Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Französische Armee in Afrika (und anderswo)

10/2017

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Der Herr General war erzürnt: Kurz nach der Militärparade am französischen Nationalfeiertag, der Truppenshow vom 14. Juli dieses Jahres, trat der Generalstabschef der vier Waffengattungen – Pierre de Villiers – in Wut zurück. Er warf Staatspräsident Emmanuel Macron vor, im Haushaltsjahr 2017 Einsparungen im Rüstungshaushalt vorzunehmen. Der Streit fing am 12. Juli an, als de Villiers vor dem Verteidigungsausschuss des Parlaments bezüglich Einsparungsplänen erklärte: „So lasse ich mich nicht ficken!“ Hinter verschlossenen Türen, doch der Ausspruch drang nach außen.

Es handelt sich um nur vorübergehende „Opfer“. Denn der Rüstungshaushalt soll – nach einer Senkung um 850 Millionen Euro im laufenden Jahr, um die Drei-Prozent-Defizitgrenze einzuhalten und damit bei der Europäischen Kommission nicht anzuecken - schon ab 2018 wieder um 1,5 Milliarden Euro steigen. Bis im Jahr 2025 soll das Verteidigungsbudget dann kontinuierlich weiter klettern, um zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen (was einer politischen Selbstverpflichtung der Mitgliedsstaaten im Rahmen der NATO entspricht). Infolge der heftigen publizistischen Reaktionen auf den Rücktritt de Villiers’ beeilte sich Macron zu präzisieren, im kommenden Jahr solle der Rüstungshaushalt „als einziges Ministerialbudget“ steigen, während alle anderen Ressorts Anstrengungen zur Sparpolitik zu erbringen hätten. Dies versicherte er am 20. Juli 17 auf dem Atomwaffenstützpunkt im südfranzösischen Istres.

De Villiers war politisch „markiert“ – auf der Rechten, vor allem als profilierter Gegner der unter François Hollande eingeführten „Homoehe“. Das politische Signal mit der Ernennung des Generals François Lecointre zum Amtsnachfolger de Villiers’ durch Emmanuel Macron ist jedoch wiederum verheerend. Denn François Lecointre war an dem wohl schlimmsten Verbrechen der französischen Armee in jüngerer Vergangenheit beteiligt, also an ihrer Verwicklung in den Völkermord in Rwanda 1994.

Letztere erfolgte unter dem Oberbefehl von Staatspräsident François Mitterrand, der sich selbst seit seinen Tagen als Kolonial- respektive „Überseeminister“ 1950/51 für einen großen Kenner Afrikas hielt. Mitterrand war Jahrzehnte lang besessen von der Idee, es bestehe ein anglo-amerikanisches Komplott, das darauf hinaus laufe, Frankreich seine neokoloniale Einflusszone in Afrika abzujagen. Ganz in diesem Sinne interpretierte Mitterrand das Vordringen der Rwandischen patriotischen Front (RPF), die seit 1990 vom Nachbarland Uganda aus gegen das von Hutu getragene ethno-nationalistische Regime in Rwanda kämpfte. Als dieses sich im Frühjahr 1994 in ein eliminatorisch-rassistisches Regime umwandelte und die Vernichtung der Tutsi organisierte, unterstützte Frankreich dieses Regime als einzige Großmacht. Auch, als längst Berichte über die Realität des Völkermords durch die internationale Presse gingen.

Lecointre war als Offizier der Marinetruppen – diese bilden das Rückgrat der früheren französischen Kolonialarmee in Afrika – an der Opération Turquoise beteiligt. So hieß im Juni und Juli 1994 die französische Intervention, die objektiv dazu diente, die Akteure des Völkermords vor dem Zugriff der vordringenden RPF zu bewahren, teilweise wiederzubewaffnen und in der Schlussphase in den Osten des damaligen Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) abziehen zu lassen. François Lecointre war damals in Gabun stationiert, wo bis heute die größte französische Militärbasis in Afrika liegt, und traf am 02. Juli 1994 in Goma an der zairischen Grenze zu Rwanda ein.

Die Ernennung Lecointres ist deswegen ein fatales Signal. Bereits die französische Barkhane-Streitmacht in der Sahelzone, die seit 2014 unter anderem in Mali und im Tschad interveniert, wird durch einen General – Bruno Guibert – befehligt, der in die Komplizenschaft mit dem Völkermord in Rwanda verwickelt war.

