Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Wohnungsbau und Miete in der DDR

Interview mit Armin Lufer


von Klaus L. für "Berliner Anstoß"

10-2014

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Berliner Anstoß: Denken wir an die historischen Voraussetzungen der Wohnungsfrage in der DDR, kommen vielen von uns als erstes die Trümmerfrauen in den Sinn. War das nicht in Stadt und Land sehr verschieden?

Armin Lufer: Nach der bedingungslosen Kapitulation 1945 war das Territorium der späteren DDR zu 70 % einTrümmerfeld. Erstes Gebot war, die baulichen Trümmer abzutragen - aber auch die moralischen Trümmer. Dann mußten die darin verborgenen Baumaterialien aufbereitet werden.

Auf dem Land war der Schwerpunkt die Zerschlagung der Rittergüter, um durch Neu-Bauernhöfe die landwirtschaftliche Produktion mit den übriggebliebenen Maschinen und Geräten so zu organisieren, daß die einheimischen Arbeiter Land bekamen. Millionen Flüchtlinge mußten angesiedelt werden. Das Bauprogramm auf dem Lande brachte den Menschen nicht nur Wohnungen, sondern auch Arbeit und Voraussetzungen zur Versorgung. Die Gestaltung erfolgte im Prinzip freiwillig, mit umfangreicher Unterstützung durch die sowjetische Militäradministration und die Länder, um die Bodenreform durchgängig zu gestalten und den Prozeß nicht dem Selbstlauf zu überlassen.

Berliner Anstoß: War nicht das Bauwesen selber zertrümmert? Armin Lufer: Übriggebliebene Baukapazitäten waren ehemalige Handwerksbetriebe, die sich zu reorganisieren versuchten, aber keine Aufträge en gros bewerkstelligen konnten. Großbetriebe existierten kaum noch, Handwerker fanden sich teilweise in Innungen wieder zusammen. Mit Gründung der DDR und Bildung des Ministeriums für Aufbau wurde der Grundstein für die Bauakademie der DDR gelegt - und damit für die Planung des zukünftigen Industrie- und Wohnungsbaus.

Berliner Anstoß: Und in den Städten?

Armin Lufer: In den Städten entwickelte sich das Wohnungswesen im Gegensatz zum Kapitalismus unter staatlicher Führung, Leitung und Planung. Das schloß aus, daß mit der Wiederherstellung und dem Neubau von Wohnungen Spekulation, Wucher oder Konkurrenzkampf organisiert wurde. Von 1949 bis 1990 galt in der DDR das Nahziel, zunächst jedem Bürger eine Wohnung zur Verfügung zu stellen und dann, nach Lösung der sozialen Wohnungsproblematik, daß jeder seine Wohnung bekam - wenngleich diese vier Jahrzehnte stets auch begleitet waren von relativem Wohnungsmangel.

Berliner Anstoß: Baute nur der Staat?

Armin Lufer: Bei der Durchführung der umfangreichen Bauarbeiten haben nicht nur Bauleute und Arbeiter der Industriebetriebe und Forschungseinrichtungen gewirkt, sondern zusätzlich über alle Jahrzehnte viele Bürger - nicht nur bei der Tümmerbeseitigung, sondern auch im Rahmen der Nationalen Aufbauwerke in den Städten. Sie taten das auch in den ab 1952 gegründeten Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften (AWG) mit eigenen Kräften und finanziellen Mitteln. Diese wurden durch die Gewerkschaften gefördert. Der Staat sorgte für die kostenfreie Bereitstellung von Bauland, zinsfreie Kredite und primäre Erschließungsmaßnahmen. Insgesamt stellte er jährlich Milliardenbeträge für den Wohnungsbau zur Verfügung. Dabei bekam die komplexe Entwicklung der Gesamtstruktur neuzuschaffender Wohngebiete wachsende Bedeutung. So entwickelte sich der Städtebau bis ins Detail. Die Entwicklung konzentrierte sich auf industrielle Schwerpunkte, weil kaum Anlagen auf dem Gebiet der DDR den zweiten Weltkrieg überstanden hatten. Eine neue Industriestruktur mußte geschaffen, die gesamte Palette der Baustoff-, Schwer- und Leichtindustrie neu entwickelt werden. Die Endprodukte im Bauwesen (außer Spezial-Armaturen, die importiert werden mussten) wurden primär in der DDR durch neugeschaffene Betriebe hergestellt, denn die Embargopolitik der BRD war in allen Bereichen des Bauwesens zu spüren. Insgesamt wurden also neue Betriebe und Einrichtungen der Baustoffindustrie geschaffen und ein Baustoffhandel staatlich organisiert.

Berliner Anstoß: Welche Bereiche wurden in Angriff genommen?

