Arranca Nr. 20

»Die Frage war doch, warum
Identitätspolitik aktuell ist«

Ein Streitgespräch

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Dass bei aller politischer Arbeit, insbesondere bei der, die im Rahmen von politischen Gruppen geleistet wird, mit Identitäten umgegangen werden muss, ist eine Tatsache. Trotzdem gehen die Vorstellungen über das Wie auseinander. Ebenso unterschiedlich ausgeprägt ist das Bewusstsein davon, dass mensch manchmal schon eine Identität hat, ohne eine zu brauchen oder ohne dass diese erwünscht ist.

Darum, wie diese Vorstellungen aussehen, inwiefern sich in politischen Gruppen auch ungewollt Identitäten ausbilden, die einen bei der Arbeit eher behindern und den eigenen Ansprüchen entgegenstehen und wie bzw. ob dieser Zustand insbesondere durch Bündnispolitik überwunden werden kann, geht es bei dem folgenden Streitgespräch, zu dem die Arranca! VertreterInnen der Autonomen Antifa [M] aus Göttingen, der Gruppe FelS (Für eine linke Strömung) und aus dem Queer-Salon eingeladen hat.

(Anzumerken bleibt, dass es uns trotz mehrmaliger Anfragen und Zusagen von Seiten der Angefragten letztlich nicht möglich war, VertreterInnen einer MigrantInnenInitiative sowie der Gruppe KanakAttack für dieses Gespräch zu gewinnen. Dass dadurch einige spannende Dimensionen der Diskussion nur am Rande berührt werden, ist zu bedauern, aber leider nicht zu ändern.)

Eine Runde Vorstellung

[M]: Die Autonome Antifa [M] gibt es in Göttingen seit 10 Jahren, der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf der Praxis. Neben Antifa-Politik beschäftigen wir uns kontinuierlich auch mit anderen Themen, wie z. B. Internationalismus und dem Komplex »innere Sicherheit«, das hat zumindest im letzten Jahr dominiert. Zum Thema: Wir sind ohne Frage eine identitätskonstruierende Gruppe, auch wenn sich diese Identität nicht so einfach fassen lässt. Der einzige klare Begriff, den wir dazu haben, ist Widerstand. Das hat möglicherweise auch mit unserer Zusammensetzung zu tun: das gewissermaßen typische Antifaklientel, relativ viele StudentInnen, hauptsächlich Deutsche, fast konstant ein Drittel Frauen. Natürlich spielt das für die Identität der Gruppe explizit keine Rolle, wir definieren uns ja nicht als deutsche Gruppe.

Queer-Salon: Wir haben uns in der Uni zusammengefunden. Es gab vor zwei Jahren ein Seminar an der Humboldt-Universität Berlin zu »Queer-Theorie trifft auf Feminismus«. Das Seminar konnte dann nicht zu Ende geführt werden, wegen des Streiks, und so wurde es privat, autonom fortgesetzt. Verschiedene Menschen aus verschiedensten politischen Zusammenhängen, mit verschiedenen Hintergründen und Ansätzen waren da vertreten, aber auch unterschiedlicher geschlechtlicher und sexueller Identität. Uns ist es damals gelungen, einen Dialog herzustellen, eine Kommunikation zu ermöglichen zwischen Gruppen und Menschen, die sich normalerweise voneinander abgrenzen oder zumindest keine Bündnisse miteinander schließen, sich vielleicht nie begegnen würden. Die Idee, die Erfahrungen die wir in diesem Seminar gemacht hatten, nach außen zu tragen führte zu der Idee, das Ganze in Form eines Salons zu organisieren, mit dem Anspruch, so einen Raum zu schaffen, in dem Kommunikation und politische Bündnisse entstehen und gemeinsame Ziele entwickelt werden können, wo ganz gezielt Leute jeglicher Identität und politischer Ansätze angesprochen und eingeladen werden. Die Einladungen dienen auch dazu, die Eigenbeteiligung zu fördern, zur Überwindung der Konsumhaltung. Das wollten wir von der Salontradition des 19. Jahrhunderts übernehmen - dass die TeilnehmerInnen selbst gestalten können. Leider ist es uns nicht wirklich gelungen, Leute aus der Uni mit den Leuten aus der Schwulen- und Tuntenszene zusammenzubringen, die eher einen Straßenaktionismus verfolgen. Deswegen haben wir uns auch homogenisiert. Die Gruppe besteht jetzt nur noch aus Frauen und die Vielfalt, die uns am Anfang ausgemacht hat, ist geschwunden.

