Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Front National
Marine Le Pen startet ihren Vorwahlkampf. Unter dem Motto „Im Namen des Volkes“

10/2016

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Artikel vom 26./27. September 16

Verquere Fronten: Wird im beginnenden Vorwahlkampf in Frankreich – wo die nächste Präsidentschaftswahl in nunmehr sieben Monaten stattfinden – ein Konservativer dafür sorgen, dass die Erbin einer neofaschistischen Partei am Ende als „Gemäßigte“ dastehen wird? Dies befürchten derzeit viele Beobachterinnen und Beobachter in Frankreich. // Vgl. http://boutique.liberation.fr // Aber auch ein sozialdemokratischer Premierminister, dessen unerklärtes Vorbild Gustav Noske heißen könnte und dessen erklärtes politisches Vorbild Georges Clemenceau ist // vgl. http://www.lemonde.fr und https://www.franceinter.fr/ // (also der Mann, der 1906 und 1909 auf streikende Arbeiter schießen ließ, vgl. http://www.humanite.fr/node/304432 ), wird da nicht völlig abseits stehen. Auch wenn Manuel Valls dann, falls die rechtsextreme Politiker Marine Le Pen je in die Stichwahl einzieht, mit viel Pathos in der Stimme „die Republik“ gegen die rechte Gefahr beschwören dürfte: Es wäre nichts als Taktik. Im Herzen wäre der Mann froh, könnte er einen Wahlkampf an der Spitze einer Die-Rechten-Verhindern-Front führen, was es ihm ersparen würde, für irgendwelche Inhalte kämpfen oder gar eine Bilanz aus der eigenen Regierungspolitik ziehen zu müssen. Es ist also zu erwarten, dass den Rechten und ihrer Ideologie weiterhin eifrig das Terrain bereitet wird.

FN: Man schlägt sich, man verträgt sich..?

Erst kamen die Drohungen, dann folgt das Geld? Nachdem er am 24. August dieses Jahres damit gedroht hatte, bei den Parlamentswahlen im Juni 2017 eigene Kandidaten gegen die seiner früheren Partei aufzustellen, schickt Jean-Marie Le Pen sich nun an, die Wahlkämpfe ebendieser Partei zu finanzieren. Der Gründer und langjährige Chef des rechtsextremen Front National (FN) – zwischen 1972 und 2011 – war im August 2015 infolge antisemitischer Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen worden. Ihm wurde parteischädigendes Verhalten vorgeworfen.

Am 12. September 2016 berichtet nun die Tageszeitung Le Parisien, der 88jährige Amtsvorgänger und Vater der jetzigen Vorsitzenden Marine Le Pen werde sowohl die Kampagne des FN bei den Präsidentschaftswahlen vom April und Mai kommenden Jahres als auch die zu den nachfolgenden Parlamentswahlen finanzieren. Die rechtsextreme Partei benötigt dafür jeweils fünfzehn Millionen Euro. Derzeit kann sie jedoch nur rund zehn Prozent dieser Summe mobilisieren. Französische Banken sperren sich bislang dagegen, ihr Kredite zu erteilen. Deswegen appelliert der Schatzmeister des FN, Wallerand de Saint-Just, derzeit sowohl an russische als auch an US-amerikanische Banken sowie an private Spender; ein russisches Kreditinstitut hatte dem FN im Jahr 2014 bereits neun Millionen Euro geliehen. Doch Jean-Marie Le Pen verfügt über eine eigene Organisation zur Parteienfinanzierung, die in den 1980er Jahren gegründete Cotelec (Abkürzung für Cotisations électorales Le Pen).

Diese will er nun dem Bericht zufolge für die bevorstehenden Wahlkämpfe des FN einspannen. Das hat aber nicht nur „uneigennützige“, politisch-ideologische Gründe, geschweige denn Vaterliebe als Motiv zugrunde liegen – seit dem Ausschluss Jean-Marie Le Pens aus der einstmals von ihm geleiteten Partei spricht er nicht mehr mit Marine Le Pen. Die Parteienfinanzierung über Cotelec ist jedoch nicht kostenlos und erfolgt auch nicht auf Selbstkostenbasis (auch wenn Jean-Marie Le Pen dies zu behaupten scheint), sondern basiert vielmehr auf rückzahlbaren Krediten mit fünfprozentiger Verzinsung. Cotelec profitiert also finanziell davon. Vor allem aber würde die Organisation schnell eingehen, würde sie sich weigern, Wahlkämpfe des FN zu finanzieren – denn genau dafür erhält sie wiederum Gelder von privaten Spendern.

