen Revolution nach 1990 erfolgte spürbare Anhebung des Lebensniveaus ebenso wie sie nicht übersieht, dass dies mit einer zunehmenden Differenzierung in den Lebenslagen einhergeht. Es wird offensichtlich, dass die Reflexion sozialer Entwicklungen für den Zeitraum 1990 bis 2013 im Wesentlichen fünf unterschiedliche Phasen aufweist: Angleichungsphase 1990 bis 1995, Stabilisierungsphase 1996 bis 1999, Abschwungphase 2000 bis 2003, Stagnationsphase 2004 bis 2008 und Krisenbewältigung seit 2009.

Von den 50- bis 64-Jährigen bewerten nur wenige ihre Entwicklung als Aufstieg, ein Viertel eher als sozialen Abstieg und die große Mehrheit mit weder/noch. Es ist offensichtlich, dass die seit der Jahrtausendwende wirkenden Sozialreformen zu einem erkennbaren Anstieg derer, welche ihre Entwicklung als Abstieg kennzeichnen, geführt haben. Charakteristisches Element der Selbstbeurteilung ist, dass inzwischen in den neuen Bundesländern Arbeitslosigkeit nicht mehr als ein „Durchgangsstadium“ bis zum nächsten Arbeitsverhältnis betrachtet wird, sondern zunehmend als sozialer Abstieg „auf Dauer“.

Die Ungleichheit der Chancen am Arbeitsmarkt und die Spreizung der Einkommensverteilung nehmen insgesamt zu. Die Schere zwischen den neuen und den alten Bundesländern öffnet sich weiter. Etwa ab dem 55. Lebensjahr beginnt unfreiwillig der Übergang in die Rente. Es erfolgen eine massive Verdrängung vom Arbeitsmarkt und ein starker Einschnitt in den Einkommen.

Trotz Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen insgesamt bleiben die Angleichungen der Wirtschaftsleistung und der Beschäftigung zwischen den alten und den neuen Bundesländern aus. Insbesondere die starke Verdrängung aus dem Arbeitsmarkt und der hohe Anteil atypischer und prekärer Beschäftigung verschärfen die Ungleichheit.

Bei allen auch vorhandenen gegenteiligen Erfahrungen halten die Ostdeutschen auch im Alter zwischen 50 und 64 Jahren an der hohen Wertschätzung der Arbeit fest. Arbeit ist für die Vergewisserung der eigenen Identität und der Integration in die Gesellschaft von höchster Bedeutung. Die Verunsicherungen am Arbeitsmarkt führen in der Altersgruppe 50 bis 64 Jahre zum Verlust der Planungssicherheit des eigenen Lebens.

Bei den Erwerbstätigen ist die Zufriedenheit mit der Arbeit als hoch einzuschätzen. Auch diese Bewertung widerspricht vielfach den faktischen Arbeits- und Einkommensbedingungen, aber sie entspricht auch der Wertschätzung der Arbeit überhaupt. Die künftigen Entwicklungen werden äußerst pessimistisch bewertet. Ängste im Zusammenhang mit der Verdrängung vom Arbeitsmarkt sind vielfältig und groß.

 Nachdem auch in den neuen Bundesländern die Ungleichheit der Einkommen lange zugenommen hatte, ist eine weitere Zunahme nicht zu verzeichnen. Trotz eines Einkommenszuwachses in den vergangenen Jahren ist der Abstand der ostdeutschen Einkommen (vor allem der Erwerbseinkommen) zu den westdeutschen groß. Für die kommenden Rentenzugänge ist ein Wachsen des Unterschiedes bei den Renteneinkommen zwischen Ost und West zu befürchten.

 Zwei Drittel der 50- bis 64-Jährigen können ihre Bedürfnisse mittels ihres Einkommens, wenn auch mit Einschränkungen, befriedigen. Kinderlosen Partnerhaushalten gelingt das am besten, Alleinerziehenden am wenigsten. Die künftige Entwicklung wird insbesondere in der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen auch angesichts der zu erwartenden Einschränkungen beim Renteneinkommen äußerst pessimistisch eingeschätzt. An eine Angleichung der Einkommensverhältnisse zwischen den neuen und den alten Bundesländern glaubt faktisch niemand mehr.

 Gestiegene Einkommen in den letzten Jahren haben nicht zu einer Verbesserung der Kennziffern für die Einkommensarmut geführt. Dazu tragen atypische und prekäre Beschäftigung, Verdrängung aus dem Erwerbsleben und sinkende Rentenzahlbeträge bei. Armut ist weiterhin für ein Fünftel der 50- bis 64-Jährigen ein reales Problem und führt zu vielfachen Ängsten vor dem Altern, einschließlich in Bezug auf die Gesundheit und soziale Isolation.