Ursprünglich war die französische Militärintervention in Nordmali, die im Januar 2013 unter dem Namen « Opération Serval » begann, als kurzfristige Angelegenheit angekündigt worden. Innerhalb weniger Wochen sollte sie die im Norden Malis sitzenden Jihadisten, die damals drei Regionen unter ihrer Gewalt hatten – Tombouctou, Gao und Kidal – vertreiben und dem 2012 akut gewordenen Bürgerkriegskonflikt ein Ende setzen. Dieses Versprechen ist längst Vergangenheit. Die Jihadisten bewegen sich außerhalb der städtischen Zentren in Nordmali oftmals wie ein Fisch im Wasser, und ihre Selbstdarstellung als vorgebliche Widerständler gegen ein Rückkehr der alten Kolonialmacht dürfte ihnen eher Zulauf beschert denn ihnen geschadet haben. Ähnlich wie in Afghanistan ist ein Ende des Konflikts in scheinbar unendliche Ferne gerückt.

Wenigstens wird nunmehr versucht, den Jihadisten dadurch Rückhalt zu entziehen, dass sie von vormaligen Verbündeten isoliert werden. Dies geschieht durch die vermehrte Einbindung von bewaffneten Akteuren, die bislang in wechselnden Allianzen mal mit den Jihadisten einen Pakt schlossen, mal sich mit ihnen überwarfen und die Jihadisten gemeinsam mit dem Zentralstaat und /oder der französischen Armee bekämpften wie die CMA. In Wirklichkeit allerdings verliefen die Grenzen zwischen diesen bewaffneten Gruppen oft fließend, denn an der „Basis“ wechseln die Waffenträger oft zwischen den einzelnen Gruppierungen – je nach Stand des Kampfes sowie je nach den ökonomischen Perspektiven, die die einzelnen Akteure ihren Mitstreitern zu bieten haben.

Einen Waffenstillstand mit den auf ethnischer Basis operierenden Gruppen in Nordmali gibt es vor allem um den Preis, dass über vergangene Verbrechen auch der CMA und anderer bewaffneter Gruppen Stillschweigen gebreitet wird; und dass ihre Mitglieder im Namen der begonnenen „Dezentralisierung“ des malischen Staatswesens mit örtlichen Posten und den damit zusammenhängenden Geldern ausgestattet werden. In Vororten von Bamako wie Sirakoro, einem südlich an die Hauptstadt angrenzenden ehemaligen Dorf, wird man durch Einwohner/innen etwa auf jüngere Hotelbauten hingewiesen mit dem Verweis, hier hätten Leute aus dem Umfeld der CMA aus dem Norden frische Gelder investiert. Die Schaffung einer neuen lokalen Elite, die vor allem Selbstbedienung betreibt, soll dabei die jahrelange wirtschaftliche Vernachlässigung der Gesamtbevölkerung im Norden – und nicht nur dort! – kompensieren.

Hinzu kommt eine gewisse Internationalisierung des Konflikts: Am 14. August 17 wurde auch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über den instabilen Norden Malis debattiert. Dessen Regierung richtete dabei ein offizielles Hilfsersuchen an die Mitgliedsstaaten. Andebattiert wurde zunächst auch die Aufstellung einer neuen internationalen Truppe für Mali und insgesamt für die Sahelzone. Letztere ist insgesamt seit 2011 und dem Zerfall des libyschen Staates – eine Folge der französisch-britischen Intervention in Libyen, aber auch des Erbes, das das Qadhafi- (o. eingedeutscht Gaddafi)-Regime in 42 Jahren Machtausübung hinterließ, welches stets bestimmte Clans bevorzugt hatte - verstärkt von jihadistischen Aktivitäten betroffen.

Vorläufig bleibt es infolge der Beschlüsse im UN-Sicherheitsrat bei einer Finanzierungshilfe für die regionale Truppe der „G5-Staaten“ der Sahelzone (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad), über deren Aufstellung im Juni d.J. ebenfalls im UN-Sicherheitsrat debattiert wurde und die nun die Jihadisten wirksamer bekämpfen soll. Ihre Finanzierung, die Truppe soll voraussichtlich zunächst 423 Millionen Euro kosten, soll ab Dezember 2017 stehen. Die Vorlage für die G5-Eingreiftruppe hatte Frankreich am 09. Juni dieses Jahres in den UN-Sicherheitsrat eingebracht. Ob diese nun Abhilfe zu schaffen vermag oder ab durch die örtliche Bevölkerung eher als Hilfstruppe kolonialer Mächte wahrgenommen wird, bleibt unterdessen abzuwarten.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.