Erhalt durch Ausbau
Die Erfttalbahn Bad Münstereifel-Euskirchen im Kreis Euskirchen (NRW Süd) - Subjekthistorische Erinnerung an eine “erfolgreiche” Politik “von unten” im ländlichen Raum 1989/94

von Wilma Ruth Albrecht

10/2019

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Die Bahnstrecke Euskirchen-Bad Münstereifel im Südzipfel des bevölkerungsgrößten Bundeslands Nordrhein-Westfalen (NRW) sollte 1990 stillgelegt werden. Und doch gibt es die 14 km lange, eingleisige, nicht militärisch relevante, nicht elektrifizierte, diesellokbetriebene Bahn(neben)strecke von Bad Münstereifel nach Euskirchen immer noch. (1)

Die Bahnstrecke Euskirchen-Bad Münstereifel im Südzipfel des bevölkerungsgrößten Bundeslands Nordrhein-Westfalen (NRW) sollte 1990 stillgelegt werden. Und doch gibt es die 14 km lange, eingleisige, nicht militärisch relevante, nicht elektrifizierte, diesellokbetriebene Bahn(neben)strecke von Bad Münstereifel nach Euskirchen immer noch.

Den Initiativen der Fraktion Die Grünen im Rat der Stadt kam dabei eine Anschubrolle zu. Im grünen Wahlprogramm kam nach dem Kampf gegen Tiefflug: Es geht ums Überleben der Kampf zum Erhalt der Bahnstrecke: Nicht Stillegung – Erweiterung ist angesagt. In der Ratsfraktion engagierte sich öffentlichkeitswirksam Thomas Fues [ThF] in der Bahnfrage; die Themen Tempo-30-Zonen und autoarme Kernstadt habe ich bearbeitet. (Dabei verstanden wir uns 1989/94 als grün-alternative Strömung.)

Öffentlich wenig beachtet, hatte bereits 1988 ein Ausschuss in NRW grundsätzlich Stilllegungen unrentabler Bahnstrecken, darunter auch der Erfttalbahn, zugestimmt (Kölner Stadt-Anzeiger [KStA] 10.6.1988). Dieser Richtungsentscheid sollte 1989 in einem Stilllegungsverfahren unter Beteiligung eines politischen Arbeitskreises mit Interessensvertretern unter der Regie des Regierungsprädiums Köln (RPK) umgesetzt werden. (Kölnische Rundschau [KR] 28.10.1989)

ThF, damals wissenschaftlicher Angestellter der Fraktion der Grünen im Bundestag (BT) und die Bahn von Bad Münstereifel nach Bonn und zurück nutzend, hatte von Stilllegungsplänen der Bahnstrecke erfahren; die Grünen in Bad Münstereifel beschlossen, öffentlichkeitswirksam dagegen vorzugehen.

Als ersten Schritt beantragten ThF und ich am 7.11.1989 im Stadtrat: “Der Rat beauftragt die Verwaltung zum 100jährigen Jubiläum der Bahnstrecke Euskirchen-Bad Münstereifel (1.10.1990) ein großes Volksfest unter Beteiligung örtlicher Vereine, Verbände, Kirchengemeinden etc. zu organisieren.”

Der Antrag wurde zur Beratung in die Sitzung des Hauptausschusses am 12.12.1989 überwiesen. Das Ergebnis der Abstimmung im Ausschuss: zwei Ja-, neun Neinstimmen und drei Enthaltungen.

