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Vorabdruck aus "Was Tun" Nr.11
Flugschrift der Kommunistischen Plattform der PDS München

"Alle Macht den Räten!"
Vor 80 Jahren: Revolution in Bayern

Von Nick Brauns

 

Gerne rühmt sich die CSU des "Freistaates" Bayern. Ein bißchen Separatismus schwingt hier mit und die Hoffnung, am bayerischen Wesen solle Deutschland genesen. Der "Freistaat" wird dann zum Synonym für Intoleranz, Law-and-Order-Politik, für Bayern als rechte Ordnungszelle Deutschlands. Nur ungern wollen Stoiber und Co. daran erinnert werden, daß es ein Sozialist war, der diesen Freistaat ausrief - in einer Revolution, die vor 80 Jahren zur kurzfristigen Errichtung einer sozialistischen Räterepublik führen sollte.

Es waren 80.000 Menschen, die sich am 7.November 1918 auf der Theresienwiese versammelten: Arbeiter der Münchner Großbetriebe, meuternde Soldaten, Bauern aus dem Münchner Umland und die obligatorischen Schwabinger Kaffehausliteraten und Bierkellerpolitiker. Die beiden Arbeiterparteien MSPD und USPD hatten zur Kundgebung gegen den Krieg und die Monarchie aufgerufen. Die Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) hatten in der Vergangenheit einen Burgfrieden mit dem Kaiser geschlossen und den Krieg unterstützt. Die Kriegsgegner in der SPD hatten sich daraufhin zur Unabhängigen Sozialdemokratie (USPD) zusammengeschlossen. Von pazifistischen Kriegsgegnern bis hin zu den Kommunisten des Spartakusbundes reichte das Spektrum der USPD-Mitglieder. Zur Friedenskundgebung am 7.November mußte auch die MSPD aufrufen, wollte sie nicht noch mehr Mitglieder an die radikaleren Unabhängigen verlieren. Man werde den beleibten Führer der Münchner USPD, den Schriftsteller Kurt Eisner, schon an die Wand drücken, versicherte der rechte Mehrheitssozialdemokrat Erhard Auer zuvor untertänig den Ministern des bayerischen Königs. Dutzende von Rednern sprachen gleichzeitig auf der Theresienwiese. Erhard Auer und seine MSPD-Genossen versuchten, die von Hunger und Kriegsverdruß gezeichnete Menge zu beruhigen. Radikale wie der anarchistische Dichter Erich Mühsam riefen zur Errichtung eines Rätesystems nach russischem Vorbild auf. Von allen Politikern wird der Rücktritt des Kaisers und die Demokratisierung des Staates gefordert. Auch die Annahme der Waffenstillstandsbedingungen der Alliierten fordern die Demonstranten. Kurt Eisner und der sozialistische Bauernbundführer Ludwig Gandorfer führen einen Demonstrationszug zu den nahegelegenen Kasernen. Eisner fordert die Soldaten auf, die Befehle ihrer Offiziere zu verweigern.

Die kriegsverdrossenen Truppen laufen zu den Aufständischen über. Am Abend sind alle Münchner Kasernen in den Händen der Umstürzler. Während König Rupprecht überstürzt flieht schließen sich die Menschen zu Arbeiter,- Bauern,- und Soldatenräten zusammen, um ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Auch in anderen bayerischen Städten kommt es zu Aufständen gegen Krieg und Monarchie. Bis zu 8000 Arbeiter, Soldaten- und Bauernräte bildeten sich damals in jeder größeren Gemeinde und Stadt Bayern. Diese Räte zeichneten sich durch eine jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit ihrer Funktionträger aus, die von den Wählern mit einem verpflichtenden Mandat ausgestattet wurden. Am 8.November erklärte der Vorsitzende des Münchner Arbeiter,-Soldaten- und Bauernrat Kurt Eisner Bayern zum Freistaat. Eisner wird zur bayerischen Ministerpräsidenten ernannt und verspricht politische und soziale Reformen. Die wichtigsten davon sind die Einführung des 8-Stundenarbeitstages und das Frauenwahlrecht. Ein bayerischer Nationalrat bildet eine provisorische Landesregierung. Jeweils drei Minister der USPD und der MSPD - darunter auch Erhard Auer als Innenminister - bilden die Regierung. Hatte Eisner gehofft, so die Arbeiterparteien wieder zu vereinen, stellte sich heraus, daß die rechte MSPD alles tat, um die Revolution einzudämmen und die Räte zu lähmen. Die MSPD hoffte, die basisdemokratischen Räte bald gegen eine parlamentarische Republik einzutauschen. In einigen Räten auf dem Land wurden die bisherigen konservativen Bürgermeister einfach zu Ratsvorsitzenden ernannt, an ihrer Politik änderte sich sonst nichts. MSPD-Anhänger und bürgerliche Politiker sabotierten gezielt die Räte. Linke USPD-Anhänger, Kommunisten und Anarchisten sahen dagegen in den Räten eine wirklich demokratische Alternative zur parlamentarischen Stellvertreterdemokratie. Vor allem im Münchner "Revolutionären Arbeiterrat" hatten sich die kommunistischen und anarchistischen Anhänger des Rätesystems versammelt. Die Vereinigung revolutionärer Internationalisten" um die Anarchisten Erich Mühsam und Gustav Landauer schlossen sich trotz Differenzen zeitweilig der neugegründeten Kommunistischen Partei KPD an.