Kannst Du mal kurz umreißen, was Queer-Theorie ist?

Queer-Salon: Queer kommt aus dem englischen, d. h. seltsam, komisch, schräg, schrill, queer, ist aber hauptsächlich ein Schimpfwort für Schwule oder geschlechtlich, sexuell nicht Konforme gewesen. In den USA hat sich in den späten 80er Jahren eine Queerbewegung konstituiert, also im Zusammenhang mit der »AIDS-Krise«, als man Abstand genommen hat von schwuler oder lesbischer Identitätspolitik. Ein zentraler Aspekt dieses Begriffs ist, dass er sich gegen herrschende Normen wendet und gegen einen Prozess der zunehmenden Normalisierung, was auch eine Übertragbarkeit dieser Perspektive auf andere Herrschaftsverhältnisse ermöglicht: Queer ist für uns also keine Identität, Queer ist eine Art, Politik zu machen. Unser Anspruch ist, »die Norm«, die Heterosexualität als das Erklärungsbedürftige darzustellen, um die Konstruiertheit dessen sichtbar zu machen, was als selbstverständlich gilt.

FelS: FelS ist vor zehn Jahren über die Abgrenzung von der autonomen Politik entstanden, die vornehmlich Teilbereiche bearbeitet: Wir versuchen, Politik mit einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive zu machen. Der Bruch hat also eher auf der Ebene des politischen Selbstverständnisses stattgefunden. Unsere Bemühungen galten immer dem Versuch, sozialrevolutionäre Positionen in linke Bewegungen hineinzutragen, also Themen wie das Arbeit-Kapitalverhältnis, Prekarisierung, Ökonomiekritik, was auch über die Arranca! lief. Eine Auseinandersetzung mit (autonomer) Identität war insbesondere für die Gründungsphase zentral. Auch in Bezug auf internationale Befreiungsbewegungen wurde eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit Identitätspolitik gesucht, diese wurde nie als solche abgelehnt, es wurde immer versucht, dazu ein strategisches Verhältnis zu entwickeln. Eine gesellschaftliche Relevanz und Berechtigung bekommt Identität unserer Meinung nach aber vor allem bei der Selbstorganisierung von Minderheiten. Die Vorstellung, über Teilbereiche Leute zu mobilisieren, die auch bei der [M] anklingt, gab und gibt es bei felS nicht. Antiidentitär daran war und ist der Anspruch, sich von einem autonomen Subjektivismus abzugrenzen, gegen die Vorstellung, sich über die Entwicklung einer eigenen (sub-)kulturellen Identität von gesellschaftlichen Zwängen zu befreien oder aus der Gesellschaft herausnehmen zu können. Ebenso wenig gibt es den Versuch, über eine Art von Labelpolitik, über die Verbreitung der eigenen Zeichen und Symbole eine Identität herzustellen, der sich die anderen dann zuordnen können.

(an [M]): Macht ihr Labelpolitik? Und, wenn ja, bewusst?

