Kapitalakkumulation und Krise
Zur Aktualität der Kritik der politischen Ökonomie

von Klaus Hermann

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(1) Der Bankrott der staatsmonopolistischen Autokratien, die fast ein Jahrhundert lang den Sozialismus mystifiziert haben, beendet eine Epoche; gekennzeichnet durch den überlagerten, regional und auf Zeit pazifizierten Klassenantagonismus. Die Verwandlung tendenziell aller produktiven Ressourcen zu Anlageobjekten für das Kapital subsumiert erstmals global die Produktionsverhältnisse unter die Kapitalkonkurrenz um optimale Verwertungsbedingungen. Die technologische Perfektion der militärischen Zerstörungsmittel hat als Drohpotential das gewaltförmigste Mittel imperialistischer Interessendurchsetzung - den großen Krieg - obsolet werden lassen. Das hat nicht nur im Systemkonflikt die schwächere Seite zum Verlierer gemacht, sondern stellt auch die quasi naturwüchsige Symbiose von Monopolkapital und bürgerlichen Nationalstaat zur Disposition. Der Kautskysche Ultraimperialismus, gegen den Lenin 1916 polemisiert hat, behält auf ironische Weise gegenüber dem "Imperialismus als höchstem Stadium des Kapitalismus" recht, will sagen: ohne die daran geknüpften opportunistischen Konnotationen. Ultraimperialismus definiert die Weltarena zum Kampfplatz, sobald die Weltgesellschaft und ihre Reproduktionsprozesse insgesamt den Charakter von produktiven Ressourcen für die Kapitalverwertung angenommen haben. Die gegenwärtigen ökonomischen und politischen Veränderungsprozesse deuten auf einen tiefgreifenden Wandel in der Konstellation supranationaler ökonomischer Aktivitäten und Staat hin.

Der kapitalistisch hegemonierte Weltmarkt wird zur kapitalistischen Weltwirtschaft, ein Prozeß, der sich durch die Öffnung der osteuropäischen Märkte rapide beschleunigt. Zur allgemeinen Ausweitung von Waren- und Kapitalverkehr tritt als kennzeichnendes Merkmal der Epoche die im Weltmaßstab ubiquitär gewordene Anlageinvestition in Industrie und industrialisierter Dienstleistung. Das zentralisiertere Kapital drängt um so nachhaltiger in die auswärtige Anlageinvestition, je mehr die Aussichten auf gewinnträchtige Investitionsmöglichkeiten in dem seit Ende der dreißiger Jahre dominierenden kriegs- und rüstungswirtschaftlichen Sektor schrumpfen. Erstmals seit Beginn der imperialistischen Ära in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verliert der Staat relativ und absolut an Gewicht als bestimmender Faktor für die Erschließung und Herausbildung solcher Investitionsfelder, die dem am höchsten akkumulierten Kapital hohe Profite bei gleichzeitiger Minimierung von Risiken gesichert haben.

Nicht die Vorgänge in Osteuropa sind Revolutionen, wie die öffentliche Meinung weltweit nahezu einhellig unkt; wohl aber laufen sie kumulierend auf eine Revolutionierung des kapitalistischen Weltsystems hinaus, einen Umbruch ohne historische Analogie insofern, als sich der Übergang vom liberalen Konkurrenzkapitalismus zu Monopolbildung und Imperialismus allmählich und für die Zeitgenossen unmerklich vollzogen hat. Heute hat die Ideologie des bürgerlichen Verfassungsstaats die Gehirne so gründlich umnebelt, daß nur die Außenseite der Erscheinung zur Wahrnehmung zugelassen wird. Die Konkurrenz der internationalen Kapitalgesellschaften restituiert nicht Chancengleichheit und liberale Marktverhältnisse, auch wenn Handelsbeschränkungen jeglicher Art für die Akkumulationsinteressen der größten von ihnen zu Fesseln geworden sind. Aus Kriegs- und Rüstungsproduktion wird keine zivile, wie das Wörtchen Konversion suggeriert. Ob der sogenannte Sozialstaat die Bonifikationen überdauert, die ihn ökonomisch fundamentiert haben, ist nicht bewiesen, sondern steht als Exempel zum Beweis an. Wenn es je eine Umbruchsituation gegeben hat, die das reflektierende Ingenium sozialökonomischer Theorie, also die Intelligenz, gefordert hätte, dann ist es diese.

Staatsmonopolistischer Kapitalismus, organisierter Kapitalismus und verwandte Begriffsbildungen erweisen sich als haltlos oder als theoretische Konstrukte von nur begrenztem, transitorischen Erkenntniswert. Nicht besser steht es um die abstrakte Entgegensetzung von Marktkonkurrenz und Monopol. Aber auch der Spätkapitalismus, als Auskunftsmittel eher eine Verlegenheitsfloskel, hat sich blamiert. Von scheinbar rein deskriptiver Begrifflichkeit, steht auch dahinter ein Trugbild vom Staat, die Behauptung von Grenzsetzungen, von Blockaden für das Kapital. Der Staat als deus ex machina, wie er in der Theorie erscheint, trügt über die grundlegenden gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse hinweg; sie sind der letztlich bestimmende Faktor auch für Art und Umfang von Staatstätigkeit. Weil Fremdbestimmtheit der gesellschaftlichen Reproduktion durch Verwertungsinteressen unangefochten fortdauert, muß jeder theoretische Orientierungsversuch als Fortschreibung der "Kritik der politischen Ökonomie" beginnen.

Akkumulationsstrategie, ein von Joachim Hirsch/Roland Roth in "Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Post-Fordismus", Hbg. 1986, verwendeter Begriff, ist eine Mystifikation, weil es außerhalb des Verwertungsinteresses miteinander konkurrierender Einzelkapitale kein identisches Allgemeininteresse des Kapitals gibt. Aus dem gemeinsamen Interesse an optimaler Akkumulation und gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, die dem Rechnung tragen, resultiert kein einheitlicher Wille und darum auch keine Strategie. Nur mit Bezug auf Einzelkapitale läßt sich von Strategie reden; sobald sich neue Formen der Arbeitsorganisation, Erfindungen und Technologien verallgemeinert haben, hören sie auf, Momente von Akkumulationsstrategien zu sein. Die "Durchkapitalisierung" der Gesellschaft ist Folgewirkung kapitalistischer Warenwirtschaft, nicht folgerechtes Resultat "fordistischer Akkumulationsstrategie". Der immer größer gewordene Anteil von Konsumramsch am Warenkorb statt der sozialverträglichen Güter als Ersatz für v ist nur Indikator - wenn auch negativer - für den Produktivitätsquotienten.

Das Akkumulationsinteresse des Kapitals ist seit über hundert Jahren der bestimmende Faktor der internationalen Politik. Dabei steht die Bourgeoisie mit sich in Interessenidentität sowohl als im Interessenantagonismus durch Konkurrenz um optimale Akkumulationsbedingungen. Die Bourgeoisie hat sich den Nationalstaat zum Garanten ihrer Eigentumsordnung und zugleich als Instrument imperialistischer Interessendurchsetzung geschaffen. Der Code Napoleon und das Empire fallen in dieselbe Geburtsstunde. Der Hegemonie des britischen Imperialismus folgte die Ära zweier Weltkriege um imperialistische Neuverteilungen. Nach dem zweiten Weltkrieg hat der Antagonismus zwischen Privat- und Staatskapitalismus den alten Interessengegensatz überlagert; zugleich hat sich unter den Bedingungen eines "Burgfriedens" das Netz internationaler Kapitalverflechtungen in der Form von Beteiligungen oder in der unmittelbaren symbiotischen Gestalt multinationaler Konzerne in bislang unbekanntem Maße ausgeweitet. Durch den Bankrott des Staatskapitalismus verändern sich die Bedingungen privater Kapitalakkumulation grundlegend. Der Werttransfers aus den vormals staatskapitalistischen Ländern liegt ebenso im kapitalistischen Gesamtinteresse wie die Aufrechterhaltung staatlich induzierter Produktion, in der Hauptmasse für Rüstungsgüter, um im niemals bestrittenen alten Herrschaftsbereich ein gewisses Produktions- und Beschäftigungsniveau zu halten. Wie die Früchte eines Weltmarktimperialismus gegen Konkurrenz abzuschirmen und in die Scheuern zu fahren sind, dürfte für die nächsten Jahrzehnte das Verhältnis der Staaten zueinander mit den entsprechenden Rückwirkungen auf die inneren Verhältnisse bestimmen. In der Verweigerung von Legitimationen durch eine verfassunggebende Nationalversammlung wirft der großmächtige neue deutsche Imperialismus seinen Schatten voraus.

Der Kapitalismus ist nicht mit seinen strukturellen Momenten identisch, ohne daß diese darum doch aufhörten, seine strukturellen Momente zu sein. Paul Mattick benutzt für diesen Sachverhalt den wenig glücklichen Begriff des Modells, der den Vorrang der Beweislast vom Erkannten auf den Erkennenden hinüberträgt. Was am Modellbegriff suspekt ist, hat ihn so beliebt gemacht, weshalb man ihn besser nicht benutzen sollte. Die Werttheorie ist kein Modell; jeder Agent fungierenden Kapitals weiß, was er tut, wenn er die Arbeitslöhne scharf kalkuliert. Und wer das, was in aller Regel ohne Bewußtsein der Beteiligten geschieht, in seinen allgemeinen Ablaufsformen ins Bewußtsein hebt, steht antipodisch zu allen heimwerkelnden Modellbauschmieden. Marx war den Murksern schon immer verhaßt, auch ohne Oktoberrevolution und die unsägliche Episode des Stalinismus. Mattick argumentiert in seinen Arbeiten mit Marx, wie es eigentlich allen oblegen hätte, die sich auf ihn berufen; tatsächlich stellt ihn das heute paradox zu den singulären Erscheinungen.

Es gibt keinen sozialstaatlichen Kompromiß - eine Phrase, die inzwischen auch in den Sprachschatz und die Programmatik von PDS und Linker Liste/PDS Eingang gefunden hat. Ein solcher Kompromiß setzte einen Diskurs zwischen Kapital und Arbeit voraus, dessen Gegenstand nur die Verteilung des Mehrwerts sein könnte, und den es weder gegeben hat noch geben kann. Ein Kapital, daß keinen oder unterdurchschnittlichen Profit abwirft, akkumuliert nicht mehr. Was es tatsächlich gegeben hat und noch gibt, sind extrem ungleiche Tauschverhältnisse bei den für die Kapitalbildung relevanten Komponenten. Die Stabilisierung ungleicher Tauschverhältnisse gehört zu den Funktionen des bürgerlichen Staates. Was die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, insbesondere die westeuropäische, unter den vom Kapital gesetzten Bedingungen erreicht hat, ist, daß sich über längere Perioden hinweg die Ware Arbeitskraft nicht oder nicht wesentlich unter ihrem Wert hat verkaufen müssen. Staatlich sanktionierte Mindestlöhne und Sozialleistungen sind abhängige Variablen von Preisrelationen für die Ware Arbeitskraft, worüber nur der staatliche Legalismus hinwegtrügt, durch den beides auf Zeit und also widerruflich und stets am untersten Ende der Skala für die fraglichen Indizes (Lohnniveau, Lebenshaltungskosten, medizinische Standards usw.) festgeschrieben wird.

