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Au Pairs - die postmodernen Dienstmädchen

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Der Green-Card-Vorstoss der globalisierten Sektoren des Kapitals hat aufs Neue die Restrukturierung der Wirtschaft mit der Thematik der Migration verknüpft. Die Bemühung der US-amerikanischen Green-Card ist eher ein schlechter Witz angesichts der restriktiven deutschen Einwanderungspolitik - Red-Card wäre sinnfälliger, denn nach 5 Jahren müssen sie Deutschland wieder verlassen. Dennoch hat selbst diese ja keineswegs humanitäre Einladung an IT-SpezialistInnen, sondern rein arbeitsmarktpolitische Intervention sofort das Echo der nationalen Standortgemeinschaft für »deutsche Kinder« ausgelöst. So wie diese Debatte den Nexus von Globalisierung der Arbeitsmärkte und Zuwanderung nach knapp 20 Jahren Anwerbestopp und rassistischer »Das Boot ist voll«-Rhetorik ungewohnt offensiv benennt, verschleiert sie im gleichen Atemzug die realen Prozesse der Migration und Restrukturierung der Produktions- und Arbeitsverhältnisse. Da-bei setzt sich eine Thematisierungsart von Globalisierungsprozessen durch, die von zwei systematischen Auslassungen gekennzeichnet ist, die die US-amerikanische Migrations- und Globalisierungsforscherin Saskia Sassen als »Geschichten der Vertreibungen« (»evictions«) bezeichnet:

Zum einen wird auf die New Economoy, die Hypermobilität und Macht der transnationalen Konzerne gestarrt, wobei die materiellen Verhältnisse und Produktionsstätten übersehen und damit unsichtbar gemacht werden. Doch genau diese stellen die Infrastruktur, die notwendig ist für den Betrieb der Zitadellen des globalisierten Kapitals. Wenn man diese Seite in den Blick nimmt, wird man vor allem eine seit Jahren wachsende Zahl von MigrantInnen mit und ohne Papiere vorfinden und Frauen, die im boomenden Dienstleistungssektor zu Niedrigstlöhnen die Ameisendienste verrichten. Dafür wurde von staatlicher Seite trotz offiziellem Anwerbestopp und Hochrüstung der Festung Europa eine quotierte Zuwanderung je nach regionalem, branchen- und geschlechtsspezifischem Bedarf nicht nur stillschweigend hingenommen, sondern auch forciert. Vor diesem Hintergrund eröffnet sich auch das Bild einer ganz extremen Polarisierung und Segmentierung des Arbeitsmarktes in eine gut verdienende, durchaus international zusammengesetzte Dienstleistungsklasse und unsichtbar gemachte, prekäre Lebensverhältnisse.

Eine weitere Akteursgruppe, die in der malestream-Diskussion über den Umbau der Ökonomien gerne übersehen wird, sind wieder mal »Frauen« bzw. die Kategorie Geschlecht. Pikanterweise war jedoch der erste indische IT- Experte, den uns ARD und ZDF präsentierten, eine Frau. Die wenigen feministischen Studien, die die Auswirkungen des neuen Akkumulationsregimes für Frauen analysieren, haben deutlich gezeigt, daß die Umstrukturierungen hoch vergeschlechtete Prozesse darstellen. Sie spitzen nicht nur alte Ungleichheiten zu und bringen neue Geschlechterregimes hervor. Auch kommt es zu neuartigen Verschränkungen der verschiedenen sozialen Kategorien der »Klasse«, des »Geschlechts« und der »nationalen Zugehörigkeit«/»Rasse«. Allerdings tendieren diese Studien dazu, Frauen wieder mal nur als die Verliererinnen der Entwicklung zu thematisieren. Allein das Bild der indischen IT-Spezialistin verrät, daß die Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsmärkte komplexere und widersprüchlichere Konsequenzen für die sozial, national, ... ja ganz unterschiedlich positionierten Frauen bedeutet. Vorsicht ist also vor einer weiteren westfeministischen fal-schen Verallgemeinerung im Opfer-Status geboten. Vielmehr scheinen die Ungleichheiten zwischen Frauen zuzunehmen, wobei »nationalstaatliche Zugehörigkeit«, »Ethnizität« und »Klasse« entscheidendere Marker für die soziale Positionierung als auch Konstitution des Selbstbildes der Subjekte werden. Diese Ausdifferenzierung von »Geschlecht« und Hierarchisierung unter Frauen findet ihren prägnanten Ausdruck in einer neuen Internationalen Arbeitsteilung im privaten Haushalt. So bemerkt die Politikwissenschaftlerin Brigitte Young: »Globalisierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes hat im Haushaltsbereich zwei Kategorien von Frauen geschaffen: Die professionelle Frau und ihre ›Magd‹« (unveröffentlichter Vortrag Wien 1999, 2).

