zurück

Wir veröffentlichen zu Werbezwecken
Den Mauern einen Sinn

20 Jahre Geschichte der Autonomen dargestellt anhand ihrer Plakate
10/99
trdbook.gif (1270 Byte)
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
info@trend.partisan.net
  
ODER per Snail:
Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

Politische Plakate sind die zumeist flüchtigen Begleiter der Bewegungen. Sie dienen der Kommunikation, der Propaganda, der Selbstdarstellung, der Information, der Mobilisierung. Plakate sind Mitteilungen im öffentlichen Raum. Sie kleben an Häuserwänden, Stromkästen und Stellschildern und gehören neben Demonstrationen zu den am deutlichsten sichtbaren Zeichen der Bewegungen.
Oft hängen sie nur wenige Tage, manchmal auch einige Wochen. Ganz selten zeugt ein an einer besonders ungewöhnlichen Stelle hängendes Plakat von längst vergangenen und vergessenen Ereignissen.Politische Plakate spiegeln in ihrer Wort- und Bildersprache die Überzeugungen, Traditionen und Gedanken(losigkeit) der AktivistInnen wider. Sie kommunizieren Politik nach »außen« in die Gesellschaft und dienen der »internen« Selbstverständigung, sind kostenfreie Literatur.

Plakat-Geschichte

Die Geschichte politischer Plakate lässt sich bis in die französische Revolution zurückverfolgen, dort wurden erstmals in größerer Zahl politische Texte und später auch mit Zeichnungen versehene Plakate an die Hauswände der Städte geklebt. Vom Kleben kommt auch der Name: Das Wort »Plakat« geht auf das niederdeutsch-niederländische »placken« (anschlagen, anheften) zurück. Noch in den Tagen der März-Revolution 1848 besaßen Plakate fast so etwas wie ein Monopol auf Informationsverbreitung. Friedrich Engels schrieb damals den Plakaten, »die jede Straßenecke in eine große Zeitung verwandeln, in der die vorbeikommenden Arbeiter die Tagesereignisse verzeichnet und glossiert (...) und debattiert finden«, die Eigenschaft zu, die »revolutionäre Leidenschaft unter den Arbeitern lebendig zu erhalten« (Friedrich Engels 1849, MEW 6, S. 440).
Zu dieser Zeit wurden Plakate vor allem von den politischen Massenorganisationen eingesetzt; in Deutschland waren das zuerst die Sozialdemokratie und der politische Katholizismus. Erst im beginnenden 20. Jahrhundert kam wegen deren Wirksamkeit kaum eine politische Kraft mehr an politischen Plakaten vorbei, um WählerInnen zu gewinnen und die (Partei-)Politik zu propagieren.
Ihre überragende Bedeutung haben Plakate längst verloren, erst an die Zeitungen, dann an das Radio und schließlich an das Fernsehen. Als Massenmedium sind politische Plakate eigentlich hoffnungslos veraltet. Und dennoch sind sie das visuelle Medium derer geblieben, die - wie die autonomen Bewegungen - zu den Massenmedien keinen Zutritt haben oder keinen Wert auf deren Nutzung legen.
Bis in die 60er Jahre dieses Jahrhunderts blieb die Herstellung politischer Plakate allerdings weitgehend zentralisiert. Parteien und staatliche Propagandastellen ließen die Plakate produzieren, entworfen wurden sie in zentralen Gremien oder von einzelnen politischen KünstlerInnen. Erst mit dem Aufkommen neuer Bewegungen (die in der Literatur als »Neue Soziale Bewegungen« bezeichnet werden, nichtsdestotrotz aber politische Bewegungen waren und sind) sollte sich diese Anordnung gründlich ändern. Neben den großen und kleinen Parteien und ihren angegliederten Organisationen, die auch während der StudentInnenrevolte ’68 quasi noch ein Monopol auf politische Plakate hatten, begannen zunehmend unabhängige Gruppen Plakate herzustellen. Während beispielsweise in Frankreich nach wie vor kaum politische Plakate hergestellt werden, deren Druck nicht aus staatlichen Töpfen oder von Parteien finanziert ist, entwickelte sich in der BRD, der Schweiz, den Niederlanden und anderen Ländern eine eigene Plakatkultur der (autonomen) Bewegungen.
Die MacherInnen der in diesem Buch versammelten Plakate sind fast ebenso zahlreich wie die Plakate selbst. Egal ob HausbesetzerInnen-, Frauen- oder Anti-AKW-Bewegung, nur in den seltensten Fällen lassen sich die Plakate einzelnen Personen zuordnen. Mit falschen V.i.S.d.P. sind sie nicht mehr das Produkt einzelner KünsterInnen, sondern das von Bewegungen. In der Regel wurden Plakate in den 80er Jahren dezentral entworfen und hergestellt, häufig von den Leuten, die an den Aktionen beteiligt waren. Sie waren meistens keine SpezialistInnen aus den Bereichen Grafik & Design.
Mit diesen neuen Bewegungen entwickelte sich eine völlig neue Plakatkultur. Die Anzahl der Plakate vervielfältigte sich mit den Anlässen, für die sie mobilisierten. Wenig andere gesellschaftliche Gruppierungen haben so viel Papier in Form von Plakaten bedruckt und in öffentliche Räume getragen - und das ganz ohne kommerzielle Interessen. Plakate für Demonstrationen, Aktionen, Veranstaltungen, Partys, Konzerte - alle zusammen mit wenig Geld und meist in und für einen kurzen Zeitraum produziert. Schon bald waren die vielen politischen Plakate neben Werbeplakaten und Konzertankündigungen aus den Innenstädten nicht mehr wegzudenken, und alte Fotos aus den 50er und 60er Jahren, die die leeren Wände der Städte zeigen, wirken heute seltsam fremd.