(2) Der Aufstieg der USA zur Hegemonialmacht nach dem 2. Weltkrieg ist wesentlich mit der Entwicklung und der Geschichte der amerikanischen Automobilindustrie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts verknüpft. Der entscheidende Test auf den Kraftfahrzeugbau als technologischer Spitzenbranche fand auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs statt, wo die USA nach ihrem Kriegseintritt mit Tanks, also gepanzerten Fahrzeugen, zur Stelle waren. Das verweist auf Staatsaufträge, staatlich induzierte Produktion als Anschubkraft. Bis in die dreißiger und vierziger Jahre hinein war das Automobil ein Gegenstand des Luxuskonsums, auch in den USA. Zu den Voraussetzungen seiner Verbreitung gehörte die Verwohlfeilerung des Produkts durch die Entwicklung entsprechender Produktionstechniken und Arbeitsabläufe (Fließband; Taylorismus). Ein Gegenstand des Luxuskonsums tauscht sich nur gegen den in anderen Branchen erzielten Mehrwert. Zur Ausdehnung des Marktes gehört, daß die sonstigen Reproduktionskosten für die Ware Arbeitskraft sinken und daß sie überhaupt in Lohn und Brot steht. Für das eine hat die Einführung des Traktors auf den Farmen, die beginnende Industrialisierung der Landwirtschaft gesorgt, für das andere Kreditfinanzierung und staatliche Beschäftigungsprogramme durch die Politik des "New Deal". Endgültig überwunden wurde die Akkumulationskrise vom Ende der zwanziger Jahre in den USA erst durch die beginnende Kriegsproduktion im 2. Weltkrieg.

Die Akkumulationsbedürfnisse des Kapitals herrschen der lohnarbeitenden Klasse die Bedingungen ihrer Reproduktion auf. So symbolisiert der Gebrauchtwagen der Marke Ford vor dem Bretterverschlag des Dauerarbeitslosen nicht, daß er zum Nutznießer gesellschaftlicher Umverteilung von Mehrwert geworden ist. Die aus den Verhältnissen ungleichen Tauschs auf dem Weltmarkt resultierenden Standortvorteile bedeuten für die Ware Arbeitskraft, daß sich ihre Reproduktionskosten anders berechnen als außerhalb des Standorts. Gewerkschaftliche oder dadurch abgestützte Lohnforderungen sind am Produktivitätszuwachs orientiert, nicht an der Profitrate.

Die Vergrößerung der Zahl der in Lohnarbeit Beschäftigten, die Verlängerung des Arbeitstags, z.B. durch Überstunden, gesteigerte Ausbeutung durch Arbeitsintensivierung und Senkung des Preises der Arbeitskraft unter ihren Wert sind die einzigen Quellen des Mehrwerts. Um gegenüber seinen Mitkonkurrenten am Markt im Vorteil zu sein, bleibt dem Kapital keine Wahl, als die Lohnkosten zu senken durch Einführung arbeitssparender Maschinerie und Technologie. Diese werden dadurch ebensowenig zu Quellen des Mehrwerts wie sich durch Realisierung von Wert und Mehrwert durch Verkauf von Waren am Markt eine solche Quelle erschließt. Mit dem Ersatz von Arbeitskraft durch Maschinerie und Technologie untergräbt das Kapital vielmehr selbst das Verhältnis, worauf es basiert. Das will das von Marx formulierte Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate besagen. Wenn sich am investierten Gesamtkapital, worauf die Profitrate bezogen ist, der Teil mindert, der allein Mehrwert hervorbringt - die lebendige Arbeit -, vermindert sich der Profit. Das ist das Zusammenbruchsgesetz des Kapitalismus, das die Bewegungen des Kapitals ohne Bewußtsein der Beteiligten grundiert, die als Kapitaleigner nur an einer Vermehrung der Profitmasse interessiert sind.

Die Vermarktung des Gebrauchswerts Mobilität hat die Kraftfahrzeugindustrie zur führenden Branche eines ganzen Zeitalters werden lassen. Da auf dem kapitalistischen Warenmarkt atomisierte Warenbesitzer ihre Produkte bzw. die Arbeitskraft zum Verkauf anbieten und ebenso individuell Profite und Arbeitslöhne angeeignet bzw. empfangen werden, ist kapitalistische Warenproduktion in ihren Endprodukten nicht zum kollektiven, sondern zum individuellen Konsum bestimmt. Investitionen in die Infrastruktur sind nur bedingt oder bedingungsweise profitträchtig, werden staatlich abgestützt und gehen im Ergebnis in die Staatsverwaltung über oder unterliegen staatlichen Tariffestsetzungen im Interesse des Gesamtkapitals. Das weltweite Netz der Eisenbahnen hat sich vor rund hundert Jahren durch das berüchtigte Geschäft mit den Staatsanleihen geschlossen. Für hohe Akkumulationsraten, Kapitalkonzentration und die damit einhergehende Ausbildung und Ausweitung von Produktionskapazitäten in der Eisen- und Stahlindustrie sind die Grundlagen durch das Eisenbahnwesen gelegt worden.- Es gehört zu den grundlegenden Defiziten marxistischer Gesellschaftstheorie, daß seit Marx, dort insbesondere im ersten Band des "Kapital", die wechselfältigen Beziehungen zwischen Tauschwertverhältnissen und Gebrauchswerten, zwischen technischer und Wertzusammensetzung des Kapitals, gerade auch mit Rücksicht auf ihre bestimmten historischen Ausprägungen, nicht nachdrücklich genug thematisiert worden sind.

Technologischer Fortschritt - oder was man so nennt - hatte im 2o. Jahrhundert Kriegsverwendbarkeit zur stärksten Antriebskraft. Kriegs- und rüstungswirtschaftlich bedingte Staatsaufträge haben die Konzentration und Zentralisation des Kapitals vorangetrieben, Monopol- und Kartellbildungen begünstigt. Marktkonkurrenz spielt für produktionstechnische Neuerungen seither eine untergeordnete Rolle. Wo sich Fertigungstechniken verallgemeinern, führen sie zu einer Verbilligung der Produkte, was zur Ausweitung von Produktion und Absatz zwingt, um die Profitrate zu halten. Alle Optionen und Interventionen des bürgerlichen Staates laufen darauf hinaus, dem Kapital bei der Bereitstellung optimaler Verwertungs- und Akkumulationsbedingungen zur Seite zu stehen. Dazu gehören Zollschranken, die auf- und abgebaut werden, koloniale Raubzüge und imperialistische Kriege, Beschäftigungsprogramme und monetäre Manipulationen. Das einschlägige Instrumentarium hat sich im Laufe der Zeit vervielfältigt und verfeinert, nicht ohne jene Art von Erfolg, wie es sich im Anwachsen der katastrophischen Tiefendimension dokumentiert.

Staatliche Interventionen und Aktivitäten haben die Rahmenbedingungen für die Profitproduktion zu verbessern und tragen unmittelbar weder etwas zur Vergrößerung des Mehrwerts bei - wenn man einmal von dem Sonderfall von Staatsproduktion für den Markt absieht -, noch zu dessen Umverteilung zwischen Kapital und Arbeit. Daß es außerhalb von Tauschwertverhältnissen kaum noch Beziehungen und Bedürfnisse gibt, macht sie darum doch nicht gleichermaßen tauglich, den Akkumulationsprozeß voranzutreiben. Die grenzenlose Ausdehnung marktvermittelter Bedürfnisse, von der die kapitalistische Propaganda träumt, findet zwar nicht an Bedürfnisstrukturen, die vielleicht wirklich unbegrenzt formbar sind, ihre Schranke, dafür aber an Verwertungs- und natürlichen Grenzen der Kapitalakkumulation.

Perioden relativer Prosperität sind ebenso wie solche relativen Niedergangs im Kapitalismus abhängig von Konstellationen, die sich für den Fortgang der Kapitalakkumulation als förderlich oder widrig erweisen. Solche Konstellationen sind nicht auf ihre Momente reduzierbar, deren Zusammenfall und wechselseitige Verknüpfung gerade den spezifischen Verursachungszusammenhang ergeben. Zu den Faktoren, die die langandauernde Prosperitätsperiode nach dem letzten Krieg erklären, gehören: eine hohe Akkumulationsrate und revolutionierende technologische Neuerungen mit entsprechenden Veränderungen in der Arbeitsorganisation, insbesondere in der Metallurgie und dem metallverarbeitenden Gewerbe, noch vor der Krise der zwanziger Jahre; Staatsinterventionismus und Rüstungswirtschaft; kriegsbedingte Bereinigungen durch Vernichtung fungierenden Kapitals und eine erhöhte Ausbeutungsrate bei der Neubildung von Kapital; Verknüpfung von Produktivität mit dem Reallohn, ideell und häufig auch reell durch das relative Gewicht der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, das diese akkumulierendem Kapital gegenüber in die Waagschale werfen konnte, um allgemein ein Absenken der Reallöhne unter den Wert der Arbeitskraft zu verhindern. In die Gesamtkonstellation von Nachkriegsprosperität, zu den Bedingungen ihrer Möglichkeit, gehört schließlich die auf immer größerer Stufenleiter vorangetriebene Massenproduktion, bestimmt für den privaten Konsum und um den Preis des Verbrauchs von immer mehr Naturstoff und seiner Umformung zu Müll und Schrott.

Produktivitätsfortschritt steht unter kapitalistischen Verwertungsbedingungen unter der Knute der Profitrate, deren Fall nur durch die Ausweitung der Produktion, eine Vergrößerung der Tausch- und Mehrwertmasse gegenüber dem verringerten Tauschwert des einzelnen Produkts, kompensiert werden kann. Der dafür notwendige Markt wurde vom Automobil und anderen, nachgeordneten Produkten, unter denen den elektronischen Medien eine besondere Bedeutung zukommt, geschaffen. Zu dessen Voraussetzungen gehörte die Senkung der sonstigen Reproduktionskosten, insbesondere für Nahrung und Kleidung, überhaupt durch den allgemeinen Produktivitätszuwachs - Basis seinerseits für die Ausweitung von Staatstätigkeit, die aus Steueraufkommen, also durch Abzüge vom Mehrwert und Bruttolohn, oder spekulativ durch Kreditschöpfung und Staatsverschuldung, d.h. durch Spekulation auf noch gar nicht existierendes, aber für die Zukunft erwartetes Kapital- und Lohneinkommen, finanziert wird. Wie groß der Umfang von Staatstätigkeit auch immer sein mag, Kapitalakkumulation bleibt ihre Voraussetzung und die Masse des privatwirtschaftlichen Mehrwerts setzt dafür den Rahmen.

Die Distribution einer gegebenen realen oder spekulativen Finanzmasse aus Steuern bzw. durch Kreditschöpfung auf die verschiedenen gesellschaftlichen Sphären fällt in die Amtswaltung des bürgerlichen Staates. In dieser Funktion wird er nicht als "Sozialstaat" aktiv, sondern als Repräsentant und Verwalter des kapitalistischen Gesamtinteresses. Die Maximierung von Verwertungschancen für das Kapital und die Minimierung von Systemdysfunktionalitäten bilden dabei den programmatischen Leitkonsens. Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut und Elend sind Stoff für das Gemüt, solange kein Entzug von Massenloyalität droht.

