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Von der "Job-Sklaverei" zur
Praxis von "New Work"
aus: Zeitzünder - Oktober 98

Seit fast 20 Jahren wirbt Professor Frithlof Bergmann von der Universität Michigan für "New Work". Wie dieses Konzept von »Neuer Arbeit« in der Praxis in den USA und Kanada aussieht hat Volker Hildehrandt untersucht. Der Autor ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Hamburg. Seit Anfang der 80er Jahre wirkt der US-amerikanische Philosoph F. Bergmann für Seine Vorstellungen von "New York" die die Menschen auf eine höhere Stufe der Selbstverwirklichung heben und - durch Formen von Selhstverwirklichung - unabhängiger von der knapper werdenden Lohnarbeit machen sollen. Er reist seitdem in den USA und Kanada, seit den 90er Jahren in Europa, unentwegt von einer Veranstaltung zur nächsten, von einem Workshop zum nächsten. Zur tatsächlich vorfindbaren Praxis sagt aber der -jahrelange "New York"-Aktivist und -Kenner Fritz Williams: Bergmann spricht gelegentlich von künftigen Projekten, als ob sie bereits völlig umgesetzt seien. Kurioserweise gehen einige aus den verschiedenen, über die gesamte Bundesrepublik verstreuten deutschen "New Work"-Zirkeln davon aus, daß "New Work" in den USA viel entwickelter ist als in diesem unserem Lande. Dagegen vermuten "New Work"-Aktive in den USA, daß in Deutschland "New Work" bereits viel entfalteter sei. Anlaß genug, darüber zu berichten, was außer dem, von dem wir aus Bergmanns Interpretation erfahren, aktuelle "New York"-Realität ist.

 

Beispiel Vancouver

'Geist des Unternehmertums'. In der Stadt im Süden der kanadischen Westküste kam es zu zwei Projekten, die nach Bergmann mustergültig aufgezeigt haben, wie die "New Work"-Philosophie umzusetzen ist. Sie knüpften an eine spezifische Situation an, daß nämlich in Kanada eine Bevölkerungsgruppe besonders zu den Verlieren im Gefolge der Krise der Arbeit gehört: junge Menschen. Nach "Statistics Canada" liegt die Jugendarbeitslosikkeit in den 90er Jahren um etwa 50% höher als die allgemeine Arbeitslosigkeit (die vergleichbar mit der deutschen Arbeltslosenrate ist).Das erste "New Work"-Projekt dauerte von Juni bis Oktober 1996 und hieß: "Living Wall Garden Project" (Lebende-Mauer-Gartenprojekt). Fünf Jugendliche zwischen 19uiid 24 sowie eine 26jährige Anleiterin wurden von einer "New Work-Aktionsgruppe" angestellt. Nach der Anleiterin Anna Kemble waren die Jugendlichen vor dem Projekt "alle relativ bedrückt und hoffnungslos angesichts der Arbeitslosigkeit. Alle fühlen sich allein und isoliert von der Arbeitswelt." Das Ziel der "Aktionsgruppe" war die Gründung eines "praktischen Projektes... als ein Vehikel, um der Jugend den Geist und die Praxis des Unternehmertums beizubringen." Dies wurde mit einer ökologischen Idee verkoppelt: Es wurden mit Biomasse gefüllte Plastikcontainer aus New York gekauft, um so inmitten der Stadt, in der Raum knapp und viel Boden verseucht Ist, Gartenbau zu betreiben. Die Seiten dieser Biocontainer bestanden ans Fenstern, so daß die Sämlinge für Blumen und Gemüse auch seitwärts eingepflanzt werden konnten. Auf Dächern in der Stadt kam es zu drei von den sogenannten "vertikalen Gärten" mit jeweils vier bis fünf Containern. Neben der Qualifizierung in Sachen städtischen Gartenbaus nahmen die Jugendlichen an "Business Workshops" und "Lifeskills Workshops", Workshops für Lebenskompeten, teil...

 

Kritik am New York Konzept von Prof. Friethjof Bergmann

Wie sollen wir wirtschaften?