Diese Neuauflage der uralten Geschichte von der »Herrin und der Magd« möchte ich am Beispiel osteuropäischer Frauen verfolgen, die sich seit Beginn der 90er Jahre vermehrt in deutschen Haushalten als Kindermädchen und Haushaltshilfen verdingen. Vor allem von slowakischen Frauen ließ ich mir in den letzten zwei Jahren ihre Geschichten erzählen, besuchte sie an ihrem Arbeitsplatz und begleitete sie in die Slowakei. Dabei nutzten sie sehr eigensinnig die wenigen legalen Aufenthalts- und Arbeitsmöglichkeiten, die ihnen die deutsche restriktive Einwanderungspolitik gewährt. Und eines der Tore in den Wes-ten ist das Au Pair-Visum für ein Jahr. Au Pair - bekannt als gute Möglichkeit für Mittelstandkids, Auslandserfahrungen zu sammeln - ist allgemein zu einer der häufigsten Migrationsstrategien von jungen OsteuropäerInnen geworden: 95 % aller Au Pairs in Deutschland kommen mittlerweile aus osteuropä-ischen Ländern (AGISRA 1996)1. Diesem Trend entspricht auf der Nachfrageseite der sog. »Gastfamilien« ebenfalls eine Bedeutungsverschiebung hin zu einem reinen Arbeitsverhältnis. Eine Au Pair-Beraterin meinte zu mir: »Au Pair ist zu einem postmodernen Sklavenverhältnis geworden«. Dabei steht der drastische Wandel der Institution Au Pair im engen Zusammenhang mit den allgemeinen Veränderungen der Migrationsbewegungen und -formen seit dem Fall des eisernen Vorhangs.

Neue Migrationsmuster zwischen Ost und West
Seit dem Kollaps der sozialistischen Systeme und den folgenden politischen und sozio-ökonomischen Umstrukturierungsversuchen im Zuge ihrer ökonomischen »Integration« in den Weltmarkt, hat sich das internationale Migrationsmuster bis dato auf unerwartete Weise geändert (vgl. Hofbauer 1995, 59 - 76). Ehemalige Ostblockländer sind nun selbst zu Ziel-, Transit- und vor allem zu Sendeländern geworden. So machen Nicht-EU-Europäer mittlerweile gut zwei Drittel der Neuankommenden in Deutschland aus (Migrationsbericht der Bundesregierung 1999). Dabei werden die irregulären und illegalisierten Aufenthalts- und Arbeitsverhältnisse aller Voraussicht nach bei weitem die erfaßten übersteigen (vgl. Weitkamp 1995, 95).

Doch nicht nur quantitativ fällt diese neue Ost- / Westmigration ins Gewicht, die in der Migrationsforschung dennoch lange unberücksichtigt blieb und in der herrschenden Öffentlichkeit vor allem unter dem Stichwort »organisierte Kriminalität« diskutiert wird. Auch sind neue Muster des Wanderns und des Aufenthalts entstanden, die stärker auf Mobilität und temporäre, saisonale Aufenthalte ausgerichtet sind. Sie sind zum einen sicherlich der Migrationspolitik Deutschlands und Schengen-Europas geschuldet, die den legalen Zuzug nur noch »Vertrags«-ArbeiterInnen gestattet, wobei zeitlich begrenzte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis (vom Herkunftsland aus zu beantragen) aneinander gekoppelt sind. Ebenso erleichtert die visafreie Einreise für drei Monate als TouristIn - Erwerbstätigkeit ist allerdings untersagt - solche fürs erste befristet geplanten Aufenthalte. Doch auch die Nähe zwischen Herkunfts- und Zielland macht das Hin- und Herpendeln oder Kurzaufenthalte rein zum Geldverdienen möglich (vgl. Cyrus 1997, 44 - 48).

