Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Rechtsextreme Rathausregierungen und Widerstände dagegen

10/2015

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Fünfzehn Rathäuser werden in Frankreich, seit den Kommunalwahlen vom März 2014, rechtsextrem geführt; zwölf unter ihnen vom Front National und drei durch die neofaschistische Regionalpartei ,Ligue du Sud’ (ursprünglich vier, doch der Bürgermeister von Camaret-sur-Aigues trat inzwischen zum FN über).

Aber auch Widerstände machen sich in den betroffenen Städten und Gemeinden, die insgesamt rund 450.000 Einwohner/innen aufweisen, bemerkbar. Zum zweiten Mal in Folge beteiligten sich an diesem Freitag, den 02. Oktober 2015 in Lothringen rund 100 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter an einem überregionalen Treffen, um über gemeinsame Widerstände gegen die rechtsextreme Kommunalpolitik zu beraten. Eine erste solche Tagung hatte am 06. Mai dieses Jahres im südfranzösischen Béziers stattgefunden (wir berichteten damals ausführlich). Beide Tagungen wiederum bildeten den Bestandteil einer gewerkschaftlichen Anti-Rechts-Kampagne, die am 29. Januar 2014 im Pariser Gewerkschaftshaus gestartet wurde. An ihr beteiligen sich überregional die Gewerkschaftsverbände CGT (stärkster Dachverband), FSU (Bildungsgewerkschaften) und Solidaires (überwiegend linke Basisgewerkschaften) sowie Studierendenvereinigungen.

Dieses Mal fand die Tagung also im lothringischen Hayange statt, einer industriegeprägten Kommune mit rund 16.000 Einwohner/inne/n im Einzugsbereich der Industriestadt Thionville (und im weiteren Umland der Bezirkshauptstadt Metz). Genauer gesagt, befand sich der Tagungsort knapp über der Gemeindegrenze in der Nachbarstat Knutange, die ebenfalls als eine Art Vorort von Thionville gelten darf. Dies sollte eventuellen handfesten Auseinandersetzungen vorbeugen. Denn gerade das Rathausoberhaupt von Hayange, der 36jährige Fabien Engelman, gilt als besonders nervös und aggressiv – und das könnte auf seine Anhänger durchschlagen.

Der frühere Kommunalangestellte Engelman war einige Jahr lang ein radikaler Linker (er soll sechs Jahre bei der dogmatisch-trotzkistischen Partei Lutte Ouvrière - LO/„Arbeiterkampf“ und einige Monate bei der undogmatisch-radikalen „Neuen Antikapitalistischen Partei – NPA gewesen sein) und Gewerkschafter bei der CGT. Letztere befördert ihn jedoch im März 2011, nachdem seine Kandidatur zu den damaligen Bezirksparlamentswahlen für den FN ruchbar geworden war. Fabien Engelman war im Lauf des Jahres 2010, insbesondere aufgrund seiner sich radikalisierenden Muslimfeindlichkeit, zur extremen Rechten übergelaufen. Sein Ausschluss aus der CGT führte zu einer massiven Kampagne der extremen Rechten gegen ihr „Mundtotmachen“ durch die Gewerkschaften; und die CGT-Leitung musste eine Sektion von Kommunalangestellten in Nilvange (Nachbarstädtchen von Hayange, wo auch Engelman arbeitete) auflösen, weil diese sich auf Teufel komm’ raus mit ihrem Mitglied Engelman solidarisierte. Als Fabien Engelman daraufhin, noch im März 11, am Zentralsitz der CGT im Pariser Vorort Montreuil auflief, um dort gegen seinen Gewerkschaftssausschluss zu plädieren, war er von Anhängern seiner nunmehrigen politischen Ideen begleitet, und es kam zu Bespuckungen und beinahe zu Prügelszenen.