[M]: Die Wiedererkennbarkeit der Gruppe spielt zumindest eine wichtige Rolle. Alles was nach außen dringt, baut ein Image auf, also Plakate, Demos, Presseerklärungen, allgemein das Auftreten in der Öffentlichkeit. Hier soll eine Kontinuität sichtbar sein, das, was Du vorhin als Labelpolitik beschrieben hast. Dazu kommt die eher inhaltliche Darstellung über eigene Veröffentlichungen oder antifaschistische Zeitungen wie die EINSATZ. Das alles ist die Vermittlung unserer Identität, also auch eine Formfrage. Was wir zum Beispiel über das Graphische herzustellen versucht haben, ist im Zuge der 90er beliebiger geworden. Bis 1995 / 96 war der Bezug stark auf die autonome Bewegung konzentriert, der behelmte Schwarze Block, die diversen Plakate, die uns auch dem Vorwurf ausgesetzt haben, uns der Imagekonzepte des Rotfrontkämpferbundes zu bedienen etc. Das ist aber immer mehr in den Hintergrund getreten, auch weil es diese militante soziale Bewegung, die die Autonomen dargestellt haben, so nicht mehr gibt. Das bedeutet für uns, da wir uns weniger als soziale und mehr als politische Bewegung oder als Teil davon sehen. Der Bezug auf die Autonome Bewegungen ist dabei nur noch historisch möglich. Aber weil das Konzept nach wie vor auch Militanz vermitteln soll, auch vor einem Hintergrund der beliebiger wird, geht es jetzt eher in Richtung Pop-Antifa.

Heißt das, dass ihr Eure Identitäten nach dem Trend richtet?

[M]: Nein, die Konstruktion bewegt sich im Rahmen einer politischen Diskussion und hat mit kulturellen Formen nur bedingt etwas zu tun. Es ist eher die politische Aktion, die uns ausmacht. Die rein kulturelle Darstellung bleibt letztlich beliebig und trendbeeinflusst. Wir bemühen uns aber wie gesagt, unabhängig von der Form ,die das annimmt, über unsere Symbole dauerhaft erkennbar zu sein.

Glaubst du, dass eine Gruppe ohne Identitätskonstruktion möglich ist?

[M]: Eine politische nicht.

Glaubt ihr das?

Queer-Salon: Unsere Ausgangslage ist eine ganz andere. Unsere Politikbereich, das wogegen wir kämpfen, ist viel diffuser. Heteronormität, Normalisierung etc., das Herrschaftsverhältnis ist für einen Straßenaktivismus, für einen Aktionismus überhaupt, viel zu wenig genau benennbar. Sexuelle Identitäten müssen nicht erst geschaffen werden, wir alle haben eine oder sind über Herrschaftsverhältnisse dazu gezwungen worden, uns als Frauen, Lesben oder Schwule zu begreifen und identifizieren zu lassen. Unsere Stoßrichtung ist also eine umgekehrte: wir wollen weg von diesen Identitäten, da sie uns nicht als etwas Ewiges gelten, nichts Natürliches sind. Dass man sich erst über seine Sexualität, über das Geschlecht seiner SexualpartnerInnen definiert, ist eine historisch gewachsene, gesellschaftliche Tatsache und eine Form von Herrschaft. Unsere Politik zielt darauf ab, die unterschiedlichen Identitäten nicht ins Private abzudrängen, sondern sie anzuerkennen, und zwar im Versuch, sie aufzulösen und Dialoge herzustellen, die die identitätsbildenden Prozesse vermeiden helfen. Der Punkt ist: Dass wir Lesben sind ist nicht der Grund, warum wir Politik machen. Trotzdem versuchen wir unsere Identität als eine Realität anzuerkennen und unsere politischen Ziele unabhängig von diesen zu formulieren. Wir versuchen auch klar zu machen, dass wir eine Identität haben und nicht nur »die anderen«, also Schwule, Lesben oder Transsexuelle sind, ein Identität, die zudem die Grundlage ist, von der aus wir Handlungsfähigkeit entwickeln können.

Ihr habt vorher gesagt, dass ihr nur noch Frauen seid. Ist das nicht ein Anzeichen dafür, dass sich da durchaus eine Identität herausbildet?

