80 Jahre Spanischer Bürgerkrieg
80 Jahre Internationale Brigaden


Wer ging zu den internationalen Brigaden ?

Antworten aus Augenzeugenberichten

10/2016

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Zwischen dem 1. und dem 24. Oktober 1936 durchfahren zwölf Frachtdampfer mit Waffen und Kriegsgerät für die spanische Republik den Bosporus. Am 12. Oktober hat der Frachter »Newa* mit einhunderteinundfünfzig Lastwagen und Lebensmitteln an Bord Odessa verlassen. Über sein Eintreffen in Alicante schreibt Constancia de la Mora, die dort einen Kindergarten leitet:

Wir empfingen froh die »Newa«, die uns Lebensmittel anstelle von Waffen brachte. In derselben Woche tagte in London das Nichteinmischungskomitee, und die Diplomaten mit den steifen runden Hüten und den Regenschirmen lehnten es ab, die Vorwürfe der Sowjetunion gegen Italien und Deutschland zu behandeln. Jedes Kind in Spanien wußte, daß die Ju 52 und die Savoias, die unsere Städte bombardierten, deutsche und italienische Flugzeuge waren; die Zeitungen Mussolinis fingen sogar schon an, von ihren »Freiwilligen« auf der Iberischen Halbinsel zu sprechen, aber das Foreign Office, das Auswärtige Amt in London, hatte es immer noch nicht erfahren. Und in Paris überließen Männer, die sich »Sozialisten« nannten, Spanien seinem Schicksal, und in Washington! stimmten die Mitglieder des Kongresses, die so rührende Reden über »Demokratie« halten konnten, mit Vergnügen dem Embargo auf Waffen zu, die wir in Spanien zur Verteidigung der Demokratie brauchten.

Viele Einwohner von Alicante hatten vor der Ankunft der »Newa« im Hafen noch nie etwas von der Sowjetunion gehört. Es gab verhältnismäßig wenige Kommunisten in der Stadt, und trotzdem weinte das Volk vor Freude auf dem Kai, es klatschte Beifall und schrie, bis es heiser wurde: »Es lebe die Sowjetunion! Es lebe Rußland!«

Mit den russischen Waffen, Kriegsgütern und Lebensmitteln kommen aber auch russische Generale ins Land. So der Panzergeneral Pawlow und zeitweise auch die sowjetischen Marschälle Rokossowski, Konjew und Malinowski. Inzwischen sind auch die Rekrutierungsmaßnahmen der Komintern zur Aufstellung der Internationalen Brigaden angelaufen. Seit Ende September 1936 leitet Josip Broz, der spätere jugoslawische Staatschef, Marschall Tito, in einem kleinen Hotel am linken Seine-Ufer die Rekrutierung, schafft eine "geheime Eisenbahn", mit der vor allem Freiwillige aus osteuropäischen Staaten in das republikanische Spanien eingeschleust werden. Über die Motive dieser Männer schreibt Hugh Thomas:

Es kamen auch einige Abenteurer, so der Belgier Gillain, der als Grund für den Eintritt in die Brigaden »Abenteuerlust, Faulheit und den verregneten Herbst 1936« angab. Sechzig Prozent der Freiwilligen waren schon vorher Kommunisten, weitere zwanzig Prozent wurden es in Spanien. Achtzig Prozent waren Arbeiter, wie eine Umfrage unter früheren Brigadeangehörigen ergab. Die meisten waren junge Männer; unter den deutschen und italienischen Emigranten befanden sich jedoch ziemlich viele Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs. Viele der Freiwilligen - namentlich der französischen - waren arbeitslos, etwa in Lyon. Unter den englischen Freiwilligen scheint es viele gegeben zu haben, die einer privaten Enttäuschung oder Verfehlung wegen in die Brigaden gingen. Einer von ihnen erklärte: »Zweifellos sind weitaus die meisten eines Ideals wegen hier, gleichgültig, was für ein Motiv sie veranlaßt hat, ein solches zu suchen.« Die Mehrzahl war weder den Abenteurern noch den professionellen Stalinisten zuzurechnen. Etwa ein Drittel fiel in Spanien. Später hatten viele wegen ihres spanischen Unternehmens politisch oder beruflich zu leiden. Bei den »Säuberungen« in Osteuropa im Jahr 1949 wurden viele der ehemaligen Freiwilligen hingerichtet, nur deshalb, weil sie in Spanien gewesen waren.

