In ihrer „Freisinnigen
Zeitung“ Nr. 00 09/2016 kündigte die IL Berlin Großes
an: das Blockupy-Bündnis wollte am 2. September das
Arbeitsministerium blockieren, am 3. die IL zusammen
mit dem Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ (AgR) auf
die Straße gehen und am 4. zur Konferenz von
„Welcome2Stay“ einladen. Vorweg: alle 3 Ereignisse
blieben von der Teilnehmerzahl her am unteren Rand
der Erwartungen.
Bedeutung und Rolle der
IL
Die IL zählt zu den
größten Organisationen innerhalb der bundesdeutschen
extremen Linken. In Berlin haben sich Anfang 2015 die
Gruppen „Avanti - Projekt undogmatische Linke“, „Für
eine linke Strömung“ (FelS) und Teile der
„Antifaschistischen Linken Berlin“ (ALB) zur
IL-Ortsgruppe zusammengeschlossen. Auffällig daran
ist der gemeinsame Ursprung aus dem Lager der sog.
Autonomen.
Laut
Eigendarstellung will die Ortsgruppe „eine Strömung
innerhalb der Berliner (radikalen) Linken (…)
organisieren - verbindlich, gemeinsam, mit lokal
verankerter überregionaler Politik“. Sie „ist unter
anderem in sozialen, antirassistischen,
feministischen und Klimakämpfen aktiv und engagiert
sich in den Bereichen Antifaschismus und
Antikriegspolitik. Wir wollen eine radikale Linke,
die aktiv nicht nur gegen die Zumutungen und
Grausamkeiten, sondern gegen den Kapitalismus
insgesamt kämpft, die dabei immer wieder neue
Allianzen sucht, die Brüche vertieft und Chancen
ergreift, die lieber Fehler macht und aus ihnen
lernt, anstatt sich im Zynismus der reinen Kritik zu
verlieren.“ (Freisinnige Zeitung Nr. 00)
Es liest sich, als hätten die IL-Gruppen eingesehen,
dass mit der üblichen Politik der autonomen Szene
nicht aus der Isolation auszubrechen sei. Sie
schreiben von Allianzen, von Verknüpfung des Kampfs
gegen einzelne Zumutungen des Kapitalismus mit dem
gegen das gesamte System. So weit, so gut. Sie
vermögen eine beachtliche Zahl von GenossInnen hinter
sich zu scharen. Sie spielen eine erhebliche Rolle in
sozialen Auseinandersetzungen (Stadtpolitik, Mieten,
Antifaschismus, Antirassismus usw.). Sie konnten
große Proteste wie Blockupy organisieren, laden immer
wieder zu wichtigen Konferenzen ein. Allein das ist
Grund genug, mit ihnen für gemeinsame Ziele aktiv
einzutreten. Dabei darf aber nicht die solidarische
Kritik an ihrer Politik verschwiegen werden. Wie
steht es eigentlich um ihren Antikapitalismus? Welche
Organisation wollen sie wirklich aufbauen?
Der Antikapitalismus der IL: Wunsch und Wirklichkeit
Zunächst einmal konstatieren sie richtigerweise eine
grundlegende Krise des Kapitalismus:
„Drei
Entwicklungspfade zeichnen sich ab: Erstens versuchen
die alten Ideolog_innen des Neoliberalismus die
Scheiße, in die sie uns hineingeritten haben, zu
verewigen . (...) Zweitens treiben
rechtspopulistische bis faschistische Kräfte ihre
reaktionären Ideen einer rechten Antwort auf die
Krise voran.“
Sie arbeiten dagegen an einem dritten Projekt
„gestützt auf emanzipatorische Mobilisierungen und
unserem Ziel von einem guten Leben für alle. Statt
Herumdoktern am Bestehenden geht es uns um eine
gerechte Welt, die nicht auf Kapitalismus, Krieg und
Gewalt, sondern auf Solidarität, Würde und einem
neuen Internationalismus basiert. (...) Unser Ziel
ist die gesellschaftliche Hegemonie eines linken
Blocks. Deshalb orientieren wir auf breite Bündnisse.