Der Gebrauch, den der Staat von seinen fiskalischen Möglichkeiten und Instrumentarien macht, hängt ab von politischen Entscheidungsprozessen, die ihrerseits nicht oder nur bedingt offen sind, um stattdessen von Kapitalinteressen hegemoniert zu werden. Das bestimmt die Richtung von Staatstätigkeit, die Proportionen, nach denen die Mittel zuerkannt werden, und woran noch jeder Reformismus, wie radikal oder systemkonform er sich selbst auch immer verstehen mag, gescheitert ist. Der bürgerliche Staat verschmilzt mit dem Akkumulationsinteresse zu einer Agentur, gerade weil er selbst nichts zu akkumulieren hat, dafür aber in allen seinen Funktionen vom Fortgang der Kapitalakkumulation abhängt. Die Logik von Kapitalverwertung ist das Realitätsprinzip der Staatsfinanzen. Dadurch kommt es zu jener seltsamen Verkehrung, daß Aufwendungen für soziale und humane Zwecke zu den Unkosten gezählt, als Verlust abgebucht werden, während alle Arten von Verschwendung, auch die unsinnigsten, für produktiv gelten, wofern sie nur das Kapital bei Laune halten.

Für diese Art des Staatssubventionismus sind Kriegs- und Rüstungswirtschaft das historisch erste Beispiel. Inzwischen hat sich die Subventionspraxis auf weite Bereiche der Produktion ausgedehnt. Das Kapital bleibt bei Laune, wenn es akkumuliert, das heißt, wenn Mehrwert in zusätzliches Anlagekapital verwandelt wird. Der Staat erscheint in seiner modernen Funktion auf der historischen Bühne im rechten Augenblick; eine gewisse Höhe der Kapitalbildung mit entsprechend entwickelten Produktionsstrukturen und Technologien gehört zu den Voraussetzungen; ebenso eine gegebene Größe der Konzentration und Zentralisation mit den entsprechenden Monopolisierungserscheinungen; die damit verknüpften Schwierigkeiten, bei vergrößertem Kapital die Akkumulationsrate zu halten; und nicht zuletzt die ursächlich mit diesen Prozessen verbundene Revolutionierung der Kriegstechnologie, die ihrerseits nach fortschreitender Zentralisierung des Kapitals und Monopolisierung der Produktion verlangt.

Das Kriegs- und Rüstungsgeschäft gibt das Schema ab für die Symbiose von Staat und Kapital. Dessen offenbares Geheimnis lautet: Produktion ohne Risiken des Marktes bei abgesicherten Profitchancen. Dabei geht alles mit rechten Dingen zu, wenn man einmal von der Korruption und ihren erweiterten Spielräumen absieht. Den Kapitaleignern fällt von der allgemeinen Profitmasse zu, was ihnen in Proportion zu der eingesetzten Kapitalgröße zukommt; Marx hat über den Mechanismus unter dem Titel eines Ausgleichs der Profite zur allgemeinen Durchschnittsprofitrate gehandelt. Der Staat ermuntert nur zur Investition in Produktionen, die es ohne sein Dazutun gar nicht gäbe. Der in den staatssubventionistischen Branchen erwirtschaftete Mehrwert wird wie diese selbst aus dem Mehrwertaufkommen der übrigen Sektoren und Branchen mitgespeist, die marktfähige Produkte herstellen und die in ihnen enthaltenen Warenwerte bei effektiver Nachfrage auf dem Markt realisieren.

Die private Verfügungsgewalt über die natürlichen Ressourcen und produktiven Potenzen ist das gesellschaftliche Risikopotential schlechthin. In der wissenschaftlich-technischen Revolution vergötzt sich know how, das Mittel als Zweck. Im Mittelfetischismus reflektieren sich Bedingungszusammenhänge der Kapitalakkumulation. Der Staat finanziert direkt (durch Rüstungsaufträge) oder indirekt (Subventionen, Forschungsmittel, Steuervergünstigungen usw.) Technologieentwicklung und Technologien, aus deren Fonds die neuen marktfähigen Produkte vom Kapital kreiert werden - zwar nicht zureichende, aber doch notwendige Bedingung für Markterweiterung und den Fortgang der Kapitalakkumulation. Was unter solchen Vorzeichen statthat, lautet nicht auf den Namen wissenschaftlich-technischen Fortschritts, sondern markiert den Gang ins Nirwana. Längst haben sich die sogenannten Informations- und Kommunikationstechnologien angeschickt, die negative Utopie eines George Orwell Wirklichkeit werden zu lassen. Nur die gierige Erwartung des Kapitals, aus Bio- und Gentechnologie doch noch marktfähige Produkte ausmünzen zu können, wirft um diese den falschen Heiligenschein fortschrittlicher Technologien. Eine Gesellschaft, die ihrer selbst nicht mächtig ist, kultiviert den Aberglauben in die Perfektionierung der Mittel, als ob der Fortschritt darin verkapselt sein könnte.

1990

(3) Die kapitalistische Industriegesellschaft euroamerikanischen Typus gilt sich selber und der Oikumene der Völker als Modell von Entwicklung. So pflanzt es jedenfalls Selbstreklame mit der Macht des Faktischen aus. Widerspruch gegen den Selbstbild-Imperialismus wird nicht laut. Dafür artikuliert sich Unbehagen, insbesondere in der imperialistischen Metropole selbst. Dahinter steht ein durch ökologische Katastrophen geschärftes Krisenbewußtsein. Wo es sich verallgemeinert, nimmt es die Form von Zivilisationskritik an. Umdenken - was immer das sei - sei angesagt. Die Globalisierung euroamerikanischer Standards in Produktion und Konsum impliziere den ökologischen Kollaps des blauen Planeten. In solcher Akzentuierung kehrt sich der Selbstbild-Imperialismus zur Todesahnung um.

Das bürgerliche Gleichheitsprinzip von formell gleichen Rechtssubjekten ist universalistisch; danach steht es Individuen und Völkern frei, ihren Beitrag zur Vergrößerung der Warenwelt zu leisten, was nur am ökologischen Kollaps seine absolute natürliche Grenze finden kann. Bewußte Gegensteuerung hätte globale Rahmenplanung, Produktionsrestriktionen bis hin zu Produktionsverboten zur Voraussetzung. Rahmenplanuns gibt es nicht; und wo es sie gibt, folgt sie nationalökonomischen Parametern; Produktionsrestriktionen unter ökologischen Gesichtspunkten spielen bis heute die Rolle eines Faktors von infinitesimaler Größenordnung. Der Akkumulationswettkampf privater und nationaler Kapitale ist das bestimmende Moment der Entwicklung.

Wenn nicht der ganze Globus von sogenannten hochwertigen Industriewaren überschwemmt wird mit allen absehbaren, kurzfristig letalen Folgen, ist nicht Kapitalmangel der Grund und schon gar nicht gegensteuernder politischer Wille. Die Spekulation auf zahlungsfähige Markt- (und Staats-)nachfrage weist dem Akkumulationsprozeß die Richtung. In Produktionsanlagen, die keinen Profit versprechen, weil sich der in den prospektiven Waren enthaltene Wert und Mehrwert nicht realisieren lassen, investiert man nicht. Andererseits verschmilzt produktiv investiertes Kapital mit bestimmten Technostrukturen, so daß es bei Strafe von Kapitalentwertung alles Interesse gibt, einmal errungene Positionen gegebenenfalls auch mit außerökonomischen Mitteln, vorab über die politische Lobby, zu behaupten.

In der zur Totalität entfalteten kapitalistischen Warenwirtschaft gibt es keinen zur Verwertungslogik des Kapitals exterritorialen Markt. In diesem Sinne sind Marktregulierung und Kapitalismus wesentlich miteinander identisch. Für den Kleinkapitalisten und kleinen Warenproduzenten gibt es keine vom Verwertungsprozeß des gesellschaftlichen Gesamtkapitals unabhängige Nischen; vielmehr ist die ganze Sphäre abhängig von der Expansion oder Kontraktion des Marktes, wofür die Akkumulationsschicksale der konzentrierteren und zentralisiertesten Kapitale die ausschlaggebende Rolle spielen. In der Marktillusion reflektiert sich die für Expansionsphasen charakteristische Ausdehnung des Kleinkapitalismus. Daß Marktverhältnisse und Tauschbeziehungen älter sind als der Kapitalismus, macht daraus kein Argument für einen Markt an sich oder jenseits des Kapitalismus.

(4) Begriffe wie globale Arbeitsteilung und totaler Weltmarkt, die so schön rund klingen, sind keineswegs durch ebenso eindeutige Sachverhalte gedeckt. Technologische Innovationen setzen sich nicht nur nicht geradlinig, sondern gebrochen und mit zum Teil beträchtlichen Verzögerungen durch; sie bleiben auch monopolisiert; was immer dann gilt, wenn ihre Anwendung Produktionsstrukturen hoher und höchster Kapitalintensität zur Voraussetzung hat. Global ist weder die Arbeitsteilung noch der Weltmarkt, auch wenn sich die Märkte für Waren und Dienstleistungen überschneiden und überlagern bei stark voneinander differierenden Produktionsbedingungen. Die egalitären Assoziationen, die an dem Begriff Weltmarkt haften, machen ihn für analytische Zwecke eher untauglich (auch wenn sie ihn für ideologische dafür um so brauchbarer machen). In der Realität gibt es so viele Märkte, wie es privilegierte oder weniger privilegierte produktionsstrukturell bedingte Zugangschancen und die dazu passende zahlungsfähige Nachfrage gibt. Die Illusion von dem einen großen demokratischen Markt hat sich nur deshalb ausbreiten können, weil sich Marktvermachtung nicht mehr an so groben Erscheinungsformen wie Kartell- und Trustbildung festmachen läßt, wovon noch Lenins Imperialismus-Theorie ausgehen konnte.

Marktvermachtung stellt sich als Resultante aus Kräfteverhältnissen dar, die ihrerseits nicht statisch, nicht beharrend sind. Immer geht es dabei um Umverteilung zur Optimierung des Profits, so unterschiedlich auch die Mechanismen. Dazu gehören Preisabsprachen und stille Agreements; alle Arten staatlicher Privilegierung vom Staatsauftrag beim Rüstungsgeschäft bis zur Subventionierung in ihren verschiedenen, indirekten und direkten, Formen; so gehören Wissenschaft und Forschung längst über den Bereich von Industrieforschung im engeren Sinne hinaus zu den infrastrukturellen Vorleistungen für das Konzernkapital, auch wenn sich deren Rolle nicht in dieser Funktion erschöpft. Andere Faktoren, die der schrankenlosen Mobilität des Kapitals entgegenwirken (vom Vorzugsrecht im Aktienwesen bis zum Diktat des Arbeitsplatzarguments), wirken in dieselbe Richtung: einer Privilegierung, je nachdem, des am höchsten zentralisierten Sektors des Kapitals und/oder ihm zugehöriger Einzelkapitale bzw. Kapitalgruppen. Konzernkonkurrenz ist Exklusivkonkurrenz in einem politisch umhegten Raum. Daß man auf diesem Sektor kaum oder gar nicht von Newcomern bedroht ist, folgt aus der Größenordnung des produktionstechnisch investierten und wertmäßig repräsentierten Kapitals. Dafür fordert die Produktionskapazität und -überkapazität der Giganten zu Markterweiterung heraus, woraus sich sowohl multinationale Zusammenschlüsse wie verschärfte Konzernkonkurrenz erklären. Verstärkt hat sich der Trend zur Zentralisierung und Internationalisierung des Kapitals durch den Abbau nationalstaatlicher Transfer- und Handelsschranken, wobei die Systemkonkurrenz der Nachkriegsära als politischer Katalysator gewirkt hat.