Orte und Verwendungen

Bald verwiesen die Plakate auf einen besonderen Aspekt städtischer Geografie: Sie markieren die Orte autonomer/linker Politik und die Wohnorte der AktivistInnen. Denn im Gegensatz zu Parteien- oder Produktwerbung werden die Plakate der Bewegungen fast immer von den AktivistInnen selbst geklebt - und deren Radius beschränkt sich zumeist auf die unmittelbare Umgebung der politischen Zentren und die Wohnquartiere. Nur selten dringen die Bewegungsplakate in die Vorstädte oder die exklusiven Konsumzonen der Städte ein und ebenso selten sind sie in den Dörfern und den meisten Kleinstädten zu sehen.
Die Plakate sind vor allem Kommunikationsmittel städtischer Bewegungen, und höchstens die Anti-AKW-Bewegung, Proteste gegen umweltzerstörende Großprojekte und manche Antifa-Aktionen trugen die Plakate gelegentlich über die Städte hinaus.
Das liegt auch an den unterschiedlichen Kommunikationsstrukturen: In Dörfern und Kleinstädten existiert oft eine Form von Öffentlichkeit, die so in größeren Städten nicht zu finden ist. Was dort mündlich läuft und abgemacht wird, dafür wird in der Großstadt schon mal ein Plakat gedruckt. Zudem ist das Plakatieren auf dem Land ungleich schwieriger als in der Stadt. Während HausbesitzerInnen und renitente MieterInnen in den Innenstädten längst vor der schieren Masse der Plakate kapituliert haben, sorgt der deutsche Sauberkeitswahn auf dem Land dafür, dass »störende« Plakate wieder aus dem Straßenbild verschwinden, ganz abgesehen davon, dass sich die Plakate dort oft recht einfach den wenigen AktivistInnen zuordnen lassen, was deren Risiko wegen »wilden Plakatierens« deutlich erhöht.
Nur relativ selten wurden Plakate wegen ihrer politischen Aussagen kriminalisiert und noch seltener kam es zu Verurteilungen. Immer wieder in das Visier des Staatsschutzes gerieten allerdings Plakate, die zur Solidarität mit den Gefangenen aus der RAF aufriefen. So wurden beispielsweise 1984 wegen eines Plakates, auf dem eine Operation für Angelika Goder außerhalb des Knastes gefordert wurde (Abb. 11), vier Personen nach §129a wegen »Unterstützung einer terroristischen Vereinigung« angeklagt - das Verfahren wurde nach vier Jahren eingestellt. Ebenfalls wegen §129a wurde gegen die Göttinger Antifa (M) ermittelt. Anlass war ein Plakat, auf dem ein behelmter Demoblock vor dem Hintergrund des von der RAF 1993 gesprengten Knastes Weiterstadt abgebildet war (Abb. 384) - das Verfahren wurde 1995 nach zwei Jahren eingestellt.
Andere Vorwürfe gegen PlakatproduzentInnen bewegten sich in der Regel auf »niedrigerem« strafrechtlichen Niveau: Ein Plakat gegen die Einheitsfeierlichkeit in Bremen sollte einen »Aufruf zu Straftaten« darstellen, ein Plakat, das den damaligen Berliner Innensenator als Geist aus der Flasche zeigte (Abb. 16), sollte ein »Aufruf zur Nötigung« sein, ein Nürnberger Antifaplakat mit dem Titel »Rassismus hat viele Gesichter« (Abb. 13) sollte die abgebildeten CSU-Abgeordneten beleidigen, da es sich um ein »ehrenrühriges Werturteil« handle.
