Identitätsbasteleien
Über die Klassengestik der linksradikalen Klimaschutzbewegung

von Velten Schäfer

10/2019

trend
onlinezeitung

Wenn sich Tausende zum Protest versammeln, zu einem Unterfan­gen, das Adrenalin freisetzt, Ängste, Romantik und sonstige große Gefühle, ist es angebracht, auf die Gruppendynamik zu achten. Allzu leicht setzen sich sonst informelle Hierarchien in Kraft, schwingen sich Wort- und Gruppenführer auf, wird bewegungskulturelles Kapi­tal in handfestere Währung getauscht, bis hin zu Ritualen von Domi­nanz, Herabsetzung und Belästigung. Besonders virulent ist das, wenn es nicht um eine Demo geht, sondern um Residenz, etwa in Protestcamps.

Dem trägt etwa das Klimacamp Rheinland Rechnung. Um auch das Protestklima zu schützen, publizierte die Organisation im vergange­nen Jahr eine Richüinie für »Awareness/Achtsamkeit«: »Weiß-sein, cis-Gender sowie Heteronormativität«, heißt es dort, »werden das Camp stark prägen, Wissenshierarchien bestehen«. Erwartbar würden »Menschen Workshops verlassen, weil Sprache und/oder dominantes Redeverhalten die Teilnahme für sie unmöglich macht oder ihnen Alltagsrassismen, -sexismen, etc. begegnen«. Dem wolle man mit ei­nem Rahmen entgegenwirken, innerhalb dessen »alle in ihren*_sei-nen* Bedürfnissen« gesehen werden könnten, der es ermögliche, »unsere Privilegien zu reflektieren und einen sensibilisierten Um­gang zu üben«, sodass »wir frei an unseren Identitäten basteln kön­nen«.

Zwar fehlt in der Liste, die auch Sanktionen in Form von Einladun­gen zu Awarenessgesprächen andeutet, nicht die Aufforderung, »Fachwörter und Szene-Codes« zu erklären, »um alle in Gespräche einzubeziehen«. Doch wird dieses Postulat schon durch das Format konterkariert, in der auf der Webseite etwa »cis-Gender« erklärt wird: in einem umfänglichen Fußnotenapparat.

Eine Sprache, die Inklusion größtmöglicher Diversität fördern soll, wirkt nach innen homogenisierend und nach außen exklusiv. Sinn­bildlich dafür steht jener Fußnotenapparat, der schon als Textformat nicht-akademische Menschen erschreckt. Und gibt es nicht wie auch immer orientierte Leute, die mit der dort gegebenen tautologischen Definition - cis-Gender sind Menschen, die sich »nicht als trans*, in-ter* und/oder nicht-binär verorten« - nichts anfangen können? Wo der Text strukturelle Unterdrückung aufdecken will, strotzt er selbst vor symbolischer Gewalt. Er stellt sicher, dass die Gymnasial- oder Hochschulquote bei um die 95 Prozent liegen dürfte. Ausgeschlossen ist gerade die Gruppe, an deren »Identität« hier besonders nachhaltig »gebastelt« wird, ohne dass sie mitwirken dürfte: große Teile derjeni­gen (gleich welchen Hintergrunds), die oder deren Eltern in den Berg- und Kraftwerken arbeiten, die man so schnell wie möglich dichtmachen will.

Hier soll nun nicht der Trump gegeben werden - weder in einer Abre­de der Destruktivität von Kohlendioxid, noch in seiner Abwertung von Minderheiten. Mit einem »Arbeitsplatzargument« lässt sich fast beliebig Kritik plattmachen. Es gibt Gruppen, denen es schlechter geht als bisher den Bergleuten - und jener Jargon ist keine Spezialität der Klimabewegung. Doch zeigen sich im Zusammentreffen von In-tersektionalismus und Klimaschutz geradezu laborhaft Probleme, die zuletzt wieder die Linke umtreiben: die Bezüge zwischen akademi­schem Radikalismus und Arbeiterschaft.