Die Begrenztheit kaufkräftiger Marktnachfrage auf die Mittelstandsgesellschaft in den Metropolen und die Kompradorenbourgeoisie des Südens und Ostens zwingt das hochzentralisierte Kapital in die Vernichtungskonkurrenz. High Tech ist dabei ein Schlüssel- und Verlegenheitswort, weil die Produktionsstrukturen nicht auf Verfahrensinnovation hin ausgelegt sind - etwa zur Deckung informationellen Bedarfs zu Zwecken gesellschaftlicher Bedürfnisbefriedigung -, sondern auf Produktvermarktung. Der Widerspruch zwischen technologischen Innovationsstandards und dem bornierten Zweck Produktvermarktung ist die zeitgemäße Erscheinungsform des Widerspruchs von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Während die ganze Welt unter dem Kriterium ökologischer Verantwortbarkeit mit Industrieprodukten bedient werden könnte, treibt der Produktionszweck Kapitalverwertung die involutiven Prozesse - Kapitalvernichtung, Umwelt- und Naturzerstörung, soziale Verarmung und Verelendung - voran.

Die Vernichtung produktiv investierten Kapitals ist gleichbedeutend mit Ausmusterung von Produktionsanlagen, Verstreuung und Verschrottung produktiven Inventars. Die Depravierung von Gebrauchswert ist nur die andere Seite der Entwertung von Wert. Daß die unter Verwertungszwang und Kapitalkonkurrenz hervorgetriebenen technologischen Innovationen die für das finish von Gebrauchswert entscheidenden seien, ist nichts als Aberglaube. Weil Produktvermarktung kapitalistische Produktion mit sich selbst und ihrem Endzweck - Aneignung von Mehrwert - vermittelt, wird das die Produktion begleitende und den Produkten eingebaute Marketing (Reklame, Glanzkaschierung der Produkte, Einbau von Schnickschnack) zum ausschlaggebenden Mitrepräsentanten von Wert, unabhängig vom Gebrauchs- oder Nutzwert des Produkts. Marketing als Kapitalanlage setzt auf Sozialprestige als Konsumwert und treibt die Innovationsprozesse sowohl in der Produktions- wie in der Zirkulationsphäre voran. Der den Produkten durch Marketing hinzugefügte Wert verteuert die Waren und zwar im Durchschnitt auch dann, wenn Rationalisierungsgewinne weitergegeben werden und zu Preissenkungen bzw. zur Senkung des Durchschnittspreisniveaus führen. Technologische Ausrüstungsstandards, Kapitalinvestition und -zentralisation bestimmter Größenordnung, Prestigekonsum: das sind nur verschiedene, miteinander verkettete Seiten desselben sozialökonomischen Systems, das gar nicht global verallgemeinerbar ist.

Es gibt für die Mehrzahl der Völker des Südens und Ostens keine Chance, sich an das imperialistische kapitalistische Akkumulationsregime anzukoppeln. Die in den Metropolen umgewälzte Wertmasse ist zu groß, um ihnen - auch unabhängig von allem Werttransfers von Arm nach Reich - Zutritt durch hausgemachte Abpressung von Mehrwert in vergleichbarer Größenordnung zu gestatten.

(5) Die Zerstörung von Produktionskapazitäten in Osteuropa erfolgt nicht unter gebrauchswertorientierten Kosten-Nutzen-Kalkülen und auch nicht - wie die kapitalistische Legitimationsideologie der Zerstörung weismachen will - unter ökologischen Kriterien. Was das westliche Kapital für den Umgang mit dem Naturhaushalt zu bieten hat, sind Müllexport, gestyltere Verfahren der Naturzerstörung und die sogenannten Umwelttechnologien. Zu den Schädigungen von Umwelt und Natur durch industrielle Aktivitäten, die auf Raubbau hinauslaufen, in Ost sowohl wie in West, ist mir bis heute keine abwägende Gesamtbilanz bekannt geworden; sektorale und regionale Schädigungen ließen sich nur im Rahmen einer solchen Gesamtbilanz gegeneinander aufwägen.

Umwelttechnologien, die die Rentabilität von Einzelkapitalen verbessern, sind Unkosten für das gesellschaftliche Gesamtkapital. Sie setzen den Produkten Wert zu, ohne die Warenmasse zu vergrößern. Unter monopolistischen Verhältnissen werden solche Unkosten auf die marktfähigen Endprodukte abgewälzt, freilich mit dem Effekt, in derselben Größenordnung kaufkräftige Nachfrage zu schmälern. - Produktionsanlagen und produktionstechnische Verfahren werden im Falle Osteuropas unter dem Primat metropolitaner Standards von Kapitalverwertung bilanziert. Bei ungeschützten Märkten geht das potentere Kapital über wie immer anders geartete und zu qualifizierende Produktionsstukturen wie ein Rasenmäher hinweg/Beispiel DDR.

Die Konkurrenz der Konzerngiganten treibt zur Ausweitung äußerer und innerer Expansion auf immer höherer Stufenleiter. Dabei erweisen sich ökonomische Zwangsgesetzlichkeiten und deren politische Vermittlungen als gleichermaßen zum Wesen der Sache gehörig. Als Fiskus ist der Steuerstaat mit dem Kapital vertrustet, so daß dessen größere oder geringere Profitabilität die Rahmenbedingungen für den Staatshaushalt setzt. Dem Druck auf die Profitrate durch wachsende organische Zusammensetzung des Kapitals gibt der Staat nach, wenn er infrastrukturelle Dienstleistungen (Post, Bahn usw.) unter dem Stichwort Privatisierung den zentralisierteren Kapitalen zur Beute hinwirft. Die Privatisierung öffentlicher Dienste treibt die Spaltung der Gesellschaft voran mit wachsender sozialer Depravierung und Unterversorgung auf der Verliererseite.

Der Expansion des metropolitanen Kapitals nach Osten wirken Faktoren entgegen, die in ihrer Summe mindestens ebenso schwergewichtig sind wie der immanente Zwang zur Expansion nach außen. Als Absatzmarkt für Waren der Konsumgüter- und Produktionsmittelindustrien spielen die Länder Osteuropas - wenn man einmal vom deutschen Sonderfall DDR absieht - vorerst eine marginale Rolle. Zum Vorzugsobjekt expansionistischer Begierden werden demzufolge die natürlichen Ressourcen, vor allem auf dem Areal der vormaligen Sowjetunion. Worauf solche Ressourcenplünderung marktökonomisch hinausliefe, hat Gremliza bereits in seiner "konkret"-Kolumne vom April '90 auf den Punkt gebracht. "Die Zulassung zu einem Weltmarkt (gemeint sind die osteuropäischen Länder), der nach nichts so wenig verlangt wie nach neuen Produktionskapazitäten für Waren, die nicht abzusetzen sind, ist keine Hilfe. Vielleicht erreicht Rußland durch billige Rohstoffexporte das Niveau Brasiliens. Vielleicht. Wenn, im Austausch für Jeans, Gorbatschows Nachfolger Jelzin soviel Erdöl liefert, daß der Weltmarktpreis um die Hälfte fällt." Abgesehen davon, daß diese Ressourcen von den Ländern, denen sie entzogen werden sollen, selbst am dringendsten benötigt werden: jeder Preisverfall beraubt sie erst recht der Möglichkeit, die verheißenen modernen Technologien gegen ihre Rohstoffe einzutauschen.

(6) Der Kapitalismus ist Verwertungsprozeß akkumulierenden Kapitals, der sich immer im Spannungsfeld zwischen angeeignetem Naturstoff und Wertgesetzlichkeit bewegt. Keine Tauschwertrealisierung ohne Gebrauchswertzwecke, darum aber auch: keine Gebrauchswertzwecke, die nicht zugleich der Tauschwertrealisierung dienen. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie trägt dem eigenen Anspruch eines wissenschaftlichen Sozialismus Rechnung, weil sie die differente Erscheinungswelt weder unvermittelt aus der Wertgesetzlichkeit ableitet, noch Einzelgesetze verabsolutiert. Daß die analytische Kraft von Marx - und auch Engels - in der marxistischen Tradition keine Nachfolge gefunden hat, gehört selbst zu den erklärungsbedürftigen Phänomenen.

Die reduzierte Marx-Rezeption durch die Parteien der II. und III. Internationale, die Umdeutung des wissenschaftlichen Sozialismus zu einem Kanon selektiver Begriffe, die Zwangseingemeindung der Theorie, ihre Verstaatlichung: diese Momente stehen nicht in einem zufälligen, sondern in einem wesentlichen Zusammenhang mit dem, was da seinem ersten Selbstverständnis zufolge als Kommunismus und nach seinem letzten als Realsozialismus gescheitert ist. Der wissenschaftliche Sozialismus ist Theorie und Handlungsanleitung zugleich, aber nicht im Sinne eines funktionalistischen Kontinuums, sondern nach dem Modell von Rückkopplung von voneinander auch Unterschiedenen.

Der Akkumulationsprozeß des Kapitals ist Konzentrations- und Zentralisationsprozeß mit den Bezugsgrößen Monopol, Konkurrenz und Staatsinterventionismus in wechselnden Konstellationen. Ein Kapitalismus ohne Konkurrenz wäre kein Kapitalismus mehr, sondern ein unmittelbares Herrschaftsverhältnis ohne ökonomische Vermittlung. Lenins Imperialismus-Schrift reflektiert eine historische Situation forcierter Monopolbildung und Vertrustung mit dem Staat - eine Konstellation, gegen deren wie auch immer modifizierte Wiederkehr keine prinzipiellen theoretischen Gründe sprechen. Theoretische Verallgemeinerung tritt in den Fundus sozialrevolutionärer politischer Praxis ein, als Selbstaufklärung legitimiert und jene legitimierend wie es am Beispiel der Oktoberrevolution der Fall gewesen ist. Die spätere Entwicklung, angefangen mit der relativen Stabilisierung des Kapitalismus in den zwanziger Jahren, hat nicht Lenins Imperialismus-Theorie widerlegt, sondern eine veränderte Konstellation ist von einer falsch verstandenen Orthodoxie immer weniger begriffen worden.

Marx hat in einem Konvolut ökonomischer Aufzeichnungen, den "Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie", an einer exponierten Stelle notiert: "Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch (dadurch), daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren stört, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt. Es vermindert die Arbeitszeit daher in der Form der notwendigen, um sie zu vermehren in der Form der überflüssigen; setzt daher die überflüssige in wachsendem Maß als Bedingung - question de vie et de mort - für die notwendige. Nach der einen Seite hin ruft es also alle Mächte der Wissenschaft und der Natur, wie der gesellschaftlichen Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs ins Leben, um die Schöpfung des Reichtums unabhängig (relativ) zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach der andren Seite will es diese so geschaffnen riesigen Gesellschaftskräfte messen an der Arbeitszeit, und sie einbannen in die Grenzen, die erheischt sind, um den schon geschaffnen Wert als Wert zu erhalten" (zitiert nach der Ausgabe Berlin 1953, 593). Es ist der kapitalistischen Entwicklung im 20.Jahrhundert aufbehalten geblieben, die Arbeitszeit in der Form der überflüssigen relativ und absolut zu vermehren, um den schon geschaffnen Wert als Wert zu erhalten und damit den prozessierenden Widerspruch durch Kumulation und um den Preis von Hyperkrisen, Kriegen und Katastrophen.

