Kommentare zum Zeitgeschehen

Macht Schluss mit Boris Johnson – durch Klassenkampf!

Red Flag, Neue Internationale 240, September 2019

10/2019

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Mit der Abstimmung am 4. September und der Verabschiedung eines Gesetzes zur Verhinderung eines Brexits ohne Abkommen mit der EU hat das britische Parlament (vorerst) den Verfassungscoup von Boris Johnson und seiner BeraterInnen durchkreuzt. Wenn der Gesetzentwurf zu einem Parlamentsakt und der Antrag auf weitere Verhandlungen mit der EU bis Januar übermittelt werden, sind Neuwahlen zum britischen  Parlament nahezu sicher.

Versuchter Putsch

Der versuchte Putsch war der Grund, warum sich Hunderttausende der Welle von Protesten und direkten Aktionen im ganzen Land anschlossen, um Johnsons anti-demokratische Manöver zu stoppen und die Aussetzung des Parlaments zu stoppen. Es war ein bonapartistischer Putsch, d. h. einer, bei dem sich die Exekutive über das demokratisch gewählte (und angeblich souveräne) Parlament erhebt und dessen Funktionsfähigkeit vereitelt. Es enthüllte einige grundlegende Fakten über die ungeschriebene britische Verfassung – ihr mächtiges undemokratisches Element –, das gegen eine von Corbyn geführte Labour-Regierung verwendet werden könnte.

Johnsons Staatsstreich wurde mit den nicht gewählten Teilen des britischen Staates durchgeführt: das königliche Vorrecht, das von einem Premierminister ausgeübt wurde, der nicht vom Volk, sondern von 90.000 Mitgliedern der Tory-Partei gewählt wurde. MarxistInnen warnen seit langem davor, dass in jeder tiefen nationalen Krise die „malerische Pracht“ der britischen Monarchie plötzlich zum Leben erwachen und die demokratischen Elemente der Verfassung außer Kraft setzen kann.

Johnson drohte sogar damit, eine Abstimmung des Abgeordnetenhauses zu ignorieren, die EU um eine Verschiebung zu bitten, oder ein Misstrauensvotum zu arrangieren, das es ihm ermöglichen würde, die Königin aufzufordern, das Unterhaus aufzulösen und am 14. Oktober Parlamentswahlen durchzuführen.

Jeremy Corbyn sagte richtig, dass Labour gegen die Auflösung stimmen wird, solange der 31. Oktober wie ein Damoklesschwert über jedem Wahlkampf hängt. Es war klar, dass dies einen Vorwand darstellte, um ein bonapartistisches Plebiszit – „das Volk gegen das Unterhaus“ – durchzuführen. Aber sobald dies erreicht ist, ist die Zeit reif für ein Misstrauensvotum, das Johnsons Regime beendet und eine Labour-Regierung unter Jeremy Corbyn installiert. Eine solche Übergangsregierung sollte dann von der EU eine Verlängerung beantragen, um eine Parlamentswahl durchzuführen, gefolgt von einem Referendum über das aktuelle Abkommen.

Corbyn in Nummer zehn

Labour sollte jeden Vorschlag für eine Übergangsregierung unter einer vermeintlich neutralen Figur wie dem Tory Ken Clarke ablehnen. Ein solcher Kompromiss würde den Weg zu prinzipienlosen Allianzen bei den nachfolgenden Parlamentswahlen und sogar zur Labour-Beteiligung an einer Koalitionsregierung mit Liberal-DemokratInnen oder sogar den Anti-Brexit-Tories ebnen.

Wir müssen den Druck auf die Abgeordneten erhöhen, um ein solches Szenario zu verhindern. Unnachgiebigkeit bezüglich Prinzipien ist in dieser Situation die einzige realistische Politik.

In der Zwischenzeit müssen die Labour-Partei und der Gewerkschaftsdachverband TUC ihr volles Gewicht hinter Massenproteste stellen, bis Johnson gestürzt ist. Das bedeutet Besetzungen, Blockaden und Arbeitsniederlegungen. Wenn es sich als unmöglich erweist, Johnson mit parlamentarischen oder wahltaktischen Mitteln zu entfernen, muss der TUC bereit sein, einen Generalstreik dazu auszurufen.