Queer-Salon: Wir problematisieren das natürlich, aber sich ein solches Ziel zu setzen, heißt noch lange nicht, sich außerhalb der Systematik zu bewegen. Mir ist auch schon aufgefallen, dass schon unsere Zielsetzung manchmal dazu tendiert, nur noch in die eine Richtung zu gehen: Antihetero-normativ. Das hat zur Folge, dass sich ein schwul-lesbisches revolutionäres Subjekt konstituiert. Dass die Leute, vor allem die Schwulen weggeblieben sind, hat aber wohl mehrere Gründe. Zum Beispiel gab es historisch gesehen in der Lesbenbewegung eine viel stärkere Kritik an Identitäten als in der Schwulenbewegung. Die Schwulenbewegung hat mehr auf Assimilation gesetzt, auf gesellschaftliche Anerkennung. Die Lesbenbewegung war radikaler, bemüht, die patriarchalen Strukturen zu bekämpfen. Unser Versuch zu Hot Chocolate (den schwarzen Schwulen) Kontakt aufzunehmen, verdeutlicht noch eine andere Dimension dieser Problematik. Sie haben darauf hingewiesen, dass es für sie (noch) nicht darum gehen könne, Identitäten aufzulösen oder zu dekonstruieren und sich von der Identitätspolitik als solcher zu verabschieden. Es kommt eben auch auf die gesellschaftliche Position an, von der aus man Politik macht und die Form der Unterdrückung, der du ausgesetzt bist, auf die du reagierst. Wenn du Teil der schwarzen Minderheit in einem Land bist, dann geht es erstmal um den Versuch, sich eine Identität zusammenzusetzen, die bei einer Selbstermächtigung, der Artikulation der eigenen Bedürfnisse hilfreich sein könnte.

(an FelS und [M]): Wie schlägt sich das bei Euch nieder? FelS und die [M] haben als gemischte Gruppen ja nicht unbedingt den Anspruch, heteronorm zu sein. Wie wird das politisch verarbeitet? Es werden ja nicht alle der Heteronorm entsprechen, oder doch?

FelS: Die Frage ist doch, woran sich das heteronorme Moment festmacht und mit welcher Perspektive die Diskussion darum geführt wird. Ich halte Heteronormativität nicht für die tragende Säule bürgerlich-kapitalistisch verfasster Nationalstaaten, diese lösen sich nicht auf, wenn jenes Verhältnis »fällt«.

Du glaubst nicht, dass Heterosexualität ein konstituierendes Element der Arbeitsgesellschaft ist?

FelS: Ich glaube, dass sich zum Beispiel ein schwuler Lifestyle prima in das Kapitalverhältnis integrieren lässt. Die Schwulenbewegung setzt sich zu großen Teilen aus einer bestimmten Klasse zusammen und verfügt so auch über eine gewisse gesellschaftliche Macht. Das muss man im Blick behalten. Die Auseinandersetzung um Geschlechtsidentitäten wird mittlerweile auf dieser Ebene des Lifestyles geführt, es gehört irgendwie dazu, sich nicht auf eine Identität festlegen zu wollen. So bleibt die Diskussion darum auf einer individuellen Ebene, entwickelt keine gesellschaftspolitische Brisanz, wobei das wiederum abhängt von den politischen Konzepten, die man verfolgt.

Queer-Salon: Ich glaube, dass die bürgerliche Gesellschaft zeitgleich mit sexuellen Identitäten entstanden ist, die beiden Verhältnisse einander aber nicht notwendigerweise gegenseitig bedingen, weil der Kapitalismus weder Geschlecht noch Sexualität kennt und auch gut ohne sie könnte. Und eine sozialistische Gesellschaft kann sehr stark heteronorm sein (ebenso wie z. B. die Arbeiterbewegung). Aber auch wenn der Kapitalismus ohne Heteronormativität existieren könnte, muss die Frage gestellt werden, ob es dann noch möglich wäre, auf unbezahlte Arbeit zurückzugreifen, die hauptsächlich von Frauen geleistet wird. Ich glaube nicht, dass das dann noch so reibungslos verläuft. Das Verhältnis ist also ein ambivalentes.