In der Juni-Ausgabe der CONTRASTE haben wir - ergänzt durch Berichte von einigen Neue-Arbeit-Gruppen - ein ausführliches Interview mit Frithjof Bergmann abgedruckt. Neben Zustimmung hat das (auch in der Redaktion) Kritikbedürfnis ausgelöst. Hier ein erster Versuch dazu. Wir setzen das in der nächsten Ausgabe mit einem Beitrag von Rainer Kippe aus der Sozialistischen Selbsthilfe Köln-Mülheim fort. In der Juni-Ausgabe der CONTRASTE haben wir - ergänzt durch Berichte von einigen Neue-Arbeit-Gruppen - ein ausführliches Interview mit Frithjof Bergmann abgedruckt. Neben Zustimmung hat das (auch in der Redaktion) Kritikbedürfnis ausgelöst. Hier ein erster Versuch dazu. Wir setzen das in der nächsten Ausgabe mit einem Beitrag von Rainer Kippe aus der Sozialistischen Selbsthilfe Köln-Mülheim fort.

von Hilmar Kunath. Redaktion Hamburg.

Das Bedürfnis nach Gestaltung von Arbeitsarten neben der in die Krise geratenen Lohnarbeit ist da. Ein Teil der Vorstellungen von Frithjof ist, auf die Dauerkrise mit eigener Aktivität in Gruppen zu reagieren und sich nicht mehr ausschließlich (immer schlechter...) vom Staat versorgen zu lassen. In der Praxis verstehen jedoch alle New-Work-Gruppen in Deutschland, Kanada und den USA den Ansatz von Frithjof sehr unterschiedlich. Einzelne versuchen in aller Stille einen Reformunternehmer zu finden, der seinen Betrieb für eine Umstellung auf das New-Work-Modell zur Verfügung stellt. Andere bauen Häuser der Eigenarbeit auf (angeregt durch das Münchner Haus der Eigenarbeit) und versuchen daraus einen Verbund von teils sich selbstversorgendenden, teils kulturellen, teils marktproduzierenden Gruppen aufzubauen. Wieder andere streben direkt ein 'Zentrum Nette Arbeit' an (z.B. Kreativ-Zentrum Wolfen e.V.).Arbeitslosen-Initiativen versuchen finanzielle Unterstützung zu bekommen für den Aufbau eines Selbsthilfe-Werkstatt-Verbundes. Andere haben begonnen, eine gemeinsame(Bio)Nahrungsmittel-Versorgung auf dem umliegenden Land zu betreiben und entwickeln dazu gemeinsame städtische Produktionsansätze aus ihrem Tauschring heraus (z.B. die Bremer Commune). Auch Beschäftigungsgesellschaften, Schulen und Arbeitsamts-Direktoren interessieren sich für New Work. Einige wenige Gruppen sind geld-und waren-kritisch (z.B. die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM) in Köln). Andere versuchen, eine Art Ersatz-Geld frei nach Silvio Gesell einzuführen ('Doemak' - Halle).Alle diese Ansätze beziehen sich positiv auf das Bergmann-Modell. Man erkennt leicht, daß da viele Fragen noch nicht geklärt sind. Eine gemeinsame, strömungsübergreifende Diskussion steckt in den Anfängen.

 

Was will ich wirklich?

Frithjofs Frage nach dem, was die /der Einzelne 'wirklich will' ermöglicht einen offenen, kritischen Selbstbezug auf grundlegende Lebensentscheidungen: Will ich z.B. wirklich diesen Beruf ausüben, in den ich schon seit einigen Jahren hineingerutscht bin? Habe ich ihn mir wirklich selbst ausgesucht? Menschen, nehmen sich, durch Konkurrenz. Leistungsdruck, Selbststellungszwänge, Anerkennungsbedürfnis getrieben, oft nicht die Zeit zur Muße, um sich offen zweifelnd zu fragen, was sie wirklich, wirklich (werden) wollen. Sie fragen sich selten, ob sie das, was sie zunächst glauben zu wollen, auch wirklich wollen. D.h. sie stellen sich selten selbstkritisch neben sich und fragen: 'Will ich das wirklich? 'Das hohe Maß an Fremdbestimmung in den gegenwärtigen Prägungen der einzelnen Menschen ist angesprochen ...... "Wirklich, wirklich" meint einen Prozeß der Selbstver(un-)gewisserung: 'Will ich das, was ich zunächst glaube zu wollen, wirklich? Oder gibt es noch eine selbstbestimmtere Möglichkeit, schließlich Wirklichkeit, für mich hinter meinem bisherigen Horizont?' Die dazu nötige Besinnungspause gibt es in einem 'normalen' Lohnarbeit-Leben in der Regel nur bei verordneter Zwangspause der Erwerbslosigkeit, die selten als Chance begriffen wird.