Ermittelt wurde auch gegen zwei Plakate aus Hamburg, die unter der Überschrift »Vorsicht Menschenjäger« (Abb. 15) die Portraits der Zivilpolizisten der notorischen »E-Schicht« abbildeten, die jahrelang und handfest im Schanzenviertel eingesetzt worden ist.
Allerdings beschränkt sich das Risiko, wenn man/frau beim Plakatieren überhaupt erwischt wird, meistens auf eine Geldstrafe wegen Sachbeschädigung.
Die Heimlichkeit des Plakatierens, das Versteckspiel mit der Polizei, gehört zu den Plakaten genauso wie die Auswahl der Bilder und der Texte. Das politische Plakat dient nicht allein der Mitteilung und der Kommunikation, das Plakatieren selbst ist bereits eine politische Aktion.
Da die autonomen Bewegungen zwar über viel Engagement, aber über so gut wie kein Geld verfügen, suchen sie sich ihre Plakatflächen dort, wo sie sie brauchen; und das immer ohne zu bezahlen und ohne irgendjemanden zu fragen. Nicht immer werden dabei nur Flächen beklebt, die offiziell als öffentlicher Raum gelten. Manchmal können es auch die Wände des Privathauses eines CDU-Bundestagsabgeordneten sein, wenn dieser gerade dabei ist, das in der Verfassung verankerte Asylrecht zu liquidieren.
Manche Plakate haben allerdings nie die Straßen erreicht, sondern schmücken als Kunstersatz mit Bekenntnischarakter Zimmer und WG- Küchen. Die fliegenden Händler mit den Accessoires der Revolte boten die Plakate am Rande von Aktionen und Veranstaltungen feil und die Infoläden verkauften schon bald neben Büchern und Broschüren auch Buttons und Plakate. Einige wenige Plakate wurden sogar ausschließlich für den privaten Gebrauch hergestellt. Sie dienen der Selbstvergewisserung der KäuferInnen, sind politische Statements im privaten Raum. Aber auch viele der für den öffentlichen Gebrauch hergestellten Plakate fanden in den privaten vier Wänden ihre letzte Ruhestätte, die Bewegungsplakate in der Wohnung bezeugten die Zugehörigkeit zur Bewegung.
Neben ihrem »eigentlichen« Zweck, der öffentlichen Bekanntmachung, Mobilisierung und Meinungsäußerung, tritt bei den Bewegungsplakaten der Aspekt der Binnenkommunikation hinzu. Wenn allgemein davon ausgegangen wird, dass sich politische Plakate unspezifisch an »die Öffentlichkeit« richten, scheint das Publikum einiger Bewegungsplakate wesentlich eingeschränkter zu sein. Manche der Parolen und Schlagworte sind ohne detailliertes historisches Wissen um die Geschichte der Bewegungen so unverständlich, wie sie es wohl zur Zeit ihrer Entstehung für die meisten PassantInnen schon waren. Sie setzen bei den BetrachterInnen ein Kontextwissen voraus, ohne das die Plakate zu Geheimbotschaften an öffentlichen Plätzen werden. »Heraus zum revolutionären 1. Mai. 13 Uhr Oranienplatz« (Abb. 20) als Text auf einem in Hamburg geklebten Plakat wird nur für wenige BetrachterInnen als Aufruf zur alljährlichen autonomen 1. Mai-Demo in Berlin verständlich gewesen sein.

