Solidarity with all Refugees everywhere NOW!
B
ericht von der serbisch mazedonischen Grenze

von "
refugeeresistance berlin
"

10/2015

trend
onlinezeitung

Hallo alle!

Dies ist ein aktueller Erfahrungsbericht von der serbisch mazedonischen Grenze aus Presevo (Sonntag, 11.10.15), wo tausende Menschen unter katastrophalen Bedingungen in Regen und Kälte ohne Zugang zu ausreichend Wasser, Essen und medizinischer Versorgung ausharren. Es werden dringend Unterstützer_innen, Geld- und Sachspenden benötigt! Ihr könnt mir gerne schreiben, um direkten Kontakt zu den Menschen an der Grenze zu bekommen.

Wir sind nach ca 30 Stunden Autofahrt nun seit 2 Tagen in Presevo an der Grenze von Serbien zu Mazdeonien. Unser Van war vollgepackt mit Essen, Kocher,Decken, Zelten, Jacken etc. und wir haben riesen Glueck gehabt, dass wir ueberhaupt nach Serbien gelassen wurden, da Hilfsguetertranporte und humanitaere Hilfe generell meist verwehrt wird. Ein absurdes politisches Spiel. Nur dadurch, dass wir inszeniert haben zu einem Technofestival in Thessaloniki zu fahren, konnten wir
passieren.

Die Situation hier in Presevo ist schrecklich. Es kommen ununterbrochen tausende Menschen von der mazedonischen Grenze hierher, wo sie nach stundenlangem Warten registriert werden, nur um die offizielle Erlaubnis zu haben sich 72 Stunden in Serbien aufzuhalten. Es regnet fast permanent in Stroemen, nachts faellt oft die Elektrizitaet aus, es ist dunkel, kalt und nass und die Menschen warten teilweise 13 Stunden stehend in einer umgitterten Schlange bis sie in das Camp gelassen
werden, wo sie mit Decken, wovon es viel zu wenig gibt, und ein bisschen Suppe versorgt werden, um sich dort ein Papier mit Stempel abzuholen. Anschliessend werden sie rausgelassen auf einen Vorplatz, auf dem es warmes Essen und Chai gibt. Wenn sie die Schlange verlassen, weil sie schlafen wollen oder zu erschoepft sind um zu stehen, z.B. Familien, muessen sie sich danach wieder hinten anstellen. So kommt es, dass einige Leute 2 Tage warten muessen bis sie endlich einen Bus bekommen, der sie fuer 35 Euro an die naechste Grenze nach Babska in Kroatien faehrt. Als wir ankamen wurde inmitten dieser schlimmen, vermuellten Situation eine Hochzeit gefeiert. Absurder haette das alles nicht sein koennen.

Es ist alles so pervers. Die serbischen Taxifahrer_innen und viele Privatpersonen mit Autos organisieren sich mafioes und versuchen die Refugees vor der langen Schlange abzufangen und sie zu ueberreden, dass sie ein Taxi nehmen. Sie werden abgezockt und fuer viel viel zu viel Geld irgendwohingefahren und dann rausgelassen. Diese Autos versuchen aus der absoluten Krisensituation auch noch Geld ohne Ende zu schlagen. Wir versuchen die Menschen zu informieren und von den kriminellen Taxifahrer_innen abzuraten. Wenn sie in der Schlange stehen, muessen sie im Dauerregen stundenlang warten. Die Polizei laesst sie haeppchenweise vor und scheut sich nicht davor wild mit Schlagstoeckern rumzuspielen und die Menschen wie Dreck zu behandeln. Es sind so unfassbar viele Menschen, viele Kinder, Schwangere, kranke oder verletzte Menschen, die gerade den Kriegs- oder Krisengebieten entflohen sind und nun hier wieder auf die absolute Demuetigung stossen. Anders als an den kroatischen oder slowenischen Grenzübergängen werden Schwangere, Muetter mit Babies oder Menschen, die nicht mobil oder krank sind, hier nicht bevorzugt sondern muessen auch ausharren.

Um 3 Uhr nachts macht Registrierung zu und erst um 8 Uhr morgens wieder auf, das heisst solange muessen alle im Regen stehen oder sie suchen sich Schutz in leeren Laeden, unter Planen oder in den wenigen Zelten, die wir aufgebaut haben.
Es gibt nur 1 Arzt im Camp und dahin duerfen nur die absolut dringendsten Faelle, quasi lebensbedrohliche Faelle. UNHCR und andere NGO machen nachts Feierabend. Es ist einfach unglaublich, in solch einer katastrophalen Situation Feierabend zu machen! Die Mehrheit der Menschen ist voellig unterkuehlt, Babies und Kinder sehen nur noch apathisch aus. Fast alle Menschen haben kreideweisse Haende, manche sind barfuss. Hypothermie (Unterkühlung) ist hier quasi Normalzustand, zitternde super erschoepfte Menschen, die kaum noch stehen koennen. Die Presse ist nicht da.  Wir kochen und uebernehem nun die Essensversorgung auf dem Vorplatz und versuchen regelmaessig Chai in die wartende Menschenschlange zu geben. Es mangelt hier an allem, vor allem brauchen wir mehr Unterstuetzer*innen.

