Stand vom 25./26.
September 17
Der Austritt des seit sechs Jahren als Chefideologe
des Front National (FN) wirkenden Florian Philippot
aus der Partei, den er am frühen Vormittag des
vorigen Donnerstag (21. September 17) verkündete,
kam für viele Außenstehende überraschend. Intern
hatte er sich in jüngerer Zeit angekündigt. Dass es
darauf hinauslaufen würde, schien am Abend des
Vortages – dem 20. September – weitgehend klar.
Stunden zuvor hatte Marine Le Pen ihrem Vize
Philippot den Löwenanteil seines Aufgabenbereichs
entzogen. Dieser blieb offiziell Nummer Zwei der
Partei, gleichberechtigt neben dem
Co-Vizepräsidenten Louis Aliot. Doch hatte die
Chefin ihm die Außenvertretungsmacht für die Partei
entzogen, und damit die Fernsehauftritte, welche
Philippot quasi täglich absolvierte, so häufig wie
kein anderes Führungsmitglied des FN.
Philippots Abgang ist
zunächst einmal schlicht das Ergebnis eines
Machtkampfs zwischen ihm und Marine Le Pen. Als
solcher ist er nicht auf ideologische Differenzen
zurückzuführen; im Gegenteil war es in erster Linie
Philippot, welcher der Chefin bis vor kurzem ihre
„Linie“ einflüsterte oder zumindest inspirierte.
Doch seit der katastrophal verlaufenen TV-Debatte
zwischen Le Pen und ihrem Gegenkandidaten bei der
Stichwahl um die Präsidentschaft, dem jetzigen
Staatschef Emmanuel Macron, vom 03. Mai glaubte
Philippot nicht mehr so richtig an die Fähigkeiten
seiner Chefin.
Im selben Monat
gründete er seinen eigenen Verein, „Les Patriotes“,
den Viele alsbald als eine Art Partei innerhalb der
Partei betrachteten. Wiederholt forderte Marine Le
Pen von ihm, den Vorsitz darin niederzulegen.
Florian Philippot verweigerte dies standhaft. Darin
liegt auch der Grund für seine innerparteiliche
Degradierung, welche er zum Anlass nahm, gleich
ganz zu gehen.
Nichtsdestotrotz
werden viele FN-Kader versuchen, nun, nach dem
Abgang Philippots, die „Linie“ in anderem, in ihrem
Sinne zu beeinflussen. Umgekehrt hat Marine Le Pen
möglicherweise Philippot auch „geopfert“, einmal
weil er selbst zu drängend und Einfluss fordernd
geworden war; andererseits aber auch, um zumindest
Teile seiner Strategie (ohne ihn) zu retten. Diese
beruht darauf, möglichst stark soziale Forderungen
und gegenüber dem Wirtschaftsliberalismus kritische
Positionen –zu betonen. Sie zielt auf eine
Einflusssteigerung in den, früher oft links
wählenden, sozialen Unterklassen. Mit ihr geht eine
Behauptung der Äquidistanz (d.h. gleich weiten
Entfernung) zur Linken und den Konservativen
einher: Als „nationale Alternative“ stehe man
jenseits von und über beiden Polen drüber. Und man
sei „sozial weil national“ (auch wenn der zuletzt
zitierte Ausdruck eher aus den 1990er Jahren denn
von Philippot stammt).
Hintergrund ist, dass
der neofaschistische Front National in den letzten
zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren in mehreren
Schüben einen Abschied von seinen vormaligen
wirtschafsliberalen oder neoliberalen Positionen
der 1980er Jahre vollzog. Soziale Demagogie zu
betreiben, dies wurde für die extreme Rechte nach
1989 zum Kerngeschäft. Also zu einer Zeit, als mit
dem Ende des Kalten Krieges bei den rechtsextremen
Strategen die Erwartung einherging, mit dem „Tod
des Kommunismus“ sterbe auch „der marxistische
Klassenkampf“ ab – und damit ein historischer
Hauptgegner, und zugleich Konkurrent um Einfluss in
den „Unterklassen“.
