Gabun-Berichte von Bernard Schmid

Verfassungsgericht beerdigt die Beschwerde der Opposition. Wahlbetrug abgesegnet.

Artikel vom 26. September 16

10/2016

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So viel steht jedenfalls fest: Am Ende bleibt alles in der Familie. Dies dürfte sich die Vorsitzende des Verfassungsgerichts in der afrikanischen Erdölrepublik Gabun, Marie-Madeleine Mborantsuo, Ende vergangener Woche gesagt haben. In der Nacht vom Freitag zum Samstag (vom 23. zum 14. September d.J.) gab die Dame das offizielle Ergebnis einer verfassungsrichterlichen Überprüfung der umstrittenen Ergebnisse der Präsidentschaftswahl vom 27. August 2016 bekannt.

Theoretisch dürfte die 61jährige höchste Richterin im Staat, die allerdings gar nicht als Juristin, sondern als Steuerexpertin ausgebildet wurde, gar nicht mehr amtieren. Ihr letztes rechtsgültiges Mandat an der Spitze des Verfassungsgerichts lief vor zehn Jahren ab, da die Verfassung des Landes auf Äquatorhöhe die Zahl der Amtszeiten auf diesem Posten auf zwei begrenzt. Doch als ihre zweite Amtsperiode ablief, hielt der damalige Staatspräsident Omar Bongo eine schützende Hand über sie. Frau Mborantsuo hat zwei Kinder mit dem Autokraten, der von 1967 bis zu seinem Tod im Juni 2009 ununterbrochen als Staatsoberhaupt amtierte, gezeugt.

Omar Bongo hatte nicht nur recht zahlreiche Kinder – ihre Gesamtzahl wird auf rund siebzig geschätzt -, sondern ist auch der Vater des jetzigen Präsidenten Ali Bongo. Er wurde, nach einer kurzen Interimsperiode von ein paar Wochen nach dem Ableben seines Vaters, Ende August 2009 offiziell ins oberste Staatsamt gewählt. Nach Auffassung vieler interner Oppositioneller und externer Beobachter ging es dabei nicht sauber zu, die Niederschlagung von Unruhen im Anschluss forderte damals fünfzehn Tote. Vor allem die Hafenstadt Port-Gentil erhob sich damals, zum wiederholten Male, gegen das Regime. Schon im April/Mai 1990 war eine Revolte von Port-Gentil ausgegangen, gegen die damals direkt französische Truppen eingesetzt wurden. Frankreich verfügt über eine Militärbasis in der Hauptstadt Libreville und kontrolliert Gabun wirtschaftlich, wenngleich chinesische Unternehmen ihm dort mittlerweile Konkurrenz bereiten. 2009 wurden dann auch direkt französische Interessen, wie etwa Tankstellen von TOTAL – dieser Konzern dominiert die Rohölförderung in Gabun -, attackiert.

Die Präsidentschaftswahl in Gabun hat stets nur einen Durchgang, in dem eine relative Mehrheit genügt, was Wahlbetrug und Manipulation ungeheuer erleichtert, zumal 2009 das Oppositionslager durch mehrere konkurrierende Kandidaturen aufgesplittert war. Um eine Wiederkehr dieser Situation zu vermeiden, hatten sich die Anführer von 26 unterschiedlichen Oppositionskräften in diesem Jahr Mitte August darauf geeignet, alle Kandidaturen zurückzuziehen, die jener des gewichtigsten Herausforderers von Ali Bongo hätten schaden können.

Deswegen wurde Jean Ping auch als „Einheitskandidat der Opposition“ bezeichnet. Auch wenn der 73jährige, genau betrachtet, so oppositionell auch wieder nicht ist: Von 1990 bis 2008 amtierte er als Minister unter Omar Bongo, war unter anderem dessen Außenminister. Danach stieg er zum Generalsekretär der Afrikanischen Union (AU) auf. Doch 2012 entzog ihm der Nachfolger Omar Bongos, dessen Sohn Ali, die notwendige Unterstützung seines Landes für eine Wiederwahl. Hauptsächlich aus diesem Grund ging Jean Ping danach in die Opposition über und beschloss, selbst zur Präsidentschaft zu kandidieren. Einige frühere Berater des früheren Präsidenten Omar Bongo, die dessen Sohn und Nachfolger für unreif und zur Amtsausübung nicht befähigt halten, schlossen sich ihm an.