Völlig verschont von eher unschönen Auseinandersetzungen blieb, dies sei sogleich vorausgeschickt, auch die Tagung von diesem 02. Oktober 15 nicht. Obwohl von Anfang an allen Beteiligten klar sein musste, dass es sich um eine gewerkschaftliche Tagung „gegen rechts“ handelte, brüstete sich in der Mittagspause ein Anwesender - ein bebrillter Älterer in Jeansjacke - lautstark damit, er sei FN-Wähler. (Hinterher stellte sich heraus, dass er offenkundig von einer CGT-Gewerkschaft von Kommunalangestellten aus der Region mitgebracht worden war. Seine Kollegen redeten sich darauf heraus, er sei immer brav zur Stelle, wenn es um Flugblattverteilen und anpackende Mithilfe gehe. Eine schwache Ausrede, sofern seine politischen Auffassungen bekannt waren!) Dies nervte wiederum ein anderes CGT-Mitglied, einen etwas jüngeren Mann in orangefarbener Jacke, nennen wir ihn O. Kurz nach Wiederaufnahme der Diskussionen nach der Mittagspause kam es dann im hinteren Bereich des Saals zu einer handfesten Prügelei zwischen O. und einem Dritten. Wie im Nachhinein zu erfahren war, soll – O. zufolge – ein rassistischer Witz gefallen sein, was ihn offenkundig endgültig zur Weißglut brachte. Der solcherart Beschuldigte seinerseits gibt jedoch an, es sei keine rassistische Äußerung gefallen, sondern die Sache beruhe auf einem Missverständnis. Nachdem beide Kontrahenten sich – pardon, liebe Leserinnen und Leser – sich buchstäblich gegenseitig auf die Fresse gegeben hatten, wurden sie hinaus befördert, wo einige Anwesenden versuchten, die Sache zu beruhigen. Die genauen Hintergründe (problematischer Ausspruch oder Missverständnis?) ließen sich bislang leider nicht aufklären.

Dies war jedoch die einzige Schattenseite. Ansonsten konnte den ganzen Tag hindurch in konstruktiver Atmosphäre gearbeitet werden, auch mit internationalen Gästen: vom luxemburgischen OGB-L sowie von der deutschen Gewerkschaftsorganisation Ver.di, die mit Vertretern aus dem Saarland und Rheinland-Pfalz angereist waren (Menschen aus beiden Gastländern hielten kurze Redebeiträge). Ansonsten kamen die Teilnehmer/innen aus verschiedenen französischen Regionen: rund 30 Menschen kamen aus der unmittelbaren Umgegend mit einem Schwerpunkt auf Hayange selbst, hinzu kamen weitere Gewerkschafter/innen aus Lothringen. Aber auch aus dem nordostfranzösischen Raum Nord-Pas de Calais waren größere Gruppen, insbesondere von CGT-Gewerkschafter/inne/n, angereist. Der Rest kam aus dem übrigen Frankreich, darunter dem Raum Paris.

In vier Arbeitsgruppen wurde der aktuellen politischen Problematik auf den Grund gegangen, zu den Themen: „rechtsextreme Rathäuser als Arbeitgeber und ihre Sozial-/Wirtschaftspolitik“, „rechts Umdrehen von linken Argumentationen“, „Jugend- und Kulturpolitik“ sowie der Umgang mit dem örtlichen Vereins- und Initiativwesen. Am Nachmittag wurde eine gemeinsame Bilanz aus den Arbeitsgruppen gezogen. Diese soll, ähnlich wie zuvor die Auswertung des Treffens vom 06. Mai 15 in Béziers, auch verschriftlich und öffentlich zugänglich gemacht werden.