Welche Plakate wir dokumentieren

Während der Arbeit an diesem Buch haben wir aus verschiedenen öffentlichen und privaten Archiven beinahe 3.000 Plakate zusammengetragen, fotografiert und sortiert - 3.000 Plakate, die einen nicht ganz kleinen Teil der politischen Plakatproduktion von über 20 Jahren sozialer Bewegung in der BRD dokumentieren. Gerade für ältere Plakate gilt allerdings: Wir können sie nur dann dokumentieren, wenn sie zuvor irgendwo archiviert worden sind. Das klingt wie ein Gemeinplatz, aber da wir aus der eigenen Erinnerung oder aus Erzählungen von GenossInnen von Plakaten wissen, die wir weder in Archiven noch sonstwo finden konnten, ist es durchaus möglich, dass diese Plakate tatsächlich alle »verklebt« worden sind.
Beim Sammeln der Plakate gab es von unserer Seite keine strengen Ausschlusskriterien. Erst einmal haben wir alles aufgenommen, was im weitesten Sinne den undogmatischen linken Bewegungen der letzten 25- 30 Jahre zuzuordnen war. Ausgelassen haben wir lediglich Plakate, die nur Konzerte oder Partys ankündigten, es sei denn, diese wurden ausdrücklich als politische Solidaritätsveranstaltungen markiert. Aufgenommen haben wir Plakate größerer Events, wie z.B. der Anti-IWF-Kampagne, die ganz sicher nicht nur von »Autonomen«, sondern von einem Bündnis »fortschrittlicher«, »linker« Kräfte hergestellt worden sind. Wenn allerdings ein Parteiname unter einem uns durchaus vom Motiv und Anlass interessant erscheinenden Plakat stand, haben wir es nicht dokumentiert.
Dass wir die meisten Plakate hauptsächlich aus den 90er Jahren haben sammeln können, liegt wohl nicht nur daran, dass es immer einfacher ist die jüngste Vergangenheit zur archivieren. Unser Eindruck ist, dass im Vergleich zu den 70ern und 80ern in den letzten 10 Jahren auch mehr Plakate produziert wurden.

Plakatproduktion

Bis in die 80er Jahre standen - mehr als heute noch - technische Probleme der Plakatproduktion im Weg. Meistens war auch damals wenig bis gar kein Geld vorhanden und der Maschinenpark der kollektiven und alternativen Druckereien bestand gerade in den 70er Jahren aus alten - manchmal schrottreifen - Geräten, auf denen schwerlich Vierfarbdrucke in großen Formaten gelingen konnten. Viel seltener als heute fanden sich überhaupt geeignete Druckereien in der Nähe. In den 80ern konnte immerhin auf Kopierer zurückgegriffen werden und einfache DIN A3- Plakate gemacht werden. Und die Siebdruck-Technik, die wegen ihrer geringen Kosten oft genutzt wurde, setzte einige Kenntnisse voraus, die nicht sehr verbreitet waren. Die veränderten technischen und lokalen Möglichkeiten der Herstellung haben die Plakatproduktion auf jeden Fall in den 90ern billiger und weniger umständlich werden lassen, vor allem seitdem der Scanner auf dem heimischen Schreibtisch die Reproanstalt ersetzt hat.
Auch wenn in Bewegungen meist nur eine geringe Arbeitsteilung existiert und Plakate somit tatsächlich von den AktivistInnen der autonomen Bewegungen selbst hergestellt wurden, wäre es doch ein grober Irrtum zu glauben, dass die Plakate »eins zu eins« für die Bewegung stünden. Die politische Alltagsökonomie der in der Regel unbezahlt arbeitenden BewegungsaktivistInnen lässt ihnen wenig Zeit bei der Gestaltung der Plakate, und fehlendes Geld muss durch Engagement wettgemacht werden. Deshalb sind Plakate oft nur ein vergrößerter und bebilderter Flugblatttext oder Ausdruck eines Minimalkonsenses der beteiligten Gruppen. Wichtig ist den Beteiligten im Grunde nur, dass »irgendwie« darüber diskutiert wurde und Plakate danach als eine Art Merkzettel an den Wänden der Stadt fungieren. Nach der Aktion, Veranstaltung oder Demonstration kann das Plakat sofort wieder vergessen werden. Dennoch stellen weder Zeit- noch Geldmangel diese gängige Praxis außerhalb der Kritik. Zumindest Zeit können wir uns nehmen, diese Plakate doch einmal genauer anzusehen - gerade weil wir politischen Bewegungsplakaten den Anspruch unterstellen, mit Hilfe politischer, grafischer und ästhetischer Konfrontation für Veränderung und letztlich Befreiung einzutreten, müssen sie politisch gelesen und gedeutet werden.