Der Akkumulationsprozeß des Kapitals ist in unserem Jahrhundert weder gradlinig verlaufen noch zyklisch im klassischen Sinne. Die Auflösung vorkapitalistischer Produktionsweisen und Verhältnisse, von völliger bzw. relativer Selbstversorgung, von Hauswirtschaft usw. ist ungleichzeitig und in Schüben vonstatten gegangen. Ähnliches gilt für den Produktivitätsfortschritt, stimuliert von Kriegswirtschaft, zwei Weltkriegen und Rüstungskonkurrenz. Die Ausdehnung kapitalistischen Warentauschs durch Einbeziehung immer neuer Schichten, Regionen und Kontinente ist Resultat und Bedingung nichtmilitärisch ausgemünzten Produktivitätsfortschritts; weil Produktivitätsfortschritt den Anteil lebendiger Arbeit an der einzelnen Produkteinheit und also kapitalistisch die Mehrwertrate mindert, was nur durch eine Vermehrung der Waren und d.h. durch Markterweiterung kompensiert werden kann. Markterweiterung dient der Realisierung von Mehrwert und ist insoweit notwendige, aber nicht zureichende Bedingung, um den schon geschaffnen Wert als Wert zu erhalten. Wichtiger und letztlich ausschlaggebend sind die Werttransfers, wie sie aus den Ausgleichsbewegungen der Profite zur Durchschnittsprofitrate und den Weltmarkt induzierten Preisbildungsprozessen folgen. Dieser Punkt - Wert- und Mehrwerttransfers - ist der für das Verständnis des "modernen" Kapitalismus entscheidende.

Die neuen Technologien bemessen sich in der Realität nicht an Potentialen, die ihnen unter Absehung von der Wertabstraktion zu- oder abgesprochen werden, sondern nach ihrer Rolle im Akkumulationsprozeß, solange das Kapitalverhältnis dominiert. Rationalisierungsgewinne als Folge technischer Innovationen begleiten den kapitalistischen Produktionsprozeß von jeher. In den Verfahrens- und Informationstechnologien - und das ist das qualitativ Neue - gibt sich Rationalisierung selber die Form eines marktfähigen Produkts. Dadurch wird der Widerspruch kapitalistischer Produktion als Profitproduktion auf die Spitze getrieben.

Die westdeutsche sozialwissenschaftliche Diskussion hat bei der Aufklärung der Bestimmungsgründe für die letzte langandauernde Prosperitätsperiode des Kapitalismus ebenso versagt wie die Doktrin vom staatsmonopolistischen Kapitalismus. Geschichtliche Konstellationen wiederholen sich nicht; trotzdem ist die Beschäftigung damit nicht müßig, weil sich vergangene Irrtümer, die nicht berichtigt werden, als blinde Stellen reproduzieren. Fordismus, Keynesianismus, Postfordismus sind Stichworte in westlichen Debatten, die ein Begreifen vortäuschen, das sie in Wirklichkeit hintertreiben. Weder war das Rooseveltsche New Deal nach Rezepten von Keynes erfunden, noch ist die Nachkriegssozialdemokratie keynesianisch angetreten. Keynesianismus meint nach obwaltendem Sprachgebrauch, daß es nur des guten politischen Willens bedarf, um den Kapitalismus zu reiten, statt von ihm geritten zu werden.

Die Nachkriegsprosperität hat eine Vorgeschichte, ihre Frühgeschichte, ihre Peripetie und eine Nachgeschichte. Die Umkehrung des Gläubiger-Schuldner-Verhältnisses zwischen den großen europäischen Nationalstaaten und den USA im Gefolge des ersten Weltkriegs begründete die Dominanz des US-Kapitals. Den raschen Innovationsschüben kam die Größe des Binnenmarktes zustatten. Produktivitätszuwachs in der Landwirtschaft (Mechanisierung) und in der Industrieproduktion (Massenfertigung) stimulierten sich gegenseitig. Das Kapital akkumulierte und die Reallöhne stiegen, ausgewiesen durch vollere Warenkörbe. Die mit der Weltwirtschaftskrise 1929/30 verbundene Kapitalentwertung und -vernichtung konnte die Akkumulationsschwäche des US-Kapitals nicht überwinden. Kreditfinanzierung und staatliche Beschäftigungsprogramme, "New Deal", haben ihre Ziele nur teilweise erreicht; Kapazitätsauslastung und Vollbeschäftigung brachte erst der 2. Weltkrieg. Nach dem Krieg, 1948, urteilte ein amerikanischer Gewährsmann: "Die Zerstörung der europäischen Wirtschaft hat das Problem effektiver Nachfrage für die amerikanische Wirtschaft gelöst. Es herrschte ein absoluter Mangel an effektiver Nachfrage. Neuerdings ist diese Nachfrage aus purer Notwendigkeit entstanden, und...wir erleben den Anbruch der größten industriellen Epoche, die dieses Land je gekannt hat" (zitiert nach Paul Mattick: Marx und Keynes, Frankfurt/Wien 1971, 285). Das Ende der Nachkriegsprosperität weist die Verlaufsform einer abflachenden Kurve auf, weil mit den Nachkriegsrekonstruktionen in Europa und Ostasien der Kapitalismus polyzentristisch geworden ist. Daraus ergeben sich Ungleichzeitigkeiten, verstärkt durch den multinationalen Charakter ganzer Kapitalgruppen, so daß Akkumulationsschwächen ausgeglichen erscheinen. Ausufernde Finanzspekulation und Privatisierung öffentlicher Dienste sind Gegenindikatoren dazu.

Solange das Diktat des Kapitals nicht weltweit gebrochen ist, ist es überhaupt nicht gebrochen. Ein gezügelter Kapitalismus wäre einer, dessen Akkumulationsdynamik sich an höherer Setzung/ Satzung bricht. Wäre dergleichen vorstellbar, kodifizierbar und kodifiziert, könnte man von einem Gesellschaftsvertrag sprechen. Tatsächlich entspricht der Abstumpfung des Klassenantagonismus hier aber dessen Verschärfung dort bzw. weltweit. Daß gesellschaftliches Bewußtsein, Aktions- und Organisationsformen der Lohnabhängigen dazu im Mißverhältnis stehen, ändert nichts am Sachverhalt. Solange die Akkumulationdynamik des Kapitals nicht gebrochen ist, stehen alle Errungenschaften der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung zur Disposition. Jedenfalls im Prinzip. Sozialabbau und Deregulierung - wie man heute sagt - finden ihre Grenze dort, wo Verwertungsinteresse selbst berührt wird. So können auch Einbrüche in die Massenloyalität die Verwertungsbedingungen verschlechtern. Mobilität/Immobilität des Kapitals ist der ausschlaggebende Faktor für die Positionierung von Lohnarbeit und Kapital im sozialen und politischen Kraftfeld. Wer dem Kapitalismus die Potenz zu neuer überzyklischer Akkumulation zutraut, sollte dies begründen - aber nicht durch historisches Analogisieren, sondern durch analytischen Aufweis, durch Abwägen von Akkumulationsschwächen und -stärken bei gegebenen Weltmarktverhältnissen.

(7) Zu den größten Verdiensten Matticks rechne ich seine Darlegungen zur Frage der staatlich induzierten Produktion durch Defizitfinanzierung. In der Literatur wird die Stimulierung von Produktion und Konsumtion durch Kreditschöpfung und Staatsaufträge unter dem Stichwort Keynesianismus abgehandelt. Mattick hat plausible Gründe dafür beigebracht, daß diese Art von Finanzierung langfristig zu Lasten privatkapitalistischer Akkumulation geht, auch wenn er dadurch bewirkte Mitnahmeeffekte nicht leugnet. Staatlich induzierte Produktion fügt einer kapitalisierten Wertmasse nichts hinzu, sondern figuriert als Abzug davon, weil Defizite durch Steueraufkommen beglichen werden müssen, als Staatsschulden aufgehäuft und inflationär ab- und fortgewälzt werden. Die Aneignung des Wertprodukts durch den Staat findet dort ihre Grenze, wo die akkumulativen Potenzen des Privatkapitals nachhaltig beeinträchtigt werden.

Keynes und die Neo-Keynesianer seien von den Monetaristen verdrängt worden, so heißt es. Steuernachlässe für das Großkapital hat es wirklich gegeben und gibt es weiter. Zugleich haben sich die inflationären Prozesse beschleunigt und hat die Staatsverschuldung astronomische Dimensionen erreicht. Fluchtkapital finanziert den Luxuskonsum einer neuen Geldaristokratie und findet exterritoriale Anlagemöglichkeiten, zu Meistbegünstigungen in autoritären Regimen. Aber damit bin ich schon bei Günter Reimann: Die Ohnmacht der Mächtigen. Das Kapital und die Weltkrise, Leipzig 1993. Ein Titel, den sein Autor vor fast zwei Jahren angekündigt hatte (ND v. 20.9.91). Reimann, Jahrgang 1904, Wirtschaftsredakteur der "Roten Fahne" 1925-30, Emigration über Frankreich und England in die USA (1938) hat sich dort als Journalist und Finanzspezialist, auch durch die Herausgabe einschlägiger Blätter, verkauft an "Financial Times", 1983, betätigt.

Das - wie Reimann sagt - in der ersten Zusammenbruchskrise des Weltkapitalismus zu Anfang der dreißiger Jahre entwickelte Krisenmanagement ist ausgereizt. Im Gegensatz zu Mattick posiert Reimann als zwar ungläubiger, aber gutwilliger Ratgeber des Kapitalismus. Die Inkonsistenzen, die sich daraus ergeben, machen ihn zum Zeitgenossen unter Zeitgenossen. Während die linken Reformfreunde unverdrossen und unbeirrt ihre mit dem Namen von Keynes verbundenen Rezepte herbeten, dämonisiert er umgekehrt den Staat; die "Ohnmächtigen" seien die Privatkapitalisten; zugleich will er den Rentnerkapitalisten zugunsten gestärkter monetärer Souveränität der Nationalstaaten ans Leder. Was diesen Titel trotzdem zur Lektüre empfiehlt, ist Reimanns Realismus, der sich angenehm vom reformistischen Illusionismus abhebt, und sein finanzpolitisches Plädoyer für eine Gold gestützte Reservewährung, womit er sich im Bereich herrschaftlicher Optionen und Ambitionen bewegen dürfte. Seine Empfehlung läuft auf einen Griff in die monetäre Trickkiste hinaus. "Damit werden die strukturellen Krankheiten des Systems nicht überwunden, aber die Überlebenskraft des Kapitalismus zeitweise wieder hergestellt - für eine Generation." So lautet der Beschluß des Buches (319).

Die als Schuldtitel aufgeschatzten Gläubigerforderungen Privater, insbesondere an die Adresse des Staates, sind unerfüllbar geworden. "Die Fixierung der Geldansprüche steht im Widerspruch zum Wesen des kapitalistischen Systems" (65). Den Grund für die Verschlechterung der Verwertungsbedingungen verortet Reimann in der Zirkulstionssphäre. Kreditaufschwemmung habe den Inflationismus vorangetrieben bis zum deflationistischen Umschlagspunkt, wo es zu produktiver Investition an Liquidität mangele. Der Überlegung, daß der Erweiterung des kapitalistischen Produktionsapparates innere Schranken der Verwertung gesetzt sind, gibt Reimann keinen Raum. In der Produktionssphäre konkurrierten Menschen mit Maschinen, um schließlich der Maschinenkonkurrenz - Maschine gegen Maschine - Platz zu machen, was immer darunter zu denken sein soll.

