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Vor 50 Jahre 
Gründung der DDR 

Aus der Chronik der Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Band III

Die Ereignisse vom 1.10.-11.10.1949

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1.-5. Okt.
Die Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone, be­sonders die Arbeiterklasse, fordert die Bildung einer wahrhaft unab­hängigen und demokratischen deutschen Regierung. Diese Forderung wird u. a. von 20 000 Arbeitern des SAG-Betriebes Chemische Werke Buna, von 5700 Arbeitern und Angestellten des SAG-Betriebes Benzin­werk Bohlen, von der Belegschaft des SAG-Betriebes Eilenburger Celluloid-Werk, von 6000 Werktätigen des VEB Maxhütte Unterwellenborn, von 3500 Werftarbeitern, Angestellten und Angehörigen der technischen Intelligenz des VEB Volkswerft Stralsund und von 12 000 Arbeitern des Braunkohlenreviers Senftenberg erhoben. Im Namen von rd. 1,2 Mill. Mitgl. der FDJ und des Verbandes der Jungen Pioniere und im Auftrag von 20 000 Jungaktivisten wendet sich E. Honecker an das Sekretariat des Deutschen Volksrates und fordert die Bildung einer deutschen Regierung mit dem Sitz in Berlin. Die gleiche Forderung wird in den folgenden Tagen von den Parteien des Demokratischen Blocks, von den demokratischen Massenorganisationen und in allen Kreisen der Bevölkerung erhoben.

3./4.0kt. Die Führungsgremien der CDU, der LDPD, der NDPD und der DBD nehmen zur Lage in Deutschland nach der Gründung des westdeutschen Staates (7. Sept.) Stellung. Sie fordern ihre Mitgl. und alle patriotischen Kräfte auf, dem dadurch heraufbeschworenen nationalen Notstand mit aktivem Handeln zu begegnen. Die Parteigremien erklären, daß für ganz Deutschland handeln in dieser Situation bedeutet, eine deutsche demokratische Republik auf der Grundlage des vom 3. Deutschen Volkskongreß angenommenen Entwurfs der gesamt­deutschen Verfassung zu schaffen. Die Regierung eines solchen Staates könne allein eine souveräne, dem Selbstbestimmungsrecht des deut­schen Volkes entsprechende Regierung sein. Sie sprechen ihre Überzeugung aus, daß die Gründung einer deutschen demokratischen Republik und die Fortsetzung der gemeinsamen konstruktiven Politik aller demokratischen Kräfte die Gewähr für die Wiederherstellung der deutschen Einheit und für die Sicherung des Friedens in Deutschland darstelle.

4. Okt. 22. (36.) Tagung des PV der SED. Tagesordnung: Bericht der Kommission zur Ausarbeitung der Entschließung über die Bildung einer Nationalen Front des demokratischen Deutschland (F. Dahlem);

die durch die Bildung der Separatregierung in Westdeutschland ent­standene Lage und die Notwendigkeit der Bildung einer provisorischen Regierung des demokratischen Deutschland (W. Pieck) u. a. Pieck schlägt vor, mit den anderen demokratischen Parteien und Massenorganisationen über die Bildung einer provisorischen Regierung für eine deutsche demokratische Republik zu beraten. Diesem Vor­schlag stimmt der PV einmütig zu. Der PV beschließt das Dokument „Die Nationale Front des demokratischen Deutschland und die Sozia­listische Einheitspartei Deutschlands". Darin werden die Verantwor­tung der aggressiven Kräfte des amerikanischen und des deutschen Imperialismus für die Spaltung Deutschlands und der Zusammenhang zwischen den amerikanischen Weltherrschattsplänen und der Politik der Spaltung Deutschlands nachgewiesen. Es wird dargelegt, daß sich in der Besatzungspolitik, auf dem Gebiet der Wirtschaft und Kultur, vor allem aber in der geplanten Einbeziehung Westdeutschlands in das imperialistische Paktsystem vielfältige Formen der nationalen Unterdrückung zeigen. Die SED ruft zum Zusammenschluß aller patriotischen Kräfte des deutschen Volkes einschl. der zu einem natio­nalen Kompromiß bereiten Teile der Bourgeoisie auf. Der Arbeiter­klasse wird die Aufgabe gestellt, alle Bevölkerungsschichten in den Kampf gegen die nationale Unterdrückung einzubeziehen. Als pro­grammatische Grundlage für die Einigung aller Patrioten in der Nationalen Front schlägt die SED folgende politische Forderungen vor: Wiederherstellung der politischen und wirtschaftlichen Einheit Deutschlands; Beseitigung aller Maßnahmen, die auf die Spaltung Deutschlands und seine Einbeziehung in die aggressive NATO ge­richtet sind; Bildung einer gesamtdeutschen Regierung; schnellster Abschluß eines gerechten Friedensvertrages und Abzug aller Be­satzungstruppen aus Deutschland; Durchführung der Beschlüsse des Potsdamer Abkommens; Wiederherstellung der vollen Selbständigkeit und Souveränität der deutschen Nation auf demokratischer Grundlage; Wiederherstellung der Einheit und des normalen Lebens in der deut­schen Hauptstadt Berlin; freie Entfaltung der wirtschaftlichen, poli­tischen und kulturellen Entwicklung. Die ökonomische und politische Stärkung Ostdeutschlands ist das entscheidende Mittel, um die natio­nale Bewegung zum Erfolg zu führen. Es wird festgestellt, daß für die Entwicklung des gesamtnalionalen Kampfes die Herstellung der Aktionsgemeinschaft von SED, KPD, SPD und Gewerkschaften die wichtigste Voraussetzung bleibt.