Gleichzeitig wurde an Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) appelliert, “der geplanten Stillegung die Zustimmung zu verweigern” (KR 28.10.1989). Auch die BT-Fraktion der Grünen wurde aktiv: Drei Grüne beantragten eine BT-Plenardebatte zum Thema Schließung der Erfttalbahn: “Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die von der Deutschen Bundesbahn beabsichtigte Einstellung des Betriebs der Strecke Euskirchen-Bad Münstereifel (Schienenpersonennahverkehr) nicht zu genehmigen.” (KR 9.11.1989)

Außer diesen Initiativen gab es originelle Aktionen, um die Bewohner von Stadt und Umland gegen die Stilllegung zu mobilisieren. Als bekannt wurde, dass Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl am 9.11.1989 im Kurhaus der Stadt Bad Münstereifel vor CDU-Funktionären aus NRW sprechen wollte, schickten ihm die Grünen eine Fahrkarte Zweiter Klasse, Fahrplanverbindungen und ihr Wahlprogramm zur Kommunalwahl “vor Ort” 1989 mit der Bitte, sich für den Erhalt der Strecke einzusetzen. (KR 11.11.1989)

Die Aktion wirkte: Kohl tat etwas - wenn auch unter Berufung auf eine Resolution der CDU Bad Münstereifel: “Das von der Deutschen Bundesbahn bereits eingeleitete Stillegungsverfahren wird gestoppt, stattdessen folgen nun ein bis zwei Jahre dauernde Untersuchungen und Versuche, wie die Attraktivität der Erfttalbahn gesteigert werden kann.” (KR 15.11.1989) Das war an dem Tag, an dem die von ThF moderierte Podiumsdiskussion im Vortragsraum der Kurverwaltung in der Bad Münstereifeler Kernstadt stattfand (KStA 17.11.1989).

An der Diskussion nahm Politprominenz wie RP-Chef Dr. F.-J. Antwerpes (SPD), der DB-Bezirkspräsident aus Köln, ein DGB-Gewerkschafter sowie der grüne MdB Michael Weiss teil. Facit: Der Erfttalbahn, “ist zur Zeit nur zu helfen, wenn Eigeninitiative entwickelt wird.” (KStA 17.11.1989). Dazu kam aus dem Zuhörerraum die Losung “Erhalt durch Ausbau”. (KR 17.11.1989; KR 16.1.1990)

Da die CDU-Mehrheit im Stadtrat auf der turbulenten Sitzung des Hauptausschusses am 13.12.1989 das Bahnjubiläum auf die ´lange Bank´ schieben wollte (KStA 14.12.1989), wurde am Abend des 13.12.1989 die Initiative Erhaltet die Erfttalbahn gegründet (KR 14.12.1989).

Diese Aktivitäten führten dazu, dass die Stadt Bad Münstereifel 80.000 DM für ein Gutachten gegen die Schließung der Erfttalbahn in den Haushalt einstellte (KR 25.1.1990). Verstärkt wurde der öffentliche Druck auch durch Vertreter der Bahngewerkschaft, des Verkehrsclubs und von Robin Wood. Sie forderten im Zug Bonn-Euskirchen auf Transparenten den Ausbau zur City-Bahn, 15-Minuten-Takt in den Hauptverkehrszeiten und eine über Euskirchen-Bonn erweiterte Zugverbindung bis ins linksrheinische Ahrtal. (KR 8.2.1990)

Im Februar 1990 hatte sich die Initiative “Rettet die Erfttalbahn” dazu entschlossen “die Trägerschaft für die Hundertjahrfeier” zu übernehmen. Abgeordnete der Grünen im Bundestag [MdBs] forderten nicht nur die Bundesregierung auf, auf die DB einzuwirken, um die Erttalbahnzu erhalten, sondern dass sie “durch geeignete Maßnahmen in den Jahren 1990 und 1991 langfristig gesichert und verbessert wird” wie regelmäßiger Taktverkehr, Beseitigung der zeitgleichen Bus-Parallelverbindung, Erhöhung der Reisegeschwindigkeit und günstige Fahrpreisangebote (KR 9.3.1990). Außerdem legten grüne MdBs am 14.3.1990 einen Entschließungsantrag zum Ausbau des Öffentlichen Personenverkehrs in der Fläche vor. (BT 11. Wahlperiode, BT-Drs. 11/6662)

Im April 1990 bewegte sich auch die Bahn: der DB-Regionaldirektor griff das Konzept des “Großen C”, ein Nahverkehrsrückgrat zwischen (Bad Münstereifel-) Euskirchen-Bonn-Ahrtal auf und forderte den Kreis Euskirchen auf, sich dem VRS anzuschließen. (KR 29.3.1990)

