Baskische Nation heißt Angriff

Von Gaston Kirsche

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Die Autobombe explodierte am 30. Oktober exakt in dem Moment, als der Dienstwagen von General José Francisco Querol um 9.12 Uhr in Madrid in die Avenida de Badajoz einbog. Die Sprengladung von 25 Kilo Dynamit zerfetzte das Auto. Querol, der Fahrer und der Leibwächter waren sofort tot. Querol war Richter am obersten Gerichtshof Spaniens. Als hochdekorierter General Mitglied des dortigen militärischen Senates. Bereits seit 1954 war Querol beim Militär. Seine Karriere als Militärrichter wurde durch den Übergang von der Franco-Diktatur zur konstitutionellen Demokratie nicht unterbrochen. Er war ein enger Freund des jetzigen, konservativen Justizminister Francisco Trillo. Es war der 16. spanische General, der von ETA getötet wurde. Der erste war 1973 Luis Carrero Blanco, Admiral und Chef von Francos Regierung. Am Tag, nachdem Carrero Blanco starb, war nicht nur im Baskenland Sekt fast überall ausverkauft. Am Abend nach der Autobombe vom 30.10.2000 gingen in Madrid 200.000 Menschen auf eine Demonstration gegen ETA.

Während der Anschlag auf Carrero Blanco monatelang sorgsam vorbereitet wurde, auch um keine Unbeteiligten zu treffen, wurde bei dem Attentat gegen Querol keinerlei Rücksicht genommen: die Autobombe ging mitten in dem belebten Wohnviertel Arturo Soria hoch. Ein städtischer Bus der Linie 53 fing die Wucht der Explosion ab, sonst hätte es noch mehr Verletzte gegeben. Der Busfahrer José Sanchez ringt um sein Leben, zum Glück fuhren nur sechs Leute mit im Bus. Insgesamt gab es 65 Verletzte, davon 12 schwer. Etwa 700 Wohnungen in den umliegenden Hochhäusern wurden beschädigt.

Die Bedenkenlosigkeit, mit der ETA ihre Bombenkampagne seit Mai kontinuierlich eskaliert hat, scheint weiter vorzuherrschen. Mit ihrer Strategie der Polarisierung treibt Eta viele Leute in die spanisch-nationale Ecke. Mehrere Anschläge pro Woche, Autobomben, Erschiessungen von Politikern auf offener Straße und Bomben in Einrichtungen des spanischen Staates - ETA zeigt ihre militärische Handlungsfähigkeit, die spanische Polizei verhaftet danach weiter willkürlich linksnationalistische BaskInnen: Auf der Strecke bleiben Ansätze für einen politischen Dialog und nichtnationalen linken Ansätze nimmt die nationale Polarisierung den öffentlichen Raum zum Agieren.

Die weitverbreitete Anti-ETA-Stimmung, die im Moment alle anderen politischen Debatten in Spanien überlagert ist auch eine Reaktion auf die massive Sommerkampagne von ETA.

Vor der Eskalation hat sich Eta im Mai mit einem Interview in der baskischsprachigen Tageszeitung Euskaldunon Egunkaria zu Wort gemeldet. Der politische Prozess im Baskenland sei offen und auf gutem Weg, PNV und EA könnten ihnen jederzeit Vorschläge unterbreiten. Die PNV hätte nur Angst davor, weiter auf dem Weg in die Unabhängigkeit zu gehen. Die Lage sei besser als vor zwei Jahren, nationaler Aufbau möglich: Die Entwicklung von Udalbiltza werde als Konsequenz die nationalen Institutionen und Strukturen schaffen, mit denen das baskische Volk selbst entscheiden könne. Damit seien sie näher an der Aufgabe des bewaffneten Kampfes und einem authentischen Frieden als je zuvor. Aus dem Brief, mit dem sie um Mitglieder wirbt, wird die Beschränkung der Eta auf den Kampf für eine nationalstaatliche Institutionen im ersten Satz deutlich: „Eta hat einen Schritt mehr getan im Kampf für Institutionen des baskischen Volkes und macht jetzt neue Pläne, um hierin weiterzukommen“.

Die ETA ist mit ihrem bewaffneten Kampf in der Sackgasse: Soziale Kämpfe um Befreiung sind für ETA kein Thema - die nationale Sache steht im Vordergrund. Die militaristische Logik der Anschläge von ETA ist nur der gewalttätigste Ausdruck der nationalen Polarisierung.

In den 60er Jahren spalteten sich zwei linke Fraktionen von der ETA ab, die heute die Organisation Zutik bilden. Ihre Kritik, daß es sich beim Baskenland um einen entwickelten Industriestandort handelt und nicht um eine Kolonie, und die MigrantInnen aus Spanien und anderswo ohne Bekenntnis zur baskischen Nation die gleichen Rechte wie baskische NationalistInnen haben sollten, ist nach wie vor richtig. Sowohl ETA als auch HB und die ganze linksnationalistische Bewegung gehen trotzdem vom Gegenteil aus.

