Editorial
Freudsche Fehlleistung

von Karl Mueller

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Die Debatte über die Anwendung des autonomes Hausrechts gegen unliebsame, weil gegen Frauen gewalttätige männliche Zeitgenossen schien irgendwie zu mäandern, da meldeten Uli Krug und Justus Wertmüller im Sommer 2000 Diskussionsbedarf an.

Unter dem Titel "Infantile Inquisition" verlautbarten beide in der Bahamas 32, sie hätten jetzt rausgekriegt, dass die Autonomenszene, die die sogenannte Vergewaltigerdebatte führt, eine Art Geisterbahn sexueller Zombies sei, die ihres Triebes nur Herr würden, indem sie arme Vergewaltiger oder was sie dafür hielten, Schweinen gleich durch Dorfs trieben. Diese Umtriebigkeit sei nicht nur typisch deutsch und damit mentaler Eckpfeiler des Faschismus, sondern resultiere vor allem aus der Weigerung, zur Kenntnis nehmen zu wollen, dass das Patriarchat in den spätkapitalistischen Metropolen aufgehört habe zu existieren.  

Diese feingeistigen Ergüsse entsprangen, so fußnoteten die beiden Herren, der Pandorabüchse der kritischen Theorie und dem kulturellen Unbehagen des Sigmund Freud. In dieser Weise theoretisch munitioniert, erschien die Gruppe Bahamas für ein öffentliches Kräftemessen mit dem autonomen Gegner fit wie ein Langzeitstudent vor seiner Magisterprüfung. Doch auf so einem Level konnten oder/und  wollten ihre autonomen Gegner nicht mit ihnen kommunizieren, sondern trillerten statt dessen am 17.10. im Mehringhof auf Pfeifen und drehten Sicherungen heraus.

"Alle bisherigen Versuche, Gewalt von Männern gegen Frauen und Kinder zu erklären, haben nicht die Funktion, diese Gewalt zu verhindern und abzuschaffen. Sie haben die Funktion, sie zu erklären und zu rechtfertigen." Dies schrieben 1977 Frauen in dem Buch "Frauen gegen Männergewalt." Spätestens seitdem dürfte es unter linken und fortschrittlichen Kräften Konsens sein, dass zu definieren, was Gewalt ist, nicht den Tätern überlassen werden darf. Und es war ein Verdienst der Lesben/Frauen-Bewegung diese Erkenntnis in den Kontext einer politischen Praxis gestellt zu haben, die auf die Aufhebung von Patriarchat und Kapitalismus zielte.

Das 1988 erschienene Buch "Frauen, die kämpfen, sind Frauen, die leben" dokumentiert dies auf vielfältige Weise. Nimmt man die zahllosen Veröffentlichungen der nachfolgenden Jahre hinzu, kann durchaus von einer Traditionslinie gesprochen werden. Deren Erosion allerdings schon seit längerem anhält, weil mit dem Niedergang der realsozialistischen Staaten, revolutionäre Theorie jedweder Couleur einen ungeheuren Legitimationsverlust hinnehmen musste.

Doch diese Erosion ist auch selbstverschuldet, indem der jetzige miserable theoretische Zustand durch Verkürzungen von Grundsatzfragen auf Lifestyle-Fragen sozialer Kleinstmilieus ("Wir vom N.N.-Kneipen-Plenum haben beschlossen") konserviert wird. Die theoretischen Ausdünnungen die damit einhergehen, eröffnen theoretischen Schaumschlägern im Kiez Kleinstbühnen. So konnten die Bahamas allen Ernstes glauben, dass ihre Berufung auf den Penisneidtheoretiker Freud, der die biologistische Rechtfertigung der Unterdrückung der Frau zu seinem zentralen Thema erkoren hatte, angesichts des Niedergangs der Szene dort zur theoretischen Erörterung zugelassen sei. 

Als ihnen daraufhin das Licht abgedreht wurde, wurden sie ganz im Sinne einer ödipalen Neurose kiebig: sie bestraften das Objekt ihrer Penetranz mit deutscher Unflätigkeit. Kurzum: Sie zeigten Leistung durch Fehlleistung. Eben eine Freudsche.