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Da bekamen einige Mieter kalte Füße...

Eine parteiliche Betrachtung über die Zukunft der Hornstraße als Wohnquartier  

Von Karl-Heinz Schubert

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Bekanntlich ist die Hornstraße das Ergebnis einer Kombination aus mißglückter Stadtplanung und erfolgreicher Bodenspekulation vor gut hundert Jahren. Daß in der bürgerlichen Gesellschaft Marktmechanismen und staatliche Steuerung wechselseitig Stadtpolitik strukturieren, sollte auch fortan die Geschichte der Hornstraße prägen. Anmerkung der Redaktion:
Wir veröffentlichen diesen Artikel über diesen Berlin-Kreuzberger Kiez, da er exemplarisch den Zusammenhang von Hauptstadtentwicklung und Kapitalverwertung beleuchtet.

So war die Hornstraße in letzten 25 Jahren gleich etliche Male Gegenstand stadtplanerischer Überlegungen: Öffnung der Straße hin zur Yorckstraße, Untertunnelung des Gleisdreiecks, Errichtung einer Großtankstelle - um nur einige Highlights zu nennen. Diesen Plänen lagen immer gewisse ökonomische Zweckbestimmungen zugrunde, die, der jeweiligen politischen Großwetterlage geschuldet, verworfen bzw. auf Eis gelegt wurden. 

Die jüngsten Veränderungen in der Hornstraße, von denen hier berichtet werden soll, haben dagegen das Stadium der Planung längst hinter sich gelassen. Soziale Verwerfungen werden sichtbar. Die Hornstraße wird zum Lehrstück der politischen Ökonomie des "neuen" Berlin.  

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Vermarktung von Wohnraum findet gewöhnlich ebenso im Internet statt, wie die Buchung von Fernreisen und das  Anbieten von Schweinkram. Und dennoch - es wirkt bedrohlich, wenn am Baugerüst der Hornstr. 18  ein metergroßes, weithin sichtbares Transparent die Vermarktung eben jenes Hauses via Internet bekannt gibt. Damit wird nämlich klargestellt, daß die soziale Zusammensetzung eines Kiezes nicht Sache derer ist, die darin leben, wohnen oder arbeiten, sondern Ergebnis eines schrankenlosen Vermarktungsprozesses; woran jeder teilnehmen kann, sofern er über das dafür notwendige Geld verfügt. 

Mit Hochglanzbroschüren hatte 1998 die Windsor Grundbesitz GmbH für dieses Haus Kapitalanleger geworben und Mindestmieten garantiert. Umfassende Baumaßnahmen standen an. Dafür mußte die Hornstraße 18 unverzüglich entmietet werden. Sogar Kopfprämien wurden ausgelobt. Bis auf eine Handvoll zogen fast alle Mieter aus ihrer angestammten Wohnung aus. 

Heute gleicht das eingerüstete Haus einer Mischung aus Baustelle und Abrißhaus: Berge von Schutt, alte Klobecken, Badewannen u.ä. liegen auf dem Grundstück herum. Baumaterialien (vornehmlich für den Trockenbau) stapeln sich in Fluren und Treppenhäusern. Versorgungsstränge sind geöffnet. Baustellenbeleuchtungen versorgen die Treppenhäuser. Die verbliebenen Mieter werden in diesem Chaos von Wohnung zu Wohnung umgesetzt. 

Wenn die Vermarktung klappt, dann wird es in der Hornstraße 18 echt edel werden. Die Chance, ebenso wie das Nachbarhaus demnächst die Titelseite der Verbandszeitung der Berliner Grundstückseigentümer zu zieren, wächst. 

"In Berlin wird Zukunft gestaltet. Nirgendwo sonst in unserem Land entsteht soviel Neues."
Roman Herzog am 26.4.1997 in Berlin 

Sony und Daimler am Potsdamer Platz widerspiegeln die Unterwerfung der Stadt unter die ökonomischen Interessen des globalisierten Kapitals in Kombination mit einer gelungenen Grundstücksspekulation ungeheuren Ausmaßes. Ein gewöhnlicher Vorgang in einer gewöhnlichen Stadt? Also irrte Altbundespräsident Roman Herzog in seiner berühmten Berliner "Ruckrede". Ja und nein. Das wirklich "Neue" ist die Gleichzeitigkeit der Unterwerfung innerstädtischer Wohnquartiere unter die Kapitalinteressen und unter die Interessen der politischen Zentralgewalt.  Diese historisch außergewöhnliche Form der Urbanisierung braucht in einem Maße Investitionen, Konsumtion und Ausgaben, die der Markt nicht zustande bekommt. Die Folgen sind:  Seit Jahren umfassende Umverteilungen im Staatshaushalt zu Lasten der abhängig Beschäftigen und sozial Schwachen. 