So ist die Zahl der »GrenzgängerInnen« aus Polen und Tschechien, die in grenznahen Regionen auf dem Bau, in der Landwirtschaft, Gastronomie oder in Haushalten zu Hungerlöhnen (fünf DM die Stunde) schuften, gewachsen. Andere nutzen oder nehmen sich ihren Jahresurlaub, um zusätzlicher Arbeit im Westen nachzugehen, schnippeln wochentags in deutschen Gaststätten Gemüse und studieren am Wochenende zu Hause Medizin. Selbstregulierte Rotationssysteme sind entstanden, wobei sich MigrantInnen in ihren Beschäftigungsverhältnissen in der Alten- und Krankenpflege oder privaten Haushalten abwechseln. Dabei bewegen sich die PendelmigrantInnen auf einer schmalen, fließenden Gratwanderung zwischen legalem und illegalem Status. Die Illegalisierungsfallen des deutschen Ausländer- und Arbeitsrechts lauern mit der dreifachen Koppelung von Aufenthalts- an Arbeitserlaubnis und diese wiederum an einen bestimmten Arbeitsplatz. Keine Papiere zu haben, bedeutet aber auch keine einklagbaren Rechte zu besitzen. Damit ist der Ausbeutung, Abhängigkeit und Schutzlosigkeit Tür und Tor geöffnet, ganz zu schweigen von der Angst vor Kontrollen auf öffentlichen Plätzen oder Razzien auf der Arbeitsstelle. Ganz anders in Polen: Dort haben sich der Staat und andere Institutionen längst auf diese Pendelmigration und fortschreitende Transnationalisierung von Lebens- und Arbeitsentwürfen eingestellt. Universitäten bieten dementsprechend Seminare am Wochenende an, und staatliche Krankenversicherungen haben besondere Abschlüsse für PendelmigrantInnen im Programm. Andererseits läßt sich Polen, wie die anderen Anrainer-Staaten zum Westen, nun selbst zum vordersten Schutzwall der Festung Europa gegen TransitmigrantInnen ausbauen.

Au Pair als Migrationsstrategie von Frauen
In den frauenspezifischen Migrationsformen wie Heiratsmigration und Prostitution haben Osteuropäerinnen traditionelle Herkunftsländer Südostasiens längst abgelöst. Sie machen mittlerweile auch die Hauptgruppe der Opfer von Frauenhandel aus, welcher seit dem Wegfall des eisernen Vorhangs eine neue frauenverachtende Dimension in Ausmaß und Form annahm (vgl. Niesner, Anonuevo u. a. 1997) Wollen Frauen jene Formen nicht in Kauf nehmen, bleiben ihnen nur wenige andere, legale Möglichkeiten, in den Westen zu kommen. Neben eher männlich konnotierten Migrationswegen wie Werksarbeitsverträge oder Saisonarbeit auf deutschen Spargelfeldern (vgl. Weitkamp 1995, 106; aus der Slowakei 1994: 3000) gibt es noch Au Pair. Das heißt, Au Pair ist eine Tür in den Westen, durch die Frauen, ganz egal aus welchen Gründen und mit welchen Zielen sie in den Westen wollen, hineinkanalisiert werden. Auch blüht hier wie im Falle der Heiratsmigration das kommerzielle Vermittlungsunwesen mit hohen Gewinnspannen und zum Teil sehr ausbeuterischen Praxen, die in die Nähe des Frauenhandels rücken. Doch die allermeisten nutzen diese Tür selbstbewußt als Sprungbrett und versuchen über das eine legale Au Pair-Jahr hinaus, in Deutschland zu bleiben. Um ihren Status zu legalisieren und sich zu finanzieren, greifen sie auch zur Methode der Heirat oder Prostitution. Andere nutzen den dreimonatigen visumsfreien Aufenthalt als Touristin und pendeln über Jahre zwischen der Slowakei und Deutschland hin und her, obwohl die Überquerung einer Schengenaussengrenze kein Spaziergang mehr ist.

Au Pair ist in der Slowakei zu einem informellen Dorfgespräch geworden. Informationen über Vermittlungsagenturen, Wege und Probleme werden von Mund zu Mund weitergegeben, wobei negative Erlebnisse nur zögernd offen ausgesprochen werden. Ganze Nachbarschaften und Freundeskreise finden sich im Ausland wieder. So ist mittlerweile ein soziales Netzwerk zwischen der Slowakei und Deutschland entstanden, ein neuer transnationaler Raum (vgl. Pries 1998; oder Mike Davis 1998 für Mexiko und USA), in dem Informationen, Menschen, aber auch Waren und Ideen zirkulieren. Für die Herkunftsgemeinden und -familien stellt es eine wichtige ökonomische und kulturelle Nabelschnur dar; Neuankommen-den erleichtert es den Aufenthalt. München, Stuttgart oder Wien ist für viele Familien näher geworden als die eigene Hauptstadt Bratislava, die nur teuer und eine schlechte Kopie des Westens ist.