Das Unbehagen der universitären Radikalen an der arbeiterlichen Kultur hat Geschichte. Sie beginnt mit antiautoritären Kommunarden und Spontis, die sich gegen »kleinbürgerliche« Kultur wenden. In der Dekade des Kleinstparteienradikalismus nach 1970 wird daraus eine romantische Verklärung eines »antibürgerlichen« Proletariats, der in­des dessen reale konsumistische »Korrumpierung« gegenübersteht. Die Enttäuschung dieses Phantom-Proletkults schlägt in den 1980ern in eine linksalternative Bewegungssprache um, in der »Proll« ganz selbstverständlich zum Schimpfwort wird. Und im zu wenig begriffe­nen »progressiven Neoliberalismus« nach 1990 verdichtet sich in ei­ner zunehmend kulturalisierten Linken eine Haltung, Alltagsästheti­ken und Lebensweisen der Normalarbeiterschicht gewissermaßen zur herrschenden Kultur zu erklären, obwohl dieselbe zeitgleich tatsäch­lich immer stärker unter Druck gerät: Nirgends gebe es so viel Ras­sismus und so festgefahrene Geschlechterrollen. Heute sind wir an einem Punkt, an dem alles, was diese Kultur ausmacht, akademi­schen Linken als untragbar gilt - vom Arbeitsethos über die Famili­enplanung bis zu Pauschalreise und Grillgut.

In der Klimabewegung verdeutlicht sich diese Verschiebung wie auf einer Bühne, weil sich ihr Aktivismus direkt gegen die Grundlage ei­nes Milieus wendet, das einmal Avantgarde der Arbeiterkultur war und - zum Beispiel - wesentlich an der Durchsetzung von Organisati­onsfreiheit und Achtstundentag beteiligt. Heute aber ist, wie Hannes Lindenberg und Tadzio Müller 2016 in der Zeitschrift »Luxemburg« schrieben, diese Schicht »unter den gegebenen Bedingungen fak­tisch« der »Feind«.

Überdeutlich wurde das am Rande der Aktionen von »Ende Gelän­de« gegen den Braunkohletagebau in der Lausitz im Sommer 2016, als sich in Schwarze Pumpe etwa 1000 Menschen den Klimaschüt­zern entgegenstellten und Bergmannslieder anstimmten. Während Lindberg und Müller das offenkundige »Gerechtigkeitsdilemma« an­sprechen, das sich in dieser Konfrontation zeigt, gewann man in sozi­alen Medien seinerzeit den Eindruck, als wären viele Aktivisten gera­dezu erleichtert, dass sich darunter auch Rechtsradikale gemischt hat­ten: So ließ sich jenes Dilemma zwischen schnellstmöglichem Aus­stieg und absehbarer sozialer Verheerung der Region in verachtungs­vollen Tweets über »Kohlenazis« entsorgen: Die Arbeiterinnen und Kumpels wurden, wie es jener neue linke Jargon ausdrücken würde, zu »Anderen« gemacht, die keine Empathie verdienen.

Die emotionalen Gewinne dieses »Othering« demonstriert ein Text über die selbe Begebenheit, den eine Zeitung druckte, deren Kürzel einmal für »Arbeiterkampf« stand: Hier schreibt Thalestris A. Zetkin Sätze wie: »Wenn die 20.000 deutschen Kumpel_innen ihre Arbeit auch nur für weitere zehn Jahre behalten dürfen, söffen wesentlich mehr als 20.000 Menschen im globalen Süden ab, für die eine An­meldung beim Arbeitsamt Cottbus und Köln ein unerreichbarer Lu­xus wäre.«