In diesem Treibhausklima der staatlich geförderten Profitmacherei wurde die Hornstraße - nicht zuletzt auch wegen ihrer räumlichen Nähe zu den neuen Zentren der Macht - endlich 1998 als Ort für die spekulative Vermarktung von Wohnraum (neu) entdeckt. Galt die Straße zu "Mauerzeiten" als etwas abseits gelegene einfache Wohnlage mit Charm, brachten nun zwei stadtplanerische Entscheidungen, Umnutzung des Gleisdreieckgeländes und die Umfunktionierung der Kreuzberger Schultheissbrauerei, den letzten Kick. 

"Da bekamen einige Mieter kalte Füße, als sie ihr Haus kaufen sollten."
K.P.Jägers, geschäftsführender Gesellschafter der GbR Hornstr.2 

Nachdem die alten Eigentümer der Hornstraße 2 fast 20 Jahre lang öffentliche Fördermittel in Höhe von etwa sechs Millionen DM eingestrichen hatten, waren sie pleite. Das Haus sollte 1998 zwangsversteigert werden. Im Haus gab es seit Jahren eine gut funktionierende und erfolgreich um  ihre Rechte streitende Mietergemeinschaft. Daher spielten in dieser Situation die meisten Mieter mit dem Gedanken, selber Hauseigentümer zu werden, um die Hornstraße 2 genossenschaftlich und endlich nach sozialen Gesichtspunkten zu bewirtschaften. Nach eingehenden Beratungen ließen sie diesen Plan fallen. Sie sahen aufgrund ökonomischer Zwänge für sich keine Möglichkeit, das Haus sozial bewirtschaften zu können. An der Vermarktung von Wohnraum und Vertreibung ihrer Nachbarn wollten sie sich nicht beteiligen. 

Fünf von 19 Mietparteien ließen sich trotz dieser Perspektive nicht davon abhalten, Hauseigentümer zu werden. So bildeten schließlich 13 Personen nach zwei Anläufen im Sommer 1998 eine Gesellschaft bürgerlichen  Rechts und legten zum Erwerb gemeinsam 3,6 Millionen DM ein.  

Zunächst etablierten die neuen Eigentümer zwischen sich und ihren Nachbarn - quasi zur menschlichen Abschirmung - die Hausverwaltung Stelter & Stenner. Sodann wurden innerhalb eines knappen Jahres fünf fristlose Kündigungen, vier Räumungsklagen und zahllose Abmahnungen erhoben. Parallel dazu begann der Verkauf von Wohnungen, wobei Notar Stelter sich als behilflich erwies. Damit sich für die GbR der Erwerb nicht nur durch veräußerte bzw. entmietete/neuvermietete Wohnungen rechnet, kommt als nächstes der Dachausbau dran.  Darum kümmert sich der TFH-Professor Kühnel. Er ließ im SS99 schon mal von seinem Seminar Entwurfszeichnungen für vier Eigentumswohnungen nebst Fahrstühlen anfertigen. 

Gegen diese Entwicklung wehrten sich die Mieter nicht nur juristisch, sondern sie gingen in die Öffentlichkeit. Schnell war man sich mit den anderen Häusern einig: Der Kiez darf nicht kippen. Gewachsene nachbarschaftliche und kiezkulturelle Strukturen dürfen nicht durch Vermarktung von Wohnraum  zerstört werden. 

Unterstützt vom Kulturverein "Kreuzberger Horn" wurden zwei Kiezversammlungen organisiert.  Dort meinte der geschäftsführende Gesellschafter der GbR Hornstraße 2, K. P. Jägers, zu den skandalösen Vorgängen: Er habe gegen keinen menschlich etwas. Alle Maßnahmen würden nur ergriffen, um die Hornstr.2 endlich gewinnbringend bewirtschaften zu können. Wer "Sternparkett und Gäste-WC" mietet, der habe zu zahlen, was von ihm verlangt werde. Schließlich hätte ja jeder Mieter Mitglied in seiner GbR werden können, doch "da bekamen einige Mieter kalte Füße, als sie ihr Haus kaufen sollten." Leuten aus dem Kiez, so sie auch Hausbesitzer werden wollten, bot er bei der Gelegenheit seine Hilfe an: "Schauen Sie einfach bei mir vorbei, ich berate Sie gerne." 

"Das Kapital kann nur existieren als viele Kapitalien"
Karl Max, Grundrisse S. 317

Edle und weniger edlere Umgangsformen auf Seiten von Vermietern sind in letzter Konsequenz ihrer Finanzkraft geschuldet. Freundlichere Hauseigentümer, die, wie im Frühjahr 1999 geschehen, Mieter der Hornstraße 9 zur Erläuterung geplanter Modernisierungsvorhaben zu einem "Roundtable"-Gespräch einluden, bilden sicherlich die Mehrheit in diesem Gewerbe. Indes sind die Gutshofmanieren der Branchenneulinge lediglich nur ein Indiz dafür, daß jene noch nicht mental in der Gesellschaft angekommen sind, deren volkswirtschaftlichen Nutzen sie in Anspruch nehmen wollen. Solche differenten Erscheinungen ändern nichts am ökonomischen Kern der Sache, den weiland Karl Marx als die innere Bewegunglogik des Kapitals bezeichnet hat: Die Konkurrenz der vielen einzelnen Kapitalien zueinander. 

