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Die Arbeiter*innen von Madrid stürmen die Montana-Kaserne

Ein Augenzeugenbericht

10/2016

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Als die Franco-Faschisten putschen, ist die Montana-Kaserne eines ihrer Zentren in Madrid. Dort befinden sich 55.000 Gewehre und Pistolen, die von der Volksfrontregierung für die Milizen der Gewerkschaftsbewegung eingelagert wurden. Die Faschisten verweigern die Herausgabe. Am 20. Juli 1936 stürmen die proletarischen Massen die Kaserne, um sich zu bewaffnen. Wir zitieren aus dem Augenzeugenbericht von Arturo Barea, der später die Pressestelle der Volksfrontregierung leiten wird.

.....Die Kaserne, in Wirklichkeit drei verschiedene Kasernen, die zu einem Block vereinigt waren, bildet einen mächtigen Gebäudekomplex auf einer Hügelkuppe. Davor dehnt sich ein weites Glacis, das einem ganzen Regiment Raum zum Exerzieren bietet. Auf der einen Seite ist diese Terrasse durch einen Steilhang mit der Calle de Ferraz verbunden, auf der anderen Seite bricht sie über dem Nordbahnhof jäh ab. Eine breite steinerne Brustwehr umgibt sie in ihrer vollen Länge; darunter fällt eine Steilwand sechs Meter tief zu einem niedriger gelegenen Glacis ab, das die Kaserne vom Park der Calle de Ferraz trennt. Die Rückseite des Gebäudes überragt die weite Avenida des Paseo de Rosales und das offene Gelände im Westen und Nordwesten.

Das Cuartel de la Montana ist eine Festung.

Aus der Richtung der Kaserne krachten Gewehrschüsse. An einer von der Plaza de Espana und der Calle de Ferraz gebildeten Ecke luden, von einer Mauer gedeckt, Rollkommandos ihre Gewehre. Zwischen den Bäumen und den Bänken des Gartens hockten und lagen Menschen in großer Zahl. Eine Woge wütender Schüsse und Schreie stieg von ihnen und von anderen empor, die ich nicht sehen konnte, weil sie näher an der Kaserne waren. Es müssen viele Tausende gewesen sein, die das Bauwerk auf dem Hügel umzingelt hielten. Der Gehsteig auf der anderen Seite, der von den Fenstern der Kaserne aus gesehen werden konnte, lag verödet.

Ein Flugzeug flog in geringer Höhe auf die Kaserne zu, und die Menschen heulten auf. »Eines von den unsrigen!«

Tags zuvor, am Sonntag - dem Sonntag, an dem so viele von uns in der Hoffnung, der Sturm sei zu Ende, in die Sierra hinausgefahren waren -, hatten Gruppen von Offizieren auf den zwei Flugfeldern von Madrid sich zu erheben versucht, waren aber von den loyalen Truppen überwältigt worden.

Die Maschine zog einen weiten Kreis und stieß dann tiefer herab, so daß ich sie nicht mehr sehen konnte. Einige Augenblicke später erbebte der Boden, und die Luft zitterte. Nachdem er seine Bomben abgeworfen hatte, flog der Flieger davon. Die Menge schäumte vor Freude, manche der Menschen im Park sprangen auf, winkten und warfen ihre Mützen in die Luft. Ein Mann drehte sich in einer Pirouette und fiel nieder, erschossen. Die Kaserne feuerte.

Schreiend und kreischend tauchte auf der anderen Seite der Plaza de Espana ein dichter Menschenhaufe auf. Als die Menge an der Straßenecke angelangt war, sah ich in ihrer Mitte ein Lastauto mit einem 7,5-cm-Feldgeschütz. Ein Offizier des Rollkommandos versuchte, die Leute anzuweisen, wie das Geschütz abzuladen war, aber sie hörten nicht auf ihn. Hunderte fielen über das Lastauto her, als wollten sie es verschlingen, und es verschwand unter dieser menschlichen Masse wie ein Stück verwesendes Fleisch unter einem Schwärm Fliegen. Dann aber stand das Geschütz, auf Armen und Schultern herabgeholt, auf dem Boden.