War Jean-Marie Le Pen im Namen der durch die jetzige Parteiführung ausgerufenen Linie der dédiabolisation (ungefähr: Entdämonisierung) ausgeschlossen worden, so droht eine Annäherung an den früheren Chef diese Kommunikationsstrategie zu konterkarieren. Unterdessen legt Marine Le Pen sichtbaren Wert darauf, ihre Taktik demonstrativ zu unterstreichen. Auch weiterhin versucht sie, in der Öffentlichkeit so beruhigend wie möglich aufzutreten. Ihr Slogan im frühen Vorwahlkampf lautete während des ersten Halbjahres 2016: La France apaisée („Das zur Ruhe/zum Frieden gekommene Frankreich“), und bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach der Sommerpause am 03. September dieses Jahres spann sie den Faden fort, indem sie ein neues, ähnliches Motto ausgab. Dieses lautet l’apaisement par l’autorité („Durch Autorität zum Frieden kommen“). Es handelt sich jedoch nur um vorläufige Parolen, und im Laufe der kommenden Wochen oder Monate wird noch eine bislang unbekannte Wahlkampfdevise vorgestellt werden.

Anlässlich der „Sommeruniversität“ des FN, die am Wochenende des 17./18. September d.J. in Fréjus – der zweitgrößten rechtsextrem regierten Stadt in Frankreich, an der Côte d’Azur – stattfand, wurde eine neue Parole ausgegeben: Au nom du peuple („Im Namen des Volkes“). Daran kündigte allerdings eine gleichnamige Vereinigung an, gerichtlich gegen diese Namenswahl vorzugehen(1). Zugleich wurde der erst 28jährige neofaschistische Bürgermeister von Fréjus, David Rachline, als Wahlkampfleiter für die bevorstehenden Wahlkampagnen eingesetzt(2).

Die Chefin des FN gibt sich „moderat“, Konservative radikalisieren ihr ideologisches Profil

Wie ist die aktuelle Lage? Rechts von IHM scheint nur noch die Wand zu stehen, während SIE es sich politisch nicht erlauben kann, eben diesen Eindruck zu erwecken: Ganz im Zeichen ihrer Beruhigungsstrategie, die um jeden Preis zu vermeiden versucht, dass der FN „in eine extreme Ecke gestellt wird“ // vgl. http://www.lemonde.fr//, grenzte Marine Le Pen sich in den letzten Wochen vom konservativen Präsidentschaftskandidaten Nicole Sarkozy ab. Und zwar, indem sie versucht, sich im Vergleich zu ihm als erheblich gemäßigter darzustellen.

Infolge der Terroranschläge im Juli d.J. hatten Sarkozy und seine Umgebung mehrere Woche lang explizit gegen Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit gewettert. Der Sarkozy nahe stehende konservative Experte für Innere Sicherheit und Präsident der Bezirksregierung in Nizza, Eric Cotti, echauffierte sich etwa über eine Journalistenfrage nach dem Respekt des Rechtsstaats: „Sie würden mir eine solche Frage nicht stellen, hätten Sie wie ich die Leichen am Strand von Nizza gesehen. Die reden nicht mehr vom Rechtsstaat!“ // Vgl. http://lelab.europe1.fr/ // Da fällt es Marine Le Pen relativ leicht, sich vergleichsweise moderat zu geben. Am 27. August erklärte daraufhin Nicolas Sarkozys Rivale und - ebenfalls - Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur, François Fillon: „Es ist ein Fehler,den Rechtsstaat in Frage zu stellen.“ // Vgl. https://jscheffer81.wordpress.com // Und: „Ich war verstört und unglücklich darüber, dass ich hören musste, wie Marine Le Pen sich erlaubt, manche Verantwortliche unserer Partei zurecht zu weisen. Dies sagt viel darüber aus, wie Manche versuchen, dem FN hinterherzulaufen, um Wahlen zu gewinnen.“ // Vgl. https://www.fillon2017.fr // Fillon, er war von 2007 bis 2012 Premierminister unter Präsident Sarkozy, äußerte sich unter Anspielung auf eine verbale Aufforderung Marine Le Pens, doch bitte beim Rechtsstaat zu bleiben.

