Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Berlinovo
Der lange Schatten des Bankenskandals

Infos aus der Arbeit der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus

10-2014

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Die Geschichte der heutigen landeseigenen Berlinovo Immobilien Gesellschaft mbH (berlinovo) reicht zurück in die 1990er Jahre. In ihr sind die ursprünglich von der Bankgesellschaft Berlin AG aufgelegten Immobilienfonds zusammengefasst, die im Jahr 2001 ein Grund für den „Berliner Bankenskandal“ waren.

1994 wurden die damaligen Bankenbeteiligungen des Landes Berlin in den Konzern Bankgesellschaft eingebracht. Dies waren die Landesbank Berlin (LBB), die Berliner Bank, die BerlinHyp und die Investitionsbank Berlin. Grundgedanke der Konstruktion war es, eine Anstalt öffentlichen Rechts – die Landesbank Berlin – unter das Dach einer privatrechtlichen Holding zu stellen – die Bankgesellschaft Berlin AG – und damit über Anteilsverkäufe Einnahmen für den Landeshaushalt zu generieren. Zudem konnte die damals marode Berliner Bank mit den Mitteln der Landesbank „saniert“ werden, ohne dass das Land Kapital zuschießen musste. Die Bankgesellschaft war bis zu ihrer Krise im Jahr 2001 zu rund 56 Prozent im Landesbesitz. Innerhalb des Konzerns Bankgesellschaft wurde ein eigener Konzern – die Immobilien- und Baumanagement der Bankgesellschaft Berlin (IBG) – etabliert, an dem LBB, Berliner Bank und BerlinHyp die Anteile hielten. Diese IBG war eine Vorgängerin der heutigen berlinovo.

Kerngeschäft der IBG war die Auflage von geschlossenen Immobilienfonds mit dem Hintergedanken, möglichst viele Dienstleistungen rund um diese Fonds „konzernintern“ anbieten zu können. Das heisst, eine Konzerntochter kümmerte sich um die Heranschaffung der Immobilien, eine andere Tochter um deren Bewertung, eine andere um den Vertrieb der Fondsanteile und die Teilbanken der Bankgesellschaft um die Finanzierung der Immobilien. Nach außen hin schien das ganze ein erfolgreiches Geschäft zu sein: Die Fondsanteile fanden zehntausende Abnehmer*innen, die einzelnen Konzerngesellschaften hatten genug zu tun und die Teilbanken kurbelten über die Geschäfte mit der IBG ihr eigenes Kreditgeschäft an.

Dass sich die Fondsanteile so gut verkaufen ließen, hing in erster Linie mit Garantien zusammen, die die IBG den Fondszeichnern mit auf den Weg gab. Die wichtigsten sind eine Mietgarantie und das sogenannte Anteilsandienungsrecht. Mietgarantie bedeutet, dass die IBG den Zeichner*innen über die Laufzeit des jeweiligen Fonds Mieteinnahmen aus den enthaltenen Immobilien garantierte. Sprich: Wenn eine Immobilie nicht in der Lage war, entsprechende Mieteinnahmen zu erbringen, musste die IBG dafür aufkommen. Anteilsandienungsrecht bedeutet, dass die IBG den Zeichner*innen garantierte, nach Ablauf von 25 Jahren ihr in die Fonds eingezahltes Geld zu 100 Prozent zurückzuzahlen. Sollten die Zeichner*innen 30 Jahre warten wollen, würden sie ihr Investment zu 115 Prozent zurückerhalten. Der eigentliche Clou des Modells lag darin, dass hinter der IBG die Landesbank und die Bankgesellschaft standen und somit das Land Berlin als der eigentliche Garant betrachtet wurde, von dem angenommen werden konnte, dass er nicht in absehbarer Zeit insolvent werden würde. Verbunden mit entsprechenden Steuersparmöglichkeiten, die mit den Immobilienfonds gegeben waren, handelte es sich bei dem IBG-Fondsmodell um eine nahezu komplett sichere Anlage mit Gewinngarantie. Kein Wunder also, dass insgesamt rund 70.000 Zeichner*innen in die Fonds der IBG investiert hatten.

Da das Fondsgeschäft der IBG im Laufe der 1990er Jahre stetig expandierte, herrschte auch ein entsprechender Bedarf an Immobilien, mit denen man neue Fonds auflegen konnte. Hierzu ließ die IBG von einer Tochtergesellschaft bundesweit aber auch im Ausland massenhaft Immobilien einkaufen. Dazu gehörten in einem bedenklichen Rahmen auch problembehaftete Immobilien, mit denen die notwendigen Mieteinnahmen auf Grund ihrer schlechten Lage, Ausstattung oder ihres Zustandes gar nicht zu erbringen waren: etwa Bestände der ehemaligen Neuen Heimat, (unsanierte) Plattenbauten, Seniorenheime der ProSeniore-Gruppe, fehlgeplante Einkaufszentren etc. Das Portfolio der IBG (und damit das der heutigen berlinovo) insgesamt war und ist ein buntes Sammelsurium aus Wohnimmobilien, Multiplexkinos, Baummärkten, Autohöfen, Discountmärkten oder misslungenen Metropolenprojekten wie der „Wasserstadt Spandau“.