Plakat und Buch?

Die Plakate in diesem Buch erzählen Geschichte(n) von längst vergangenen Ereignissen. Sie sind die Dokumente der Bewegungen, und doch wären viele für sich allein genommen kaum mehr als bunt bedrucktes Papier, auf dem zu längst vergangenen Veranstaltungen und Aktionen aufgerufen wird.
Wenn die Plakate in diesem Buch mehr sein sollen als verblasste Bilder, müssen sie mit der Politik und den Zielen der Bewegungen in Beziehung gesetzt werden. Als historische Quelle geben sie Auskunft über die Bewegungen, aus denen sie kommen, aber die Bewegungen - und damit auch die Plakate - lassen sich nicht allein aus den Plakaten verstehen. Manche Plakate gewinnen erst im Nachhinein durch den Verlauf der darauf angekündigten Aktionen eine besondere Bedeutung, manche zitieren Plakate oder Symbole aus anderen (politischen) Kontexten, die heute in Vergessenheit geraten sind.
Die Beiträge dieses Buchs stellen einzelne Kontexte der Plakate wieder her. Allerdings ist dieses Unterfangen nicht ohne Probleme: Schon allein die Wirkung der Abbildungen ist eine ganz andere als die der Plakate auf der Straße. Die Großformatigkeit, die einen Teil der plakativen Wirkung ausmacht, geht notwendigerweise im Buch verloren. Die »Präsentation« ist eine andere: Während auf der Straße die Plakate neben, unter und über beliebigen anderen Plakaten kleben, halb abgerissen, verblasst, vom Regen aufgeweicht, bietet das Buch sie thematisch geordnet und fein säuberlich voneinander getrennt feil. Manche der Plakate waren vielleicht nie oder nur ganz kurz in dem Zustand zu sehen, in dem sie hier abgedruckt sind, bevor sie abgerissen oder überklebt wurden. Es fehlen die Wände und Mauern, an denen sie klebten, die Mischungsverhältnisse von Kleister und Wasser.
Aber gerade weil die Plakate in diesem Buch der Schnelllebigkeit des Straßenbildes entzogen wurden, bietet sich die Möglichkeit, genauer hinzusehen, als dies auf der Straße üblich ist. Und wenn man genau hinsieht, dann können die Plakate etwas über das Denken der AktivistInnen und einzelne Motivationen der Bewegungen verraten: Die Bilder, mit denen Plakate arbeiten, um plakativ zu sein, spiegeln oft in besonderer Weise Ängste, Begehren und Wünsche der AktivistInnen wider. So eröffnen die Plakate einen Zugang, der sich nicht in Flugblatttexten oder sonstigen schriftlichen Zeugnissen - vielleicht mit der Ausnahme von Romanen - finden lässt.
Einige der dokumentierten Plakate verraten mehr über Sinn und Unsinn, der einmal verzapft wurde, als jeder noch so gute Text es vermag. Dabei mutet es paradox an, dass die »schlechten« Plakate oft aussagekräftiger über besagten Sinn und Unsinn sind als die, die wir auch heute noch »gut« finden.
Eine (nachträgliche) Reflexion eines Abschnitts der Geschichte autonomer und linksradikaler Bewegungen, deren Teil wir waren und bleiben wollen, ist der erste Zweck dieses Buches.
Das Buch wird sicherlich auch für die GenossInnen, die einmal als AktivistInnen Plakate an Häuserwände geklebt haben und die sich schon lange von diesem Dasein aus den unterschiedlichsten Gründen zurückgezogen haben, zwar keinen aktuellen politischen, jedoch durchaus einen »romantischen« Gebrauchswert besitzen. Ihnen wird dieses Buch sicherlich als »Erinnerungsalbum« dienen, das sie sich gerne kaufen und ins Regal stellen ...
Und schließlich soll das Buch eine Anregung sein, Plakate nicht gedankenlos als »verlängerte Flugblätter« zu missbrauchen, die niemandes Aufmerksamkeit finden werden. Vielleicht kann es den AktivistInnen des Heute und Morgen als Anregung dienen und trägt dazu bei, sich bei der Herstellung und Verbreitung von Plakaten noch mehr als bisher nicht nur um den Text, sondern auch um die Wirkung von Grafik und Bildern Gedanken zu machen.