[M]: Das Entscheidende ist doch, dass Heteronormativität als Unterdrückungsverhältnis vornehmlich im privaten Rahmen stattfindet und die postautonome Politik, für die wir stehen, sehr auf den öffentlichen Raum fixiert ist. Die Frage ist eher, ob sich diese Trennung von Produktion und Reproduktion aufheben lässt.

Queer-Salon: Die Frage war doch, warum Identitätspolitik aktuell ist, wo ihre Grenzen liegen und wo sie eine politische Strategie behindert, wenn man sich damit nicht auseinandersetzt? Es geht darum, Strategien zu überdenken und politische Ansätze zu suchen. Mir scheint, dass wir mit unserem Ansatz der Antiheteronormativität herhalten, um Euch davor zu bewahren, Euch in Eurer eigenen politischen Strategie zu problematisieren. Die Frage ist, wie wir unsere politischen Konzepte sehen, setzen wir uns mit den Strategien auseinander und stellen uns die Frage, warum die Linke so an Einfluss verloren hat? Identitäten haben immer auch etwas mit Bildern zu tun, also mit dem Bild, das wir schaffen, für das wir kämpfen. Wenn das nicht thematisiert wird, dann kann es passieren, dass keiner mehr kommt. Was sagen also unsere politischen Konzepte oder unsere Zielvorstellungen über uns selbst aus, wie sieht z. B. dieses nichtmarkierte revolutionäre Subjekt in Eurer politischen Vorstellung aus?

Das ist doch aber teilweise deutlich gemacht worden. Es ist eben nicht so, dass wir zwei gemischte Gruppen haben und Euch. Diese Gruppen sind homogen im Sinne der heterosexuellen Norm. Die bei der [M] praktizierte »Labelpolitik« ist z. B. - wenn auch ungewollt - heteronormativ, wie der ganze Antifa-Kult.

[M]: Das ist eben das Spektrum, das wir auch bedienen.

Queer-Salon: Du meinst, dass die Leute immer auch die Gruppen bekommen, die sie verdienen? Die Schwulen und Lesben, die auch AntifaschistInnen sind, haben eure Gruppe also nicht verdient?

[M]: Wir gehen nicht explizit auf bestimmte Gruppen zu, das entspricht nicht unserem politischen Konzept. Zum Teil hat das seinen Grund auch darin, dass wir in dem Bereich, in dem wir einen politischen Umgang mit diesen Identitäten sehen, eher abgelehnt werden. Es gibt in konkreten Fällen natürlich die Auseinandersetzung darum, welche Identitäten in den Vordergrund gestellt werden sollten. Wenn es eine Kritik gibt, von Innen oder Aussen, an einem bestimmten Auftreten oder einer Darstellung, versuchen wir das zu thematisieren, Beispiel Männlichkeitskult auf Plakaten: In der Antifaszene hat es sich weitgehend durchgesetzt, die Dargestellten eben nicht einem bestimmten Geschlecht zuzuordnen.

Um das Diskussionsfeld etwas zu öffnen: Innerhalb der deutschen autonomen Szene gibt es kaum nennenswerte Selbstorganisierungen von MigrantInnen mehr, vor allem nicht aus den bestehenden Antifa-Gruppen heraus, auch aufgrund deren »deutscher« Zusammensetzung. Warum ist das so?

Queer-Salon: Die Frage ist, ob und wie man sich damit auseinandersetzt. Ist es also gewollt, dass keine MigrantInnen in der Gruppe vertreten sind oder ist darüber nur nicht geredet oder nachgedacht worden und wie könnte das dann passieren ? Es gilt zu klären, ob nicht versteckt Identitätspolitik betrieben wird, indem nämlich eine Identität konstruiert wird, ohne dass das bewusst geschieht.