 

Angebote

Das Element freiwilliger basisbestimmter Eigentätigkeit jedes Einzelnen in der 'Neuen Arbeit' halte ich für richtig. Durch die eigene Suche nach befriedigerenden Tätigkeiten jenseits der 'Jobarbeit' eröffnen sich neue Erfahrungsräume und neues Selbstbewußtsein. Die Ausgangsfrage ist: Wie kommen Lohnarbeiter(innen) in dieser anhaltenden Krise der Lohnarbeit dazu, Erfahrungen jenseits dessen zu machen, was sie bisher für möglich hielten? Das geht nur über Angebote, die praktisch an ihrem gegenwärtigen Bewußtsein anknüpfen, die attraktiv sind, Spaß machen. Häuser der Eigenarbeit, Zentren Neuer Arbeit, Tauschringe, gemeinsamer Lebensmitteleinkauf, Geräte-Pool, Wohnprojekte, Selbsterfahrungsgruppen (...)wären solche Einstiege in Erfahrungsräume gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens.

 

Ein Ausstieg geht nur schrittweise

Richtig finde ich auch den Gedanken, allmählich ,auszusteigen, aus der Lohnarbeit, gemäß den jeweiligen Möglichkeiten und Bedürfnissen, also zunächst einen Teil Lohnarbeit beizubehalten und mit einer teilweisen Selbstversorgung einen Ausstieg überhaupt erst zu eröffnen. Auch der Gedanke, ein verhältnismäßig hohes technologisches Niveau in der zunächst nur punktuellen Selbstversorgung anzustreben, um Zeit für andere kreative Tätigkeiten zu haben, leuchtet ein. Selbstversorgung muß sich heute nicht auf»mittelalterlich» betriebener Landwirtschaft und handwerklicher Einzelanfertigung beschränken. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß wir etwas lernen können von Frithjof Bergmanns pragmatisch-praktischer Herangehensweise, die Menschen zuallererst ermuntert, an konkreten Punkten selbstbestimmteres Leben und Wirtschaften zu beginnen.

 

Lohnarbeit: nein - Ware und Geld: ja?

Die Einzelnen sollen nach Frithjof zunächst ihre individuelle Freiheit wahrnehmen, indem sie (kollektive ...) UnternehmerIn werden. Sie sollen als vom Markt Ausgeschiedene in einer Zeit ohnehin voller Märkte sich eine neue Marktlücke suchen. Die Erfahrungen von New Work in den USA zeigen jedoch, daß bisher Selbstversorgung und gemeinschaftliche Bestimmung auf der Strecke blieben und Kreativitätsansätze immer wieder auf Marktkreativität verengt wurden (siehe den Bericht in dieser Ausgabe!).Es wird von Frithjof strikt abgelehnt, daß die Lohnarbeit zur Ware wird, bzw. es bleibt; aber der sonstige allgemeine Warenmarkt wird als unproblematisch und natürlich betrachtet. Diese Warenproduktion bringt die Lohnarbeit aber immer wieder neu hervor. Wie soll Warenproduktion in kleinen Gruppen möglich sein, für die auch Kapital nötig ist, ohne daß alle Zwänge des Marktes auf die Beteiligten durchschlagen? Hier liegen gerade in diesem Land vielfältige Erfahrungen u.a. der Alternativbewegung der 7Oer und 80er Jahre vor, die zeigen, wie innerhalb weniger Jahre in etlichen Betrieben ein Verhältnis von (Alt)besitzern und Neu-Wieder-Lohnabhängigen entstand. Klar: Wenn Kapital und Markt bleiben, muß sich der zeitweise weggelassene Pol der Lohnarbeit schnell wieder neu herausbilden.

 

Eine neue Wirtschaftsweise?