Einzelne Anlegergruppen werden sich des Wohnquartiers Hornstraße bemächtigen, um es gewinnbringend gemäß den staatlichen Plänen zur Hauptstadtentwicklung neu zu gestalten. Von daher müssen breite Teile der angestammten Bevölkerung damit rechnen, in dem Maße verdrängt zu werden, wie sie sozial und/oder kulturell diesen neuen Erfordernissen im Wege stehen. Andere, kompatiblere Bewohnerstrukturen werden dadurch geschaffen.  

Damit droht der bisher positiv gefüllte Begriff "Kiez" zur Phrase zur verkommen.  Denn begünstigt durch staatliche Stadtentwicklungsplanung bestimmen nun die Richtlinien zur Vergabe von Bankkrediten, öffentliche Förderprogramme und steuerliche Vergünstigungen, wer Nachbar bleibt und wer aus dem Wohnquartier herausgedrängt wird. Angesichts dieser sozialen Verwerfungen werden sich Hauseigentümer und Mieter zukünftig nur noch als das gegenübertreten können, was sie objektiv schon immer waren, als soziale Träger eines ökonomischen Verhältnisses. 

"Es ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß die Eigentümer die alten Bestandsmieter verdrängen wollen." 
Franz Schulz, Kreuzberger Bürgermeister am 21.5.1999 in der "Bild" 

Neben der 2, 9 und 18 stehen mindestens sechs weitere Häuser (von 23) in der Hornstraße zur Disposition, wenn es um die Vermarktung von Wohnraum geht.  Zwar schlummern zur Zeit diesbezügliche Geschäftstätigkeiten - sogar in der Hornstraße 9 scheinen profitheckende Modernisierungen abgestoppt. Unbeschadet dessen geht die Umsetzung zweier alternativer Vermarktungsmodelle in der 2 und in der 18 zügig voran. 

Bei den Erwerbern der Hornstraße 2  handelt es sich um einen Personenkreis von Exmietern - finanziell unterstützt von Freunden und Familienangehörigen, der sich den drohenden sozialen Verwerfungen dadurch zu entziehen versucht, indem man die eigene Wohnung kauft  und die der Nachbarn der Vermarktung durch Dritte gewinnbringend zuführt. 

Setzt sich die Mieterschaft wie in der Hornstraße 18 fast ausschließlich aus Einkommensschwächeren zusammen, dann müssen die sich woanders neuen, für sie bezahlbaren Wohnraum suchen. Hier treten die neuen Hauseigentümer gar nicht als Personen in Erscheinung. Ihr Gewinn nimmt nicht die stoffliche Form der selbstgenutzten Eigentumswohnung an, sondern existiert in der Geldform weiter. Dieser Coup gelingt natürlich nur, wenn die entmieteten Wohnungen entsprechend modernisiert und an zahlungskräftiges Publikum vermietet werden können.  

Kurzum: Für das in der Zirkulation profitheckende Kapital ist es einerlei, ob der Springquell seiner Vermehrung ein Immoblienfonds ist oder ob sich Mieter in Hauseigentümer verwandeln, um das Finanzkapital zu mehren. Die ganze Bannbreite der Renditemöglichkeiten ist daher für die  Hornstraße denkbar. Diese Tendenzen wurden schlagartig im vorigen Jahr sichtbar. Weit über 300 Unterschriften konnten daher in ganz kurzer Zeit für die Forderung nach "Milieuschutz" gesammelt und am 8.1.1999 auf einer "Kiezversammlung" dem Bürgermeister Franz Schulz überreicht wurden. 

Bürgermeister Schulz teilt die Befürchtungen der Bewohner der Hornstraße und unterstützt deren Forderung. Im Frühjahr 1999 veranlaßte er die notwendigen Voruntersuchungen für eine Milieuschutzsatzung. Desweiteren bot er sich als Vermittler in Gesprächen zwischen Mietern und Hauseigentümern an. Dieses Angebot schlugen die Eigentümer der Hornstraße 2 bezeichnender Weise zweimal aus. 

Nachtrag: Kurz vor den Berliner Parlamentswahlen gab das von den Grünen geleitete BA Kreuzberg eine Untersuchung in Auftrag, wodurch festgestellt werden soll, ob es im Hornkiez einen Bedarf auf Erlaß einer "Milieuschutzverordnung". Mit dieser Verordnung, die von der Landesregierung bestätigt werden muss, können auf Zeit Mietobergrenzen festgelegt, Luxusmodernisierungen und Umwandlung in Eigentumswohnungen einer behördlichen Genehmigungspflicht unterworfen werden. 

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