[M]: Als [M] haben wir einige Voraussetzungen, die jedeR erfüllen muss, der / die an unserer Arbeit teilnehmen möchte, das geht auch gar nicht anders, nicht nur bei uns. Das setzt für MigrantInnen möglicherweise eine höhere Schwelle. Diese Voraussetzungen fallen zu lassen, wäre unmöglich für uns.

Queer-Salon: Es geht gar nicht darum, dass ihr irgendetwas müsst, sondern darum, dass ihr wisst, dass ihr durch die Art, wie ihr eure Gruppe organisiert, MigrantInnen davon ausschließt. Wenn Du zum Beispiel eine Aktion gegen einen Naziaufmarsch machst, musst Du als Antifa-AktivistIn ohne Aufenthaltserlaubnis oder als Nicht-DeutscheR wissen, dass Du möglicherweise festgenommen wirst und die Sache deshalb auch nicht so leicht auf dich nehmen kannst.

FelS: Deine Antwort war insofern typisch, als Du die Zuschreibung dadurch reproduziert hast: Du gehst davon aus, dass, (nur) weil eine Gruppe sich antirassistisch äußert, sich für die Rechte von MigrantInnen stark macht, das dazu führt, dass sich MigrantInnen organisieren. Es ist ja genausowenig für Frauen ausschlaggebend, dass sich einige Antifa-Gruppen mit Geschlechterverhältnissen auseinandersetzen und die Erfahrungen in den Antira-Zusammenhängen, die sich fast nur aus Deutschen zusammensetzen, widerspricht dem auch. Die Linke in Deutschland hat es nicht geschafft, diese gesellschaftlichen Differenzen zu überwinden. Die Fragestellung ist aber schon seit Jahrzehnten die gleiche: Warum setzt sich die Linke so zusammen, obwohl sie sich so nicht zusammensetzen will?

Queer-Salon: Das ist aber auch eine Frage der Praxis, auch der theoretischen, also welchen Fragen man sich stellt: Wo schaffe ich Ansatzpunkte, wo sind Begegnungen und Bündnisse möglich.

FelS: Unsere Praxis dazu besteht zum einen darin, dass in unserer Gruppe einige Nicht-Deutsche sind, die tabuisieren, dass rassistische Klischees reproduziert werden, sie z. B. nach ihrer Herkunft gefragt werden. Es muss klar sein, dass sie nicht ständig als das Andere wahrgenommen werden. Auf diese Weise findet eine Sensibilisierung statt, der Blick nach innen verändert sich. Ansonsten haben wir immer versucht, das in Bündnissen zu thematisieren, als zum Beispiel im Berliner Sozialbündnis Gewerkschaften dazu gezwungen wurden, die Forderung nach der Abschaffung aller Ausländergesetze zu unterstützen.

Queer-Salon: Der Vorteil einer homogenen Gruppe ist natürlich die Effektivität. Man muss sich nicht mit allen möglichen Positionen auseinandersetzen, dabei verlernt man aber leicht, sich selbst in Frage zu stellen. Wobei diese Homogenität wie gesagt nicht nur problematisch ist. Wir müssen nur aufpassen, dass das nicht erstarrt und dass wir die Gründe dafür nicht ausblenden. Es kann nicht darum gehen, dass die »anderen«, die Teil der Gruppe sind, dafür zu sorgen haben, dass alles politisch korrekt abläuft. Wichtig ist auch, wie Du nach Außen auftrittst und wenn Du eine gemischte Gruppe hast, ist das noch lange keine Garantie dafür, dass die Politik an sich integrativer wird. Man kann eine Gruppe nur an ihren Taten messen.

Das äußert sich wohl am besten in der Bündnispolitik. Gibt es da eine Perspektive, Identitäten aufzubrechen, Homogenisierung zu verhindern, oder werden politische Gruppen auch immer Identitäten konstruieren und so ausschließend wirken müssen?