Auch eine sehr produktive ("hochtechnologische...") Selbstversorgung von kleinen Gruppen macht noch keine neue Wirtschaftsweise aus - nicht mal in Ansätzen. Die sich selbst versorgenden Gruppen bleiben Private gegeneinander und die Produktion insgesamt Privatproduktion - auch bei Gemeinschaftseigentum der Produktionsmittel der Gruppen. Entscheidend ist, ob die hergestellten Güter und Dienstleistungen weiterhin für einen (vielleicht lokalen...) Markt hergestellt werden, mit aller Anarchie und sozialer Ungerechtigkeit, die damit verbunden ist. Oder werden zumindest Teile der Produktion auf Tauschring-, Stadtteil- oder Dorfebene gemeinsam beschlossen, von lokalen Gruppen gemeinsam durchgeführt und die Ergebnisse auch lokal verteilt? Die Frage, ob Privat- oder Gemeinschaftsproduktion sein soll, bleibt entscheidend. Hinzu kommt die Frage danach, wer wirklich bestimmt, was und wie produziert wird und wie es verteilt wird. Letzteres nenne ich die Aufgabe der Entwicklung von Basisplanung oder basisdemokratischer Planung. Eine nette Wirtschaftsweise, die über die Privatproduktion hinausgeht und die alte des Weltwaren-, Geld- und Kapitalmarktes mitsamt der geballten Privatmacht der Konzerne einmal ablösen könnte, ist von Frithjof vielleicht gar nicht beabsichtigt, Waren- und Geldkritik wird als Sache von abstrusen Sekten abgetan, als "ideologisch", als "utopisch im schlechten Sinn von Utopie", als "Bausch und Bogen-Denken", ohne daß deren Inhalte von ihm bisher zur Kenntnis genommen wurden. Frithjof hat gar nicht für sich bestimmt, was eine Ware, was Geld ist. Geld als der Repräsentant der Warenwelt, ist nicht einfach ein von Menschen zu irgendeinem Zeitpunkt eingeführtes praktisches Austauschmittel. Es hat sich aus dem sich verdichtenden Warentausch heraus (durch die Aktionen aller Beteiligten selbst) als Kristall eines allgemeinen Vergleichsmaßstabs über Jahrhunderte herausgebildet (Salzgeld, Viehgeld, Muschelgeld...). Schließlich erhielt es um ca. 700 vor unserer Zeitrechnung in Kleinasien zum ersten Male münzgeprägte Gestalt. Geld als entfremdeter Ersatz, Bildner und "Zerstörer des Gemeinwesens" wurde gerade in seiner letzteren Funktion von den noch nicht vollständig geld-verbildeten, - geblendeten alten Griechen sehr wohl noch erkannt(vgl. z.B. Rudolf Wolfgang Müller, 'Geld und Geist', 1977, S.25 ff., S.l18ff.).Wenn Ware und Geld nicht mehr die Produktion und unser Leben regulieren soll, dann müßten es die Menschen selber tun. Das würde jedoch eine wesentlich stärkere aktive Teilnahme an Produktionsentscheidungen und am 'Gemeinwesen' erfordern, als es heute üblich ist. Ein dazu nötiger Prozeß der Aktivierung der Menschen in ihrem lokalen Zusammenhang, auch der selbstkritischen Enthierarchisierung der Gruppen, wird von Frithjof bisher nicht als gemeinsame Aufgabe begriffen.

 

Letztendlich nur ein Teammodell?

Es ist bestimmt nichts dagegen einzuwenden, wenn kritische Unternehmer mit ihren Möglichkeiten die wirtschaftliche Selbsttätigkeit von Menschen und Gruppen, die sich selbst helfen wollen, fördern, Frithjof setzt jedoch hauptsächlich auf Unternehmer, die einen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise der Lohnarbeit mit bahnen sollen. Momentan werden ohnehin in vielen Großbetrieben scheinbar selbstbestimmte Teammodelle eingeführt. Natürlich sind diese Teilzeit- und Team-Modelle effektiver/ profitabler für die Unternehmen. Die meisten Ebenen den mittleren Managements werden einfach 'eingespart'. Was bleibt, ist die Rahmenorientierung am maximalen Profit, vielleicht im Rahmen einer "corporate identity", einer 'Firmenphilosophie'. Das setzt auch die Grenzen der Zeit-Flexibilisierung. Die Frage ist nicht, ob jemand zunächst Lohnabhängiger oder Unternehmer ist; sondern ober/sie sich der praktischen und theoretischen Aufgabe stellt, eine demokratischere, umweltfreundlichere Produktion und Lebensweise mit herauszubilden. Dazu kann jemand als UnternehmerIn genauso beitragen; aber nicht innerhalb dieser Funktion, in der er/sie nur marktbezogen sein kann, sondern als verantwortungsbewußter Teil dieser Gesellschaft.

 

Was bist Du wert?

Nur weniger als ein Drittel der gesellschaftlichen Gesamtarbeit in diesem Land ist Arbeit im wertproduktiv-kapitalistischen Sinne. Ein weiterer Teil(hauptsächlich Dienstleistungen) gilt zwar als 'unproduktiv', tauscht sich aber gegen Geld aus. Nur diese beiden Bereiche gelten bisher bei den meisten Menschen als Arbeit. Alles, was darüber hinaus unentgeltlich geleistet wird, ein gewaltiger Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit (hauptsächlich Frauenarbeit, Hausarbeit, viele Sozial- und Beziehungsarbeit, Kindererziehung, manche Hilfe für Alte, Kranke, Behinderte, Flüchtlinge u.v.a.), gilt als 'nichts wert' und wird von den Herrschenden so unsichtbar wie möglich gemacht oder folgenlos glorifiziert. Ein Konzept Neue Arbeit sollte diese gesellschaftlich notwendigen Arbeiten in den Mittelpunkt der praktischen Ansätze stellen. Anstatt diese Tätigkeiten auch noch zu entlohnen, könnten wir, wie ansatzweise in manchem Tauschring, anfangen, auch die bisher als Lohnarbeit verrichtete Arbeit nicht nach hochabstrakten Wertmaßstäben, sondern nach den Bedürfnissen der lebendigen Menschen zu bestimmen.