Der Offizier richtete sich auf und gebot brüllend Ruhe. »Jetzt paßt gut auf! Sobald das Geschütz abgefeuert worden ist, schiebt ihr es so schnell wie möglich dort hinüber! Verstanden?«

Er zeigte auf das andere Ende des Parks. »Aber bringt euch nicht selbst um ... Wir müssen sie glauben machen, daß wir viele Geschütze haben. Und ihr alle, die ihr nicht helfen könnt, verschwindet!«

Er feuerte das Geschütz ab, und noch ehe sich der Mündungsrauch verzogen hatte, war ein Schwärm von Männern hingesprungen und hatte es hundert, zweihundert Meter wei­tergezogen. Wieder donnerte das Geschütz, und wieder begann es seinen tollen Lauf über die Pflastersteine. Es ließ eine Reihe von Menschen hinter sich, die auf einem Fuß umherhopsten und vor Schmerz brüllten: die Räder waren über einige Füße gerollt. MG-Geschosse streuten die Straße in unserer nächsten Nähe ab. Ich suchte im Garten Deckung und warf mich hinter einem dicken Baumstamm auf den Boden, dicht hinter zwei Arbeitern, die auf dem Rasen lagen.

Was zum Teufel suchte ich hier - ohne auch nur die kleinste Waffe in meinen Taschen zu haben? Aber wie hätte ich anderrswo sein können?

.....Das Krachen von Mörsern und Rattern von MGs von der Kaserne her setzte nicht aus. Von Zeit zu Zeit dröhnte hinter uns das Geschütz, ein Geschoß heulte durch die Luft, und irgendwo in der Entfernung ertönte eine Explosion. Ich warf einen Blick auf die Uhr: sie zeigte 10. Das war doch unmög­lich. In diesem Augenblick trat plötzlich Stille ein, der ein ge­waltiger Ausbruch von Rufen folgte. Aus dem wirren Getöse brachen die Worte hervor: »Sie ergeben sich... die weiße Fahne...!«

Die Leute sprangen vom Boden auf. Da merkte ich zum ersten Mal, daß viele Frauen unter ihnen waren. Und alle liefen auf die Kaserne zu. Ich wurde mitgerissen und lief mit ihnen. Nun konnte ich die steinerne Doppeltreppe in der Mitte der Brustwehr sehen. Sie war eine schwarze, in zwei Ströme geteilte wogende Masse von Menschen, die einander treppen-aufwärts stießen und schoben. Auf der oberen Terrasse blockierte eine zweite dichte Menschenmasse den Ausgang der Treppen. Wütendes Geratter von Maschinengewehren durchschnitt plötzlich die Luft. Mit einem unmenschlichen Aufschrei versuchte die Masse auseinander zu kommen. Die Kaserne spie aus allen Fenstern Metall. Wieder dröhnten Mörser, dies­mal näher, mit dumpfen Knallen. Es dauerte minutenlang, während die Woge der Schreie furchtbarer klang als je zuvor.

Wer wohl den Befehl zum Sturm gegeben hatte?

Eine ungeheure, kompakte Masse von Leibern bewegte sich wie ein Sturmblock vorwärts gegen die Kaserne, gegen die Böschung oberhalb der Calle de Ferraz, gegen die steinerne Treppe in der Mauer, gegen die Mauer selbst. Jetzt war die Menge ein einziger anhaltender Schrei. Und ununterbrochen ratterten die Maschinengewehre.