 Von allen Befragten ab 18. Lebensjahr haben Freiheit und Soziale Sicherheit nahezu gleichauf die häufigsten Nennungen als wichtigster Wert. Auch dem Wert der Gerechtigkeit wird mit der ersten Nennung nach wie vor eine wichtige Stellung zugewiesen. Gleichheit und Solidarität folgen mit großem Abstand der Erstnennungen. Dabei ist den Jüngeren (unter 50 Jahre) der Wert der Freiheit deutlich bedeutsamer als der der sozialen Sicherheit. Der Grundwert Solidarität nimmt in seiner Bedeutung mit dem Alter deutlich zu.

 Arbeit, Familie, ein dem Einkommen entsprechender Lebensstandard, Gesundheit und Wohnen, aber auch persönliche Sicherheit stehen im Zentrum der Wertehierarchie der Bürger aller Altersgruppen. Der Stellenwert von Kindern und Bildung ist bei den Befragten mit Hochschulabschluss überdurchschnittlich ausgeprägt, der Wert Gesundheit nimmt mit dem Alter noch an Bedeutung zu. Die Werte Arbeit, bezahlbare Wohnung, Einkommen, Familie, persönliche Sicherheit, Kinder und Umwelt sind für Frauen wichtiger als für Männer.

 Konsens besteht bei allen differenzierten Sichtweisen zum Stand der deutschen Einheit darüber, dass die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West den entscheidenden Bewertungsmaßstab darstellt. Die Ostdeutschen insgesamt und insbesondere diejenigen aus der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen verstehen nahezu ausnahmslos unter Angleichung vor allem die Chancengleichheit am Arbeitsmarkt, bei den Bildungsmöglichkeiten und hinsichtlich der Zugänge zum Gesundheitswesen.

 Die deutsche Einheit wird - aus der Sicht der Ostdeutschen - noch eine ganze Weile auf sich warten lassen. So sieht auch nur ein geringer Teil der Befragten der Altersgruppe 50 bis 64 Jahre die Zielstellung der Koalitionsvereinbarung, bis 2019 die Lebensverhältnisse anzugleichen, als real an. Nur sehr wenige der 50- bis 64-Jährigen halten die deutsche Einheit für vollendet. Die Zeit bis zur realen deutschen Einheit wird von den Befragten am häufigsten mit 20 Jahren angegeben. Die Verwirklichung der deutschen Einheit ist vor allem an gleiche gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, gleiche Tarif- und Lohngestaltung, an die Einhaltung des Leistungsprinzips u. a. m. gebunden. Diese Einschätzung ist unter den Ostdeutschen insgesamt und auch bei den 50- bis 64-Jährigen seit Jahren konstant. Das betrifft vor allem anderen die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und im Beruf.

 Die Bürger in Deutschland sehen sich sowohl als Gewinner wie Verlierer der Einheit. Die Vereinigungsbilanz der 50- bis 64-Jährigen fällt gemischt aus. Während die Hälfte der Befragten ab 18 Jahre für sich Gewinne feststellt, sind es deutlich weniger in der Altersgruppe zwischen 50 und 64 Jahren. Am geringsten ist die Einordnung in die Gewinnergruppe bei den 55- bis 59-Jährigen. Insbesondere Arbeitslose und Bürger mit geringem Einkommen sehen sich als Verlierer.

 Die gefühlsmäßige Verbundenheit der Bürger ist nach wie vor stark sozialisationsbedingt. Ostdeutschland ist für die Mehrheit der 50- bis 64-jährigen Bürger der neuen Bundesländer ein wesentlicher Bezugspunkt. 50- bis 64-jährige Ostdeutsche sind stark an die jeweilige Gemeinde gebunden. Das neue Europa wird weitaus weniger angenommen.

 Die subjektive Schichteinstufung reflektiert die individuelle Lebenslage ebenso wie die regionale Sozialisation. In den neuen Bundesländern fehlt eine einheimische Oberschicht fast völlig.  Zur Vielfalt des Lebens in Deutschland gehören auch das Zusammenleben mit Bürgern anderer Nationalitäten und multikulturelles Leben. Die unterschiedlichen Erfahrungen des Zusammenlebens reflektieren sich in entsprechenden Haltungen zu Ausländern. Vorbehalte sind bei ostdeutschen 50- bis 64-Jährigen stark. Insgesamt ist die Haltung der Bürger der neuen Bundesländer mehrheitlich nicht ausländerfeindlich, aber auch nicht hinreichend ausländerfreundlich - ohne Extremhaltungen leugnen oder rechtfertigen zu wollen.

 Ein Drittel der 50- bis 64-Jährigen in den neuen Ländern ist stark an Politik interessiert, darunter jeder Zehnte in sehr starkem Maße. Seit 2011 zeigt sich das Politikinteresse dieser Altersgruppe auf gleichem Niveau. Männer zeigen ein größeres Interesse an Politik als Frauen, die Gruppe der 55- bis 59-Jährigen ist am wenigsten interessiert.

