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Flexibilisierung weltweit

"Es muessten sich
mehr KollegInnen wehren"


von HERMANN DIERKES

 

Unter den Bedingungen von Massenarbeitslosigkeit und neoliberaler Offensive kommt es immer haeufiger zu Tarifbruch, Scheinselbstaendigkeit, illegaler Beschaeftigung, Arbeitsplatzvernichtung sowie Lohn- und Sozialdumping, so das Ergebnis des kuerzlich von DGB und DAG herausgegebenen "Schwarzbuchs". Auf einer Tagung am 10.September 1998 in der Bonner Beethovenhalle hatten betroffene GewerkschafterInnen selbst Gelegenheit, ihre Probleme und ihren Kampf darzustellen.

So berichtete Marina Cee, Betriebsratsvorsitzende beim Autozulieferer BERU AG in Ludwigsburg -- die Firma hat 920 Beschaeftigte --, wie die Geschaeftsfuehrung unter fadenscheinigen Vorwaenden versucht habe, der Belegschaft die Hinnahme einer tarifwidrigen Kuerzung des "Weihnachtsgelds" um 100nd zwei unbezahlte ċberstunden pro Woche abzupressen. Die Firma habe auch damit gedroht, Teile der Fertigung nach Irland zu verlagern.

Belegschaft und Betriebsrat beugten sich dem Druck, und eine entsprechende Betriebsvereinbarung wurde abgeschlossen. Erst spaeter haetten Betriebsratsmitglieder und weitere Beschaeftigte erfolgreich vor dem Arbeitsgericht gegen die Vereinbarung geklagt.

Auch die IG Metall fuehrt eine Verbandsklage, nach Marina Cees Ansicht  allerdings nur halbherzig. Das Viessmann-Urteil aus Hessen stecke ihr noch in den Knochen. Sie haette lieber ein "Kompromissangebot" des Unternehmens akzeptiert, was von den kaempferischen GewerkschafterInnen des Betriebs jedoch abgelehnt worden sei. BERU wolle sich nun im Berufungsverfahren vor  dem Landesarbeitsgericht durchsetzen. Marina Cee: "Ich wuerde mir  wuenschen, dass sich mehr Kolleginnen und Kollegen gegen diesen  Tarifvertragsbruch wehren, obwohl ich ihre Angst verstehen kann."

Kemal Diskaya, Betriebsratsvorsitzender bei McDonalds in Bremen, berichtete, dass das Unternehmen sich in einer Imagekampagne ruehmt, Arbeitsplaetze zu schaffen. Die bittere Wahrheit sei allerdings, dass McDonalds nur noch befristet einstelle. Mit Teilzeitbeschaeftigten werde nur noch eine woechentliche Mindestarbeitszeit und eine Jahresarbeitszeit "vereinbart". Arbeit, Einkommen und Freizeit wuerden so fuer den Beschaeftigten vollkommen unkalkulierbar werden. "Besonders skandaloes ist", so Diskaya, "dass in den Arbeitsvertraegen tarifliche Leistungen und Mehrarbeitsstunden durch uebertarifliches Entgelt abgegolten seien". Das lasse der Tarifvertrag zwar grundsaetzlich zu. Aber McDonalds zahle kaum uebertarifliche Leistungen und definiere auch nicht naeher, was das sein soll. Die Beschaeftigten wuerden nur den tariflichen Stundenlohn erhalten, der zwischen 10,72 und 13,27 Mark pro Stunde liege.

"In Bremen wurden sogar Arbeitsvertraege gefaelscht", erzaehlt Diskaya.  "Nachtraeglich wurde auf dem Firmenexemplar ein Stempel hinzugefuegt: ,Des
weiteren dient das uebertarifliche Entgelt zur Abgeltung der Arbeitszeitausgleichstage', heisst es da. Mit anderen Worten: Der Stempel macht den Anspruch auf sechs -- bei Neueingestellten sind es zwei -- zusaetzliche freie Arbeitszeitverkuerzungstage zunichte. Nachdem wir die Firmenleitung aufgefordert hatten, die Sache umgehend zu korrigieren, und sie nicht dazu bereit war, haben wir Strafanzeige wegen Urkundenfaelschung und Betrugs gestellt."

Auch die Praktiken bundesdeutscher Konzerne in Brasilien kamen in der Beethovenhalle zur Sprache. In dem Land, das sich durch Rohstoffreichtum -- vor allem Eisenerze -- auszeichnet, werden seit Jahrzehnten die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen ausgenutzt, um hohe Gewinne zu machen.

Zu den deutschen Unternehmen, die dabei besonders auffallen, gehoert der "global player" Mannesmann. Der Konzern ist seit den 50er Jahren mit einem Huettenwerk in der Naehe von Belo Horizonte vertreten, wo Roehren produziert werden. Etwa 5000 Menschen sind dort beschaeftigt.

