Frankfurter Info 23 / 3.11.2000
Zum Tode von Emil Schmidt

Am 7. September 2000, kurz vor seinem 92. Geburtstag, starb Emil Schmidt, kommunistisches Frankfurter Urgestein. Der Meinung, dass Lebensgeschichten wie seiner gerade heute erinnert werden sollten, dokumentieren wir aus der Grabrede von Robert Steigerwald:

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... Emil ist am 2. Dezember 1908 als Sohn einer Schuhmacher-Familie zur Welt gekommen. Die Familie hatte am Sandweg ein kleines Geschaeft. Emil verdiente sich sein Taschengeld als Schabbesgoi bei juedischen Familien der Nachbarschaft, das heisst: er verrichtete am Samstag in diesen Familien jene Arbeiten, die den othodoxen Juden an diesem Feiertag verboten sind. Mit vierzehn Jahren trat er der Gewerkschaft bei.

1938 heiratete er Lotte, die Tochter von Johanna und Karl Kirchner. Er war seit 1919 Fraktionsvorsitzender der SPD im Frankfurter Stadtparlament, Johanna Kirchner weit ueber unsere Stadt hinaus als Blutzeugin des Kampfes gegen die Nazis bekannt. Emil war Sozialdemokrat und letzter Vorsitzender der mit dieser Partei verbundenen Sozialistischen Arbeiterjugend. Noch 1933 trat er in die KPD ein und war nach dem Krieg ihr erster Mann in Frankfurt. Sein Wirken hatte er in Dienst der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien gestellt. So schrieb er in einem Aufsatz 1947: .... Die Schaffung der einigen Partei ist das einzige Mittel, die Fehler der Weimarer Republik zu vermeiden.' Nun, diese Partei kam nicht zustande und die Fehler wurden nicht vermieden.

Ueber Emil Schmidt kann man nicht sprechen, ohne ueber seine Frau Lotte zu reden. Beide lernten sich in der Sozialistischen Arbeiterjugend kennen. Sie arbeiteten im antifaschistischen Widerstand zusammen. Beide waren in Nazi-Haft, Lotte im Hochverratsprozess gegen die Mutter, Johanna Kirchner angeklagt. Aber im Frankfurter Untersuchungsgefaengnis geschah Seltsames: Lotte wurde von einer Waerterin angeschrieen, in eine dunkle Zelle gestossen. Dort befand sich aber ihre Mutter. Beide Frauen konnten sich absprechen. Lotte konnte danach so aussagen, dass sie nicht verurteilt werden konnte.

Die Idee des Sozialismus haben unseren Emil und nicht wenige andere bedeutende Persoenlichkeiten der Frankfurter Arbeiterbewegung tief gepraegt. Ich nenne nur einige an Stelle von vielen: Karl und Johanna Kirchner, ihre beiden Toechter Inge und Lotte, Georg Stierle und Walter Moeller, Emil Carlebaeh und Walter

Fisch. Etti und Peter Gingold, Leo Bauer und Otto Weisspfennig, Arno Leetz und Eva Steinschneider. Sie haben sich einst der Sozialistischen Arbeiterjugend oder dem Kommunistischen Jugendverband angeschlossen, sind dort zu solchen Perrsoenlichkeiten herangereift, die sich 1933 nicht unter die Reihen der persoenlichen Opportunisten und Karrieristen begaben, sondern entschieden den Kampf gegen Hitler aufnahmen, in die Zuchtbaeuser und Konzentrationslager verschleppt wurden oder, wie Johanna Kirchner, dies mit dem Opfer des eigenen Lebens besiegelten.

Als dann die Tage der Befreiung kamen, erfasste Aufbruchstimmung sie wie ein Rausch, gingen sie mit aller Kraft daran, die materiellen und mehr noch, die geistigen Truemmer des Faschismus wegzuraeumen, unter ihnen und ihnen voran Emil Schmidt. Es war dies die Zeit, da die Wohnung Frankfurt am Main, Usinger Strasse 14, die Wohnung der Familie Kirchner jetzt wohnten dort die beiden Toechter mit ihren Ehemaennern, eben Emil Schmidt und Amo Leetz zu einem geistigen Zentrum der sozialistischkommunistischen Bewegung Frankfurts wurde. Mit Karl Kirchner und Georg Stierle, Walter Moeller und Fritz Schmidt, Wolfgang Abendroth und Leo Bauer waren Emil und Walter Fisch, Arno Leetz und gar mancher andere im staendigen Diskussionsprozess mit dem Ziel, die Einigung der beiden Arbeiterparteien herbeizufuehren. Und Karl Kirchner bestimmte, dass an seinem Sarg nur sprechen duerfe, wer fuer diese Einigung eintrete. Es sprach Georg Stierle.

In dieser Wohnung wurde staendig debattiert und zu ueberzeugen versucht ich weiss das, denn ich ging als Sozialdemokrat in diese Wohnung und kam, schliesslich, nach monatelangem Lernen, als Kommunist heraus.