Reimann teilt nicht nur mit seinen keynesianischen Intimfeinden den Glauben, daß technologischen Innovationen das Potential zu kapitalistischer Markterweiterung schlechterdings inhärent sei. Unter systematischen Gesichtspunkten ist sein Zukunftspessimismus, was das "System" betrifft, arbiträr, willkürlich. Aber auch sein monetärer Optimismus, am deutlichsten in der 'Zusammenfassung' am Schluß ("Die Umstellung der Währungen wird es ermöglichen, die kapitalistischen Geldansprüche zu revidieren. Ein hoher Goldpreis wird einen tiefen Einschnitt in die kapitalistischen Renten ermöglichen"), gibt sich eher rhapsodisch, als daß von Begründungszusammenhängen die Rede sein könnte. Den Konservativen und Neokonservativen empfiehlt er sich dadurch, daß er unter seinen Rentenbegriff unterschiedslos Kapital- und Sozialrente subsumiert.

Das Instrumentarium von Defizitfinanzierung greift nicht mehr. Das Kapital hat sich in Folge seiner ersten Zusammenbruchskrise - ein tauglicher Begriff - Loyalität durch Zessionen an den Staat erkauft. Daß die nicht zuletzt durch Aufrüstung und Rüstungswettlauf bewirkte Prosperität Scheinprosperität ist, bleibt bei Reimann - im Gegensatz zu Mattick - ausgeblendet. Es sei den Sozialrenten, und diesen insbesondere, die wachsende staatliche Steuerlast geschuldet, so daß liquides Kapital in die Steueroasen ausweiche, statt produktiv reinvestiert zu werden. Reimann nennt als Schätzung für Depositen, die sich nationalstaatlicher Kontrolle entzogen haben, den Betrag "von etwa 2700 Milliarden Dollar. Dieser Betrag gleicht dem Dreizehnfachen der Devisenreserven der USA und übersteigt den Gesamtbetrag der Devisenreserven aller Industrieländer um etwa 70 Prozent" (120).

Die isolierende Wahrnehmung von Kapitalbewegungen führt zu falschen Verallgemeinerungen und Mystifikationen. Statt den verschlungenen Kapitalbewegungen nachzugehen, fingiert Reimann eine Doppelexistenz des Finanzkapitals nach seiner Erscheinung auf internationalen Kapitalmärkten und nationalstaatlich kontrollierten. Liquid und illiquid - ausufernd bis zur Verrücktheit von Reimann strapaziert - ist das Kapital diesseits und jenseits der von ihm gezogenen Demarkationslinie. Bei seinen Ausführungen über die Vorteile einer Zentralbankwährung mit Golddeckung setzt er auf eine merkliche administrative Erhöhung des Goldpreises; dadurch erhöhe sich - argumentiert er, man möchte sagen: pseudokeynesianisch - die nationalstaatliche Liquidität.

Ausschlaggebend für Kapitalbewegungen ist das Produktivkraftgefälle, das das Kapital dorhin "fliehen" läßt, wo die Mehrwertrate bei niedrigerer organischer Zusammensetzung des Kapitals und/oder niedrigen Arbeitslöhnen (in der Regel geht beides zusammen) höher ist als in Regionen höherer organischer Zusammensetzung und höherer Arbeitslöhne. Investitionen in Drittweltstaaten sind häufig mit schwer kalkulierbaren Risiken verbunden für vergleichsweise hohe Einsätze. In Konkurrenz dazu empfiehlt sich der Staat als Kreditnehmer. Als Währungssouverän gebietet er über den Spielraum für Zinsen und Wechselkurse, die er festlegt oder auf deren Festlegung er nach Ermessen Einfluß nimmt. Die staatlich administrierten und/oder sanktionierten Notierungen sind Rückgrat von Finanzspekulation oder Kasino-Kapitalismus und teilweise dessen Tummelplatz. Es wird um Kursgewinne spekuliert. Aber auch um Immobilien; Geschäftshäuser, Hotelketten usw. Daran geknüpfte Renditeerwartungen rechnen mit Kursen und kaufkräftiger Nachfrage von gegebenem, staatlich induzierten Niveau.

Zu den brauchbaren Mosaiksteinen, die Reimann hinwirft, gehört auch seine Bemerkung über "Kasino-Kapitalismus". "Die Überfülle des liquiden internationalen Finanzkapitals erzeugt einen fruchtbaren Boden für den 'Kasino'-Kapitalismus. Wie in einem Spielkasino werden Finanzwerte gekauft und verkauft zu Preisen, die keinen Realwert besitzen. Den Gewinnen stehen stets Verluste in gleichem Ausmaß gegenüber. Das Ergebnis ist eine Umverteilung des Besitzes von Finanzkapital unter den Finanzkapitalisten" (133). Damit wird richtig dem Gerede von einer Geldakkumulation, die sich von der Realakkumulation abgekoppelt habe, pariert. Reimann vergißt nur hinzuzufügen, daß sich klügere Spieler vom Spieltisch zurückzuziehen pflegen, wenn sie einen hübschen Schnitt gemacht haben, um ihre Gewinne sicher, und das heißt: unspekulativ anzulegen. Daß sich Akkumulationsprozesse mit solchen gesellschaftlicher Refeudalisierung überlagern, kommt nicht in den Blick.

1993

(8) Ein ökonomischer Determinismus verbietet sich, solange Weltgesellschaft und Marktwirtschaft, d.h. unbeschrankte Kapitalkonkurrenz nicht kongruente Begriffe sind. In einem solchen Fall würde in der Realität voll durchschlagen, was Marx im "Kapital" analysiert hat; der Markt würde die "Gesetze" von Kapitalverwertung und -akkumulation ohne vermittelnde Zwischenglieder exekutieren. Mit allen Folgen für die soziale Polarisierung: hier Bourgeosie, dort Proletariat, Reservearmee und wachsender Pauperismus. Die zur Zeit herrschende Politik, die man neoliberal oder neokonservativ nennt, hat zwar nicht im Sinn, Marx zu bewahrheiten, liefe aber kraft innerer Konsequenz darauf hinaus.

Daß sich die Gesetze der kapitalistischen Akkumulation nur auf Umwegen, modifiziert, gebrochen durchsetzen, hat seinen Grund in natürlichen und künstlichen Privilegien, die nationalen bzw. Einzelkapitalen Akkumulationsvorsprünge sichern. Solche Privilegien auf Dauer zu stellen, ist die Funktion des bürgerlichen Nationalstaats und das Ziel monopolistischer Zusammenschlüsse. Erfolge und Errungenschaften des Sozialreformismus stehen und fallen mit dem durch Privilegien abgesicherten Akkumulationsvorsprung der metropolitanen Kapitale. Wären global nivellierte Akkumulationsbedingungen und - standards Realität, würde der Arbeitslohn zur untersten Grenze, zum Ersatz für die physischen Reproduktionskosten, hin tendieren. Die Alternative eines globalisierten Akkumulationswettkampfes ohne Handelsschranken und eines monopolisierten Wettbewerbs auf national und regional restringierten Märkten ist gleichermaßen fatal.

(9) Produktivität der Arbeit ist keine Naturqualität, sondern hängt von vorgefundenen natürlichen und künstlichen Bedingungen ab (Bodenfruchtbarkeit; Maschinerie, Technologie). Soweit die subjektive Seite in Betracht kommt, also die Qualifizierung industrieller Arbeitskraft, geht diese in den Wertbildungsprozeß mit ein als die mit x zu multiplizierende Größe einfacher, ungelernter industrieller Arbeit. Mit dieser Auffassung von Arbeit als Wertbildner schließt sich Marx an die klassische bürgerliche Ökonomie an. Daß Wert und Mehrwert abhängige Variablen der Anwendung von Arbeitskraft sind, weiß im übrigen auch heute noch jeder produktiv investierende Kapitalist, wenn er den Preis für die Ware Arbeitskraft in jeder "Lohnrunde" zu drücken sucht bzw. dorthin "flieht", wo er Arbeitskraft billiger einkaufen kann. Der Preis der Ware Arbeitskraft ist durch die Reproduktionskosten nur in dem Sinne limitiert, daß diese nicht unterschritten werden dürfen, weil andernfalls das Kapital die Henne, die die goldenen Eier legt, selbst schlachten würde. Was zu diesen Reproduktionskosten zählt, ist nicht zuletzt durch das Kapital selbst determiniert, soweit es die gesellschaftlichen Verhältnisse hegemoniert. Wo etwa der Lohnabhängige als Produzent und Konsument Arbeits- und Einkaufsplätze unter zumutbaren Bedingungen nicht mehr ohne Automobil erreichen kann, stellt sich dieses zu den Mitteln im Reproduktionsfond.

Geregelte Tauschverhältnisse setzen einen Regulator voraus. In vorkapitalistischen Gesellschaften spielen Tauschbeziehungen eine marginale Rolle und lassen subjektiven Bewertungen und Wertabschöpfungen durch Wucher - zuzeiten besonders exemplarisch im Fernhandel - einen breiten Raum. Zufall und Herkommen, wonach sich Ware x gegen Ware y in soundsoviel Quanten tauschen, verlieren in dem Maße an gesellschaftlicher Dominanz, wie sich die kapitalistische Produktionsweise herausbildet. Valenz wird zur Äquivalenz im Preisausdruck für einen identischen Wert; soundsoviel Ware beliebiger Art gemessen in monetären Größen. Manufakturelle und schließlich industielle Massenproduktion geht in den Begriff des Werts als dessen Voraussetzung mit ein; an die Stelle mehr oder weniger zufälliger Relationsbeziehungen treten feste Maßverhältnisse. Äquivalenz, Gleichwertigkeit des systematisch für den Tausch Produzierten stellt sich im Tausch her, setzt aber an den Tauschobjekten, den Waren, ein Identisches voraus; Arbeit in der qualitativen Bestimmtheit, die sie in manufaktureller und industrieller Massenproduktion angenommen hat, mit der Arbeitszeit, dem Arbeitstag - ob kurz oder lang - als Maß.

Der kapitalistische Unternehmer, die Aneignung fremder Arbeit, die Quantifizierung der Arbeit mit der Arbeitszeit als Maß, die Teilung des Arbeitstags entsprechend dem Arbeitsertrag, der dem Anwender der Arbeitskraft (Ersatz für fixe Kosten und Mehrwert) und dem Angewendeten (Arbeitslohn) zufällt, sind gleichursprünglich, d.h. stehen in einem notwendigen Bedingungszusammenhang. Arbeits- und Wertbegriff haben sich mit den Sachverhalten, auf die sie sich beziehen, gleichzeitig herausgebildet bzw. die uns geläufige Bedeutung angenommen. Die bürgerliche politische Ökonomie, an die Marx angeknüpft hat, ist die Reflexionsform der sich durchsetzenden kapitalistischen Produktionsweise . "Historisches zur Analyse der Ware", diesen Unterabschnitt in "Zur Kritik der politischen Ökonomie" von 1859, leitet Marx so ein: "Die Analyse der Ware auf Arbeit in Doppelform, des Gebrauchswerts auf reale Arbeit oder zweckmäßig produktive Tätigkeit, des Tauschwerts auf Arbeitszeit oder gleiche gesellschaftliche Arbeit, ist das kritische Endergebnis der mehr als anderthalbhundertjährigen Forschungen der klassischen politischen Ökonomie, die in England mit William Petty, in Frankreich mit Boisguillebert beginnt, in England mit Ricardo, in Frankreich mit Sismondi abschließt. Petty löst den Gebrauchswert in Arbeit auf, ohne sich über die Naturbedingtheit ihrer schöpferischen Kraft zu täuschen. Die wirkliche Arbeit faßt er sofort in ihrer gesellschaftlichen Gesamtgestalt, als Teilung der Arbeit" (Hervorh. im Text). Marx bezieht sich hier auf einen Autor und eine Schrift des ausgehenden 17. Jahrhunderts. "Teilung der Arbeit" besagt hier soviel wie manufakturelle bzw. industrielle Massenproduktion, soweit eben diese zum Repräsentanten "wirklicher Arbeit" geworden ist.