Die Bewegung auf der Straße muss sich auf diesen möglichen nächsten Schritt vorbereiten, indem sie Ausschüsse aus Delegierten von Gewerkschaften, der Labour Party und der breiteren Bewegung zur Koordinierung des Widerstandes einsetzt.

Labours Programm

Wenn in den nächsten Wochen keine Parlamentswahlen stattfinden, müssen wir die Zeit nutzen, nicht nur, um uns darauf vorzubereiten, sondern auch, um den größtmöglichen Druck von Mitgliedern Labours und der Gewerkschaften für ein wirklich radikales Manifest auszuüben, das wirklich für viele, nicht für wenige etwas bringt. Die Labour Party muss alle Unklarheiten über den Brexit aufgeben und erklären, dass sie gegen diesen ist. Sie muss deutlich machen, dass sie für die Freizügigkeit, für die Verteidigung des Rechts aller Lohnabhängigen und Studierenden auf Arbeit und Studium in Großbritannien eintritt. Sie muss sich verpflichten, die Abschiebungen zu beenden und die abscheulichen Haftanstalten zu schließen und all diese Maßnahmen in ihr Manifest aufzunehmen.

Das bedeutet, aus einer Position der Stärke heraus eine Offensive gegen die Institutionen des internationalen Kapitalismus einzuleiten, einschließlich eines europaweiten Kampfes gegen Kürzungsprogramme und die neoliberalen Verträge der EU sowie gegen die aufkommende rassistische Rechte. Eine solche Offensive sollte auf einer europaweiten Koordination des Widerstandes, auf demokratischen internationalen Sozialforen basieren. Das Motto der Solidarität mit den ArbeiterInnenbewegung des Kontinents sollte lauten: „Gegen das Europa des Kapitals! Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!“

Die Labour-Partei sollte die leeren Versprechen der Tories von Milliarden für Bildung und das Gesundheitssystem NHS als zynisches Bestechungsgeld anprangern, nur um Unterstützung für No Deal zu erkaufen. Labour sollte seine eigenen schüchternen Ausgabengrenzen aufgeben und eine große Investition in Wohnen, öffentliche Dienstleistungen und Umwelt mittels eines demokratischen, von den Lohnabhängigen kontrollierten Produktionsplans zusagen – finanziert nicht durch Kredite auf den Anleihemärkten oder durch Anwerfen der Notenpresse, sondern durch Besteuerung und Enteignung des Reichtums von Kapital und Vermögen.

Labour sollte deutlich machen, dass sie ein umfassendes Programm für Hausbau und zur Umweltsanierung auf den Weg bringen wird, das sich insbesondere auf Bereiche konzentriert, die seit den Tagen von Thatcher vernachlässig und heruntergewirtschaftet wurden.

Last, but not least, hat Johnsons Staatsstreich Millionen von Menschen die undemokratische Realität der britischen Verfassung offenbart. Eine Labour-Regierung sollte das Gesetz über die befristete Amtszeit des Parlaments abschaffen und eine verfassunggebende Versammlung einberufen, die in allgemeiner Wahl von allen über 16 bestimmt wird, um den reaktionären feudalen Müll der Monarchie, des Kronrats (Privy Council), des nicht gewählten Oberhauses zu beseitigen, und das Recht des schottischen Parlaments verteidigen, ein Referendum über die eigene Unabhängigkeit durchzuführen.

Der Wahlkampf

Die Kampagne, mit der Labour, Momentum und die Gewerkschaften zum allgemeinen Wahlkampf mobilisieren, muss sich grundlegend von den üblichen, ritualisierten Veranstaltungen unterscheiden. Wir brauchen Aktionen in den Innenstädten, Demonstrationen und massenhafte politische Mobilisierungen, die die Jugend und die ArbeiterInnenklasse sowie rassistisch unterdrückte Minderheiten sowie die ArbeiterInnen aus der EU mobilisieren. Wir müssen zeigen, dass die Menschen, die wirklichen arbeitenden Menschen, überwältigend auf der Seite der Labour Party stehen, und wir müssen eine Regierung fordern, deren antikapitalistische Maßnahmen den Weg zu einer sozialen Revolution ebnen und zu einer sozialistischen Republik Großbritannien innerhalb Vereinigter Sozialistischer Staaten Europas.

Quelle: http://arbeiterinnenmacht.de

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