Am 25.4.1990 beantwortete der Bundesminister für Verkehr die Kleine Anfrage der Grünen (BT 11. Wahlperiode, BT-Drs. 11/7043) zur Umsetzung der Untersuchung über die Strecke Euskirchen-Bad Münstereifel: die Strecke gehöre “nach Einschätzung der Bundesregierung zum Einzugsbereich des Ballungsraumes Köln/Bonn.” (KR 5.5.1990)

Angesichts der aussagenarmer Antworten der Bundesregierung war wieder Öffentlichkeitsarbeit nötig. Die Bad Münstereifel Grünen lobten ein Preisausschreiben aus: Ergänzt werden sollte der Satz “Ich will, daß die Erfttalbahn erhalten wird, weil…” Zu gewinnen waren drei Fahrkarten für die Sonderfahrt “Eine Stadt geht auf Reisen” am 26. Mai 1990 nach Heidelberg.

Nach einem halben Jahr Öffentlichkeits- und Gremienarbeit gab es konkrete Vorbereitungen zur Gutachtenvergabe zum Erhalt der Erfttalbahn; der Kreis und die Stadt Euskirchen wollten sich wie Bad Münstereifel und das Bundesland NRW finanziell beteiligen. (KStA 22.5.1990) Und nun war auch das zunächst so umstrittene Fest zum Hundertjährigen kein Streitobjekt mehr; während einer turbulenten Hauptausschuss-Sitzung am 2.5.1990, auf der die Grünen wegen eines Flugblattes, in dem sie CDU und Verwaltung Untätigkeit in Fragen des Erhalts der Erfttalbahn vorwarfen, angegriffen wurden, verkündete der CDU-Stadtdirektor überraschend: ”Die Bahn beteiligt sich […] am Bahnhoffest, das für den 29./30. September terminiert ist: Die Bundesbahn schickt einen Ausstellungswagen, einen 45-Tonnen-Kran, eine Gleisbauerkolonne und eine dem historischen Adlerzug nachempfundene Bimmelbahn an die obere Erft, die besonders die Kinder (auf der Straße) durch Münstereifels historische Sträßchen und Gassen kutschieren soll.” (KR 5.5.1990)

Nun wollte die Stadt, genauer die CDU-Mehrheitsfraktion und ihre Verwaltung, gemeinsam mit der DB das Jubiläumsfest ausrichten. Der Arbeitskreis “Erhaltet die Erfttalbahn” erarbeitete eine Ausstellung mit historischen Dokumenten; sie wurde am 27.9.1990 im Rathaus eröffnet (KR 27.9.1990). Und das zunächst so umstrittene Jubiläumsfest fand am 29./30.9.1990 unter Beteiligung lokaler Politprominenz und vieler Bürgern statt; es gab Sonderfahrten in die Kreisstadt und zurück mit dem Nahverkehrtriebwagen Vt 628.2, Dampfzugfahrten in drei historischen Wagen und dies zu kleinen Preisen.

Dieser Erfolg hinderte die Grünen nicht daran, das Projekt “Erhalt der Erfttalbahn” weiter zu verfolgen. Am 2.10.1990 luden sie zu einer Podiumsdiskussion unter der Fragestellung “Verkehrsverbund Rhein-Sieg: Was hat der Kreis Euskirchen davon?” ein.

In der Diskussion gab es kostenbezogene Bedenken gegen den VRS-Beitritt (KR 4.10.1990). Um diese Blockadehaltungen aufzubrechen, beantragte die grüne Ratsfraktion im Hauptausschuss am 11.12.1990, “dass sich der Stadtdirektor gegenüber Kreisverwaltung und Kreistag für den unverzüglichen Beitritt zum Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) einsetzen soll.” (Gießkanne 50/1990) Außerdem wurde im Finanzausschuss am 23.1.1991 beantragt, dass die Stadt 44.000 DM zur Einführung des Stundentaktes bereit stellen soll, nachdem bekannt wurde, dass die DB bereit sei, im Rahmen eines Markttestes den Stundentakt einzuführen, wenn die Städte Euskirchen und Bad Münstereifel den zu erwartenden Fehlbetrag von 88.000 DM übernehmen würden. (Gießkanne 3/1991)