Die Bilder und die Beiträge

Die Gliederung des Buchs folgt in groben Zügen den Bewegungen der letzten 25-30 Jahre. Allerdings liefern wir keine Autonomen-Chronologie mit einem nachträglich konstruierten Anfang und einem willkürlichen Schluss, die im Wortsinne von vorne bis hinten nicht stimmen würde. Schließlich wollen wir mit diesem Plakatbuch etwas zeigen, was nach wie vor lebendig und noch lange nicht abgeschlossen ist.
Das Schwergewicht dieses Buches liegt auf den Plakaten und nicht auf den Texten. Die Aufsätze gehen allerdings über eine bloße Untertitelung der Bilder hinaus. Ihr Ziel ist es, die Sinne dafür zu schärfen, welche Möglichkeiten und Probleme in der Gestaltung und Herstellung von Plakaten liegen.
Die Beiträge machen einen weiten Horizont auf, der vom Produzieren und Kleben bis zum Design von Plakaten reicht, sie stellen die Frage nach der Bedeutung von Plakaten als historische Quellen und fragen nach den Repräsentationsformen der Subjekte in den Bewegungen.
Unverkennbar orientieren sich die meisten Aufsätze an einer uns aus den 80er Jahren überlieferten etwas konventionellen Politik-Anordnung der »Teilbereichsbewegungen«. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, mit einzelnen Bruchstücken einer zuweilen schon längst vergangenen oder vergessenen Geschichte immer wieder einen »Tigersprung in die Gegenwart« zu wagen, und sie vermeidet die Anmaßung eine durchgängige, einzige und homogene Bewegungsgeschichte schreiben zu wollen.
Der Vorteil dieses Zugriffs, seine oberflächlich plausible Nachvollziehbarkeit ist zugleich auch sein Nachteil: »Politik« wird auf einen »Teil« verkürzt. Spätestens beim genauen Betrachten der Bilder wird deutlich, dass das »so eigentlich nicht geht und nicht richtig ist«, und entsprechend durchbrechen die Artikel auch immer wieder diese einfache Teilbereichstrennung.