Ministerpräsident Kurt Eisner wollte in der Rätefrage eine Kompromiß. Die Macht sollte beim Landtag liegen und die Räte nur kontrollierende und beratende Funktion haben. Dabei zögerte Eisner nicht, auch polizeilich gegen die radikalen Linken vorzugehen. Als es nach einer Demonstration von Arbeitslosen am 7.Januar zu Ausschreitungen kam, lies Eisner KPD-Funktionäre und Mitlieder des Revolutionären Arbeiterrates verhaften, darunter den Münchner KPD-Chef Max Levien und Erich Mühsam. Eine Spontandemonstration vor das bayerische Außenministerium, in dem sich Eisner befand, konnte die sofortige Freilassung der verhafteten Genossen erzwingen. Die bayerischen Landtagswahlen waren am 13.Januar 1919 waren eine Niederlage für die Linken. Kommunisten und Anarchisten hatten fatalerweise zum Wahlboykott aufgerufen. Die USPD des Ministerpräsidenten erreichte nur 3 Landtagsmandate, während die MSPD 61 Abgeordnete stellte und die konservative Bayerische Volkspartei sogar 66. Durch den Wahlboykott der Linken blieben die Rätegegner im Landtag unter sich. Die Kommunisten hatten sich um die Möglichkeit gebracht, den Parlamentarismus im Landtag selber als Instrument des Volksbetruges zu brandmarken.

Eisner fügte sich der neuen Mehrheit und plante für die erste Sitzung am 21.Februar seinen Rücktritt als Ministerpräsident. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Auf dem Weg zum Landtag ermordet der 22jährige Leutnant Anton Graf von Arco-Valley den Ministerpräsidenten. Arco stand der rechtsradikalen Thule-Gesellschaft nahe, die auch an der Gründung der NSDAP beteiligt war. Zum Dank für diese Mordtat sollte Arco später zum Lufthansadirektor ernannt werden!

Die Linken reagieren sofort. Der Anarchist Lindner stürmt in den Landtag und schießt auf den MSPD-Vorsitzenden Erhard Auer. Nicht zu Unrecht sieht er in dem rechten Sozialdemokraten den geistigen Verantwortlichen für das Eisner Attentat. Auer hatte mit seiner Hetze gegen die Linken die Stimmung bereitet, in der der rechtsradikale Arco handelte. Die Schüsse Lindners treiben den Landtag auseinander. Plötzlich lag die Macht beim neugeründeten Zentralrat der Arbeiter,-Bauern- und Soldatenräte, dem MSPD, USPD und KPD angehörten. Auf Trauerkundgebungen in ganz Bayern demonstrierten die Anhänger der Arbeiterparteien Einigkeit. Die Wut über den Mord trieb viele Arbeiter und Bauern nach links. Die Anhänger eines Rätesystems gewannen wieder an Zustimmung. Gerade auf dem bayerischen Land bildeten sich neue Räte. Parallel zur am 18.März gebildeten MSPD-USPD-Regierung unter Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann (MSPD) bestanden nun in ganz Bayern die Räte. Mit dieser Doppelherrschaft gaben sich die Räte-Anhänger nicht zufrieden. Am 7.April proklamierten Anarchisten und einzelne Mehrheitssozialdemokraten die bayerische Räterepublik. Eugen Levin von der Münchner KPD lehnte die Beteiligung der Kommunisten an dieser Räterepublik ab. Er warnte, diese am grünen Tisch beschlossene "Scheinräterepublik" sei in Wirklichkeit eine Provokation der MSPD. Es sei vielmehr notwendig, die Räterepublik von unten, getragen von den Arbeitern in den Betrieben zu erreichten.