Im Laufe des „Bankenskandals“ im ersten Halbjahr 2001 kam an die Öffentlichkeit, dass sich durch diese Geschäftspolitik bei der Bankgesellschaft enorme Risiken angehäuft hatten, die eine Gefahr für den Fortbestand des Konzerns darstellten. Der Berliner Senat – damals noch bestehend aus CDU und SPD – entschloss sich zur Rettung des Konzerns mit öffentlichen Geldern. Diese Rettung verlief in zwei Schritten:

  1. Kapitalerhöhung um zwei Milliarden Euro: Von dieser Summe übernahm Berlin rund 1,75 Milliarden Euro. Nach dieser Maßnahme befand sich das Land im Besitz von rund 81 Prozent der Konzernanteile.
  2. Im April 2002 verabschiedete das Abgeordnetenhaus das „Gesetz über die Ermächtigung des Senats zur Übernahme einer Landesgarantie für die Risiken aus dem Immobiliendienstleistungsgeschäft der Bankgesellschaft Berlin AG und einige ihrer Tochtergesellschaften“ (Risikoabschirmungsgesetz). Kurz zusammengefasst übernahm das Land die Risiken der IBG in einer Höhe von bis zu 21,6 Milliarden Euro.

Die Risikoabschirmung für die Bankgesellschaft war in Verträgen zwischen dem Land Berlin, der Bankgesellschaft und deren Einzelgesellschaften geregelt, die erst nach einer IFG-Anfrage der Piratenfraktion öffentlich zugänglich sind:

Nach dem „Bankenskandal“ strukturierte die Bankgesellschaft ihr Immobiliendienstleistungsgeschäft so um, dass alle von der Risikoabschirmung betroffenen Teile in einem eigenen Unterkonzern zusammengefasst wurden. Aus der ursprünglichen IBG wurde die BIH – im Jahr 2006 wurde die BIH aus dem Konzern Bankgesellschaft ausgegliedert für einen symbolischen Euro auf das Land Berlin übertragen.

Gleichzeitig bereitete das Land Berlin den Verkauf des Konzerns vor. Im Jahr 2007 wurde die Bankgesellschaft unter ihrem neuen Namen Landesbank Berlin Holding AG an den Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) für rund fünf Milliarden Euro verkauft. Mit dem Verkaufserlös sollten die durch die Übernahme des Immobiliengeschäfts entstehenden Verluste nach und nach ausgeglichen werden. Geplant war ursprünglich auch, die BIH als Ganzes zu veräußern. Dieses Vorhaben scheiterte bislang mehrmals.

Wohl aus diesem Grund entwickelte der Senat 2012 ein neues Konzept zum Umgang mit der BIH, dessen sichtbarste Auswirkung zunächst die Umfirmierung des Unternehmens als berlinovo war. Anstatt weiterhin jährlich Gelder aus dem Landeshaushalt zu erhalten, sollte die berlinovo einmalig mit einer ausreichenden Liquidität ausgestattet werden (Liquiditätsmodell, Anlage 1.1) und künftig als eigenverantwortliche Landesbeteiligung arbeiten. Garantieansprüche, die aus der Risikoabschirmung resultieren, sollen künftig nicht mehr aus dem Haushalt sondern von der berlinovo eigenständig erfüllt werden. Gleichzeitig wurde das Risikoabschirmungsgesetz geändert und die ursprüngliche Garantiesumme der Risikoabschirmung in Höhe von 21,6 Milliarden Euro auf eine Garantiesumme von 3,8 Milliarden Euro gesenkt.

Der auf der oben genannten Verträgen (Detailvereinbarung und Zuständigkeits- und Verfahrensordnung) basierende neue Vertrag zwischen dem Land Berlin und der berlinovo – die sogenannte Neuordnungsvereinbarung – ist nun ebenfalls nach der IFG-Anfrage der Piratenfraktion öffentlich zugänglich.

Parlamentarische Anfragen der Piratenfraktion zur BIH und berlinovo

Berliner Bestände der berlinovo (ehemals: BIH) und Flüchtlingsunterbringung
Kleine Anfrage Nr. 17/11887 vom 11. April 2013

BIH/Berlinovo: Wie reagiert der Senat auf die massive Kritik des Landesrechnungshofes?
Kleine Anfrage Nr. 17/10981 vom 19. September 2012

Wie steht es um die Berliner Bestände der Berliner Immobilien Holding GmbH (BIH)?
Kleine Anfrage Nr. 17/10509 vom 14. Mai 2012

Was passiert mit den berlinovo-Immobilien in Wolfsburg (Dessauer Straße)?
Schriftliche Anfrage Nr. 17/13848 vom 20. Mai 2014

Wie steht es um die Bestände der berlinovo außerhalb von Berlin?
Schriftliche Anfrage Nr. 17/13243 vom 17. Februar 2014

Hintergründe zur Neuordnungsvereinbarung zwischen dem Land Berlin und der berlinovo GmbH
Kleine Anfrage Nr. 17/12923 vom 28. November 2013

Ist die berlinovo Teil des Berliner Mietenbündnisses?
Kleine Anfrage Nr. 17/12410 vom 8. Juli 2013

Wie wird die Landesbürgschaft für die Berlinovo kontrolliert?
Kleine Anfrage Nr. 17/12209 vom 10. Juni 2013

Berlinovo: Wie ist der Stand des Fondsanteilserwerbs?
Kleine Anfrage Nr. 17/11700 vom 7. März 2013

Wie wird die interne Revision der Berliner Immobilien Holding/Berlinovo künftig ausgestaltet?
Kleine Anfrage Nr. 17/11358 vom 13. Dezember 2012

Anträge der Piratenfraktion zur BIH und berlinovo

Sinnvolle Ansätze weiterführen – Wohnungen für Flüchtlinge aus den Beständen der Berlinovo/BIH bereitstellen
Antrag der Piraten vom 13. November 2012

BIH-Neuordnung – aber richtig
Antrag von Die Linke, Grüne, Piraten vom 17. Oktober 2012

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Text von der Website der Piratenfraktion
http://ifg.piratenfraktion-berlin.de/2014/09/25/berlinovo-der-lange-schatten-des-bankenskandals/ dort erstveröffentlicht am 25.9.2014.