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Forum Atomkritischer BürgerInnen 
BERLINER ERKLÄRUNG
 

aus Anlaß des Treffens der G8-Staaten (Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Rußland, Großbritannien, U.S.A.) am 21. und 22. September 1999
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Diese Erklärung wurde einstimmig auf dem Forum Atomkritischer BürgerInnen zum Jahr 2000-Problem J2K WASH - Weltweiter Atomsicherheits-Urlaub in Berlin, Deutschland, am 20. September 1999 verabschiedet. An dem Forum nahmen RepräsentantInnen von Nicht-Regierungs-Organisationen aus Japan, Deutschland, den USA, Australien, den Niederlanden Großbritannien und Frankreich teil. Die Erklärung wurde RegierungsvertreterInnen beim G8-Treffen
in Berlin am 21. September 1999 überreicht.



BERLINER ERKLÄRUNG

Der Anlaß: Die G8-Staaten (Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Rußland, Großbritannien, U.S.A.) treffen sich am 21. und 22. September 1999 in Berlin zu einem Arbeitstreffen zur Vorsorgeplanung für den bevorstehenden Jahrtausendwechsel. Dies ist ein Zeichen dafür, daß sie ihre Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft ernst nehmen. Der Titel des Tagung zeigt, daß die G8-Staaten die Tatsache akzeptiert haben, daß eine vollständige Jahr
2000-Festigkeit aller Systeme bis zum Jahreswechsel 1999/2000 nicht sichergestellt werden kann.

Bürgerinnen und Bürger aus aller Welt sind besorgt darüber, daß die möglichen Folgen eines Versagens von Systemen in atomaren Anlagen aufgrund des Jahr 2000 (J2K)-Problems eine besondere Gefahr für die Weltgemeischaft und für das Leben auf diesem Planeten darstellt. Daher sind wir am Tag vor dem G8-Treffen zu einem Forum Atomkritischer BürgerInnen zusammengekommen, um so unserer Besorgnis über diese kritische Angelegenheit Ausdruck zu verleihen. Weil wir der Meinung sind, daß die Regierungen ihre Autorität von uns Bürgern bekommen, bestehen wir, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Forums, darauf, daß die G8-Staaten die Bedrohung für atomare Anlagen wegen des J2K-Problems auf die Tagesordnung des Arbeitstreffens setzen. Wir werden daher die folgenden Beschlüsse den Vertreterinnen und Vertretern der G8-Staaten übermitteln und sie dazu aufrufen, diese unverzüglich umzusetzen.

Der Hintergrund: Das Atomzeitalter ist beinahe so alt wie das Computerzeitalter. Atomwaffen und ihre Trägersysteme benötigen genauso wie Atomkraftwerke und andere Atomanlagen Computer, um funktionieren zu können. 4.400 Atomwaffen werden in aller Welt auf höchster Alarmbereitschaft
gehalten. Frühwarn- und Kommunikationssysteme können jedoch schwer vom J2K-Problem betroffen werden. wodurch die Gefahr besteht, daß die Daten über Atomwaffen fehlinterpretiert werden. So wächst die Gefahr eines nicht autorisierten oder versehentlichen Einsatzes dieser Atomwaffen.

Die über 1.000 Atomanlagen1 , die weltweit betrieben werden, sind auf die Versorgung mit elektrischer Energie angewiesen. Wie auch von Aufsichtsbehörden und unabhängigen Fachleuten bestätigt wird, kann ein Versagen bei Computersystemen oder sog. "embedded systems" zu einem
Zusammenbruch des Stromnetzes führen. Dies wiederum könnte Atomunfälle bis hin zur Kernschmelze2 nach sich ziehen. Die Notstromsysteme für Atomanlagen sind auf Versorgung mit Treibstoff angewiesen, die ebenfalls vom J2K-Problem betroffen sein könnte.

Das Risiko: Kein Mensch weiß, was am 1.1.2000 oder danach wegen des J2K-Problems passieren wird. Das Potential für menschliche und ökologische Katastrophen ist offensichtlich. Wir können es uns nicht erlauben, Risiken einzugehen, die sich als unumkehrbar oder gar katastrophal erweisen könnten. Obwohl einige Vorsorgeplanungen eingeleitet wurden, braucht die Öffentlichkeit den dokumentierten Nachweis, daß sie vor solchen möglichen Katastrophen geschützt ist.

Die Lösung: Wir rufen daher alle Regierungen, die internationale Atomwirtschaft und alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, die Forderung nach einem weltweiten Atomsicherheits-Urlaub zu unterstützen und gemeinsam an der Umsetzung der folgenden Schritte zu arbeiten:

1. Die Bereitschaft aller Atomwaffen muß ab dem 1. Dezember 1999 verringert werden. Die atomaren Sprengköpfe sind von ihren Trägersystemen zu entfernen, so daß sie nicht sofort gestartet werden können.