Dann wußten wir mit einem Mal, obwohl es uns niemand gesagt hatte: die Kaserne war im Sturm genommen worden. Die Gestalten an den Fenstern verschwanden wie der Blitz, und andere Gestalten jagten ihnen nach, an den Fenstern vorbei. Die Woge von Schreien und Schüssen tönte nun im Inne­ren des Gebäudes. An einem der Fenster erschien ein Milizmann, hob ein Gewehr hoch in die Luft und warf es hinunter in die Menge, die mit einem Aufbrüllen wilder Freude antwortete. Ich selbst fand mich in einen Teil der Masse einge­keilt, der mich zur Kaserne hinschob. Das Glacis war mit Lei­bern bedeckt, von denen manche sich im eigenen Blut wanden und weiterzuschleppen suchten. Und dann war ich im Kaser­nenhof.

Die drei Reihen von Galerien, die den Hof umgaben, wa­ren voll von laufenden, brüllenden, gestikulierenden Men­schen, die Gewehre schwenkten und ihren Freunden Unver­ständliches zuriefen. Eine Gruppe rannte hinter einem Solda­ten her, der toll vor Freude vorwärtsstürmte und jeden, der seinen Weg kreuzte, beiseite stieß. Sie waren beinahe die ganze Runde der Galerie gelaufen, als einer dem Soldaten das Bein stellte. Er fiel nieder. Eine Menschengruppe schloß sich um ihn. Als sie auseinanderging, war vom Hof aus, wo ich mich befand, nichts mehr zu sehen.

Ein riesenhafter Mann erschien auf der oberen Galerie, er hielt mit seinen großen Händen einen Soldaten in die Höhe, der mit den Beinen in der Luft strampelte. Jetzt brüllte der Riese: »Da kommt einer!«

Und er warf den Soldaten in den Hof hinunter. Er fiel, überschlug sich in der Luft wie eine Stoffpuppe und prallte mit einem dumpfen Schlag auf die Steine. Der Riese warf die Arme hoch und heulte:

»Und jetzt der nächste!«

An der Tür des Depots hatte sich eine größere Menge ange­sammelt. Hier drinnen waren die Gewehre. Ein Milizmann nach dem anderen kam heraus und schwenkte sein neues Ge­wehr, wobei sie vor Begeisterung fast tanzten. Dann folgte ein neuer Ansturm auf die Tür.

»Pistolen! Pistolen!«

Aus dem Depot ergossen sich schwarze Schachteln, die von Hand zu Hand über die Köpfe hinweg weitergereicht wur­den. Jede enthielt eine Armeepistole, eine langläufige Astra, Kaliber 9, ein Reservemagazin, einen Putzstock und einen Schraubenzieher.

Nach einigen Minuten war das Hofpflaster mit Ölpapier und mit schwarz-weißen Flecken gesprenkelt, denn das Innere der schwarzen Schachteln war weiß. Die Depottür spuckte weiter Pistolen aus.

Im Depot des Cuartel de la Montana sollen fünftausend Astra-Pistolen gelegen haben. Ich weiß nicht, ob das richtig ist. Ich weiß nur, daß an diesem Tag in allen Straßen Madrids die leeren schwarz-weißen Schachteln herumlagen. Was den Leuten nicht in die Hände fiel, war die Munition für die Pistolen. Sie war sofort von den Rollkommandos mit Be­schlag belegt worden.

Ich verließ die Kaserne. In ihr hatte ich die ersten Monate meiner Dienstzeit zugebracht, als Rekrut, der für Marokko bestimmt war, vor sechzehn Jahren.

Im Vorbeigehen warf ich einen Blick auf den Fahnensaal, dessen Tür weit offenstand. Er war voll von Leichen getöte­ter Offiziere, die in wilden Haufen dort lagen, die einen mit den Armen auf dem Tisch, die anderen auf dem Fußboden, wieder andere auf den Fenstersimsen. Einige von ihnen waren noch blutjunge Burschen.

Draußen auf dem Glacis lagen die Hunderte von Leichen - prallen Schein der Sonne.....

Quelle: Barea, Arturo: Hammer und Amboß sein, Ffm, 1955, S. 546ff

Lesehinweis: In der Maiausgabe 2016 veröffentlichten wir