Am Sonntag, den 11. September leistete sich die Chefin des FN gar den Luxus, auf eine Nachfrage beim Fernsehsender TF1 – ob ihr zufolge dass der Islam einen Platz in der Republik finden könne – zu antworten: „Ich glaube, ja.“ Woraufhin die rechtsextreme Politikerin noch einige Bedingungen dafür aufzählte; dennoch verwirrte der Satz einige ihrer Parteikameraden gehörig. // Vgl. http://www.marianne.net // Zwar beinhalten ihre öffentlichen Äußerungen in schöner Regelmäßigkeit das genaue Gegenteil, und die Ablehnung einer erkennbaren Präsenz der muslimischen Religion in Frankreich gehört zum Kerngeschäft ihrer Partei. Doch ihre Pirouette erlaubte es Marine Le Pen, vergleichsweise moderat dazustehen - während Nicolas Sarkozy in grellen Farben eine islamische Bedrohung ausmalt, von einer „Verteidigung der französischen Identität“ spricht // vgl. http://www.lefigaro.fr/ // und in bedenklichen Worten einen „totalen Krieg“ gegen den Terrorismus fordert. // Vgl. http://www.lepoint.fr/ // Wobei in diesem Falle übrigens auch der zitierte François Fillon nicht nachsteht, der seinerseits jüngst sogar einen „Weltkrieg“ erfunden hat // vgl. http://www.lejdd.fr//, inzwischen jedoch erkennen musste, dass er Sarkozy nicht mehr rechts überholen wird könnten.

Laut Angaben in Le Monde vom 13. September wollen voraussichtlich 13 Prozent der Wählerinnen und Wähler von Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren im kommenden November an der Urwahl der Konservativen teilnehmen. Bei ihnen wird, am 20. und 27. November, der nächste Präsidentschaftskandidat der Konservativen bestimmt. Acht Bewerber konnten sich qualifizieren, fünf mussten aus dem Rennen ausscheiden. Mehrere von ihnen setzen darauf, mit Hilfe auch der FN-Wählerschaft die Kür zu erlangen.

Valls walzt

Aber auch Manuel Valls, der amtierende Premierminister, meldete sich in diesem Spätsommer zu Wort und verteidigte die Beschlüsse von dreißig rechtsgerichteten Rathausregierungen, bestimmte muslimische Badebekleidungen zu verbieten // vgl. http://www.heise.de//, auf offensive Weise. // Vgl. Vgl. dazu sein Interview vom 17. August d.J.: http://www.laprovence.com// Er steht seit Jahren für einen autoritären Staats-Laizismus, welcher als pure Ausgrenzungsideologie funktioniert. Was im Übrigen einen klaren Bruch mit dem historischen Laizismus – also dem Prinzip der Trennung von Kirche, im Sinne des französischen Gesetzes vom 09. Dezember 1905 – darstellt. Denn Letzterer stellte einen Anspruch an den Staat dar, dieser müsse konfessionell neutral bleiben; während in der neueren autoritären Variante der Staat mit weltanschaulichen Ansprüchen an bestimmte Bevölkerungsgruppen und an die Zivilgesellschaft herantritt. Kein Wunder also, das seine immer größere rechte Flanke in der Argumentation des autoritären Ausgrenzungs-„Laizismus“ klafft, und dass dieser Begriff inzwischen lässt auch durch Marine Le Pen und andere Rechtsextreme instrumentalisiert wird, nach dem Motto „Hauptsache, es geht gegen Muslime“.

Valls hatte in jüngerer Vergangenheit etwa das Vorgehen eines Unternehmens lautstark gerechtfertigt, das darin bestand, das Kopftuchtragen als Kündigungsgrund einzustufen und dadurch einen juristischen Präzedenzfall zu schaffen. // Vgl. dazu u.a. http://www.lefigaro.fr/ und http://www.lemonde.fr/ – Valls äußerte sich damals als amtierender Innenminister und griff dadurch quasi offen in Justizvorgänge ein. //

Er hat sich für ein Kopftuchverbot nicht nur – wie es seit dem Gesetz vom 15. März 2004 in Kraft ist – für Schülerinnen unter elterlicher Vormundschaft, sondern auch an Universitäten für erwachsene und mündige Studentinnen gefordert (was mutmaßlich schlicht verfassungswidrig wäre). // Vgl. u.a. http://www.lemonde.fr/  und http://www.huffingtonpost.fr oder http://www.marianne.net Siehe auch als Résumé dazu: http://www.lemonde.fr/