Die Reise durch die Welt autonomer Plakate beginnt in Berlin in einem der 180 Anfang der 80er Jahre besetzten Häuser. Leh und Antje folgen in ihrem Artikel Die Freiräume verteidigen den HausbesetzerInnenbewegungen und ihren Plakaten.Sie fragen nach dem Lebensgefühl, das aus ihnen spricht und betrachten rückblickend das Konzept »Gegeninformation«, dem viele dieser Plakate verpflichtet waren.
Auf welche Weisen sich die politischen Akteurinnen in ihren visuellen Zeugnissen inszenieren, analysiert Kerstin Brandes, wenn sie unter dem Slogan »Auf denn - keine Frage, Frauenkampftag alle Tage« über Plakate der autonomen Frauenbewegung schreibt. Welche Frauen- und welche Männerbilder lassen sich auf den Plakaten finden, welche Geschlechterstereotypen werden kritisiert, welche reproduziert, und wie stellen die Aktivistinnen sich selbst und die Bewegung dar?
Selbst zu Wort kommen die PlakatproduzentInnen von Druck & Propaganda. Ehemalige Mitglieder der Siebdruckgruppe des Hamburger autonomen Zentrums Rote Flora erzählen von ihren Ansprüchen und Erfahrungen, die sie während acht Jahren als politische Plakatgruppe gemacht haben, und beschreiben dabei die Produktionsbedingungen und Kämpfe, die hinter den Plakaten, wenn sie erst einmal geklebt sind, nicht mehr zu sehen sind.
Den größtmöglichen Sprung aus dem Hamburger Szenestadtteil Schanzenviertel machen dann Anke Spieß und Armin Stickler. Die Wirklichkeit als größte anzunehmende Unzumutbarkeit steht für sie als Motto für die Plakate der Solidaritätsbewegungen. Bei aller Revolutionsromantik der Fahnen und Gewehre betonen die AutorInnen allerdings auch die Versuche, auf den Plakaten gerade dem paternalistischen Zugriff der »Entwicklungshilfe« oder der Mitleidssymbolik hungernder Kinder aus Afrika, wie sie auf den kirchlichen Spendenkampagnen zu sehen sind, etwas entgegenzusetzen.
Um die »Gleichzeitigkeit der Kämpfe«, die imaginierte Einheit von Metropole und Peripherie, geht es auch in dem Artikel von Sebastian Haunss, der sich unter dem Titel »Front entsteht als kämpfende Bewegung« den Plakaten der Antiimps annimmt. Neben einer Analyse der Symbolwelt zwischen RAF-Ikone, rotem Stern und GuerillakämpferIn geht es dabei auch um die Frage nach den AdressatInnen von Plakaten, deren (Bild-)Sprache nicht selten an die hermetische Geschlossenheit der Kommandoerklärungen erinnert.
Einem auf vielen Plakaten anzutreffenden Aspekt linker Ästhetik widmet sich H. Frankfurter: Das rebellische Kind wirbt für den 1. Mai und soll gegen den IWF mobilisieren. In seiner unschuldigen Frechheit symbolisiert es Militanz, nachdem die vermummte Kämpferpose als »Mackermilitanz« unmöglich geworden war.
Um eine andere Szene mit ihren oft sehr prägnanten Plakaten geht es in dem Beitrag von Klaus Viehmann: Fäuste, Fahnen, Blumentöpfe. Antifaplakate zwischen historischen Symbolen und Comic-Ästhetik werden dahingehend betrachtet, welche bewusst oder ungewollt übernommenen »Bilder« und Politikvorstellungen bzw. Faschismusanalysen enthalten sind - und wie auch Antifaplakate »vor allem erfolgreich« sein können.
Jenseits von schönen Plakaten führt Sandy k. die Überlegungen zu einer möglichen und der praktizierten linken Ästhetik auf allgemeinerer Ebene fort und diskutiert die Plakate aus dem Blickwinkel eines engagierten Grafikdesigns.
Um die Anti-AKW-Plakate geht es in dem Beitrag »Nicht hier und auch nicht anderswo« von Mamo Macduffin. Anhand ihrer Plakate beschreibt er eine Bewegung, die an einem Punkt - dem Kampf gegen die Atomenergie - zusammengekommen ist, praktisch jedoch aus einem mehr oder weniger toleranten Nebeneinander verschiedenster Ansätze und Vorstellungen besteht.
Eine Idee, die wohl in allen Bewegungen, deren Plakate in dieses Buch Eingang gefunden haben, auftaucht, ist die der Freiheit. Diesem Motiv spürt Asea Eckenreich nach; ausgehend von einem der bekanntesten Plakate autonomer Bewegungen fragt sie, was mit dem Begriff in verschiedenen Kontexten eigentlich gemeint ist.
Hauptsächlich um Plakate jüngeren Datums geht es im Artikel kein mensch ist illegal? von Sandy k. und Sabeth Ansasunis. Sie betrachten die Versuche der Antira-Bewegung, die forcierte Ausgrenzung und Entrechtung von Menschen ohne deutschen Pass auf Plakaten zu thematisieren, und analysieren die dabei eingesetzten Strategien, einer rassistischen Bildproduktion zu entgehen.
Um die Assoziationen, die Plakate bei den BetrachterInnen auslösen, geht es Connie & Ela. Solidarischer Hustensaft und leuchtende Fassaden nimmt zwei Plakate und ihre gegensätzliche Wirkungsweise aks Ausgangspunkt für ein Zwiegespräch.
Den Schluss schließlich bildet ein Beitrag, in dem es um das geht, was am Ende jeder Plakatproduktion steht: das Plakatieren. Lautlos und unsichtbar ... hat Severine Lansac ihren Text genannt, der einen Ausflug in die kleine Erotik nächtlichen Plakatierens unternimmt.
Zusätzlich zu diesen Beiträgen haben wir noch eine Reihe uns thematisch wichtig erscheinender Bilder-Blöcke aus der Vergangenheit und Zukunft der autonomen Bewegungen in das Buch aufgenommen. Die dazugehörenden Kurzbeiträge sind keine eingehende Reflexion der einzelnen Plakate, sondern umreißen nur kurz den jeweiligen historischen Kontext.
Dem Buch beigelegt haben wir diese CD-ROM mit allen von uns bei der Arbeit an diesem Buch fotografierten Plakaten. Nach Stichwörtern und Orten durchsuchbar sind darauf auch all jene Plakate zu finden, die aufgrund der begrenzten Seitenzahl nicht im Buch abgedruckt werden konnten.