Aber wer wa da am Diskutieren? Neben den genannten der weltberuehmte Literaturwissenschaftler Hans Mayer, Stefan Hermlin, einer der besten deutschen Poeten unseres Jahrhunderts beispielsweise. Immer natuerlich Marx, Engels und Lenin, doch auch unter den Kommunisten Verfemte. Ich weiss es aus eigenem Erleben. Man gehoerte nicht zu jenen, die dem Wahlspruch huldigen: "Wer nicht fuer uns ist, ist wider uns!" Diese geistige Offenheit gehoerte zum Wesen gerade auch Emil Schmidts, der als wackerer, grundsatzfester Kommunist und lebhafter Debattierer alles andere als verbissen, engstirnig war. ... Es gab auch gruendliche Debatten im Vorfeld der Erarbeitung der Hessischen Verfassung, mancher Artikel dieser Verfassung traegt die Handschrift von Walter Fisch, Emil Carlebach, Leo Bauer, Emil Schmidt. ...

Emil war dann fuehrend in der Frankfurter und hessischen KPD taetig. Er war auch als Lehrer auf Parteischulen aktiv, doch die Partei wollte ihn nicht auf diesem Geleis wirken lassen, das wohl seine Lieblingsbeschaeftigung geworden waere. Aber Emil hat, bis an das Ende seines Lebens, sich der Bildungsarbeit verschrieben, etwa bei den mit von ihm organisierten alternativen Stadtrundfahrten, bei seinen Auftritten vor Schulklassen oder auch bei seinem Wirken im Johanna-Kirchner-Heim er konnte gar nicht ohne Arbeit leben.

Die Zahl jener, die ihn bis in die letzten Tage hinein besuchten, war gross. Da kamen der Professor Hans Heinz Holz, Walter Bloch, der ResistanceKaempfer oder der Autor KarlHeinz Jahnke, der aus Frankfurt stammende, aus dem militaerischen Widerstand gegen Hitler bekannte Professor Fred Mueller, aus den USA ehemalige SDAJler, die emigrieren mussten und ihm nun berichteten oder sich von ihm erzaehlen liessen. Bis ans Lebensende stand Emil so mitten im Geschehen.

Aber Emil war nicht nur ein Mann der Politik und schon ganz und gar kein blosser Kopfmensch. Er war ein eifriger Sammler von allerhand kostspieligen Dingen, liebte die Pflanzen, besonders die Kakteen, er zuechtete sie, war ueberhaupt staendig darum bemueht zu erfahren, was es in der Naturwissenschaft Neues gab. Im Frankfurter DGBChor war er aktiv.

Und er war auch ein Mann der Familie, das heisst der weit verzweigten Familie StunzAmdtWeber, die in Frankfurts eingeweihten Kreisen bisweilen auch liebevoll nur der "Clan" genannt wird. Politisch, aber niemals menschlich ging durch die Familie ein Riss, denn Emil war bis ans Ende seines Lebens seiner Partei, der KPD zunaechst, dann der DKP ein zuverlaessiges und treues Mitglied. Andere aus dem Clan gehoerten zur sozialdemokratischen StammMannschaft unserer Stadt. Wer aber weiss, wie Kommunisten und Sozialdemokraten miteinander umgehen konnten und gehen, wird verstehen, dass ein solcher familiaerer Zusammenhalt nicht unbedingt normal ist. Aber der Kitt, der diesen Clan zusammenhielt, war staerker als der Gegensatz. Das war moeglich, weil Ueberzeugungstreue mit Offenheit gepaart, das Zuhoeren und die Faehigkeit zum Brueckenschlag eingeuebt sind. Und eben diese Faehigkeiten haben Emil auch in den Stand gesetzt, in der Arbeiterwohlfahrt, in der VVN, in der Gewerkschaft nicht nur zu wirken, dort nicht nur ein geduldeter Zeitgenosse zu sein, sondern er war ein willkommener Freund, ein Gleicher unter Gleichen. So war sein Leben ein wie gesagt, nimmt man nur alles in allem erfuelltes Leben, das uns Lehren erteilt.

Indem wir diesem allen nachstreben, tragen wir unser Teil dazu bei, dass nach uns Kommende anknuepfen koennen an das, was diese Zeit der Frankfurter sozialistischen und kommunistischen Arbeiterbewegung hervorgebracht hat. ... Denn der neue Aufbruch wird kommen. Sie werden noch eine Weile lang ihren Sieg auskosten koennen, doch der Katzenjammer kommt bestimmt. Denn ... es gibt nur die Alternative: Sozialismus oder Barbarei. Und die Menschheit wird, aller Wahrscheinlichkeit nach, und sei es erst nach einigen Nackenschlaegen, am Ende dennoch nicht die Barbarei waehlen:

Die Nacht hat zwoelf Stunden Doch dann kommt der Tag.

Robert Steigerwald

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