»Die Welt probieren«
Die Motivationen und Zielvorstellungen der jungen, meist gut ausgebildeten Frauen mit Abitur oder Hochschulabschluß übersteigen dabei weit den Rahmen, den ein Au Pair-Arbeitsverhältnis beinhaltet. Konflikte sind so vorprogrammiert. Die meisten jungen Frauen, mit denen ich in der Slowakei und Deutschland sprach, entschlossen sich zu einem Au Pair-Aufenthalt nach Jahren erfahrener oder bevorstehender Arbeitslosigkeit. Doch waren es bei keiner reine arbeitsmigratorische Absichten. Hoch im Kurs stand bei allen der Erwerb der deutschen Sprache. Sie bedeutet kulturelles Kapital, das in der nach Westen öffnenden Wirtschaft leicht in bare Münze zu konvertieren ist. So gibt es einen running- gag in der Slowakei: Auch auf Stellenausschreibungen für Reinigungskräfte stehe: »Deutschkenntnisse erwünscht«. Bei 30 % Jugendarbeitslosigkeit erhofften sich die jungen Frauen mit der deutschen Sprache überhaupt eine Arbeit oder eine besser bezahlte im expandierenden privaten und ausländischen Firmensektor zu finden (ein LehrerInnengehalt ist so hoch wie das Au Pair Taschengeld von 400 DM). Eine Au Pair-Anstellung versprach auch, sich eigenes Geld für ein anschließendes Studium oder eine Ausbildung erwirtschaften zu können. Die allermeisten zogen den Erwartungshorizont jedoch noch größer: Sie wollten raus aus der Enge der postsozialistischen Modernisierungsruinen, der traditionellen Geschlechterverhältnisse, der Familie und endlich selbständig werden - »die Welt probieren!«

Im Westen nichts Neues? Die deutsche Herrin und ihr nicht-deutsches Dienstmädchen
»Jedes vierte Au Pair hat vielleicht Glück mit der Familie«, meinte Stenka, die ich in einem der voll besetzten Euroline-Busse auf der Rückreise in die Slowakei traf. Sie hat, wie viele andere, ihre Familie gewechselt. Doch auch die neue Familie ist nicht viel besser und sie brach den Aufenthalt ab: »Ich wurde verheizt und behandelt wie ein Dienstmädchen.« Eingeschlossen in die Privatsphäre der Familie sind Arbeitstage von früh bis spät abends keine Seltenheit. Da-zu kommen noch Schikanen, wie das Verbot, mit der Familie zusammen zu essen oder die Waschmaschine mit zu gebrauchen. Auch sexuelle Belästigungen und Übergriffe gehören zum privaten Arbeitsplatz »Familie«. Doch abgesehen von diesen Unterwerfungspraxen ist schon der ganz normale Arbeits-Alltag mit Fallstricken gespickt. Vor allem die ambivalente und doppelbödige Position als Arbeitskraft und Mitbewohnerin zugleich macht die Situation für Au Pairs so schwierig. Häufig verwischen die Grenzen zwischen »Mithelfen« aus Nettigkeit und »Arbeiten«. Dies macht es den jungen Frauen nicht leicht, sich ihrer Lage klar zu werden und entsprechend zu handeln. Dazu kommt ein hohes Maß emotionaler Abhängigkeit von der Atmosphäre in der Familie, was Widerspruch und Gegenwehr noch einmal verkompliziert. Doch die Au Pair-Frauen streiten durchaus für ihre Rechte und wechseln in der Not selbständig die Familien. Von den meisten Agenturen bekommen sie jedoch keine Unterstützung, und die Familien werden nur in den seltensten Fällen aus der Vermittlung ausgeschlossen. »Die meisten sind halt doch nur billige Putzkräfte und Kindermädchen«, resümiert Stenka.