In der Arbeitsgruppe um die extreme Rechte als kommunalen Arbeitgeber und ihre Sozialpolitik schälte sich etwa heraus, dass es zwei sehr unterschiedliche Strategien in den FN-geführten Rathäusern gibt. Auf der einen Seite ist besonders in Hénin-Beaumont in Nordostfrankreich eine höchst „integrativ“ wirkende, oder jedenfalls so gewollte, Strategie anzutreffen. Diese knapp unter 30.000 Einwohner/innen zählende frühere Bergbaustadt ist „das“ Vorzeigeschaufenster für die Kommunalpolitik der extremen Rechten: Ihr Stadtoberhaupt Steeve Briois war bis zum letzten Parteitag des FN (November 2014) dessen Generalsekretär, und Marine Le Pen kandidierte hier regelmäßig zu den frankreichweiten Parlamentswahlen. Der Front National tritt hier äußerst behutsam-bedächtig-vorsichtig auf. Da die vormalige sozialdemokratische Rathauspolitik in der Stadt nicht nur von dickem „Filz“ geprägt, sondern geradezu „mafiös“ war (Ex-Bürgermeister Gérard Dalongeville wurde für seine Amtsführung, inklusive Millionen-Hinterziehung, erstinstanzlich zu vier Jahren Haft verurteilt), fällt es dabei gar nicht schwer, sich mit ein wenig Mühe vermeintlich positiv abzuheben. Die örtliche CGT lobt in ihren Verlautbarungen mitunter die gute Zusammenarbeit mit der neuen Rathausmannschaft – jener vom FN...

In Hayange hingegen handelt es sich um eine ebenso ideologisch konfrontativ auftretende wie aggressive Kommunalpolitik. Anwesende Junggewerkschafter aus Hayange berichten etwa, wie Engelman das kommunale Personal behandelt. Bislang war es etwa üblich, dass auf Schneeräumfahrzeugen im Winter stets ein Beifahrer oder eine Beifahrerin mitfährt – wenn das Fahrzeug im Schnee (der in den Wintermonaten hier relativ reichlich fällt) stecken bleibt, dann ist eine zweite Person neben dem Mann oder der Frau am Steuer vonnöten, um es wieder freizubekommen. Da das dafür zur Verfügung stehende Personal jedoch mehrere Wochen im Winterhalbjahr auf Abruf arbeitet, d.h. auf einen Telefonanruf hin zum Dienst erscheinen muss, handelt es sich Fabien Engelman zufolge um „Geldverschwendung für Nichtstun“. Prompt schaffte er den Beifahrerposten ab. „Dadurch steigert er das Unfallrisiko für die Schneefahrer und gefährdet potenziell Menschenleben“, ereifert sich eine örtliche Gewerkschafterin. Konsultiert wurde das Personal dazu nicht: Engelman entscheidet grundsätzlich selbstherrlich.

CGT-Mitglieder im Rathaus beklagen sich darüber, dass eine Atmosphäre der Einschüchterung und Angst geschaffen worden sei: In vielen Büros traue man sich nicht einmal mehr, gewerkschaftliche Flugblätter auch nur entgegenzunehmen, um nicht bei ihrem Lesen ertappt zu werden.

Auch auf ideologisch-symbolischer Ebene fährt das Rathaus von Hayange einen scharfen Konfrontationskurs. Am Sonntag, den 06. September 15 fand zum zweiten Mal (nach dem 07. September 2014) die ,fête de cochon’, also das „Fest des Schweins“ in der früheren Stahlarbeiterstadt Hayange statt. Dabei geht es in den Augen des Bürgermeisters darum, das Schwein und dessen Fleisch in allen erdenklichen Formen zu zelebrieren. Wohl nicht so sehr aus Geschmacksgründen, Engelman selbst gilt als Vegetarier und militanter Tierrschützer, sondern vor allem deswegen, weil Moslems kein Schweinefleisch essen. Wie auch im Vorjahr hatte sich auch im diesjährigen September ebenfalls militante Neonazis angemeldet: Die Webseite von ,Lorraine Nationaliste’ rief das Milieu der so genannten Autonomen Nationalisten zur Teilnahme auf.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe - verfasst am 2.10.2015 in Hayange (Lothringen).