(...) Uns geht es im konkreten Handgemenge um die
Selbstermächtigung der Ausgebeuteten und
Unterdrückten. (...) Deshalb freuen wir uns, auch
nach September mit euch gemeinsam für eine bessere
Welt zu streiten.“ (ebda.)
Schon das Ziel wird
in Worte gekleidet, die so auch auf einem
evangelischen Kirchentag oder einer Großkundgebung
der DGB-Jugend hin und wieder fallen. Sozialismus,
Kommunismus, Diktatur des Proletariats, bewaffneter
Aufstand, ArbeiterInnenkontrolle, Räte, revolutionäre
Partei, klassenkämpferische Gewerkschaften … ?
Fehlanzeige! Kein Klassenkampf, kein objektiv
revolutionäres Klassensubjekt. Die Umwälzung des
Ausbeutungssystems stellt sich der IL ebenso schlicht
wie vage dar:
„Wir brauchen
einen Prozess, der eine Alternative zum
Kapitalismus auch in breiten gesellschaftlichen
Bereichen erlebbar macht. Solche Veränderungen
setzen sich nicht einfach so in der
kapitalistischen Konkurrenz durch. (…) Deshalb
müssen wir für den politischen Druck sorgen, der
zur Durchsetzung solcher Projekte auf
gesamtgesellschaftlicher Ebene gebraucht wird.“
(Vergesellschaftung - Eine Broschüre der
Interventionistischen Linken, Lübeck, o. J., S. 6)
Hier zeigt sich der
reformistische Kern des IL-Projekts. Es wird davon
ausgegangen, dass im Rahmen des Kapitalismus auch
zugleich seine Alternative - also eine andere Form
der Vergesellschaftung - „erlebbar“ wäre. Dazu
braucht es keine Revolution, nicht die Eroberung der
Staatsmacht durch die ArbeiterInnenklasse, sondern
nur den „politischen Druck“, eine „linke Hegemonie“.
Wie schon bei den
kleinbürgerlichen Alternativbewegten und frühen
Grünen fehlt hier jeder blasse Schimmer von der
notwendigen Kraft, die nur die organisierte
ArbeiterInnenklasse aufzubringen fähig ist, damit an
den Sturz des Systems auch nur ernsthaft gedacht
werden kann.
Da die zukünftige
Gesellschaft ohnedies im Rahmen der bestehenden immer
„erlebbarer“ werden kann, da die Unterdrückten nicht
selbst die Macht erobern müssen, sondern sich
angeblich „selbst ermächtigen“ können, braucht es
auch kein kollektives Subjekt des Umsturzes, ja auch
nicht den Umsturz selbst.
Folgerichtig wird
die Notwendigkeit eines politischen Programms
bestritten: „An die Stelle eines Programms von oben
muss das gemeinsame Suchen und Weiterentwickeln
treten.“ (ebda., S. 7) Wenn dem so wäre, wären
politische Organisationen gänzlich überflüssig -
einschließlich der IL!
Spagat bis zum Genickbruch
In einem Selbstinterview räumt die IL ein, dass ihre
Politik nicht ohne interne Widersprüche zu haben ist.
Freitag gegen die Regierung auf die Straße gehen, am
Samstag mit der SPD und alltags „für eine
solidarische Stadt“, gibt das intern nicht Ärger? Die
Antwort sieht sie in einem „solidarischen Umgang
untereinander“, auch in der eigenen Organisation.
Dummerweise ist
diese Antwort gar keine auf die von der IL selbst
aufgeworfene Frage. Ein „solidarischer Umgang“
bestimmt nur Umgangsformen unter den GenossInnen - er
löst aber nicht die inhaltliche Frage, wie eine
solche Verbindung politisch aussehen soll. Das würde
nämlich eine politische Klärung einschließlich
programmatischer Arbeit erfordern. Wird diese
verweigert, bleiben nur noch Formelkompromisse, die
nicht an der Sache, sondern am formellen Zusammenhalt
der IL orientiert sind.