Zunächst wurde dieser
Kurs durch den damaligen Chefideologen Bruno Mégret
inspiriert, bevor dieser 1999 durch Jean-Marie Le
Pen gefeuert wurde – ähnlich wie nun Philippot -
und seine politische Karriere ab 2002 , infolge
einer Reihe von Wahlniederlagen, begraben durfte.
Später wurde das Konzept wieder aufgegriffen durch
die, im Januar 2011 in den Parteivorsitz gewählte,
jetzige Vorsitzende Marine Le Pen.
Doch viele Stimmen in
der Partei zeigen sich darüber in jüngerer Zeit
beunruhigt. Sie fordern endlich wieder ein „rechtes
Profil“, was in ihren Augen auch die Akzeptanz
stärkerer sozialer Ungleichheiten beinhaltet. Zwar
wünschen auch die Anhänger/innen der Gegenposition
zu Philippot eine gewisse Unverwechselbarkeit des
FN gegenüber den Konservativen – in diesem Falle
vor allem durch besonders scharfe Positionen zu
Themen wie der Einwanderung -; doch müsse viel
klarer und deutlicher werden, dass man rechten
Konservativen grundsätzlich näher stehe als jedem
Sozialdemokraten oder Linken.
Zu einer starken
Polarisierung der innerparteilichen Positionen
kommt es nun in jüngster Zeit rund um die geplante
„Reform“ im französischen Arbeitsrecht, die
Präsident Emmanuel Macron in diesen Tagen
durchzusetzen versucht und gegen die es starke
gewerkschaftliche Widerstände gibt.
Tatsache ist, dass erstmals seit langem einzelne
Funktionsträger des rechtsextremen Front National –
unerkannt und ohne sichtbare Kennzeichen – in die
Gewerkschaftsdemonstrationen vom 12. September
einschlichen und sich mit Selfies
photographieren ließen. Es handelt sich um der
Öffentlichkeit unbekannte Parteivertreter wie
Maxime Thiébaut und Nathalie Desseigne, zwei
Personen aus der Umgebung von Florian Philippot.
Wäre ihre Präsenz bekannt gewesen, hätten die
anwesenden Gewerkschaften sie höchstwahrscheinlich
hinausgeworfen.
Allerdings liefen sie auch gar nicht bei den
Gewerkschaftsblöcken mit, sondern in einem
gesonderten Block von Zirkusleuten, Schaustellern
und Jahrmarkt-Budenbesitzern. Diese sattelten ihr
ureigenes Anliegen – sie protestieren gegen eine
neue Verordnung vom April 17, die die Stadt Paris
zwingt, öffentliche Ausschreibungen für die Vergabe
von Schauplätzen vorzunehmen, um die Preise zu
kontrollieren – flugs auf den allgemeinen
Sozialprotest drauf und schlossen sich der
Demonstration an. In dieser politisch schillernden
Berufsgruppe gibt es jedoch, vor allem unter den
Kleinunternehmern, ausgeprägte rechte Sympathien
(während eine Minderheit innerhalb des Berufsstands
traditionell linke, vor allem anarchistische
Traditionen aufweist). Insbesondere hängt die eher
„rechts-freundliche“ Ausrichtung von Teilen des
Gewerbes mit dem Namen von Marcel Campion zusammen,
einer schillernden Persönlichkeit, welcher gerne
als „König der Schausteller“
tituliert wird. Er und seine Leute hatten am
Vormittag des ersten gewerkschaftlichen
„Aktionstags“ gegen die Arbeitsrechts„reform“ am
12. September 17 eine Reihe von Blockadeaktionen
durchgeführt.
Nachdem der FN-Vizevorsitzende Florian Philippot
die verbalradikale Aufforderung von Campion, beim
ersten Protesttag am 12. September „das ganze
Land zu blockieren“, auf Twitter
unterstützt hatte, kamen heftige Vorwürfe aus der
eigenen Partei. So meinte der rechtsextreme
Bürgermeister von Béziers, Robert Ménard,
Philippots Verhalten sei „schlimmer als das
des übelsten Linksradikalen“. Schon zuvor
verglich er ihn wörtlich mit einem „Anführer
der CGT“, was durchaus nicht als Kompliment
gemeint war.