Was Marx in seinen ökonomischen Schriften zum Gegenstand der Analysen macht, sind Bedingungszusammenhänge. Gleiche organische Zusammensetzung oder Kapitalkomposition nach ihren Bestandteilen fixe Kosten und Löhne vorausgesetzt, tauschen sich die Waren bei vollständiger Konkurrenz zu ihren Werten. Den Wahrheitsbeweis für das bedingungsweise Vorausgesetzte erbringen die Phänomene und soweit sie das nicht tun bzw. nur partiell, nötigen sie die Argumentation zum Fortgang und zur Präzisierung. Bei ungleicher organischer Zusammensetzung des Kapitals nach Branchen oder auch innerhalb derselben Produktionssphäre variiert das Verhältnis der Kapitalkomposition nach ihren Bestandteilen, so daß dem durch die Produktionsmittel repräsentierten Teil ein größeres oder geringeres Qantum angewandter lebendiger Arbeit gegenüber steht, die das Mehrprodukt oder den Mehrwert liefert. Aus ungleichen Mehrwertraten würden ungleiche Profitraten resultieren - der Profit bezogen auf das Gesamtkapital, der Mehrwert auf den durch die Löhne repräsentierten Teil -, würden sich nicht die Profite zur Durchscnittsprofitrate ausgleichen. Wie dieser Ausgleich zu denken ist, illustriert Marx am Aktienwesen: "Die verschiednen Kapitalisten verhalten sich hier, soweit der Profit in Betracht kommt, als bloße Aktionäre einer Aktiengesellschaft, worin die Anteile am Profit gleichmäßig pro 100 verteilt werden, und daher für die verschiednen Kapitalisten sich nur unterscheiden nach der Größe des von jedem in das Gesamtunternehmen gesteckten Kapitals, nach seiner verhältnismäßigen Beteiligung am Gesamtunternehmen, nach der Zahl seiner Aktien" (MEW 25, 168). Aus dem Ausgleich der Profite zur Durchschnittsprofitrate folgt, daß sich Waren zu ihren Werten nur bedingungsweise tauschen, in der Regel aber Werttransfers stattfinden, Absorption von Mehrwert entsprechend der unterschiedlichen Korrelation wertmäßiger Sachkapital-Repräsentanz.

Produktionsmittel und -instrumente sind Produkte vergangener Arbeit; vergegenständlichte Arbeit nach der Ausdrucksweise von Marx. Als solche unterliegen sie natürlichem Verschleiß, müssen periodisch ersetzt oder erneuert werden. Kapitalgüter sind sie nicht durch ihre materielle Beschaffenheit, sondern durch die Eigentumsverhältnisse. Als Kapitalgüter tritt ihr Nutzwert, als Werkzeug oder verlängertes Werkzeug zu dienen, hinter ihrer Bestimmung, im kapitalistischen Verwertungsprozeß zu fungieren, zurück. So können sie "abgeschrieben" werden, ohne tatsächlich ausgemustert und verschrottet zu sein; oder umgekehrt ausgemustert und verschrottet werden, weil sie für das Kapital "unrentierlich" geworden sind. Daraus, daß Produktionsanlagen unrentabel werden, folgt nicht, daß auch ihr Nutzwert aufgebraucht sei; und Wertzuwachs für die rentierlichen macht aus diesen keinen Schöpfer von Wert. Was die Kapitale zu Gewinnern oder Verlierern in der Akkumulationskonkurrenz macht, ist ihre größere oder geringere Potenz, transferierten Wert, Mehrwert, zu absorbieren.

Die von Marx aus der klassischen Ökonomie übernommene, kritisch weiterentwickelte und ergänzte Begrifflichkeit ist soviel wert, wie sie zur Erklärung fortschreitender Destruktivität bei fortbestehender Kapital-Hegemonie taugt. In Marx hineingehen heißt über Marx hinausgehen. Will man das orthodoxen Marxismus nennen, so wäre es das Synonym für ein wissenschaftliches Programm, eines der Erkenntnis in gesellschaftskritischer und -verändernder Absicht. Es steht quer zum Aberglauben, so auch dem, daß Maschinerie und Technologie Wert produzieren. Statt die Analyse weiterzutreiben, wozu das Verhältnis von technischer und Wertzusammensetzung des Kapitals einen Anknüpfungspunkt bietet, sind in der Nacht des Aberglaubens alle Katzen grau. Ganz offenkundig ist es notwendig, Variablen, die Marx bekannt waren, neu zu gewichten und durch neu hinzugekommene gegebenenfalls zu ergänzen. Zugleich gälte es, sich von Fehlinterpretationen und Mißverständnissen frei zu halten wie dem, daß Gegenstand der Marxschen Analysen der Konkurrenzkapitalismus gewesen sei. Zur Grundfigur der Marxschen Argumentation gehört das "vorausgesetzt, daß...", nicht die Statuierung positiver Behauptungen aus dogmatischen Voraussetzungen, wessen sich dann der Marxismus-Leninismus, seit Mitte der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts, schuldig gemacht hat.

Ich gehe mit Zitaten aus Marx sparsam um, weil solcher Brauch nur allzu leicht der Bequemlichkeit des Denkens Vorschub leistet. Zitate beweisen gar nichts; man sollte sich ihrer deshalb auch nicht als Krücken der Argumentation bedienen, sondern nur insoweit, wie sie der Richtigstellung bzw. der Aufklärung von Mißverständnissen dienen. In diesem Sinne noch einmal Marx: Es "wäre ein Kapitalist, der in seiner Produktionssphäre gar kein variables Kapital und darum gar keine Arbeiter anwendete (was in der Tat übertriebne Unterstellung) ganz ebensosehr an der Exploitation der Arbeiterklassse durch das Kapital interessiert, und leitete ganz ebensosehr seinen Profit von unbezahlter Mehrarbeit ab, wie etwa ein Kapitalist, der (wieder übertriebne Voraussetzung) nur variables Kapital anwendete, also sein ganzes Kapital in Arbeitslohn auslegte." Denn es ist "die Werthöhe des vorgeschoßnen Gesamtkapitals (konstanten und variablen), die, bei gegebner Größe des Mehrwerts oder Profits der ganzen Kapitalistenklasse, die Profitrate oder den Profit auf ein bestimmtes Quantum Kapital bestimmt" (MEW 25, 207f.). Mit anderen Worten: Umverteilung von Mehrwert, Wertransfer, gehört zu den Funk- tions- und Existenzbedingungen der kapitalistischen Produktionsweise. Was bedeutet dieser Befund? Schließlich hat Marx kein Kompensationsgesetz für das Kapital aus wachsender organischer Zusammensetzung formuliert, sondern aus letzterer den tendenziellen Fall der Profitrate abgeleitet.

Organische Zusammensetzung des Kapitals, dieser Kunstausdruck von Marx, bezieht sich auf das Wechselverhältnis von vergegenständlichter Arbeit (Maschinerie, Technologie)/lebendige Arbeit einerseits und deren Wertausdrücke als konstantes und variables Kapital andererseits. In Marx' Worten: Zwischen technischer und Wertzusammensetzung besteht enge Wechselbeziehung. "Um diese auszudrücken, nenne ich die Wertzusammensetzung des Kapitals, insofern sie durch seine technische Zusammensetzung bestimmt wird und deren Änderungen widerspiegelt: die organische Zusammensetzung des Kapitals" (MEW 23, 640). Wachsende organische Zusammensetzung ist darum auch nicht, wie es ein Grundmißverständnis will, ein quantitativer Ausdruck, sondern analytische Kategorie für eine "Wechselbeziehung". Vollständige Konkurrenz vorausgesetzt, werden die Kapitale um optimale Produktionsvoraussetzungen konkurrieren; mit dem Resultat, daß die organische Zusammensetzung wächst, aber nicht im Verhältnis von technischer und Wertkomponente zueinander, weil letztere unter Entwertungsdruck steht. Während sich das Verhältnis von c zu v zuungunsten von v (beschäftigter Arbeit) ändert, ändert sich zugleich auch das Verhältnis von c zu seinem materiellen Substrat, den Produktionsmitteln; letztere werden wohlfeiler oder ihr Nutzwert steigt, während sie im Wert fallen. Marx unterstellt diese Konstellation bei der Analyse der Profitratenbewegung.

Bei uneingeschränkter Mobilität des Kapitals wird Kapital aus Sektoren höherer organischer Zusammensetzung in solche niedrigerer Zusammensetzung auswandern, wenn in ersteren die Profitrate unter den gesellschaftlichen Durchschnitt sinkt. Ist Anlage suchendes Kapital durch Limitierungen von der Anlage in bestimmten Produktionssphären höherer organischer Zusammensetzung ausgeschlossen oder nur beschränkt zugelassen, so wird, wenn die Zusammensetzung weiter wächst und also der Anteil lebendiger Arbeit am Gesamtprodukt entsprechend sinkt, der Anlagewert und Preis des respektiven Produkts nicht oder jedenfalls nicht in vergleichbarer Proportion mitsinken. Unter oligopolistischen Bedingungen wird sich die Wertzusammensetzung von der technischen "emanzipieren", weil Konzernkonkurrenz Exklusivkonkurenz ist. Es entsteht ein Surplusprofit, der in den Ausgleich der Profitratenbewegung mit eingeht und dadurch die gesellschaftliche Durchschnittsprofitrate erhöht. In der Realität hat man es offenbar mit Mobilität und eingeschränkter Mobilität zu tun, mit Surplusprofiten und Erhöhungen der Durchschnittsprofitrate, die dem Profitratenfall entgegenwirken. Wo der Staat als Subventionsagentur oder als Käufer von Rüstungsgütern tätig wird, betätigt er sich als Stabilisator der Profitrate. Dafür verteilt er Einkommen um, "schöpft" Kredit und wälzt die Folgekosten inflationär weiter. Es ist ein Treppenwitz der Weltgeschichte, daß sich die sozialwissenschafliche Intelligenz in Ost und West des tauglichsten analytischen Instruments, das uns überliefert ist, begibt, und das in einem Augenblick, wo durch das Scheitern der Perestroika Mobilitätsschranken für das Kapital gefallen sind, so daß sich die von Marx formulierten Trendgesetze ungehemmter auswirken können als in den vergangenen fünf bis sechs Jahrzehnten.

Man könnte den Kapitalismus mit einer geologischen Formation vergleichen, in der ständig tektonische Verschiebungen stattfinden, kleine und große, auf Basis eines gegen Veränderung resistenten Urgesteins. Und wie der Geologe nicht an der Existenz dieses Urgesteins zweifelt, obwohl es sich nicht unmittelbarer Anschauung gibt, gibt es keinen vernünftigen Grund, an den Elementarstrukturen einer Gesellschaftsformation zu zweifeln. Übrigens wäre bloßer Empirismus auch anderweitig ein schlechter Ratgeber; so bewegt sich ja die Sonne für die unmittelbare Anschauung noch immer um die Erde und nicht umgekehrt. Daß man Marx nicht zugestehen will, was Kopernikus längst zugestanden wurde, ist begründet im entgegenstehenden Interesse der Bourgeoisie an der Aufrechterhaltung ihres ptolemäischen Weltbildes von Gesellschaft, eines von Fressen und Gefressenwerden, von ökonomischem Darwinismus, den vom Umschlag in den biologischen, in Faschismus und Rassismus, immer nur ein halber Schritt trennt.