Die gemeinsame Kompromisslinie, der kleinste
gemeinsame Nenner ist in der Regel das, was der alten
Gesellschaft am nächsten steht und der Linie des
rechtesten Flügels entspricht. Das „Programm“ für
Berlin lautet: „Ende der kommunalen Austerität, also
des Sparens-Sparens-Sparens, Schluss mit Ausgrenzung
und Rassismus, Neuaufbau einer sozialen Infrastruktur
für Berlin. Geld ist da, eine solidarische Stadt für
alle!“
Worin besteht
eigentlich der Unterschied zwischen solchem Gewäsch
und jenem aus dem Hause DIE LINKE? Nicht nur, dass
„Geld ist da“ wie bei den „radikalen“
UmverteilungspolitikerInnen im Munde geführt wird,
die im Angesicht der Krise mit dem Finger auf die
Reichen zeigen, denen es „nur“ genommen werden müsse.
„Sozialismus“ wie bei Robin Hood - nur ohne
Bogenschützen!
Die Überakkumulation von Kapital in der Krise
bedeutet nicht, dass kein „Geld“ da wäre, sondern
gerade, dass zu viel Kapital da ist, das nach
profitablen Anlagemöglichkeiten sucht. Die Lösung der
Krise kann auf dem Boden der Marktwirtschaft nur
bedeuten, dass Kapital vernichtet wird. Daher stößt
die naive Forderung, das angehäufte Geld einfach zu
investieren oder sogar den Armen zu geben, auf den
erbitterten Widerstand der herrschenden Klasse, da es
dieser um Profit geht und nichts anderes.
Doch die IL macht es noch ein bisschen
reformistischer: in den nächsten Jahren seien ja
Haushaltsüberschüsse zu erwarten und Geld müsse ja
nicht für Bankenskandal, Großflughafen und andere
Prestigebauten verschwendet werden … (Freisinnige
Zeitung Nr. 00)
Gefragt, wie sie es
denn mit einem rot-rot-grünen Bündnis in Berlin
halte, antwortet die IL: „Wir sind nicht der
militante Arm der Linkspartei. (...) Wenn sich
gesellschaftliche Kräfteverhältnisse verändern,
spiegelt sich das in Parlamenten und Parteien wider.
Grundlegende gesellschaftliche Veränderungen werden
allerdings nicht im Parlament auf den Weg gebracht.
Auch der Bruch mit vorherrschenden Verhältnissen kann
dort nicht durchgesetzt werden.“
Wir ahnen schon: Er
„braucht den Druck von außen, von uns allen!“ Alles
klar? Muss ja auch nicht! Die IL drückt und windet
sich vor der Frage der Regierungsbeteiligung, lässt
stattdessen Allgemeinplätze vom Stapel wie die
Fehlkalkulation: Parlament plus Druck von außen
(Straße, Volksbegehren/-entscheid, Petitionen…)
gleich Bruch mit vorherrschenden Verhältnissen! Die
frühen Grünen mit ihrer Formel von Stand- und
Spielbein standen wohl Pate. Wo das endet, wissen
wir: beim Dosenpfand als höchstem Stadium der grünen
Gesellschaftsunterwanderung.
„Radikale“ antirassistische Praxis
Kein Wunder also, dass die IL als Organisation ohne
revolutionäres Programm, ohne kommunistische
Tradition ein Potpourri aus Minimalforderungen und
maximalistischen Allgemeinplätzen inszeniert, die
eher frommen Wünschen als einer
gesellschaftsverändernden Strategie gleichen.
Letztere werden in eine verklausulierte Sprache
gefasst, die jede/r nach Belieben interpretieren
kann, um es sich nicht mit den Brötchengebern in der
Rosa-Luxemburg-Stiftung oder ver.di zu verderben.