Der Autor fordert, man dürfe nicht »die lokale soziale Frage gegen die globale« ausspielen - und nennt doch jeden Ausgleichsversuch eine »national bornierte Antwort auf die Frage des Jahrhunderts«. Bezüglich der »überschaubaren lokalen sozialen Frage« werde »die Lösung wohl sein, den Regionen einfach genügend Geld zu geben« -ob das dann wirklich so einfach ist? Ausgestattet mit dem wissen­schaftlichen Mandat, ein Komplettausstieg nach 2025 sei unvertret­bar, schwingt sich der Text zu einem gesinnungsethischen Rigoris­mus auf, der an den Gestus einer älteren Generation erinnert, die sich zu planieren berechtigt sah, was der wissenschaftlichen Weltanschau­ung entgegenstand. Am Ende dann die Freud'sche Pointe: »There is no alternative to climate justice« - tatsächlich mit Bezug auf Maggie Thatcher, die unter der Parole der Alternativlosigkeit ihren Großan­griff auf die Arbeiterklasse startete, bei dem Bergleute in erster Linie standen.

Solche Haltungen stützen sich auf die allgemeine Desavouierung von Arbeitermilieus in der Linken und bauen sie zugleich immer weiter auf. Auch wenn die bundesweit 60.000 Personen, die indirekt und di­rekt in der Braunkohle arbeiten, nur 0,2 Prozent der Beschäftigten stellen, zeigt sich an ihrem Beispiel exemplarisch, wie die Linke den Bezug zu eben diesen Schichten verliert.

Thalestris A. Zetkin schreibt, er sei »Zeuge eines (friedlich enden­den) Streitgesprächs zwischen um ihre Arbeitsplätze besorgten Lo­kalnazis und einem Klimainternationalisten« geworden: »Auf die aus dem Klimawandel resultierenden Migrationsbewegungen angespro­chen« hätten erstere geantwortet, damit würden sie schon fertig. In einem von »Wissenshierarchie« geprägten Sprechakt wird also dem Arbeitsplatznazi erläutert, sein bornierter Wunsch, kein Sozialfall zu werden, könne im Angesicht des Weltschicksals nicht berücksichtigt werden - wobei man ihm eine Konkurrenz mit Migranten förmlich in den Mund legt. Will man da solidarische Haltungen erwarten?

Dieses Gespräch (immerhin gab es eins) zeigt, wie heute ganz allge­mein an der »Identität« von Arbeitermilieus »gebastelt« wird: Es ist nicht mehr so, dass sich eine Arbeiterklasse im optimistischen Be-wusstsein ihrer anwachsenden Macht in starken eigenen Apparaten erfindet. Stattdessen bildet sich ein einigendes Sentiment, wenn über­haupt, in ständigen Rückzugsgefechten, im Angesicht erodierender  Strukturen, pessimistischer Szenarien und anhand abwertender Zu-schreibungen, die noch dazu nicht selten von denjenigen ausgehen, die sich ihre alten Werte auf die Fahnen schreiben: Es kann aus die­ser Negativität kaum Positives wachsen.

Es ist daher im Allgemeinen fatal, wenn in der Linken vor einem neuen »Proletkult« gewarnt wird, sobald so etwas wie Augenhöhe gegenüber diesen Milieus gefordert wird; stattdessen wäre es ange­bracht, auch diesbezüglich »unsere Privilegien zu reflektieren«. Und im besonderen Fall der Klimabewegung wäre wohl Radikalität nicht nur in Jahreszahlen zu messen, sondern in der Bereitschaft, für kon­krete und realistische Perspektiven eines Danach zu streiten, statt sich in Ignoranz oder technokratische Floskeln von »Strukturwandel« und »Ubergangszeit« zu flüchten. Hier wäre nicht nur Fantasie zu entwickeln, sondern auch gemeinsame Praxis. Das Gegenteil also dessen, was jener Thalestris A. Zetkin als Schlussakkord aufbietet, nämlich die allgemeine Forderung nach einer Aufhebung des Kapita­lismus.

Editorische Hinweise

Der Text erschien in einem Reader der Gruppe "Café Sabot", der als Diskussionstext für eine Gesprächrunde am 13.10.2019 im Stadtteilladen "LUNTE" herausgegeben wurde. Mehr dazu siehe: www.sabot44.org