Ein anderer Vizevorsitzender der rechtsextremen
Partei neben Philippot, Louis Aliot (zusätzlich
Lebensgefährte der Chefin Marine Le Pen), warf bei
Twitter den Teilnehmern an den
Gewerkschaftsdemonstrationen vom 12. September 17
seinerseits vor, „einmal mehr die Leute, die
arbeiten, zu belästigen“. Dagegen ließ
Philippot sich am Vormittag desselben Tages
persönlich am Rande der Blockaden von Marcel
Campion und dessen Jahrmarktbuden-Besitzern
ablichten.
Zugleich formierte sich eine wahrhafte Front von
Philippot-Hassern, die sich mitunter mit Schaum vor
dem Mund zu Wort meldeten, um den 35jährigen
Politiker zu „bashen“. Ein jüngstes Beispiel
lieferte am Wochenende des 16. und 17. September
eine Reihe von Beiträgen beim Kurznachrichtendienst
Twitter. Philippot weilte am Freitag zuvor im
ostfranzösischen Strasbourg (Straßburg) und ließ
sich dabei photographieren, wie er mit
Parteifreunden zu Abend aß. Auf dem Tisch stand –
horribile dictu – Couscous (Kuskus),
eine aus Nordafrika stammende, jedoch längst in
Frankreich eingebürgerte Speise.
Umgehend kam es in den sozialen Medien zu einer Art
Kesseltreiben gegen Philippot, welcher sich nun
endgültig als „Globalist“ und
„Anhänger der kulturellen Homogenisierung“
entlarvt habe, statt „die lokalen Erzeugnisse
zu verteidigen“.Dort tauchte das Hashtag
#Couscousgate (für „Kuskus-Affäre“) auf. Andere
kündigten an, man werde es – wie es sich in ihren
Augen im Elsass schickt – „bei Sauerkraut
feiern“, wenn man Philippot in naher
Zukunft endlich aus der Partei geworfen habe.
Dies ist nun erfolgt,
respektive Philippot wurde in Richtung Ausgang
gedrängt - und öffnete dann die Tür aus eigenen
Stücken. Nun lautet die Frage, wohin es in naher
Zukunft ziehen wird. Dies ist noch weitgehend
offen. Gemunkelt wurde zunächst, er werde sich an
den rechtsbürgerlichen EU-Kritiker Nicolas
Dupont-Aignan annähern. Letzterer erhielt als
Präsidentschaftskandidat im April 2017 knappe fünf
Prozent der Stimmen und war dann, für die
Stichwahl, kurzzeitig mit Marine Le Pen verbündet;
ihre Allianz zerbrach jedoch noch vor den
Parlamentswahlen vom Juni.
Philippot hat am selben Tag, an dem er seinen
Austritt aus dem FN erklärte, Dupont-Aignan
getroffen. Dies wurde zunächst als Zeichen einer
bevorstehenden „Achsenbildung“ zwischen den beiden
Protagonisten gewertet. Doch dann stellte sich
heraus, das Dupont-Aignan am Vortag auch mit Marine
Le Pen zusammentraf – und ihr ausdrücklich davon
abriet, sich von Philippot zu trennen. Umgekehrt
erklärte Le Pen nach dem Austritt Philippots, in
naher Zukunft könnten „Les Patriotes“ sowie
Dupont-Aignans Wahlbewegung Debout La France
(DLF, ungefähr „Aufrechtes Frankreich“) als externe
Bündnispartner ihrer Partei in Frage kommen.
Wahrscheinlich
erscheint, dass alle diese Akteure ihren Platz –
inmitten des allgemeinen Kontextes Felds
gesellschaftlicher, sozialer, wirtschaftlicher und
politischer Widersprüche – erst noch suchen werden.
Und dass dabei vor allem innerhalb des FN heftige
Ausrichtungsdebatten, insbesondere um seinen
sozial- und wirtschaftspolitischen Diskurs
bevorstehen dürften. Zumindest bis zu seinem
nächsten Parteitag, welcher am 11. und 12. März
2018 in Lille stattfinden wird.
Editorische
Hinweise
Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese
Ausgabe.
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