Dieser Beschluß des PV der SED leitet einen neuen Abschnitt in der Entwicklung einer breiten nationalen Volksbewegung für Einheil, Frieden und Demokratie in ganz Deutschland ein.

5. Okt. Das Präsidium des Deutschen Volksrates und der Demokra­tische Block berufen in einer gemeinsamen Sitzung den Deutschen Volksrat zu einer Tagung am 7. Okt. ein und fordern ihn auf, sich zur Abwehr der reaktionären Politik der nationalen Spaltung Deutschlands durch die imperialistischen Besatzungsmächte und reaktionären Kreise in Westdeutschland und entsprechend der vom 3. Deutschen Volks­kongreß (29./30. Mai) beschlossenen Verfassung zur Provisorischen Volkskammer umzubilden und eine Regierung der Deutschen Demo­kratischen Republik zu schaffen. Der Bundesvorstand des FDGB nimmt unter Berufung auf die Forderungen von Werktätigen in Tau­senden von Betrieben und Gewerkschaftseinheiten eine gleiche Ent­schließung an.

7. Okt. Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in Berlin, der Hauptstadt Deutschlands. Entsprechend dem Willen des deutschen Volkes beschließt der Deutsche Volksrat in seiner 9. Sitzung unter Vorsitz von W. Pieck, sich zur Provisorischen Volkskammer der DDR umzubilden. Pieck betont die Rechtmäßigkeit dieses Vorganges. Er verweist darauf, daß der Volksrat aus dem 3. Deutschen Volkskongreß hervorgegangen ist, der wiederum in allgemeiner und freier Wahl von der Bevölkerung gewählt wurde. Der Volksrat verabschiedet einstim­mig das Manifest „Die Nationale Front des demokratischen Deutschland".