Die letzte Nacht war der Horror. Es hat in Stroemen geregnet, die Abwasserkanaele waren verstopft und die Strasse war ein Fluss. Wir standen teilweise bis kurz unters Knie im Wasser, der ganze Muell schwamm umher, alle waren nass, unterkuehlt, hungrig und so erschoepft! Kinder schreien kaum noch, weil sie nur noch apathisch sind. Ich habe eine Familie getroffen. Die Mutter war klitschnass, hatte nur ein duennes Tshirt an, hochschwanger und mit Baby umgeschnallt. Der Vater und die anderen beiden Kinder auch voellig fertig und ausdruckslos. Wir konnten ihnen ein Zelt yum Ausruhen geben. Ich habe
den Saeuglich zum Zekt getragen, weil die Mutter es nicht mehr konnte, wir mussten sie stuetzen. Durch eine tiefe ueberschwemmte Wiese haben sie sich dorthin geschleppt. Zum Glueck konnten wir ein paar Decken und Bananen auftreiben. Alle waren am Zittern und haben kaum noch ein Wort gesprochen.

Direkt danach habe ich ein Zelt auf der Strasse gesehen, dass schon voellig unter Wasser stand und wollte schauen ob dort Menschen drin schlafen. Als ich das Zelt aufgemacht hab, waren dort 4 Kinder, die aelteste vielleicht 7 Jahre alt, der Juengste eineinhalb oder so. Sie waren allein ohne Eltern. Ich konnte aus den paart Woertern Englisch der Aeltesten nur verstehen, dass die Eltern gegangen waren ohne zu erfahren wohin. Mit zwei anderen haben wir die Kinder da rausgeholt und zum Arztzelt getragen. Der Kleine auf meinem Arm war bis auf ein Tshirt komplett nackt und hat so gezittert, wie ich es noch nie gesehen hab. Ich konnte ihn nur durch ganz festes Anmichdruecken etwas auffwaermen. Alle Kinder waren total apathisch und abwesend. Wir haben den Namen der Mutter rausgefunden und wollten Decken organisieren um die Kinder zu waermen, dann hat die Polizeichefin uns verboten auf das Camp zu gehen und wir konnten beides nicht machen. Wir sind in der Naehe des Zeltes geblieben um zu schauen, ob die Eltern zurueckkommen um die Kinder zu holen und dann kamen sie. Die Mutter war super panisch als sie das leere Zelt gesehen hat, sie wollten sich registrieren und die Kinder spaeter abholen. Aber die Familie hat sich wiedergefunden, zum Glueck! Eine Mutter hat gestern nacht ihr ungeborenes Babz verloren, vielleicht weil sie einfach nicht mehr konnte. Es gibt viele solcher grauenhaften, unfassbaren Geschichten von einzelnen Menschen hier.

Der Regen hat zum Glueck heute tagsueber kurz nachgelassen und die Leute konnten sich etwas aufwaermen und trocknen.  Nachmittags ist ploetzlich das Militaer mit Maschinengewehren aufgetaucht. Mitten auf dem Platz. Sie haben nichts getan, ausser Macht zu demonstrieren und einzuschuechtern, dann sind sie wieder gefahren.

Auch hier ist alles so repressiv, Hilfe wird kriminalisiert, zumindest  selbstorganisierte, NGOs lassen sich wenig in Aktion blicken und das meiste laeuft eben ueber die Menschen, die einfach hierherkommen und helfen. In unserer Kueche werden wir viel von wartenden Refugees unterstuetzt, deren Busse noch nicht fahren. Wir koennen in einem Lagerraum auf den UNHCR Decken schlafen, schlafen aber eher wenig. Die Lage ist echt schlimm und ich habe Angst vor der naechsten Nacht. Wie soll man schutzsuchenden Menschen erklaeren, dass sie ab nun mindestens 12 Stunden im kalten Regen warten muessen um dieses ueberfluessige Papier zu bekommen und dann auch noch Geld bezahlen sollen, um an die kroatische Grenze zu kommen? Vor allem schwangeren Frauen oder Familie mit Saeuglingen? Wir versuchen auf uns aufzupassen, aber das hier emotional zu verarbeiten ist kaum moeglich, weil kein Raum da ist und weil es teilweise so surreal erscheint, was hier passiert. Aber gemeinsam mit vertrauten Menschen können wir uns hier zumindest immer wieder neue Kraft geben und die Wut und Trauer teilen.

Viele Volonteers reisen heute nacht ab, weil morgen wieder die Woche beginnt. Wir brauchen dringend Unterstuetzung hier mit allem. was geht. Essen, Wasser, Decken, Regencapes, Geld, Aerztinnen, Unterstzuetzer_innen! Falls ihr noch Menschen mit Kapazitaeten kennt, gebt diese Infos bitte weiter!

Fuer mehr und aktuelle Infos und Kontaktaufnahme zu den Leuten an der Grenze:

Solidarity with all Refugees everywhere NOW!

Zusendung per Email am 20.10.2015 an die Redaktion