Man geht also fehl, wenn man der Meinung verfällt, die Internationalen Brigaden seien eine Art von Partisanentruppe des Weltkommunismus. Das Gefühl einer echten Solidarität gegen den übermächtigen Feind Faschismus führt hier Demokraten, Republikaner, Sozialisten und Kommunisten freiwillig zusammen. Von der Stimmung, die unter den Antifaschisten in den freien Ländern der westlichen Welt herrscht, berichtet Max Wullschleger; Otto Brunner ist einer der ersten Schweizer, die, dem Anruf des Gewissens folgend, nach Spanien gehen:

Vom Ausbruch des Krieges in Spanien an hatte Otto Brunner keine ruhige Stunde mehr. In Versammlungen, überall wo er hinkam, hörte man ihn sagen: »In Spanien wird auch für unsere Freiheit gekämpft.« Dann war sein Entschluß rasch gefaßt: »Ich gehe nach Spanien, ich muß dort helfen und kann nicht untätig zusehen, wie man dort ein freiheitsliebendes Volk abschlachtet!« Die [kommunistische'] Partei versuchte ihn zurückzuhalten, denn er war einer ihrer besten Funktionäre. Doch keine zehn Pferde hätten Otti zurückhalten können. Eines Tages sah man ihn nicht mehr, er war auf der Reise nach Spanien.

Otto Brunners Lebensweg ist typisch für das Schicksal jener Männer, hinter deren kommunistischer Gesinnung keine sklavische Abhängigkeit von der Parteilinie, sondern ein tiefes, ehrliches Engagement für die sozialen Probleme des Menschen ihrer Zeit steht. Vor dem Ersten Weltkrieg ist er mit seinen Eltern aus der Schweiz nach Brasilien ausgewandert und hat dort miterlebt, was soziale Ausbeutung und Entrechtung heißen kann. Diese Jugenderfahrung läßt ihn zum überzeugten Kommunisten werden. Nach dem Ersten Weltkrieg nimmt er als Matrose auf einem Schiff der amerikanischen Kriegsmarine an einer Rebellion der Mannschaft teil. Das Schiff hat Exilrussen an Bord, die in ihrer Heimat die weißen Armeen unterstützen sollen. Wegen Meuterei soll er vor ein amerikanisches Kriegsgericht gestellt werden, springt aber bei der Fahrt durch den Panama-Kanal über Bord, kommt wieder nach Brasilien und beteiligt sich dort an der Revolution für den sozialen Fortschritt. Später kehrt er in die Schweiz zurück, tritt der kommunistischen Partei bei und organisiert in den zwanziger Jahren den Widerstand gegen die Schweizer Faschisten. Im Spanischen Bürgerkrieg bringt er es bald bis zum Oberst der Internationalen Brigaden. Berichte seiner Kameraden, unter anderem von Alfred Kantorowicz, der im Bürgerkrieg sein Adjutant gewesen ist, zeugen von seiner idealistisch-aufrichtigen Gesinnung und seinem hohen Verantwortungsbewußtsein. Schon hier ist er manchem linientreuen stalinistischen Kommunisten unbequem, weil er Anstand, Fairneß und Kameradschaftssinn über die Parteidisziplin stellt. Nach dem Ende des Bürgerkrieges kehrt er in die Schweiz zurück. Wegen Kriegsdiensten in fremden Heeren soll ihm der Prozeß gemacht werden. Die Schweizer Offiziersgesellschaft tritt an ihn heran und will ihn für sich gewinnen. Er lehnt ab. Jetzt wird er vor Gericht gestellt, und man schickt ihn bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ins Gefängnis. Nach 194$ ist der Typ des idealistischen Kommunisten selbst in der kommunistischen Partei der Schweiz wenig gefragt. Da Brunner seit dem Bür­gerkrieg mit dem späteren Marschall Tito befreundet ist, fin­det man einen Vorwand, ihn als »Abweichler» aus der Partei auszuschließen. Heute lebt der unbequeme, aufrichtige Mann, der, wie Alfred Kantorowicz es nennt, zu jenen Besseren ge­hört, die immer zwischen den Stühlen sitzen, fast siebzigjäh­rig als Heizungsmonteur in Zürich. Sein Glaube an einen Sinn des Engagements für soziale Gerechtigkeit und für die Solida­rität mit den Unterdrückten ist ungebrochen. Diese Vorstellungen aber sind es auch gewesen, die im Herbst 1936 überall in Europa Männer aufbrechen ließen, um dem republikanischen Spanien gegen die rebellierenden Generale und die Truppen der faschistischen Diktatoren zu Hilfe zu kommen.

Quelle:
Der spanische Bürgerkrieg in Augenzeugenberichten, hrg. v. Hans-Christian Kirsch, München 1071, S.162-165

Lesehinweis: In der Maiausgabe 2016 veröffentlichten wir