Die Provisorische Volkskammer tritt zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Sie beschließt das Gesetz über die Konstituierung der Provisorischen Volkskammer und setzt die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft, die unter Beteiligung des gesamten deutschen Volkes geschaffen, vom Deutschen Volksrat beschlossen (18./19. März) und vom 3. Deutschen Volkskongreß (29./30. Mai) be­stätigt worden ist. Zum Präsidenten der Provisorischen Volkskammer wird J. Dieckmann (LDPD) gewählt. Weiter werden das „Gesetz über die Provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und das „Gesetz über die Provisorische Länderkammer der Deutschen Demokratischen Republik" einstimmig beschlossen. Die Fraktion dei SED beauftragt als stärkste Fraktion der Volkskammer gemäß Art. 92 der Verfassung 0. Grotewohl mit der Regierungsbildung. Mit der Gründung der DDR vorwirklichen die Arbeiterklasse und ihre Ver­bündeten unter Führung der SED das nationale Selbstbestimmungs­recht und erfüllen in einem Teil Deutschlands die geschichtliche Auf­gabe des deutschen Volkes im 20. Jh. einen friedliebenden und demo­kratischen Staat zu begründen, in dem Imperialismus und Militaris­mus ausgerottet und damit die Wurzeln des Faschismus, des Krieges und der Ideologie des Rassenhasses, des Revanchismus und Chauvi­nismus beseitigt sind. Mit der DDR entsteht der rechtmäßige deutsche Staat. Er wird von der Arbeiterklasse geführt, die als revolutionärste und fortschrittlichste Klasse in harten Prüfungen der Geschichte bewiesen hat, daß sie zur Führung der Nation berufen und fähig ist. Die DDR entsteht in Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen Prin­zipien der Antihitlerkoalition und den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens. Die Gründung der DDR ist die Antwort der demokra­tischen und patriotischen Kräfte des deutschen Volkes auf den natio­nalen Verrat der herrschenden Kreise in Westdeutschland und auf die Mißachtung des nationalen Selbstbestimmungsrechtes des deut­schen Volkes durch die imperialistischen Westmächte. Sie ist ein Wendepunkt in der Geschichte Deutschlands und Europas. Auf einem Drittel des Territoriums Deutschlands entsteht ein Staat, der alle seine Kräfte in den Dienst der Erhaltung des Friedens stellt. Die Arbeiter­klasse und ihre Verbündeten können sich jetzt im Kampf um die Lösung der nationalen Frage des deutschen Volkes auf eine eigene Staatsmacht stützen. Mit der Gründung der DDR wird die Grundlage für die nationale Wiedergeburt Deutschlands als einheitlicher, fried­liebender, demokratischer Staat geschaffen. Der deutsche Imperialis­mus und Militarismus erleidet die schwerste Niederlage seit der Kapitulation des Hitlerregimes im Jahre 1945. Der Weg nach Osten wird ihm für immer versperrt. Die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten erfüllen mit der Gründung der DDR das Vermächtnis der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung und der antifaschistischen Kämpfer gegen die Hitlerdiktatur.

Die Verfassung beruht auf den Ergebnissen der antifaschistisch-demo­kratischen Umwälzung und sichert den "weiteren gesellschaftlichen Fortschritt. Art. l erklärt Deutschland zu einer unteilbaren, demokra­tischen Republik. Art. 2 bestimmt Berlin zur Hauptstadt der DDR. Art. 3 lautet: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Jeder Bürger hat das Recht und die Pflicht zur Mitgestaltung in seiner Gemeinde, seinem Kreise, seinem Lande und in der Deutschen Demokratischen Republik." Im Unterschied zur Weimarer Verfassung wird in der Verfassung der DDR das Prinzip der Volkssouveränität nicht hur proklamiert, sondern werden auch seine gesellschaftlichen Grundlagen festgelegt. Laut Art. 24 sind die Betriebe der Kriegsverbrecher und aktiven Nationalsozialisten enteignet und Volkseigentum. Der private Großgrundbesitz über 100 ha ist beseitigt. Alle Monopole and Unter­nehmerverbände sind aufgelöst und verboten. Mißbrauch des privaten Eigentums an Produktionsmitteln zum Schaden des Gemeinwohls zieht entschädigungslose Enteignung zugunsten des Volkes nach sich. Alle Bodenschätze und Naturkräfte sind Volkseigentum. Die Gewaltenteilung ist aufgehoben und die Volkskammer zum höch­sten Organ der Republik erklärt. Sie bestimmt die Grundsätze der Re­gierungspolitik und deren Durchführung, sie bestätigt und kontrolliert die Regierung und hat das Recht, sie abzuberufen. Sie erläßt die Ge­setze, soweit nicht ein Volksentscheid stattfindet. Die Verfassung der DDR garantiert die Gleichberechtigung aller Bürger. „Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze und alle son­stigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches" (Art. 6). Mann und Frau sind gleichberechtigt. Die Verfassung verbürgt das Recht auf Arbeit und das Recht jedes Arbeitenden auf jährlichen bezahlten Urlaub und auf Versorgung bei Krankheit und im Alter. Die Regelung der Pro­duktion sowie der Lohn- und Arbeitsbedingungen erfolgt unier maß­geblicher Mitbestimmung der Arbeiter und Angestellten. Nach Art, 39 muß jedem Kind die Möglichkeit zur allseitigen Entfaltung seiner körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte gegeben werden. Jeder Bürger der DDR genießt volle Glaubens- und Gewissensfreiheil. Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften wird gewähr­leistet. In der Verfassung der DDR ist die Mitarbeit aller demokrati­schen Kräfte und ihrer Organisationen an der Gestaltung der Re­gierungspolitik festgelegt. Laut Art. 92 benennt die stärkste Fraktion den Ministerpräsidenten, er bildet die Regierung. Der Ministerpräsi­dent bestimmt die Richtlinien der Regierungspolitik nach Maßgabe der von der Volkskammer aufgestellten Grundsätze. Die ordentliche Gerichtsbarkeit wird durch das Oberste Gericht der DDR und durch die Gerichte der Länder und Kreise ausgeübt. Die Richter sind in ihrer Rechtsprechung unabhängig und nur der Verfassung und den Gesetzen unterworfen. Durch die ökonomische Fundierung der Volkssouveränität und die Aufhebung der Dreiteilung der Gewalten werden mit der Ver­fassung der DDR erstmals in der deutschen Geschichte die gesellschaft­lichen Voraussetzungen geschaffen, daß die Arbeiterklasse im Bündnis mit den werktätigen Bauern, der Intelligenz und den anderen werktäti­gen Schichten tatsächlich und uneingeschränkt die Staatsmacht ausübt.