Da also das vormalige Regimelager gespalten war und Jean Ping zudem ebenfalls zur erweiterten Familie zählt – er hat zwei gemeinsame Kinder, Nesta und Christopher, mit Ali Bongos Schwester Pascaline Bongo, die lange Jahre hindurch die Finanzangelegenheiten des Familienclans verwaltete -, schien es dieses Mal möglich, dass das Verfassungsgericht die zweifelhafte Wiederwahl Ali Bongos beanstandet. Anders als 2009, als es seine erste Wahl durchwinkte. Es hätte genügt, wenn das Gericht eine erneute Auszählung der abgegebenen Stimmen in der Provinz Haut-Ogooué angeordnet hätte. Dort, wo auch der Wahlkreis Ali Bongos liegt, erhielt er angeblich über 95 Prozent der Stimmen bei über 99 Prozent Wahlbeteiligung. Niemand glaubt an diese Zahlen. In allen anderen Provinzen unterlag Ali Bongo seinem Herausforderer Ping.

Doch das Verfassungsgericht entschied sich nicht für diesen Weg, sondern begnügte sich damit, die auf den offiziellen Auszählprotokollen angegebenen Stimmenzahlen nochmals zusammenzuaddieren. Die real abgegeben oder nicht abgegebenen Voten wurden nicht überprüfte. Bei einem solchen Verfahren konnte Ali Bongo nur gewinnen. Das Gericht erlaubte sich sogar den Luxus, alle Anträge der Opposition und Jean Pings abzuweisen, doch zwei Korrekturaufforderungen des Präsidentenlagers nachzugeben – dadurch erhielt Ali Bongo offiziell sogar noch ein paar zusätzliche Stimmen mehr.

Die „internationale Gemeinschaft“, also die Großmächte und das Generalsekretariat der UN, hatten die Opposition - nach ersten gewaltsamen Zusammenstößen auf den Straßen von Anfang September dieses Jahres – dazu aufgefordert, den Rechtsweg zu beschreiten und das Verfassungsgericht ihres Landes anzurufen. Die Opposition und die Ping-Anhänger hatten dieses scheinbar guten Rat befolgt, zwar nicht voller Glauben an einen juristischen Sieg, aber um sich nicht den Vorwurf einzuhandeln, sie hielten sich nicht an die Spielregeln.

Nun hat sich diese institutionelle Strategie als Falle für die Opposition erwiesen. Denn die wichtigsten Großmächte und ihre Repräsentanten nutzten die Gelegenheit des Urteilsspruchs, um sich nunmehr mehr oder minder explizit hinter Ali Bongo zu stellen und ihm die „demokratische Legitimität“ zuzusprechen. Die US-Administration und die Afrikanische Union erklärten, das Ergebnis „zur Kenntnis zu nehmen“, und UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon forderte die Opposition dazu auf, das Urteil zu respektieren.

Ähnlich reagierte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Allerdings äußerte sich kurz nach ihr die EU-Wahlbeobachtermission, die sich vor Ort aufhält, und erklärte ihrerseits, das Urteil habe Vorwürfe bezüglich einer Wahlmanipulation nicht entkräftet.

Auch Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault erklärte, das Urteil habe „nicht alle offenen Fragen beantwortete“, und stellte das amtliche Ergebnis dadurch weiterhin in Frage. Diese Stellungnahme ist insofern bemerkenswert, als Frankreich die Hauptstütze des amtierenden Regimes darstellt und die Präsidentengarde (Garde républicaine), die Speerspitze der Repression, ausbildet. Allerdings versucht die Pariser Politik zugleich, die Neokolonialmacht Frankreich nicht erneut im Fokus der Proteste stehen zu lassen, wie es noch 2009 der Fall war. Dies ist insofern gelungen, als in diesem Jahr bislang keine französischen Interessen angegriffen wurden. Hinzu kommt aber auch eine innenpolitische Dimension. Der Konservative Nicolas Sarkozy, der 2017 erneut zur Präsidentschaftswahl antreten und Amtsinhaber François Hollande herausfordern dürfte, sofern die Konservativen ihm – und nicht seinem Rivalen Alain Juppé – die Kandidatur anvertrauen, ist einer der heißesten Unterstützer Ali Bongos. Als einer der ersten Gratulanten überhaupt, neben dem tschadischen Diktatur und derzeitigen AU-Generalsekretär Idriss Déby, beglückwünschte Sarkozy ihn zur „Wahl“.

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.