[M]: Bei uns ist die Bündnispolitik geprägt durch eine pragmatische Vorgehensweise, die Wirkung von politischen Aktionen soll erhöht werden. Das hebt die zugrundeliegende Problematik nicht auf. Durch den Bündnischarakter werden im Gegenteil die Begrenzungen am deutlichsten. Das kann auch nicht diskursiv bearbeitet werden, da dem bestimmte Formen von Bewegung vorausgehen müssen. Das ist der Hintergrund, vor dem wir Organisierung als sinnvoll begreifen. SchülerInnen, MigrantInnen etc. in einer Bewegung zusammenbringen zu wollen, setzt eine bestimmte Größe und Breite voraus, personell und politisch.

Queer-Salon: Ich glaube, aufgrund des Trends weg von langfristiger Politik wird der Bündnispolitik die Zukunft gehören. Handlungsfähige Bündnisse, die einerseits einen kleinen Konsens benötigen und andererseits auf ein Ereignis zielen, ziehen einfach noch Leute, Beispiel Seattle. Für langfristige Gruppenarbeit ist das natürlich nichts. Ich sehe da nur zwei Möglichkeiten: Bündnisse, die so offen sind, dass sie ihre Grundlage immer wieder neu formulieren müssen oder Identitätspolitik in einer antifundamentalistischen oder antiessentialistischen Weise.

Um aber nochmal für Identitätspolitik zu sprechen: Man darf (insbesondere mit Blick auf z. B. die Schwarzen-Bewegung, also die Strategie des Empowerment) nicht vergessen, dass aus Identitäten auch Kraft geschöpft werden kann. Und auch wenn wir nicht derartigen Unterdrückungsverhältnissen ausgesetzt sind, so schöpfen auch wir Kraft für die politische Arbeit aus unserer Identität. Du setzt ja genau da an, Politik zu machen, wo sie etwas mit Deinem Leben zu tun hat. Insofern bin ich dagegen, jede Politik, die sich aus einer Identität ableitet, zu verdammen. Nur muss das mit der Perspektive verbunden werden, die Konstituierungsprozesse immer wieder sichtbar zu machen, und die Entstehungsbedingungen zu reflektieren. Ich muss mich immer fragen und fragen lassen, warum ich was politisch mache und warum ich mit wem wie zusammenarbeite. Dabei muss man manchmal auch einfach einen Schritt zurücktreten und sich fragen, ob die pragmatischen Ausschlüsse, die wir produziert haben, notwendig sind und wie wir versuchen können, sie zu verhindern? Das bedeutet zum Teil einen Verzicht auf schnelle Erfolge und spontanen Aktionismus.

FelS: Ich denke auch, dass man zu Identitäten ein strategisches Verhältnis entwickeln muss. Man sollte darauf achten, dass Identität nicht zu einem Schimpfwort wird, eben weil man bedenken muss, aus welcher Sichtweise es geäußert wird. Identitätspolitik macht für mich da Sinn, wo versucht wird, eine Interessensidentität zwischen Marginalisierten, Ausgegrenzten und Prekarisierten herzustellen, die auch das Konkurrenzdenken überwinden helfen kann. Das halte ich für zentral und das kann über Bündnisse oder Netzwerkarbeit geschehen. Differenzen sollten, müssen dabei durchaus wahrgenommen werden, nur dass dabei nicht stehengeblieben werden darf. Es sollten vielmehr gemeinsame Anknüpfungspunkte gesucht werden. Darauf aufbauend können dann auch gemeinsame Forderungen entwickelt werden.

[M]: Ich denke für die Zukunft besteht die einzige Möglichkeit, diese verschiedenen Positionen einander näher zu bringen, darin, eine gemeinsame, widerständische Identität zu schaffen und dabei möglichst wenige Ausschlüsse zu provozieren. Was diese Identität ausmacht, wäre dann, dass Widerstand geleistet wird.