2. Alle Atomanlagen müssen ab dem 1. Dezember 1999 stillgelegt werden. Sie dürfen nach dem 1. Januar 2000 erst dann wieder in Betrieb gehen, wenn sie getestet wurden und ihre J2K-Festigkeit transparent nachgewiesen wurde. Außerdem muß das Stromnetz wieder voll funktionstüchtig sein.

3. Es müssen in jedem Atomkraftwerk zum 1. Dezember 1999 zuverlässige und mehrstufige (redundante) Notstromsysteme mit ausreichender Brennstoffversorgung installiert werden, die auch längere Ausfälle des Stromnetzes kompensieren können. Es muß sichergestellt werden, daß der Betriebszustand kritischer Atomanlagen stabil und unter Kontrolle ist. 

4. Für jede Kommune, die sich im Einzugsbereich von Atomanlagen befindet, müssen Vorsorgepläne aufgestellt werden. Wir rufen betroffene Kommunalverwaltungen dazu auf, sich mit Katastrophenschutzplänen auch auf schlimmste Unfälle vorzubereiten. Die Bevölkerung muß informiert und vorbereitet werden. Die Kosten für diese Vorsorgemaßnahmen müssen den Betreibergesellschaften der Atomanlagen in Rechnung gestellt werden. Zumindest die folgenden Maßnahmen müssen ergriffen werden: 

(a) Es muß Informationsmaterial hergestellt und verteilt werden, mit dem die Öffentlichkeit informiert wird über die Gefahren eines Atomunfalls und über die gesundheitlichen Langzeitriskien, die sich durch die Freisetzung von radioaktivem Material in die Umgebung ergeben. Informiert werden muß außerdem über Maßnahmen, die im Falle eines kleineren oder größeren Atomunfalls ergriffen werden sollten, um die gesundheitlichen Folgen eines solchen Unfalls zu minimieren. 

(b) Es müssen hochdosierte Jodtabletten zusammen mit Anweisungen für ihre Anwendung in jedem Haushalt verteilt werden. Zusätzlich müssen zentral Vorräte angelegt werden, die im Notfall schnell verteilt werden können. 

(c) Es müssen regelmäßig Evakuierungsübungen abgehalten werden. Vorhandene Notfalleinrichtungen, wie z.B. Notaufnahmestationen in Krankenhäusern oder Einsatzpläne der Feuerwehr müssen regelmäßig überprüft und geübt werden. 

5. Ab dem 1. Dezember müssen weltweit alle Transporte von radioaktivem
Material eingestellt werden.

6. Um die weltweite Situation im Hinblick auf die J2K-Vorbereitungen kontinuierlich zu überwachen, zu bewerten und zu beeinflussen, muß eine fortwährende Diskussion und Evaluation zwischen offiziellen und unabhängigen Expertengremien stattfinden. Diese Diskussion muß im Internet und über Printmedien öffentlich gemacht werden.

Die Gelegenheit: Die Herausforderungen, denen wir bei der Bewältigung des J2K-Problems begegnen, eröffnen uns allen die Gelegenheit, uns erneut die Gefahren der Atomtechnik bewußt zu machen, mit denen wir jeden Tag leben. Das J2K-Problem macht deutlich, daß die menschliche Kontrolle über die Technik begrenzt ist und daß Unfälle passieren können. Die Regierungen müssen sich - auch für die Zukunft - die immerwährenden Gefahren der Atomenergie vor Augen halten. Diese werden bestehen, solange Atomwaffen und Atomenergie existiert. Gemeinsam können wir in den nächsten Tagen und Wochen weitere Schritte auf dem Weg hin zu einer sichereren Welt gehen, Vorsorge für unsere gemeinsame Sicherheit treffen und das Risiko für eine atomare Katastrophe minimieren.

"Vielleicht einmal in fünf Tagen wache ich nachts schweißgebadet auf und denke, das Jahr 2000-Problem ist viel größer als wir glauben, und an den anderen 4 Tagen glaube ich wieder, daß wir alles im Griff haben. Alles ist so miteinander verwoben; es ist schwer, eine genaue Aussage darüber zu treffen, ob wir es geschafft haben oder nicht."
             John Hamre, stellvertretender U.S.-Verteidigungsminister

1) 
433 kommerzielle Reaktoren, 591 Forschungsreaktoren, alle Anlagen, die mit Atombrennstoff umgehen und eine signifikante Menge radioaktiven Inventars aufweisen sowie alle atomgetriebenen U-Boote 

2)
 Die französische Atomenergiekomission hat mitgeteilt, daß alle Anlagen, die mit Atombrennstoff arbeiten, während des Jahrtausendwechsels und bis zum 3. Januar 2000 stillgelegt werden; die U.S.-amerikanische Atomaufsichtsbehörde hat im Juli 1999 mitgeteilt, daß 6 der 8 großen Atombrennelementfabriken in den U.S.A. während des Jahreswechsels außer Betrieb genommen werden.

Für weitere Informationen:
IPPNW-Deutschland, Xanthe Hall, 030-693 0244
ippnw@oln.comlink.apc.org
 

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