Armin Lufer: Es ergaben sich Anforderungen für den weiteren Ausbau des Gesundheits- und Erholungswesens: neue Krankenhäuser, Polikliniken, Erholungs- und Kureinrichtungen - immer unter dem Gesichtspunkt, dass den arbeitenden Menschen nicht nur abverlangt wurde sich einzusetzen, sondern ihnen auch die Möglichkeiten zur Reproduktion geboten wurden. Es ergab sich auch die Entwicklung von Wohnstätten für Garnisonen, insbesondere die der Rote Armee. An der Grenze zwischen Warschauer Vertrag und NATO wurde neben dem Bau militärischer Einrichtungen auch die Unterbringung der Familien entwickelt. So spartanisch die waren, kosteten sie unsere kleine DDR viel Geld - Vorhaben, die ursprünglich nicht geplant waren, aber nach 1952 mit der weiteren Verschärfung der Klassenkampfsituation in Deutschland gegen die DDR erforderlich wurden.

Berliner Anstoß: Wann wurden die sogenannten Plattenbauten ins Auge gefasst?

Armin Lufer: Das Bauwesen schuf neue Industriebauten, Stadtzentren, Trabantenstädte. Das war nur möglich unter neuen Gesichtspunkten. Die ergaben sich ab 1970. Das Problem der Bereitstellung von Wohnungen als Lösung der sozialen Frage sollte in kurzer Zeit bis 1990 gelöst werden. Ziel war, über 3 Mio Wohnungen zu schaffen. Der Bestand betrug damals etwa 6,3 Mio Wohnungseinheiten. Er sollte um 50% aufgestockt werden. Das ging nur im Rahmen der DDR, die ausschloß, daß mit Wohnungen spekuliert wurde. Deshalb entwickelte sich, aufgrund der Erfahrungen skandinavischer Länder, aus dem traditionellen Ziegelbau die Plattenbauweise als damals einziges Mittel, um innerhalb dieser kurzen historischen Zeit so viele Wohnungen industriell zu bauen. Das ging nur durch Schaffung von Vorfertigungsbetrieben im Bestand der Wohnungsbaukombinate und mit moderner Montagetechnologie. Nur durch die Plattenbauweise wurden innerhab von 15 Jahren für 7,3 Mio DDR-Bürger, also 43% der Bevölkerung, Wohnungen geschaffen.

Berliner Anstoß: Wie sah es im Altbau aus?

Armin Lufer: Mit Realisierung des Wohnungsbauprogramms bis hin zu Vororten in Industrieschwerpunkten entstand die Notwendigkeit des Übergangs vom industriellen Bauen zur Instandsetzung und Modernisierung der vorhandenen Bausubstanz in allen Städten und Gemeinden. Dem staatlich verwalteten Wohnungsbau dienten nicht nur eigene Baubrigaden, sondern auch örtliche und Kreisbaubetriebe oder die VEB Baureparaturen. Im gesamten Gebiet der DDR gab es in Handwerkskammern organisierte Gewerke des Bauhandwerks, die als kleine Einheiten für Baureparaturen mit eingesetzt wurden. Mit dem Neubau wurden die vorhandenen Stadtzentren vernachlässigt. Eine Zersplitterung des Bauwesens war zwar niemals vorgesehen, aber die vorhandenen Kapazitäten für die Rekonstruktion vorhandener Altbauten in den Städten reichten noch nicht aus.

In diesem Prozeß gab es Anfänge, die erforderlichen Handwerksberufe wieder zu entwickeln bis zur Umschulung von Montagefachkräften, um die innerstädtischen sehr individuell auszuführenden Bauleistungen zu realisieren. Das Bauwesen der DDR stand unter staatlicher Kontrolle und Förderung, aber die Durchführung sämtlicher Baumaßnahmen erfolgte durch Betriebe und Einrichtungen aller Eigentumsformen bis hin zu privaten Handwerksbetrieben, die mit den entsprechenden Materialien bestückt wurden. Sie waren unter dem Schirm der Generalauftragnehmer verpflichtet, ihre Produkte termin- und qualitätsgerecht zu erbringen. 1990 wäre das DDR-Programm für Neubauten abgeschlossen gewesen. Ab dieser Zeit war die Rekonstruktion der Altbaugebiete vorgesehen. Durch den Anschluß der DDR an die BRD hat auch die Wirklichkeit der Verfassung der DDR aufgehört und damit der Artikel 37, der das Recht eines jeden Bürgers auf Wohnraum sichert.

Berliner Anstoß: Wie hoch waren die Mieten?