8. Okt. Das Abkommen über den Interzonenhandel 1949/50 (Frankfurter Abkommen wird nach langwierigen Verhandlungen in Frank­furt (Main) abgeschlossen. Es ist der erste Interzonen-Handelsvertrag nach der separaten Währungsreform (18. Juni 1948). Es stellt ge­ordnete Handelsbeziehungen zwischen der DDR und der westdeut­schen Bundesrepublik mit einer Gültigkeitsdauer von neun Monaten her. Ein neues Verrechnungssystem über die Deutsche Notenbank und die westdeutsche Bank Deutscher Länder wird vereinbart. Das Volu­men der Warenlieferungen beträgt 287,7 Mill. Verrechnungseinheiten von jeder Seite.

9. Okt. 23. (37.) Tagung des PV der SED. Tagesordnung: Bericht über die Verhandlungen zur Bildung der Provisorischen Regierung der DDR (0. Grotewohl).

10. Okt. Die SMAD löst auf Beschluß der Regierung der UdSSR ihre Dienststellen auf und überträgt die bisherigen Verwaltungsfunk­tionen der sowjetischen Behörden an die Provisorische Regierung der DDR. An Stelle der SMAD wird eine Sowjetische Kontrollkommissiongeschaffen, die die Kontrolle über die Erfüllung des Potsdamer Ab­kommens und der anderen Deutschland betreffenden Viermächte­beschlüsse ausübt. Damit bringt die Sowjetregierung den demokra­tischen Kräften des deutschen Volkes großes Vertrauen entgegen und erkennt ihre Bestrebungen an, die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands und dessen Wiedergeburt auf demokratischer Grundlage in die eigenen Hände zu nehmen. Diese Maßnahme leitet die Her­stellung der vollen Souveränität der DDR ein.
Die fünf Landtage in der DDR wählen 34 Abg. in die Provisorische Ländcrkammer.

11. Okt. W. Pieck, Vors. der SED, wird in einer gemeinsamen Sit­zung der Provisorischen Volkskammer und der Provisorischen Länder­kammer auf Vorschlag aller Fraktionen einstimmig zum Präsidenten der DDR gewählt. Beide Kammern billigen das Gesetz zur Überleitung der Verwaltung. Die Verwaltungsaufgaben der DWK werden der Pro­visorischen Regierung und die der Deutschen Verwaltung des Innern, der Deutschen Verwaltung für Volksbildung, der Deutschen Justiz­verwaltung und der weiteren Verwaltungen den entsprechenden Mi­nisterien übertragen.

Rd. 800000 Berliner und Bürger aus allen Teilen der DDR und rd. 200 000 Mitgl. der FDJ nehmen an der Kundgebung aus Anlaß der Gründung der DDR in Berlin teil. In einem Gelöbnis bekennt sich die deutsche Jugend zur DDR, zu ihrer Regierung und ihrem Präsi­denten W. Pieck.

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