Und ihm nahestehende sozialdemokratische Senatoren hatten 2012 einen Gesetzentwurf erarbeitet, der Frauen sogar verboten hätte, bei sich zu Hause in den eigenen vier Wänden ein Kopftuch zu tragen, sofern sie Aufträge für Kleinkinderbetreuung im eigenen Haus übernehmen. // Vgl. http://www.marieclaire.fr/ und http://www.leparisien.fr/  sowie http://www.islamophobie.net // Das Vorhaben wurde bislang nicht weiterverfolgt, auch wenn die Debatte darüber 2015 nochmals neu aufgetaut wurde. // Vgl. http://www.liberation.fr//

Dagegen kritisierten zwei von Valls’ amtierenden Ministerinnen, Regierungssprecherin und Schulministerin Najat Vallaud-Belkacem oder „NVB“ sowie Gesundheitsministerin Marisol Touraine, explizit die jüngsten Verbotsverfügungen in den Medien. Vallaud-Belkacem – die sich selbst gegen den „Burkini“ ausspricht - sprach sogar davon, diese trügen zu einer „Freisetzung/Befreiung rassistischer Redeweisen“ bei; aus gutem Grund, denn im selben Zeitraum kam es etwa im Pariser Umland zu einem Skandal, als ein Restaurantbesitzer sich weigerte, zwei Kopftücher tragende Frauen zu bedienen. // Vgl. etwa http://www.huffingtonpost.fr/// Die Ministerin bezeichnete das Verhalten zumindest einiger der betreffenden Rathausregierungen als „Entgleisung“ (dérive) // Vgl. http://www.europe1.fr/// ; diese gössen „Öl ins Feuer“. Manuel Valls antwortete ihr daraufhin am 25. August postwendend: „Diese Verfügungen sind keine Entgleisung, das ist eine schlechte/falsche Interpretation.“ // Vgl. http://www.laprovence.com und http://www.ouest-france.fr/

Mit solchen Bürgerlichen, und solchen Sozialdemokraten, darf man sich auf einen Wahlkampf gefasst machen, der bestehende Spannungen schüren und die Bedingungen für interreligiöses und interkulturelles Zusammenleben nochmals erschweren wird. Die Jihadisten, unter anderem, dürfen sich darüber freuen – während warnende Beobachter mahnen, deren Propaganda werde nun über Jahre hinaus befeuert. // Vgl. dazu http://www.francetvinfo.fr  und http://www.europe1.f sowie  http://www.frederichelbert.com   //

Die Städte vom Dorf aus einkreisen...?

Ihr erstes öffentliches Meeting nach dem Ende der Sommerpause hielt Marine Le Pen in dem Dörfchen Brachay ab, das in in der Nähe der ostfranzösischen Stadt Saint-Dizier liegt. Diese Kommune mit 55 Einwohner wird seit einiger Zeit vom FN zum alljährlichen Pilgerort verwandelt, seitdem die rechtsextreme Partei dort bei der Präsidentschaftswahl 2012 ihren höchsten Stimmenanteil überhaupt einfuhr – 72 Prozent für ihre damalige und künftige Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen. Als einzigen Spitzenpolitiker zitierte diese am 03. September 16 in Brachay wiederum ihren konservativen Konkurrenten Nicolas Sarkozy, den sie als Heuchler angriff: Er gebe vor, den radikalen Islamismus zu bekämpfen, sei jedoch Anfang August d.J. in Marokko mit dem König Saudi-Arabiens zusammengetroffen und lasse sich durch die Golfstaaten finanzieren.

Ansonsten knüpfte Marine Le Pen in ihrer Ansprache triumphierend an das britische „Brexit“-Votum von Ende Juni dieses Jahres an und stellte in Aussicht, im Falle ihres Wahlsiegs innerhalb von sechs Monaten in Frankreich eine ähnliche Abstimmung zu organisieren. Infolge eines solchen Referendums, behauptete Marine Le Pen, werde Frankreich „wieder ein freies, stolzes, unabhängiges Volk werden, und wir können Frankreich (dann) seinen wahren Platz in der Welt zurückgeben“.

Endnoten

 

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir von Autor für diese Ausgabe.