Kommentare zum Zeitgeschehen
Der gute Syrer- der böse Orbán - oder Heuchelei ohne Grenzen

von Max Brym / 06. September 2015

10/2015

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Ungarn duldet keine Flüchtlinge. Der rechtsgerichtete ungarische Regierungschef Orbán hetzt im PEGIDA Stil gegen Flüchtlinge. Die ungarische Grenze wird mit Stacheldraht und Militär gegen Flüchtlinge dichtgemacht. Einige Kommentatoren in der bundesdeutschen Medienlandschaft kritisieren Ungarn wegen der Behandlung der Flüchtlinge zurecht. Diese „ humanitäre Kritik“ ist allerdings oftmals pure Heuchelei. Es stellt sich die Frage warum nicht, die in der Vergangenheit errichteten flüchtlingsfeindlichen „ Grenzsicherungsanlagen“ Bulgariens und Spaniens kritisiert wurden ? Vorgestern hat nun Österreich und Deutschland die Grenzen geöffnet für Flüchtlinge aus Syrien, welche sich in Ungarn befanden. Dies ist kein Ausdruck einer „ multikulturellen Willkommenskultur“ sondern es entspricht den ökonomischen Interessen weiter Teile der deutschen und österreichischen Industrie. Altkanzler Schröder hat kürzlich eine „ gesteuerte Zuwanderungspolitik im Interesse des deutschen Sozialstaates“ gefordert. Es geht in Wahrheit um „billige Verwertungsmöglichkeiten der (z. B. auch der hochqualifizierten)Flüchtlinge auf dem deutschen Arbeitskräfte- und Menschenmarkt“, wie Reinhold Schramm schrieb. Aus Syrien flüchtet momentan, die ziemlich qualifizierte Mittelschicht. Die neue deutsche Flüchtlingspolitik zielt darauf syrische Apotheker, Ärzte, Ingenieure, und Facharbeiter für den Arbeitsmarkt in Deutschland zu rekrutieren. Jedes andere Argument ist Kokolores und für das Publikum gedacht. Vom Grundsatz her ist die Politik der konzentrierteste Ausdruck der Ökonomik. Der BDA und der BDI schreien nach neuen Facharbeitern und Billigjobren. Deshalb gibt es formal den guten Syrer, aber auch den bösen Albaner.

Bundesarbeitsministerinn Nahles brachte jetzt jedoch ins Spiel Menschen aus Kosova, Albanien und Montenegro mittels einer Quote von 20.000 Personen pro Jahr „ zeitlich befristete Arbeit in Deutschland“ zu ermöglichen. Sie propagiert dies um die genannten Länder von Fachkräften weiter zu entleeren und um Löhne in Deutschland zu drücken. Um es festzuhalten: Es ist völlig richtig für das Recht auf Zuwanderung und gegen jeglichen Rassismus einzutreten. Dennoch sollte erkannt werden wie heuchlerisch und verlogen die Flüchtlingspolitik Deutschlands ist. In der offiziellen Propaganda ist viel von „Menschlichkeit“ und „Hilfe“ die Rede. In Wahrheit werden Flüchtlinge in gut und böse geteilt. Nützlich sind diejenigen Flüchtlinge welche dem Zweck der Kapitalverwertung zugeführt werden können. Negativ sind diejenigen Emigranten welche sich nicht rechnen. Gegen letztere wird der „ Volkszorn“ mobilisiert. Viktor Orbán wird in den bundesdeutschen Leitmedien kritisiert weil er entgegen des Dublin 2 Abkommens die Flüchtlinge nicht behält. Dies wird vor allem auf nicht- kapitalverwertungsfähigen Roma und Albaner vom Westbalkan bezogen. Die Flüchtlinge aus Syrien hingegen werden den Ungarn abgenommen. In Syrien selbst gehört der Deutschkurs mittlerweile zum guten Ton in der qualifizierten Mittelschicht. Die Reise nach Deutschland kostet za. 10.000 Euro. Natürlich haben die Menschen absolut nachvollziehbare Gründe, um aus der syrischen Hölle zu flüchten. Die Flucht mit all ihren Risiken können sich aber nur Menschen mit einer bestimmten Qualifikation leisten. Diese qualifizierten Arbeitskräfte will sich die deutsche Industrie einverleiben. Aus rein ökonomischen Gründen wird deshalb eine scheinbar progressive „ Menschenrechtskampagne“ gefahren. Es geht den deutschen Eliten darum Menschenmaterial zu haben welches bereits qualifiziert ist. Damit spart man Ausbildungskosten. Gleichzeitig fordert der BDA und der BDI eine Verlängerung der Arbeitszeit in Deutschland. Es liegt auch im Kalkül der Industrie und Bankwelt dafür „ Emigranten“ zu benützen. Letzteres soll zu Konflikten zwischen „ Einheimischen“ und Emigranten führen. Dadurch kann der „Sozialstaat“ weiter demontiert werden. Dieses perfide Kalkül der „ Eliten“ kann nur durch eine Verbesserung des Schulsystems in Deutschland selbst bekämpft werden. Es muss den Angehörigen des deutschen Prekariats, das Gefühl genommen werden ( das Gefühl ist da, obwohl es absurd ist) , gegenüber den Emigranten benachteiligt zu werden. Die Frontstellung muss wieder die -zwischen Oben und Unten- unabhängig von der nationalen Herkunft sein. Vor einigen Tagen brachten Zeitungen eine Liste über die reichsten Deutschen. Die „ hohen Kosten“ für die Flüchtlinge könnte eine Milliardärsfamilie über Jahre übernehmen und wäre weiterhin eine Milliardärsfamilie. Solange „ Ausländerdebatten“ geführt werden wird die Bevölkerung gespalten. Wir leben jedoch in einer Klassengesellschaft.

Die sogenannte „ Flüchtlingsdebatte“ lenkt von dem entscheidenden Klassenwiderspruch ab. Verantwortlich für Flucht , Krieg und Armut sind die international operierenden Banken und Konzerne. Sie müssen zur Kasse gebeten werden. Antirassismus ist nur dann nachhaltig wenn er antikapitalistisch ist. Wirklich progressive Menschen müssen sowohl den „undifferenzierten Rassismus“ eines Viktor Orbán bekämpfen, aber auch die letztendlich ebenfalls rassistischen „ Nützlichkeitsdiskurs „ der Eliten in Deutschland.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Kommentar vom der Autor für diese Ausgabe am 30.9.2015

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