 

Für das Recht auf Gemeinheit!

Auszüge aus: Eine Kuh für Hillary.

Die Subsistenzperspektive von Maria Mies und Veronika

Bennholdt-Thomsen

Warum brauchen wir neue Allmenden?

Wir haben gesehen, daß die heutige neoliberale Politik dabei ist, sämtliche Bereiche der Wirklichkeit der Logik der Warenproduktion und des Warenkonsums zum Zwecke der Profitmaximierung zu unterwerfen. Die drei Säulen dieses "Kapitalismus pur" sind Globalisierung, Liberalisierung (Deregulierung) und Privatisierung(GLP). Es gibt überall auf der Welt Menschen und Gruppierungen, die nach Alternativen zu diesem Wirtschaftsmodell suchen, Alternativen, die weder auf die "unsichtbare Hand" des Marktes vertrauen noch auf eine sozialistische Kommandowirtschaft. So wichtig solche Initiativen hier im Norden sind, so unzureichend sind sie noch in bezug auf die Frage: Wie gewinnen wir die autonome und gemeinschaftliche Kontrolle über die lebenswichtigen Ressourcen zurück, so daß weder Frauen noch die Natur noch fremde Völker oder andere Menschen ausgebeutet, kolonisiert und vernichtet werden müssen, damit einige im Überfluß leben. Damit ist das Problem der Prtvalisierungen angesprochen, der Einzäunung bzw. Einhegung von Allmenden, von Gemeingut, die nicht nur vor etwa zweihundert Jahren stattfand, sondern heute eine neue brisante Aktualität bekommen hat. Die Subsistenzperspektive gibt sich nicht zufrieden mit neuen Verteilungsmodellen des kapitalistisch-patriarchalen Kuchens, wie es z.B. die Befürworter eines Grundeinkommens oder Bürgergeldes tun. Unserer Meinung nach reicht es auch nicht, Dienstleistungen und Güter direkt zu tauschen und neue lokale zinslose Geldkreisläufe zu schaffen. Solche Tauschringe stören weder den zunehmenden Zugriff der Großkonzerne auf sämtliche Ressourcen noch die Ausbeutung der Frauen, der Dritten Welt und der Natur. Wenn wir es mit der Alternative zum herrschenden System ernst meinen, müssen lokale Gemeinwesen versuchen, wieder Kontrolle über die Produktionsbedingungen und Ressourcen zu gewinnen, von denen ihr Leben im Einklang mit der Natur abhängt. Diese Kontrolle können sie weder dem Staat noch den Transnationalen Konzernen überlassen. Das heißt, sie müssen sich um die Verteidigung und die Wiederaneignung der lokalen Gemeingüter, der Allmenden bemühen. Sonst hängen alle Forderungen nach Freiheit, Selbstbestimmung, Autonomie in der Luft. Der Bericht aus Papua Neuguinea kann uns bei der Wiederfindung der Allmende hier im Norden helfen, die "enclosure of the mind", die Einsperrung unseres Denkens zu überwinden. Begriffe wie "Allmende" oder "Einhegung der Allmende" sind uns heute genauso fremd wie das bäuerliche und städtische Leben im Mittelalter. Als Marx um die Mitte des 19.Jahrhunderts über die "enclosure of the commons"--Bewegung in England schrieb (die deutsche Übersetzung "Einhegung der Allmende" gilt den brutalen, räuberischen Charakter dieser Bewegung kaum wieder, besser wäre von "Einsperrung" zu reden) betrachtete er diese willkürliche Einzäunung und Aneignung der Gemeindeländereien durch frühkapitalistische Landlords als Teil der blutigen Epoche der "sogenannten ursprünglichen Akkumulation". Mit Beginn der eigentlichen, ordentlichen kapitalistischen Akkumulation, glaubte er, sei diese räuberische Aneignung von Gemeineigentum vorbei. Käme Marx heute zurück, würde er sich über den Boomm von Einengungen von Gemeineigentum wundern, der sich derzeit als Folge der Globalisierungs- und Privatisierungspolitik weltweit vollzieht.

azwuppertal@koma.free.de  (AZ Wuppertal)

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