Über das Geld

Nicht die Ökonomie, sondern die Politik war der Ausgangspunkt dieses Buches. Im Verhältnis zu den sehr hohen Recherche-, Material- und Druckkosten ist der Preis viel zu niedrig, andererseits sind 39,80 DM schon an der Grenze dessen, was die meisten AktivistInnen der autonomen Bewegungen »übrig« haben. Gerade weil wir von vielen Leuten bei der Sammlung der ja selbst mit unbezahltem Engagement hergestellten Plakate große Unterstützung erfahren haben, wollten wir sie nicht durch einen für sie viel zu hohen Buchpreis ausschließen von dem, was in einem guten kommunistischen Sinne allen gehören soll: die Geschichte und die Zukunft der Bewegungen, und hier speziell ihrer Plakate.
Soweit die gute Absicht, nun zur weniger schönen Realität: Es ist uns zwar gelungen, viel Schulterklopfen, aber keinen größeren Zuschuss für dieses Buchprojekt zu erhalten. Es ist einfach so, dass alles, was irgendwie mit »Autonom« zu tun hat, den Stellen, die man um finanzielle Unterstützung für ein solches Projekt angehen kann, politisch nicht in den Kram passt. Das spricht zwar aus unserer Sicht unbedingt für’s »Autonome«, löst aber nicht unsere finanziellen Probleme.
Damit dieses Buchprojekt kein finanzielles Desaster wird - und es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass weder unsere Arbeitszeit noch die der AutorInnen oder VerlagsmitarbeiterInnen vergütet worden sind -, werden wir auf Veranstaltungen und Partys auf eure solidarischen Spenden angewiesen sein. Damit die Kosten dieses Buches nicht von wenigen, sondern von vielen ausgelöffelt werden.

Wir widmen dieses Buch den unbekannten autonomen PlakatkleberInnen.

  • HKS 13: Klaus Viehmann | Markus Mohr | Sebastian Haunss

Inhaltsverzeichnis des Buches

HKS 13:
Den Mauern einen Sinn  8-25

Leh und Antje:
Die Freiräume verteidigen
Häuserkampf im Spiegel der Plakate  26-43

Kerstin Brandes:
»Auf denn - keine Frage, Frauenkampftag alle Frage«
Die Plakate der Frauenlesben-Bewegung  44-63

Kollektiv Linke Hände:
Rote Flora - Druck und Propaganda  64-75

HKS 13:
Polizei - Überwachung - Datenschutz  76-81

Armin Stickler/Anke Spiess:
Die Wirklichkeit als größte anzunehmende Unzumutbarkeit
Die Plakate der Solidariitätsbewegung  82-109

Sebastian Haunss:
»Front entsteht als kämpfende Bewegung«
Antiimp-Plakate  110-123

H. Frankfurter:
Das rebellische Kind
oder »Nie wieder erwachsen!"  124-135

HKS 13:
»Mit Lebendigkeit und Power gegen Mord-Elektronik und NATO-Terror«
Antimilitaristische Plakate  136-143

Klaus Viehmann:
Fäuste Fahnen , Blumentöpfe
Antifaplakate  144-159

Sandy k.:
Design, jenseits von schönen Plakaten ...  160-169

Mamo Macduffin:
»Nicht hier und auch nicht anderswo!«
Die vielen Plakatmotive der Anti-AKW-Bewegung  170-183

HKS 13:
Hüttendörfer, US-Imperialismus und 9 Millimeter
Eine Plakat-Kurzgeschichte des Protestes gegen die Startbahn-West  184-189

Asea Eckenreich:
Freiheit?  190-201

Sandy k./ Sabeth Ansasunis:
kein mensch ist illegal?
Antirassistische Plakate  202-211

Connie & Ela:
Solidarischer Hustensaft und leuchtende Fassaden
Eine Reise zu den Abgründen autonomer Plakatgestaltung - ein Dialog  214-227

HKS 13:
Wie spät ist es?
Revolutionäre 1. Mai-Plakate  228-223

Severine Lansac:
Lautlos und unsichtbar ...  234-235


240 Seiten,  600 vierfarbige Abb.,  39,80 DM   ISBN 3-922611-73-7
Verlag Libertäre Assoziation - Schwarze Risse - Rote Strasse

In allen Buch- und Infoläden vorrätig oder bestellbar!

nach oben