José Ramón Castaños von Zutik hat kürzlich eine harsche Kritik an ETA geschrieben, die in der SOZ auch auf Deutsch erschien: „ETA hat sich selbst übertroffen. Die Attentatskampagne dieses Sommers ist die blutigste und willkürlichste ihrer gesamten Geschichte.“ Er kritisiert, dass ETA zunehmend weniger Polizei und Militär angreift, sondern vor allem politische Gegner - und Kritiker von ETA. Wie Juan María Jauregui, den ETA am 28. 7. erschoss. Jauregui war ein linker Sozialdemokrat, der sich als Zivilgouverneur im Baskenland von 1994-96 um Aufklärung über die staatlichen Todesschwadrone GAL bemühte, die mehrere Dutzend ETA-Mitglieder und SympathisantInnen umgebracht haben - mit zumindest Duldung durch den damaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Felipe González. Die Hinrichtung von Jauregui schockierte viele Linke im Baskenland. Castaños dazu: „Die Morde von ETA kennzeichnen auch den Selbstmord der baskischen Linken, weil sie die politischen Ziele pervertieren, in deren Namen sie zu handeln vorgeben.“ Er verneint, dass ETA noch eine linke Organisation sei. Sowohl durch die Verhaftungen und die Repression des spanischen Staates als auch durch die Bedingungen des bewaffneten Kampfes hat bei Eta eine neue Generation die Leitung übernommen, die den antifranquistischen Kampf und die früheren Bündnisse mit der klassenkämpferischen und nichtnationalen Linken nur aus Erzählungen kennt: „Ihr Credo ist, dass in der Politik alles erlaubt ist und das ein ungünstiges Kräfteverhältnis durch Terror verändert werden kann. Sie strebt nicht an, eine Mehrheit der Gesellschaft für die Verwirklichung ihres Programmes zu gewinnen, sie will vielmehr die Mehrheit, von der sie abgelehnt wird, durch Verbreitung von Angst neutralisieren.“

Eine solche, von Zutik bereits mehrmals geäußerte Kritik, das eine Rückkehr zu den Waffen durch die ETA nur wieder eine Militarisierung des Konfliktes bewirkt hat, bei welcher der spanische Staat unter dem konservativen Ministerpräsident José María Aznar nur zu gerne mitspielt - und die besseren Karten hat, weil er noch mehr Mittel zur Einschüchterung und Repression zu Verfügung hat - reicht aber nicht aus. Einer Lösung der Konflikte ist die ETA ohne Waffen kaum näher. Solange nationale, ethnisierte Polarisierung die Grundlage des politischen Handelns bleibt und der Nationalstaat das Ziel, kann es keine Lösung geben. Die müsste etwas anderes sein als die gegenseitige nationalistische Ausgrenzung, von der die militaristische Frontenbildung nur die offen gewalttätigste Form ist: die verstärkte Remilitarisierung des Konfliktes um spanische versus baskische Nation seitens spanischer Polizei und ETA.

Castaños geht, wie auch andere Mitglieder von Zutik, in seiner Kritik mittlerweile weiter: Er kritisiert, dass sich die heutige ETA als „Avantgarde des baskischen Volkes versteht, was ihr angeblich das Recht verleiht, im Namen eines eingebildeten baskischen Volkes gegen die Mehrheit der Gesellschaft zu handeln. Ihre Ideologie - oft eine reaktionäre Mischung aus Stalinismus und fundamentalistischem Nationalismus“.

Am 22. Oktober fand die Jahreskonferenz von Zutik statt. Es gab dort lebhafte Debatten, was in dieser Situation möglich sei. In einer Resolution kritisierte Zutik mehrheitlich „die Logik der strikten Treue zu den militärischen Aktionen von ETA seitens der abertzalen Linken, wodurch ein sehr negativer politisch-ideologischer Rahmen festgelegt wurde, der eine Öffnung hin zu neuen Sektoren der baskischen Linken verhindert“.

Gleichzeitig wurde die „neofranquistische Spanischtümelei“ der konservativen PP-Regierung ebenso kritisiert wie die „Spanischtümelei des nationalen Konsens“ der sozialdemokratischen PSOE. Aber das entschuldigt nicht, das Attentate von ETA den Anschein eine „ideologischen und ethnischen Säuberung“ erwecken, wie es im Hauptreferat auf der Jahreskonferenz von Zutik zutreffend hiess.

Nichtnationale linke Aktivitäten und der nationale Aufbau der ETA liegen in der praktischen Politik dann auch häufiger über Kreuz: So startete Zutik zusammen mit der linken Jugendorganisation Hautsi Anfang Oktober eine Kampagne zur Legalisierung von Drogen. Joseba Martín, Josetxo Riviere y Mikel Isasi, von Zutik stellten diese am 4. Oktober in Bilbao vor: Für die Legalisierung und Entkriminalisierung aller Drogen. Wenige Tage zuvor bekannte sich ETA zu dem Bombenanschlag auf die Disco „Txitxarro“ in Deba bei Bilbao: Dort sei mit Drogen gehandelt worden. Eta kritisierte in der Erklärung den Gebrauch von Drogen, weil das den Kampf für die Befreiung des Baskenlandes beeinträchtigen würde. ETA erklärte: „Die Grenze zwischen aktiver Politik und dem Konsum von Drogen markieren wir hiermit mit aller Klarheit.“

Diese ordnungspolitische Attitüde von ETA sowie der Eifer ziviler linksnationalistischer Organisationen beim Aufbau protostaatlicher Institutionen für die Unabhängigkeit, die vor allem der Ausgrenzung aller vermeintlich nichtbaskischen Leute dienen - wie das inoffizielle baskische Melderegister - zeigen deutlich, wohin die Reise mit ETA gehen würde, wenn sie als Spiegelbild des spanischen Staates einen entsprechenden baskischen Staat gründen dürften.

Zum Weiterlesen: „Euskadi: Sozialismus in einer >Ethnie<?“, in gruppe demontage: Postfordistische Guerrilla - Vom Mythos nationaler Befreiung“, 292 Seiten, 29,80 DM, Unrast, 2. Auflage 1999.