„Wir sind alle
schmutzige Franzosen“ lautete ihre Parole. Unter diesem Motto
versammelten sich am Freitag, den 26. September 14 einige
Tausend französische Muslime sowie ein paar sonstige
Unterstützer vor der 1926 eingeweihten Pariser Zentralmoschee.
Ihr Anliegen war es, den Terror des so genannten Kalifatsstaats
in Syrien und im Nordirak, der sich selbst seit dem Hochsommer
als den „Islamischen Staat“ (IS) bezeichnet, zu verurteilen.
Konkreter Anlass dafür war die Ermordung der
französischen Geisel Hervé Gourdel, die am Mittwoch, den 24.
September d.J. bekannt wurde. Der 55jährige Profibergsteiger aus
Nizza war am Sonntag zuvor bei einer Bergtour im
Djurdjura-Hochland, in der algerischen Berberregion Kabylei,
entführt worden. Die Geiselnehmer gehören der Gruppierung
Dschunud al-khilafa („Soldaten des Kalifats“) an, der
zeitlich jüngsten der bewaffneten islamistischen Organisationen
in Algerien, die vor kurzem dem selbsternannten Kalifen des IS
Treue schwor. Sie hatte sich von AQMI, „Al-Qaida im Lande des
islamischen Maghreb“ abgespalten, wie die wichtigste übrig
gebliebene bewaffnete Islamistenorganisation in Algerien sich
seit 2007 nennt. Nach der Niederlage der Islamisten im
algerischen Bürgerkrieg der neunziger Jahre, infolge derer sich
die meisten ihrer Untergrundorganisationen auflösten, war dies
Gruppe als Hauptlinie übriggeblieben. Ihre Namensänderung von
2007 bezeichnete eine Art von Flucht nach vorn: Nachdem jede
Aussicht auf Eroberung der politischen Macht im
nationalstaatlichen Rahmen in unerreichbare Ferne gerückt und
die Bevölkerung zu den radikalen Islamisten auf Distanz gegangen
war, sollte es die Internationalisierung des Kampfes richten.
Dadurch sollten neue scheinbare Perspektiven eröffnet werden.
Die Ausrichtung auf den im Mittleren Osten
aktiven IS bildet eine neue Stufe in diesem
Orientierungswechsel. Mit dem Übergang von einer Ausrichtung auf
Al-Qaida zu jener auf den Kalifatsstaat ging auch eine
Veränderung der Methoden mit sich. AQMI hätte die Geisel
wahrscheinlich für längere Zeit – eventuell Jahre – festgehalten
und nach Zahlung eines Lösegelds mutmaßlich
lebend wieder freigelassen. Doch die neue Terrorgruppe tritt
anders auf. Nach nur drei Tagen schnitt sie ihrer Geisel, vor
laufenden Kameras, die Kehle durch und stellte den Videofilm
davon ins Internet. Zuvor hatte ihr Chef, Abdelmalek Gouri, der
französischen Regierung die Bedingung gestellt, diese müsse ihre
Politik im Iraq (eingedeutscht Irak) ändern, wenn die Geisel
überleben solle. Doch die Forderung nach direkter Einflussnahme
auf die Außen-
und Militärpolitik war durch die Pariser Regierung als
unerfüllbar bezeichnet und abgelehnt worden. Zugleich
intensivierte man die Kooperation mit den algerischen Behörden,
um die Geiselnehmer aufzugreifen, doch gelang dies nicht
rechtzeitig.
Französische
Militärs flogen am 19. September 2014 ihre ersten Luftangriffe
auf Ziele des IS im Irak, wo die USA ihre Operationen am 08.
August 14 gestartet hatten. Während die Vereinigten Staaten ihre
Attacken auf Stellungen der Jihadisten seit dem 23. September
d.J. auch auf Syrien ausweiteten, schlossen die französischen
Behörden bisher – wie alle anderen beteiligten europäischen
Nationen, Belgier, Dänen und andere – bislang ein militärisches
Eingreifen in Syrien aus. Mitte September hatten in Umfragen 53
Prozent der befragten Franzosen die Eingriffe gegen den IS im
Irak unterstützt. Nach der Ermordung von Hervé Gourdel stieg
dieser Anteil in der vorletzten Septemberwoche dieses Jahres
jedoch sprungartig auf 69 Prozent.
Ähnlich der britischen Not in my name-Kampagne
von Muslimen begann auch in Frankreich eine vergleichbare
Meinungskampagne. Ihr Titel spielt auf einen Ausspruch des
selbsternannten Kalifen ’Abu Baker Al-Baghdadi an, der seine
Anhänger aufforderte, „schmutzige Franzosen und Amerikaner“
überall in der Welt zu töten – „mit einem Auto, mit einem
Stein, was immer Ihr gerade zu Hand habt“. In Paris und
weiteren Städten kamen am Freitag, den 26. September daraufhin
Tausende Demonstranten zusammen. Unter Muslimen, Linken und
Antirassisten ist der Aufruf nur insofern umstritten, als manche
kritisieren, er erwecke den Eindruck, als müssten Muslime sich
für den IS entschuldigen. Was es fälschlich so aussehen lasse,
als habe man etwas mit ihm zu tun, obwohl es keinerlei
Zusammenhang mit ihm gebe.
Marine Le Pen, die am selben Freitag die
französischen Muslime ultimativ zur Distanzierung vom IS
aufforderte, und ein ähnliche Töne anschlagender Text in der
konservativen Zeitung Le Figaro – ihre Redaktion hat sich
inzwischen dafür entschuldigt – verleihen dieser Kritik Nahrung.
Stärker umstritten war hingegen eine Demonstration am Sonntag,
den 28. September 14, die auch von mehreren antirassistischen
Organisationen, der französischen KP und der CGT unterstützt
wurde. Dazu kamen jedoch nur rund 1.000 Personen zusammen. Ihr
Aufruf kam jedoch maßgeblich
von liberalen, „antitotalitären“ Intellektuellen, und er
insistierte stark auf die Notwendigkeit einer „nationalen
Einheit“, unter dem Titel: „Wir lassen uns nicht
auseinander dividieren.“
Der verwendete Begriff der Union
nationale wird auch für die verhängnisvolle
Burgfriedenpolitik der Sozialdemokratie von 1914 benutzt, und
stößt
deswegen viele Kritiker ab. Zudem hat der Appel an das
Zusammenstehen der Franzosen wenig positive Auswirkungen auf das
reale Geschehen; die radikale Linke favorisiert eher eine aktive
Unterstützung für die vor Ort kämpfenden kurdischen Kräfte,
einschließlich
Waffenlieferungen an dieselben. Eine Demonstration für die
Unterstützung der kämpfenden kurdischen Kräfte am Sonntag, den
05. Oktober hatte wiederum fast 10.000 Teilnehmer/innen.
Editorische Hinweise
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den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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