Diese erste Räterepublik war tatsächlich vor allem ein Abenteuer von anarchistischen Kaffehausliteraten. Die selbsternannten Volksbeauftragten versäumten es, die reaktionären Schützenvereine und Bürgerwehren zu entwaffnen und die Arbeiter zu bewaffnen. Sie dachten nicht daran, die Bauern auf dem Lande durch einen generellen Schuldenerlaß für sich zu gewinnen. Es wurde verpaßt, die Bankkonten der Kapitalisten zu enteignen und die Fabriken unter Arbeiterkontrolle zu stellen. Die Volksbeauftragten erließen schönklingende Proklamationen, ohne größeren Rückhalt in der Arbeiterschaft konnten sie nichts durchsetzen. Die Hoffmann-Regierung war nach Bamberg geflohen, in Nordbayern hatten die Räte wenig Unterstützung. In München putschten am 13.April sozialdemokratische Militärs gegen die Räteregierung. Mühsam und andere Anführer kamen in Haft. Doch radikalisierte Arbeiter unter kommunistischer Führung schlugen den Putsch zurück. Jetzt - mit Unterstützung der Arbeiterklasse - war für die Kommunisten der Moment gekommen, eine wirkliche Räterepublik zu erkämpfen. Ein kommunistischer Aktionsausschuß löste den wehrlosen Rat der Volksbeauftragten ab. Der Matrose Rudi Eglhofer stand an der Spitze einer bayerischen Roten Armee, die kapitalistische Vermögen enteignete und beschlagnahmte Lebensmittel an die Bevölkerung verteilte.

Die sozialdemokratische Regierung Hoffmann zögerte nun nicht mehr, gegen diese kommunistische Räterepublik rechtsradikale Freicorps einzusetzen. Solche Freicorps hatten auf Befehl des sozialdemokratische Reichswehrministers Noske bereits im Januar die KPD-Führer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie unzählige Arbeiter in Berlin ermordet. Preußische Militärs und Freicorps marschierten in der zweiten Aprilhälfte auf Weisung der SPD-Regierung gegen München. Am 1.Mai 1919 drangen die rechten Truppen in München ein. Ein letzter Versuch, mit der Regierung Hoffmann zu verhandeln, um ein Blutbad zu verhindern scheiterte. Die Sozialdemokraten hatten keinen Verhandlungsspielraum mehr, nachdem sie sich einmal an die Truppen der Konterrevolution verkauft hatten. Die Rote Armee in München konnte nur geringen Widerstand leisten. Die Stadt München wurde auch von der konservativen Landbevölkerung im Sticht gelassen, die begann, München auszuhungern. Die rechtsextremen Mörderbanden richteten ein Massaker unter Münchner Arbeitern an. Dem weißen Terror fielen über 1000 Menschen zu Opfer, darunter der Kommandant der Roten Armee Eglhofer und der Anarchist Landauer, der im Gefängnis Stadelheim erschlagen wurde. Selbst 21 katholische Handwerksgesellen wurden niedergeschlachtet, weil sie für Kommunisten gehalten wurden. Der Kommunist Eugen Levin wurde nach einem fragwürdigen Prozeß hingerichtet, der Anarchist Erich Mühsam zu langjähriger Festungshaft verurteilt.

Die bayerische MSPD (und später SPD) sollte sich von ihrem Verrat nicht mehr erholen. In den folgenden Gemeinde- und Landtagswahlen vervierfachten sich die Stimmen für die USPD, nachdem sich die MSPD mit ihrem Packt mit dem preußischen Militär in den Augen vieler Arbeiter entlarvt hatte. Dieser Linksruck blieb für Bayern allerdings folgenlos. Die von den Sozialdemokraten ins Land gerufenen Freicorps blieben in Bayern als sicherem Rückland, um von hier aus die Zerschlagung der verhaßten Weimarer Republik vorzubereiten. Auch Adolf Hitler konnte nun in München seine ersten Anhänger sammeln. Die sozialdemokratische Verräter hatten ihre Schuldigkeit als Steigbügelhalter der Rechten getan. Von den bürgerlichen Parteien wurden sie von nun an systematisch von der Macht in Bayern ferngehalten. Unter der rechts-konservativen Bayerischen Volkspartei wurde Bayern zu der "Ordnungszelle Deutschlands" ausgebaut, die es nach wie vor ist.

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