Auch wenn sich einige Anwohner gegen den Stundentakt wehrten: Er wurde am 2.6.1991 als Zweijahrestest erfolgreich eingeführt. Im September/Oktober 1991 kletterten die Fahrgastzahlen auf 921 im Monat und näherten sich der “Schallmauer für den Bestand der Erfttalbahn von 1.000 Fahrgästen/Monat” (KR 9.11.1991). (2)

Im Juni 1993 begann die Partei “Die Grünen” ihre zentrale Kampagne Bahnreform - aber richtig. Am 6.9.1993 fand im Café gegenüber des Bad Münstereifeler Bahnhofs ein öffentliches Gespräch mit einer MdB, Vertretern der Stadt, der Initiative “Rettet die Erfttalbahn” und Presseleuten statt, dazu am Abend in Euskirchen eine Informationsveranstaltung “Öffentlicher Personennahverkehr im Kreis Euskirchen”. Es ging jeweils um die Weiterentwicklung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) als Alternative zum motorisierten Individualverkehr. (KR 8.9.1993)

Was bleibt?

Die unwiederbringliche Erkenntnis: Das politische, soziale und kulturelle Engagement von Menschen für die Erfttalbahn als regional zentrales Verkehrsmittel war erfolgreich. Die Erfttalbahn kann 2015 ihr 125-jähriges Bestehen feiern. Und auch der Stundentakt hat(te) nicht nur Bestand, sondern wurde noch erweitert…

Anmerkungen

1) Grundlage für diesen Beitrag sind unterschiedliche Dokumente, die ich als damalige parteilose und ehrenamtliche Stadtverordnete (1989-1999) archivierte und am 30. September 2014, fünfundzwanzig Jahre nach der Wahl in den Rat der Stadt Bad Münstereifel bei der letzten NRW-Kommunalwahl in der Alt-BRD, dem Stadtarchiv als Depositum übergab. Die politiksoziologische Besonderheit des Erfttalbahn-Projekts liegt darin, daß es sich um basale Politik von unten handelt/e (vgl. Wilma Ruth Albrecht, Politik von unten: Erneuerungs- und Anpassungsstrategien; in: Neue Politische Literatur, 1/1987, S. 75-92), die bis heute „erfolgreich“ war.

2) Die Schließung der Fahrkartenausgabe in Bad Münstereifel am 30.6.1993 konnte nicht verhindert werden. Die Grünen nutzten sie zum Kauf der am DB-Schalter letztausgegebenen Fahrkarte. Diese erhielt der in Trier lebende Schriftsteller Dr. Walter Schenker [1943-2018], Autor von Eifel. Roman (1983). Mit ihm gab es “vor Ort” am 17.9.1993 eine gut besuchte Kultur- und Diskussionsveranstaltung; zur damaligen grünalternativen KulturArbeit “vor Ort” vgl. Richard Albrecht, Kultur im ländlichen Raum, in: Alternative Kommunalpolitik, 14 (1993) 5: 40-42.

Wilma Ruth Albrecht ist Sprach- und Sozialwissenschaftlerin (Dr.rer.soc., Lic.rer.reg.) mit Arbeitschwerpunkten aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Sie veröffentlichte unter anderem die Bücher Bildungsgeschichte/n (Shaker Verlag, 2006), Harry Heine (Shaker 2007), Nachkriegsgeschichte(n) (Shaker 2008), Max Slevogt 1868-1932 (Hintergrund Verlag 2014), PFALZ & PFÄLZER. LeseBuch Pfälzer Volksaufstand 1849 (Verlag freiheitsbaum 2014) sowie zuletzt ihr vierbändiges Werk ÜBER LEBEN. Roman des Kurzen Jahrhunderts (Verlag freiheitsbaum: Edition Spinoza 2016-2019)

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