Reprivatisierung von Re-produktionsarbeit - Outsourcing von Hausarbeit
Diese Einschätzung teilen auch viele der deutschen Arbeitgeberinnen, die zum Teil seit 14 Jahren auf Au Pairs zurückgreifen, um Lohnarbeit, Haushalt und Familie zu organisieren. Im Vergleich zu Reinigungskräften oder Tagesmüttern wird Au Pairs der Vorteil zugeschrieben, billiger und vor allem immer anwesend, abrufbar und flexibel einsetzbar zu sein. Damit wurden sie Teil der an Bedeutung gewinnenden informellen »Unterstützungsstruktur«, die es natio-nalen Mittelschichtsfrauen bzw. -familien ermöglicht, ihre Berufstätigkeit weiter zu verfolgen. Denn mit der Flexibilisierung und Deregulierung der Ökonomien veränderte auch der Staat sein Aufgabenspektrum und zog sich dem neoliberalen Diskurs folgend immer stärker aus der sozialen ›Verantwortung‹ zurück. Die Erfolgsstory des Wohlfahrtsstaats-modells, dem jedoch eine zutiefst patriarchale Geschlechterordnung des männlichen Brotverdieners und von ihm abhängigen Nur-Hausfrau zugrunde lag, gilt nun als Wettbewerbsnachteil. Der Um- bzw. Abbau des Sozialstaats bedeutet neben der Kürzung sozialer Ausgaben aber in erster Linie eine Re-Privatisierung einst staatlich erbrachter Leistungen und Dienste. Insgesamt nimmt dies Frauen wieder verstärkt in die reproduktive Pflicht (Sauer 1998, 30f/37f) und restrukturiert eine geschlechtliche Arbeitsteilung, die in den letzten 20 Jahren auch symbolisch stärker aufgeweicht wurde. Denn immer mehr Frauen wurden auch im Westen erwerbstätig, die Zahl der Doppelverdienerfamilien als auch der Singlefrauen und Alleinerziehenden stieg (1995 arbeiteten 60 % aller Frauen in Ostdeutschland und 45% aller Westfrauen im berufsfähigen Alter). Dieser Prozeß ist nicht mehr umkehrbar, ging er auch mit einer Neudefinition von Geschlechterrollen, -bildern und -identitäten einher. Im Zuge dessen veränderte sich ebenso die Bewertung von Arbeit, wobei die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Haushalt unangetastet blieb. So präsentierten sich mir die Au Pair-Arbeitgeberinnen als »starke«, »disziplinierte« und erfolgreich beruftstätige Mütter, die nach der Kinderpause »ausgehungert nach Arbeit« und »nicht genießbar« zu Hause waren. Auch wenn sie in »harten Branchen« tätig sind, wo »voller Einsatz« von ihnen erwartet wird und eine 46 Stunden Woche nicht selten ist, stellen sie fest: »Arbeit macht wahnsinnig Spaß! Davon profitieren alle.« Dagegen wird die eigene Reproduktionstätigkeit zwar zur »zeitintensiven und mühseligen« Arbeit, doch als defizitär und mangelhafte Arbeitsanforderung für sich selbst beschrieben. Da arbeitet frau lieber zu Hause mit dem Ehepartner in »Schichtdiensten« und lebt ein straff organisiertes und »anstrengendes« Zeitmanagement, als den »Versuch zu starten, nicht außer Haus zu gehen«. Mit dem Rückzug des Staates aus den Versorgungsstrukturen sind Frauen nun noch stärker auf sich gestellt und müssen private Lösungen finden, wie sie Beruf, Familie und Kinder vereinbaren. Hierbei haben deutsche Doppelverdienerfamilien und Mittelschichtsfrauen den Vorteil, die niedrig bewertete Hausarbeit zu kommerzialisieren und auf den geschlechtlich und rassistisch hierarchisierten Arbeitsmarkt gewissermaßen outzusourcen. Dies tun sie auch selbstverständlich, sei es im Gestus der Heilsbringerin westlicher Emanzipationskonzepte oder der ungeschminkten Ausnutzung der ›unterlegenen‹ weiblichen Arbeitskraft.