Kein Wunder auch,
dass ihre Heterogenität sich innerorganisatorisch in
der Existenz nebeneinander vor sich hinwerkelnder
Arbeitsgruppen ausprägt: Antifaschismus, Gesundheit,
Klima, Krise, InterSol, Antirassismus, soziale Kämpfe
u. v. m. In der sog. Flüchtlingsfrage steht sie für
ein ebenfalls heterogenes Konzept. Einerseits mischt
sie in „Aufstehen gegen Rassismus“ mit und
demonstriert mit SPD, Linkspartei, Grünen und NGOs.
Dagegen spricht auch nichts. Auch wir beteiligen uns
an deren Mobilisierungen. Aber die IL spart sich
jeden Versuch, weitergehende Forderungen an die
Führung der AgR zu stellen. Wir kämpfen dagegen dort
wie überall für unseren Vorschlag des Aufbaues einer
antirassistischen ArbeiterInneneinheitsfront auf
einem Programm, das Antirassismus als Klassenfrage
begreift und Vorschläge wie
Selbstverteidigungseinheiten, Mindestlohn etc.
enthält.
An „Jugend gegen
Rassismus“ beteiligt sich die IL nur am Rande. Eine
federführende Rolle spielt die IL in „Welcome2Stay“.
Dort sollen die „selbstorganisierte
Geflüchtetenbewegung, die ‚klassische'
Antira-Bewegung und die neu entstandenen
Willkommensinitiativen … progressive Personen aus
Parteien, NGOs“ zusammengebracht werden.
Für die IL ist
Antirassismus keine Klassenfrage, sie kennt ja kein
Klassensubjekt, sondern nur betroffene Menschen. Sie
scheint aber deutlich die Geflüchteten selbst neben
den Willkommensinitiativen als radikalste Subjekte
auf diesem Feld ausgemacht zu haben. So will sie über
das Asylverfahren aufklären, breite Allianzen gegen
Abschiebungen herstellen, Brücken zwischen
Flüchtenden und freiwilligen Hilfsorganisationen
schlagen, tritt für Bleiberecht und eine solidarische
Stadt ein. Ferner will sie aufzeigen und vermitteln,
dass es „keine ‚Flüchtlingskrise' gibt, sondern eine
politisch verursachte Krise der sozialen Sicherung,
die wir nur gemeinsam im Kampf für soziale
Infrastrukturen für alle lösen können.“ (ebda.)
So wichtig und
richtig diese Vorstellungen sind, so unzureichend
sind sie leider auch. „Bleiberecht“ klingt radikal,
bleibt aber unterhalb einer Anerkennung als
Asylsuchende, geschweige denn Aufhebung aller
Asylrechtseinschränkungen oder erst recht unter
vollen staatsbürgerlichen Rechten.
Ferner beschränken
sich auch diese weitergehenden Forderungen auf die
bis hierhin Gekommenen. Die Fragen des
Migrationsregimes des bürgerlichen Staats, ja
überhaupt die Arbeitsmigration fehlen vollständig.
Hierauf versucht unsere Losung „Für offene Grenzen!“
eine Antwort zu geben. Aufklärung über Asyl- und
Flüchtlingsrechte ist eine wichtige
SozialarbeiterInnentätigkeit, aber nicht unbedingt
die Domäne kleiner bis mittelgroßer politischer
Organisationen.
Und zu guter Letzt:
wir wollen und brauchen einen Brückenschlag zur
gesamten ArbeiterInnenklasse, deutscher wie
„ausländischer“. Dies können wir nicht
Stammtischkämpfergeschwadern überlassen, so wichtig
und richtig diese Idee auch ist: Dreh- und Angelpunkt
ist der Aufbau einer antirassistischen
ArbeiterInneneinheitsfront - mehr denn je! Können
sich GenossInnen der IL mit dieser Stoßrichtung
anfreunden? Wir hoffen es. Sie könnten damit
anfangen, sich für ein einheitliches, handelndes
antirassistisches Bündnis einzusetzen statt der
Konkurrenz der vielen Quatschbuden, die nichts
Wirksames beschließen.
Quelle: Zusendung per email von
ARBEITER/INNEN/MACHT-INFOMAIL, Nummer 910, 19.
Oktober 2016
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