Rententheorie
Lenin über absolute und Differentialrente

Auszug aus:
Die Agrarfrage und die „Marxkritiker“

10/2015

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Wir haben bei unseren bisherigen Betrachtungen die Frage des Grundeigentums gänzlich außer acht gelassen; ein solches Verfahren erfordern, wie wir gesehen haben, sowohl logische Erwägungen als auch die historischen Tatsachen, die davon zeugen, daß die kapitalistische Landwirtschaft bei jeder Form des Grundeigentums entsteht und sich entwickelt. Führen wir nun diese neue Bedingung ein. Angenommen, alles Land sei Privateigentum. Wie wirkt sich das auf die Rente aus? Die Differentialrente wird vom Grundeigentümer auf Grund seines Eigentumsrechtes dem Farmer abgenommen werden; da die Differentialrente einen über den normalen, den Durchschnittsprofit des Kapitals hinausgehenden Profitüberschuß darstellt und da in der Landwirtschaft Freiheit der Konkurrenz im Sinne von Freiheit der Kapitalanlage in der Landwirtschaft besteht (respektive durch die kapitalistische Entwicklung geschaffen wird), wird der Grundeigentümer stets einen Farmer finden, der sich mit dem Durchschnittsprofit begnügt und ihm, dem Grundeigentümer, den Surplusprofit abgibt. Das Privateigentum an Grund und Boden schafft nicht die Differentialrente, sondern leitet sie lediglich aus den Händen des Farmers in die des Grundeigentümers über. Bleibt nun der Einfluß des privaten Grundeigentums darauf beschränkt? Kann man etwa erwarten, daß der Grundeigentümer dem Farmer umsonst gestatten wird, jenen schlechtesten und am ungünstigsten gelegenen Boden zu exploitieren, der nur den Durchschnittsprofit auf das angelegte Kapital abwirft? Natürlich nicht. Das Grundeigentum ist ein Monopol, und auf Grund dieses Monopols wird der Grundeigentümer vom Farmer auch für diesen Boden Bezahlung verlangen. Diese Bezahlung ist die absolute Rente, die in gar keinem Zusammenhang mit der verschiedenen Produktivität verschiedener Kapitalanlagen steht und dem Privateigentum an Qrund und Boden entspringt.

Als Herr Bulgakow Marx der willkürlichen zwiefachen Auslegung ein und desselben Monopols beschuldigte, nahm er sich nicht die Mühe, darüber nachzudenken, daß wir es tatsächlich mit einem zwiefachen Monopol zu tun haben; erstens haben wir das Monopol der (kapitalistischen) Bodenbewirtschaftung. Dieses Monopol entsteht aus der Beschränktheit des Bodens und ist daher in jeder kapitalistischen Gesellschaft eine Notwendigkeit. Dieses Monopol hat zur Folge, daß der Getreidepreis durch die Produktionsbedingungen auf dem schlechtesten Boden bestimmt wird, während der überschüssige, der Surplusprofit, der durch Anlage von Kapital auf besseren Boden oder durch produktivere Kapitalanlage entsteht, die Differentialrente bildet. Diese Rente entsteht völlig unabhängig vom privaten Grundeigentum, das den Grundeigentümer nur in den Stand setzt, sie dem Farmer abzunehmen. Zweitens haben wir das Monopol des privaten Grundeigentums. Dieses Monopol ist weder logisch noch historisch mit dem vorgenannten Monopol untrennbar verbunden. Dieses Monopol stellt für die kapitalistische Gesellschaft und die kapitalistische Organisation der Landwirtschaft keine Notwendigkeit dar. Einerseits können wir uns sehr wohl kapitalistische Landwirtschaft ohne Privateigentum an Grund und Boden denken, und viele konsequente bürgerliche Ökonomen haben auch die Nationalisierung des Bodens gefordert.

Anderseits finden wir auch in der Wirklichkeit kapitalistische Organisation der Landwirtschaft bei Fehlen von privatem Grundeigentum, z. B. Auf Staats- und Gemeindeländereien. Die beiden Monopolarten sind daher unbedingt auseinanderzuhalten, und folglich muß neben der Differentialrente auch das Bestehen der absoluten Rente anerkannt werden, die durch das Privateigentum am Boden erzeugt wird(*).

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*) Im zweiten Teil des zweiten Bandes der 1905 erschienenen „Theorien über Mehrwert" gibt Marx zur Frage der absoluten Rente Erläuterungen, die die Richtigkeit meiner Interpretation (insbesondere bezüglich der zwei Arten des Monopols) bestätigen. Die entsprechenden Stellen bei Marx lauten: „Wäre das Land nicht nur relativ zum Kapital und zur Bevölkerung, sondern faktisch ein unbegrenztes Element, ,unbegrenzt' wie ,Luft und Wasser', ,in unbeschränkter Menge vorhanden"' (Zitate aus Ricardo), „so könnte tatsächlich seine Aneignung durch die einen Aneignung desselben durch die anderen nicht ausschließen. Es könnte kein privates (auch kein ,öffentliches' oder staatliches) Eigentum am Boden existieren. In diesem Falle, wenn alles Land auch überall von gleicher Güte, könnte gar keine Rente dafür gezahlt werden . . . Der Witz ist also der: Existiert das Land elementarisch dem Kapital gegenüber, so bewegt sich dieses in der Agrikultur in derselben Weise wie in jedem anderen Industriezweig. Es existiert dann kein Grundeigentum und keine Rente... Ist das Land dagegen 1. beschränkt, 2. angeeignet, findet das Kapital Grundeigentum als Voraussetzung vor — und dieses ist der Fall da, wo die kapitalistische Produktion sich entwickelt; wo es die Voraussetzung nicht wie im alten Europa vorfindet, schafft es sie selbst, wie in den Vereinigten Staaten —, so ist der Grund und Boden von vornherein nicht ein elementarisches Aktionsfeld für das Kapital. Daher gibt es Grundrente, abgesehen von der Differentialrente." (S. 80, 81.)" Marx unterscheidet hier mit aller Bestimmtheit zwischen der Beschränktheit des Bodens und dem Privateigentum am Boden. (Anmerkung des Verfassers zur Ausgabe von 1908. Die Red.)

Quelle:  LW 5/119-121