Frauen, die unglücklichen Gewinnerinnen
In westlichen Mittel- und Oberschichtshaushalten treffen sich nun die von den weltweiten Restrukturierung der Produktions- und Arbeitsverhältnisse so ganz unterschiedlich betroffenen Frauen. Ganz im Gegensatz zur Verliererinnen-These scheinen Frauen eher die »unglücklichen Gewinnerinnen« der Globalisierung abgeben zu müssen (Wichterich 1998, 15). Denn zum einen ist eine strukturelle Feminisierung von Arbeit zu beobachten: Spezifisch weibliche Beschäftigungsstrukturen wie Teilzeitarbeit, 630-DM-Jobs oder Heimarbeit generalisieren sich nun. Zum anderen scheint die Flexibilisierung u. a. gerade Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. In den peripheren Ökonomien stellten Frauen gar einen »wesentlichen Standortvorteil« dar, da sie dem Anforderungsprofil der Exportindustrien oder des Dienstleistungssektors - billig, flink und fleißig - eher entsprechen als Männer (zu sehen in den Maquilladora-Zonen, wo Frauen bis zu 90 % der Arbeiterinnen stellen; ebd., 12 - 48). Diese Gewinne sind jedoch äußerst trügerisch und ungleich verteilt, da Frauen zum großen Teil in ungeschützte, niedrig entlohnte, informelle Arbeitsverhältnisse integriert werden: Beschäftigung bedeutet nicht Existenzsicherung (ebd., 63 - 66). Auch in den Metropolen wächst die unsichtbare Dienstleistungsklasse von Frauen, wobei hier vorwiegend MigrantInnen in den Sektor abgedrängt werden. Auf der anderen Seite konnten professionelle, »nationale« Frauen in die Kernsektoren der globalen Ökonomie wie Werbung, PR-Arbeit, Neue Medien und Computerbranche vordringen und mittlere bis obere Ränge besetzen.

Die Neuauflage der Geschichte von der Herrin und ihrer nicht-deutschen Magd, so gering verbreitet sie bisher auch sein mag, versperrt sich allen neuerlichen Homogenisierungstendenzen in feministischen Analysen. Vielmehr demonstriert sie, wie die Globalisierungsprozesse zu einer Vervielfältigung der Differenzen und neuen Hierarchien zwischen Frauen führen, während sie unter Frauen und Männern der oberen Mittelschicht mehr Gleichheit herzustellen scheinen. »Geschlecht« löst sich jedoch als Klassifikationssystem nicht auf. Es scheint allerdings sein Schwergewicht für die soziale und identitäre Positionierung zu verlieren und zunehmend divergenter/differenzierter mit den anderen sozialen Kategorien zu interagieren. In Folge der sozioökonomischen Umstrukturierungen wird die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in verstärktem Maße sozial und rassistisch überlagert. Dabei greifen rassistische Deklassierung und (soziale, strukturelle) Feminisierung von MigrantInnen ineinander, während sich für »nationale« Frauen die dichotomischen Geschlechterrollen-Zuschreibungen aufzuweichen beginnen.

Solange die ausländerrechtliche Ausgrenzung fortbesteht wird Frau Meier weiterhin glücklich ihren Gästen ihre Au Pair vorstellen können: »Das ist Anna. Sie hat Jura in Warschau studiert.«


Anmerkungen:
< 1 > Genaue Zahlen gibt es nicht. Nach freiwilliger Auskunft der registrierten Au Pair-Agenturen sollen 1998 9770 Frauen aus Nicht-EU-Staaten vermittelt worden sein.

txt:
AGISRA (1996): Projekt Jiskra. Die Situation mittel- und osteuropäischer Frauen in Frankfurt am Main und Umgebung. Frankfurt.
BUKO (1995): Arbeitsschwerpunkt Rassismus und Flüchtlingspolitik (Hg.): Zwischen Flucht und Arbeit. Neue Migration und Legalisierungsdebatte. Hamburg.
Cyrus, Norbert (1997): Den Einwanderungskontrollen entgangen. In: Dankwortt, Barbara/ Lepp, Claudia (Hg.): Von Grenzen und Ausgrenzung. Interdisziplinäre Beiträge zu den Themen Migration, Minderheiten und Fremdenfeindlichkeit. Marburg, S. 35 - 56.
Pries, Ludger (1998): Transnationale soziale Räume. In: Beck, Ulrich: Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main, S.55 - 86.
Sauer, Birgit (1998): Globalisierung oder das Ende des maskulinistischen Wohlfahrtskompromisses? In beiträge zur feministischen theorie und praxis: global, lokal, postsozial. Heft 47/48.
Wichterich, Christa (1998): Die globalisierte Frau. Berichte aus der Zukunft der Ungleichheit. Frankfurt am Main.
Young, Brigitte (1999): Die »Herrin« und die »Magd«: Globalisierung und die neue internationale Arbeitsteilung im Haushalt. Unveröffentlichter Vortrag in Wien.