Mannesmann hat sich bisher durch eine autoritaere Unternehmensfuehrung ausgezeichnet. Das Unternehmen aus Duesseldorf hat die Gewerkschaften stark behindert, die Bildung eines Betriebsrats abgelehnt und "Flexibilisierungsmassnahmen" angewendet, die in den reichen Laendern Europas erst neuerdings auf dem Vormarsch sind. Fast 40 0er Belegschaft arbeiten als Leiharbeiter bei Subunternehmern, bei denen Loehne und Arbeitsbedingungen noch schlimmer sind als im Hauptunternehmen selber.

Seit Mitte der 80er Jahre wird ein skandaloeses Schichtmodell praktiziert, dass nach Einschaetzung von Metallgewerkschaft und Arbeitsmedizinern stark gesundheits- und sozialschaedlich ist und Arbeitsunfaelle beguenstigt. Es handelt sich um "feste Schichten", wie dauerhafte Nachtschicht und Mittagsschicht. Angewendet wird das in der Absicht, eine fuer die Beschaeftigten positive Verfassungsbestimmung zu umgehen.

Nach Artikel 7 der brasilianischen Verfassung von 1986 darf die Schichtlaenge in Betrieben mit ununterbrochener Arbeitsweise nur sechs Stunden betragen, es sei denn, ein Kollektivvertrag, also ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung, regelt etwas anderes. Mit den "festen Schichten", so die Argumentation des Unternehmens, habe niemand Wechselschicht und arbeite weiterhin 8 Stunden. Arbeitsgerichtliche Klagen haben der Gewerkschaft zwar formal recht gegeben, aber Mannesmann verstoesst weiter gegen die Verfassungsbestimmung.

Mannesmann zahlt miserable Loehne: So erhaelt ein Kranfuehrer 2,06 Reais pro Stunde. Bei 220 Arbeitsstunden pro Monat sind dies ganze 453,20 Reais oder ca. 550 Mark. Damit kann man auch in Brasilien nicht leben. Der gesetzliche Mindestlohn liegt bei 120 Reais, und im gegenwaertigen Wahlkampf spielt die Forderung nach einer Erhoehung um das 2,5fache eine grosse Rolle. Ein Beschaeftigter an der Metallsaege erhaelt 2,45 Reais, ein Schlosser 2,96, ein Walzwerker 2,45 und ein Meister -- auch typisch fuer die autoritaere Lohnspreizung -- 5,89 Reais.

Beim Arbeits- und Gesundheitsschutz faellt Mannesmann durch besonders hohe Unfallquoten und viele toedliche Unfaelle -- bis 6 pro Jahr -- auf. In einem Gespraech zwischen GewerkschafterInnen und Vertretern des Arbeitsministeriums wurde von Seiten des Ministeriums versichert,  Stillegungsmassnahmen wuerden eingeleitet, wenn Mannesmann nicht endlich seine Arbeitssicherheit gruendlich reformiere. Auch den Vertretern der  Aufsichtsbehoerde war aufgefallen, dass die meisten Unfallursachen gleich bleiben, also einfach hingenommen werden.

Die Metallgewerkschaft prozessiert derzeit gegen das Unternehmen, weil ihrer Ansicht nach die gesetzlich vorgeschriebene Wahl zur Arbeitsschutzkommission CIPA wieder einmal manipuliert worden sei und unfalltraechtige Bereiche nicht durch Beschaeftigte in der Kommission vertreten seien. In Sachen Umweltschutz faellt Mannesmann ebenfalls aus dem Rahmen. Eine renommierte Umweltschutzorganisation hat Mannesmann wiederholt auf die Liste der schmutzigsten Betriebe gesetzt. Grosse Mengen phenolhaltiger Abwaesser werden ungeklaert in einen Fluss geleitet, und Holzkohle aus Primaerwald wurde eingesetzt.

Seit kurzem gibt es allerdings Hoffnung auf positive Veraenderungen, weil die brasilianische Metallgewerkschaft einen hartnaeckigen Kampf fuehrt. Mannesmann steht zunehmend in der oeffentlichen Kritik, und die Zusammenarbeit von brasilianischen und deutschen GewerkschafterInnen faengt an, Wirkung zu zeigen. Mannesmann will wohl mit der oertlichen Metallgewerkschaft halbwegs geregelte Beziehungen aufnehmen und hat soeben Umweltschutzmassnahmen und eine umfassende Neuorganisation des
Arbeitsschutzes mit Hilfe des Beratungsunternehmens Det Norske Veritas angekuendigt.

Hermann Dierkes ist Betriebsrat bei Eisenbahn und Haefen GmbH in Duisburg. Er berichtete auf der Tagung in Bonn ueber die Praktiken von Mannesmann in Brasilien.

Dieser Artikel erscheint in SoZ Nr.20 vom 1.10.1998.
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