Armin Lufer: Der Mietzins für eine 3-Zimmer Neubauwohnung einschließlich Heizung und Warmwasser betrug im Durchschnitt 2 bis 4 % der Einkünfte einer Duchschnittsfamilie der DDR. Diese Mieten deckten den Aufwand für Unterhaltung und Betrieb der Bauwerke nur zu einem betimmten Prozentsatz. Das betraf nicht nur den volkseigenen Wohnungsbau sondern auch die im Privatbesitz oder Verwaltung befindlichen Wohnungen oder Häuser. Es gab jede Menge private Eigentümer. Die Mieten, die sie verlangen durften, richteten sich durchaus noch nach dem Mietstoppgesetz von 1944. Da gab es keine Zugeständnisse. Mit den ständig steigenden Preisen für Baustoffe usw.waren die alten Mieten für viele private Eigentümer aus verschiedenen Gründen nicht mehr ausreichend. Viele stellten ihre Häuser der staatlichen Wohnungsverwaltung zur Verfügung. Diese Mietpreispolitik entsprach zu DDR-Zeiten tatsächlich nicht den Möglichkeiten der Mieter, eine kostendeckende Miete zu entrichten. Die wäre meiner Meinung nach notwendig gewesen, auch um dem Verfall der Bausubstanz entgegenzuarbeiten.

Berliner Anstoß: Unter kapitalistischen Verhältnissen verschleiert das Wort "kostendeckend", daß sich im Mietzins Profite verbergen. Was wäre "kostendeckend" in der DDR gewesen?

Armin Lufer: In der BRD reden wir von Verhältnissen, wo man bis zu 60 % von seinem Gehalt für die Miete aufbringt. Davon kann im Sozialismus keine Rede sein. Hier sind Wohnungen keine Ware, sondern als Produktionsmittel in die Hände des Volkes zu legen. Wir hatten einen staatlich festgesetzten, politischen Mietpreis. Aber der Staat muß die ensprechenden Mittel für Wiederherstellung und Betrieb sichern, und zwar auch entsprechend dem Leistungsvermögen der Mieter und dem Niveau der Wohnungen. Das hängt auch davon ab, wie groß die Wohnung ist. Wenn ich exklusive Forderungen stelle, muß ich auch exkusiv meinen Anteil bezahlen. Immer in dem realen Verhältnis, daß der Anteil von Miete vertretbar ist zum Gesamtvolumen meines Einkommens. Wenn also die Mieten in entsprechender Höhe nicht eingenommen werden, ist der Staat verpflichtet. Er holt sich das Geld anderweitig und setzt es ein, wo erforderlich. Aber es darf keine Spekulationsware sein und war in der DDR auch keine. Einer leistungsgerechten Verteilung und Belastung entsprach es jedoch nicht durchgängig. So konnten auch Hochverdiener billige Mieten bezahlen. Meiner Meinung nach hätte man die Mieten nach Einkommen staffeln sollen. Eine Lösung für kostendeckende Mieten hätte bei etwa 10% des Verdienstes gelegen . Die Masse aus dem staatlchen Topf wurde für Neubau verwandt, denn die Kosten für Rekonstruktion lagen höher als für Neubau. Baupreise ergaben sich aus der Kalkulation für den Bauwerkstyp. Herstellungskosten für Baumaterialien waren staatlich bestimmt. Dazu gab es Kalkulationsbereiche, Preisermittlungen, die zum Vertragsgegenstand wurden. Bei Neubauten im Serienwohnungsbau gab es Festpreise. Danach konnten die Baukombinate nur abrechnen. Die Erschließungskosten waren entsprechend dem Standort verschieden.

Berliner Anstoß: Spielt die Entwicklung von Klassenbewusstsein nicht eine bedeutende Rolle auch für sozialistische Preispolitik?

Armin Lufer: Jede Preiserhöhung hätte sich politisch zum Schaden der DDR ausgewirkt, weil der Nachbar BRD immer auf dem Tablett stand. Wir haben ja auch praktisch die ganzen Reparationen bezahlt. Wir haben die Landesverteidigung einschließlich der Aufwendungen für die Streitkäfte der Sowjetarmee gezahlt. Unterm Strich kostete der Kampf der sozialistischen Länder zur Erhaltung des Friedens einen enormen materiellen und finanziellen Aufwand. Auf ein Minimum reduziert hätte er umgelegt werden können auf die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens. Alle diese notwendigen Ausgaben wurden der Masse zum Teil nicht vermittelt. Daraus entstand häufig nicht das Bewußtsein vom Miteigentümer am Volkseigentum. Das Verantwortungsgefühl für ihren Staat war bei der Masse nicht genügend ausgeprägt. Eine Preispolitik im Interesse der Werktätigen setzt voraus, daß sich die Werktätigen als Miteigentümer nicht nur fühlen, sondern auch mit in die Verantwortung genommen werden. D. h. daß sie bei Auf und Ab diese Schwankungen nicht nur verstehen, sondern auch tragen.
 

Editorische Hinweise

Wir spiegelten das Interview von "Anstoß"-Website - Septemberausgabe. Der "Berliner Anstoß" ist die Zeitung des DKP-Kandesverbandes Berlin.