 Demokratie als Grundwert erfährt unter 50- bis 64-Jährigen eine hohe Wertschätzung. Deutlich skeptischer fällt die Beurteilung der Demokratieentwicklung aus, die nur jeder Sechste zufriedenstellend findet. Der Ausblick auf bessere demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten ist eher gering.

 Das höchste Vertrauen unter den gesellschaftlichen Institutionen genießt der Bundespräsident. Vertrauen in Polizei, Verwaltung und Gerichte ist hoch und bleibt auf gleichem Niveau wie 2011. Der Bundesregierung, dem Bundesrat und den Landesregierungen vertrauen die 50- bis 64-Jährigen weiterhin wenig. Die TV-Nachrichtensendungen erfahren unter den Medien, oft als vierte Gewalt bezeichnet, den höchsten Vertrauensbonus.

 Zwei Drittel der 50- bis 64-Jährigen sind Mitglieder in einem Verein bzw. anderenorts gesellschaftlich engagiert. Sportvereine, Kleingartenvereine und Gewerkschaften verzeichnen die höchste Mitgliedschaft. Interesse am bürgerschaftlichen Engagement mit sozialen Aufgaben bekunden Vier von Zehn in dieser Altersgruppe.

 Über den Gesamtzeitraum seit 1990 sind sinkende Hoffnungen und steigende Befürchtungen für die neuen Bundesländer charakteristisch. Nur ein geringer Teil der 50- bis 64-Jährigen ver bindet die weitere Entwicklung vor allem mit Hoffnungen, in höherem Maße werden Befürchtungen geäußert.

 Auch hinsichtlich der Erwartungen wird kaum von Verbesserungen ausgegangen, die Zukunftsaussichten werden dominiert von “es bleibt in etwa so wie es ist“. Verschlechterungen werden durchgängig häufiger benannt als Verbesserungen. Ein nicht unbedeutender Teil ist sich über die Zukunftsaussichten unsicher.

 Die für die individuelle Entwicklung erwarteten Verbesserungen bzw. Verschlechterungen von Lebensbedingungen weisen eine hohe Differenzierung zwischen den einzelnen Lebensbereichen aus. Vor allem hinsichtlich der finanziellen Absicherung im Alter werden deutliche Verschlechterungen erwartet.

 Es gibt eine relativ große Anzahl Bürger, welche Älterwerden mit Ängsten vor dem Alter in den verschiedensten Bereichen verbinden. Dabei wirken vor allem die zentralen Themen der öffentlichen Debatte (Pflege, Altersarmut), die bereits bei den Jüngeren Besorgnisse auslösen. Die Debatten um das Alter tragen nicht zu individuell empfundener künftiger Sicherheit bei.

 Die große Mehrheit der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen möchte - aus verschiedenen Gründen - bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze in Vollzeitbeschäftigung sein bzw. bleiben, fast ebenso häufig wird die Option benannt, solange zu arbeiten, wie man will oder kann.  Eine vorzeitige Beendigung des Erwerbslebens erwägt die Mehrheit nur dann, wenn keine Abschläge die Rentenzahlung belasten. In den jeweils höchsten Einkommensgruppen übersteigt die Bereitschaft des vorzeitigen Wechsels in den Ruhestand auch mit Einschränkungen die Zahl derer, die nur ohne Abschläge früher wechseln würden.

 Zufrieden mit der gebotenen sozialen Sicherheit ist knapp ein Viertel der 50- bis 64-Jährigen, die Mehrheit jedoch nur mit Einschränkungen und ein Drittel ist unzufrieden. Wer sich in höherem Maße durch die gesetzlichen Sozialsysteme abgesichert fühlt, ist auch zufrieden mit der allgemeinen sozialen Sicherheit. Die zukünftige Entwicklung der sozialen Sicherheit verbinden nur wenige mit Verbesserungen, fast die Hälfte erwartet entweder keine Veränderungen oder Verschlechterungen.

 In der Altersgruppe 50 bis 64 Jahre verweisen Neun von Zehn auf zusätzliche Formen der finanziellen Alterssicherung in Form einer Riesterrente bzw. der privaten Absicherung, wobei Letztere mehr als doppelt so oft genannt wird wie die Riesterrente. Die Sparquote liegt bei zwei Dritteln im Bereich bis zu 100 Euro monatlich.

 Das Vertrauen in die regelmäßigen Informationspapiere der Rentenversicherer über die Höhe der möglichen künftigen Regelaltersrente ist äußerst gering. Die große Mehrheit der Befragten der Altersgruppe 50 bis 64 Jahre erwartet, dass sie weniger Rente erhalten als in den Infobriefen berechnet.

Quelle: Volkssolidarität Bundesverband e. V., "Sozialreport 50+" 2013, S. 14-17

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