Queer-Salon: und das ist es, was ich als queer bezeichnen würde. Nur musst Du dann den Begriff der Identität weglassen, denn queer ist eine Strategie, oder nenn? es eine Praxis. Ich würde sogar behaupten, Solidarität ist der Gegenbegriff zu Identität, solidarisch gegen Heteronormativität. Als politische Subjekte sind wir alle gleich. Es geht aber darum sich einzugestehen, dass es so etwas wie Identitäten gibt und darauf zu achten, was diese Identität mit mir macht. Wir können sie ja nicht abschaffen. Wir können nur fragen, wie dadurch unsere Politik beschränkt wird. Wenn also die, für die ich Politik mache, nicht zu meinen Veranstaltungen kommen, dann muss ich mich schon fragen, ob ich da eine Norm produziere.

Wo glaubt ihr, produzieren Gruppen wie die [M] oder FelS Heteronormativität oder was sind Gründe für euch, da nicht mitzumachen?

Queer-Salon: Ich habe mal in Flüchtlingsgruppen gearbeitet und so auch mit Antifa-Gruppen aus Berlin. Das hat einfach nicht mein Lebensgefühl getroffen, also das, was in meinem Leben wichtig war, als Frau und dann als Lesbe. Ich bin nicht vorgekommen, da war kein Raum für mich. Dann habe ich angefangen mir selbst Räume - Frauenräume - zu schaffen. Das war notwendig, um wieder zu Bündnissen zu kommen. Jetzt versuche ich, aus den Nischen herauszukommen und das, womit ich mich beschäftigt habe, in allgemeinpolitisch arbeitende Gruppen hineinzutragen, die das vielleicht als Randthema abtun. In den gemischten Gruppen gab es auch ganz starke Auseinandersetzungen und Streit über männliches Verhalten. Dann steht an, dass wir mit einem marxistischen Lesezirkel mal eine queere Demo machen und die Bullen niederfummeln. Das ist uns in Marburg gelungen, da haben sich die revolutionären Marxisten als Nonnen verkleidet, haben »Jesus fickt !« geschrien, das hätte ich ihnen vor ein paar Jahren einfach nicht zugetraut.

Schlusswort?

[M]: Ich sehe mich darin bestätigt, dass die Verbindung mehrerer Unterdrückungsverhältnisse, wie zum Beispiel Rassismus und Heteronormativität in eine Bewegung die Möglichkeit von Fraktionsbildung voraussetzt und damit eine bestimmte Größe und Breite. Das übersetzt sich für uns in Organisierung.

Queer-Salon: Ich habe wirklich viel in gemischten Gruppen gearbeitet und entweder war ich Frauenbeauftragte oder Sexualitätsbeauftragte. Jetzt wird das anders sein: Die Männer müssen etwas zu Feminismus machen und die Heteros müssen gegen Heteronormativität halten. Ich will mich nicht in diese Rolle drängen lassen, die Marginalisierten zu vertreten und/ oder die Randthemen zu repräsentieren. Ich will, dass sich alle damit auseinandersetzen und gerade diejenigen die eben nicht »Beroffene«, keine Marginalisierten sind. Bei einer Fraktionsbildung hast Du wieder diesen Effekt, dass die Kerngruppe sich nicht mehr damit auseinandersetzen muss, sich das sparen kann, es gibt ja die Frauenbeauftragte.

[M]: Das sehe ich eben genau andersherum.

FelS: Es muss aber auch klar sein, wo Du ansetzt, sonst kommt es zu einer ziemlichen Beliebigkeit. Offenheit von Gruppen und Zirkeln ist absolut notwendig. Eine gewisse Borniertheit und der Glaube, die Weisheit gefressen zu haben, ist leider ziemlich weit verbreitet. Bei FelS wird zum Beispiel über die Publikation zu verschiedenen Themen auch versucht, das aufzubrechen.

Danke für das Gespräch.

Arranca!-Redaktion

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