Kapitalismus-Analyse läßt sich nicht aus Kapitallogik deduzieren, weil man es im einen Fall mit Invarianzen, im anderen mit variablen Größen zu tun hat, die die invariante Grundstruktur modifizieren. So ist der Fall der Profitrate nicht empiristisch durch Zahlenwerk verifizierbar, weil die Wertrelationen von den Preisbewegungen verdeckt werden. Das gilt allgemein und natürlich auch für die Rate der Kapitalverwertung eines Nationalkapitals, die von einer Vielzahl von Variablen wert- und preisberichtigt wird (ungleicher Tausch auf dem Weltmarkt, Monopol, Staatsinterventionismus, Zoll- und Handelsschranken, Zinssatz, Währungsparitäten). Die Indizes, die diesbezüglich wissenschaftlich zu ermitteln sind, beziehen sich auf Geld- und Preisgrößen. Darauf versteift sich Wissenschaftspositivismus, dem Dialektisches fremd ist. Andererseits: wem der Begriff der Profitrate entgleitet, kann nicht mehr zwischen Wertbildungsprozeß und Verwertungsindikatoren unterscheiden. Das Anschwellen der Profitmasse ist kein Gegenindiz für den Profitratenfall. Um soviel wie die Schicht der Pauperisierten weltweit anschwillt, die nichts mehr in "Wert" zu setzen haben, nicht einmal ihre unverkäuflich gewordene Arbeitskraft, um soviel schrumpft die Expansionspotenz des Kapitals.

(10) Folgt die Bewegung des Zinsfußes im großen und ganzen noch der der Profitrate - oder steuern heute nicht umgekehrt Zinsraten und Wechselkurse die Gewinn- und Verlustrechnung des produktiv investierten Kapitals? Im Fall der zentralisiertesten großen Konzernkapitale ist deren organische Zusammensetzung so angewachsen, daß die eigene Mehrwertrate gegen Null tendiert. Die relative Stärke der auf dem Weltmarkt konkurrierenden Konzernkapitale beruht auf ihrer Potenz, umverteilten Mehrwert zu absorbieren, der Höhe der Eigenkapitalbildung und/bzw. nationalstaatlicher Alimentierung und ihrer Kapazität, am globalen Lohngefälle zu partizipieren (Verlagerung der Mehrwertproduktion aus den Metropolen).

Das Staatspapier steht zur Aktie im Verhältnis privilegierter Konkurrenz. Mit dem Staat als Bürgen, festen Laufzeiten und fixierten Erträgen bietet es sich auch Kleinanlegern als Anlageform von Kapital (Ersparnissen) an. Zugleich steht es auf dem Kapitalmarkt mit anderen Anlageformen in Verwertungskonkurrenz, so daß die staatliche Kreditnachfrage entsprechend Höhe und Dringlichkeit als Parameter in den gebotenen Preis (Zinssatz) mit eingeht.

Das Schuldverschreibungswesen des Staates hat eine Geldakkumulation in Gang gesetzt, zu der reale Kapitalakkumulation in einem kontingenten Verhältnis steht. Um profitabel zu sein, muß der Ertrag aus produktiv investierten Mitteln die Gewinnmarge aus Staatspapieren um einen Betrag übersteigen, den sich der Investor als Risikoprämie gutschreiben kann. In dem Maße, in dem sich staatliche Kreditaufnahme und allgemeine Sparrate aufeinander zubewegen, übernimmt der Staat die Kapitalisierung des Geldvermögens. Es versteht sich, daß die Milliarden, inzwischen Billionen DM oder Dollar, die in der Statistik doppelt geführt werden, als Staatsverschuldung und als Sparvermögen, real nur einmal in monetärer Repräsentanz existent sind. Finanzspekulation - wovon man heute häufig als von Realakkumulation abgekoppelter Geldakkumulation spricht - hat die Gesamtheit staatlicher Aktivitäten zur Voraussetzung, die Vermögen gegenüber Vermögenslosigkeit bevorteilen.

1994

(11) Wenn man den Bedingungszusammenhängen von Kapitalverwertung heute nachfragt, hat man es mit dem Kapitalbegriff in seiner entwickelsten Form , dem von Marx, und der spezifischen Gestalt des Gegenwartskapitalismus zu tun. Es gehört zu den zeitgeistigen Paradoxien, daß, wer die Kategorien von Marx aufnimmt, um damit zu arbeiten, des Ökonomismus geziehen wird, andererseits aber der völlig leeren, weil folgenlosen Höflichkeitsverbeugungen vor dem Namen Marx kein Ende ist.

Staatsinterventionistische Praktiken verteilen das Wertprodukt um und führen zu Privilegierungen in der Wertproduktion, etwa wenn Großkonzerne staatlich bzw. durch supranationale Institutionen wie die EU alimentiert werden. Was daraus folgt ist, daß es unverdiente Gewinner und neue Verlierer im Kapitalverwertungsgeschäft gibt, nicht aber daß die von Marx formulierten Tendenzgesetze außer Geltung gekommen seien.

Notwendig wäre, einmal die Verwertungskalamitäten global und spezifiziert nach Kontinenten und Nationen durchzurechnen. Marktschrumpfung hier, Markterweiterung dort - aber selbst für den Fall, daß beides sich die Waage hielte, für neue überzyklische Akkumulation reichte es nicht. Ein solcher Überzyklus setzte eine wachsende Profitmasse proportional zum schon akkumulierten Kapital voraus, wogegen nicht nur das erreichte Niveau der organischen Zusammensetzung spricht, sondern auch, daß der Erhöhung der Ausbeutungsrate in den Peripherieländern (in Süd und Ost) relativ enge Grenzen gezogen sind, ökonomisch vor allem durch den Mehrwerttransfer in die Metropolen, wodurch es gar nicht erst zur Ausbildung binnenwertschaftlicher (kapitalistischer) Strukturen vor Ort kommen kann. Wie prekär es um die Verwertungsbedingungen allgemein bestellt ist, wird auch dadurch illustriert, daß selbst große Unternehmen in die Verlustzone geraten; oder daß Unternehmensentscheidungen heute schon kurzfristig durch Schwankungen der Devisenkurse bestimmt werden. Es gibt also einen Zusammenhang zwischen Skala der Produktion und vermehrter Krisenanfälligkeit, weil eine kleiner werdende Gewinnmarge durch erweiterten Absatz kompensiert und überkompensiert werden muß, was den Schritt vom Riesengewinn zum Verlust verkürzt.

Was bedeutet der Profittransfer aus den peripheren Ökonomien in die Metropolen für die Verwertungsproblematik? Sieht man einmal von Währungsdisparitäten und daran geknüpfte Devisenspekulationen ab, so hat man es mit Transfers aus Kapitalbeteiligungen und/oder aus investiertem metropolitanen Anlagekapital insbesondere der multinational operierenden Konzerne zu tun. Im einen wie im anderen Fall resultiert eine Vergrößerung der Profitmasse in den Metropolen, wo sie je nachdem der Revenue oder aber einem produktiv fungierenden Kapital zugeschlagen wird. Der der Revenue zugeschlagene Teil des transferierten Mehrwerts wird auf dem Kapitalmarkt in Finanztiteln angelegt und dient dem Luxuskonsum der metropolitanen Bourgeoisie. Der produktiver Verwendung zugeführte Teil dient der Stärkung von Konzernmacht im Konkurrenzkampf der Giganten und treibt die organische Zusammensetzung des Metropolenkapitals mit weiter voran. Wenn man von Währungsdisparitäten spricht, hat man dabei an Kapitalbewegungen aus Ländern mit schwacher Währung/unsicheren politischen Verhältnissen in Länder mit "starker" Währung zu denken; Beispiel: der Kompradorenbourgeois, der aus seiner nationalen Währung in den Dollar, die DM oder den Schweizer Franken wechselt. Und umgekehrte Bewegungen aus der "starken" in die schwache Währung; Beispiel: der Konzern, der Hochinflation nutzt, um Bergwerke, Immobilien, Anlagen zu Spottpreisen in Schwachwährungsgebieten zu erwerben. In beiden Fällen resultiert Stärkung des metropolitanen Kapitals zuungunsten der Peripherie auf Grundlage der Währungsdisparitäten.

Für die Verwertungsproblematik ergibt sich daraus, daß der transferierte Profit Einkommen und Beschäftigung in den Metropolen vermehrt, soweit er der Konsumgüterindustrie für gehobene bzw. Luxusgüter zugeführt wird; daß er die Masse spekulativen Kapitals durch Anlage in Finanztiteln vergrößert; daß er Beschäftigung und Einkommen mindert, soweit er produktiv durch Rationalisierungsinvestitionen konsumiert wird.

Kapitalinvestition in den Peripherieländern schafft dort Inseln von Beschäftigung und minderem Lohneinkommen, das für Subsistenzmittel und Billigimporte aus den Industrieländern ausgegeben wird. Märkte von Billigwaren, auf denen die Kapitale der sogenannten Schwellenländer am ehesten mitkonkurrieren können, verschärfen die Konkurrenz auf dem Weltmarkt und dadurch den Zwang zur Rationalisierung weltweit. Erweiterungen des Handelsvolumens mit den Metropolen führen in den Peripherieökonomien zur Stärkung der Kompradorenbourgeoisie, die direkt und mittelbar an der Ausbeutung und den Transfersprozessen partizipiert. Da sie mit zahlungsfähiger Nachfrage für Luxuswaren aus den Metropolen auf dem Weltmarkt erscheint, trägt das zur Illusion riesiger unerschlossener Zukunftsmärkte bei.

Die auf den Finanzmärkten bewegten monetären Titel haben ihr Substrat an der Spekulation auf Zukunftsmärkte, und zwar unabhängig davon, ob es den einzelnen Teilnehmern am Finanzgeschäft bewußt ist oder nicht. Überakkumuliertes Kapital fahndet nach profitablen Anlagemöglichkeiten und findet, statt der ersehnten Goldadern, doch nur Spurenelemente davon.

Bürgerliches Bewußtsein, das sich dem Verständnis des Akkumulationsprozesses verweigert, weil es sonst dessen immanente Grenze zugeben müßte, drückt sich dafür in Mystifikationen aus. In Bezug auf das Bevölkerungsproblem schreibt Henryk Grossmann (in: "Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems", 1929): "Nicht die Furcht vor Übervölkerung, sondern umgekehrt vor Unterbevölkerung ist für die heutige bürgerliche Nationalökonomie charakteristisch. Zahlreiche Gelehrte befassen sich mit der Frage, wieviele Menschen nach dem heutigen Stand der Technik auf der Erde noch Platz finden könnten. So z.B. E.G. Ravenstein (1891), v. Fircks (1898), K. Ballod (1912), Losch (1923), Penck (1924) und andere, die zu dem Ergebnis einer Höchstzahl von sechs bis acht Milliarden Erdbewohner gelangen. Dies nach dem heutigen Stande unserer technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten. Was für Reichtümer, welche Profite könnten da herausgeschlagen werden! Aber leider ist diese Bevölkerung nicht da, und der Kapitalismus hat kaum ein Drittel der genannten Zahl, kaum 1,9 Milliarden Erdbewohner zur Verfügung." (S. 382f.) "Beides - Übervölkerung wie Arbeitermangel - sind nur Funktionen der verschiedenen Stufen der Kapitalakkumulation." (S. 415) Nach einer Schätzung für 1994 bewegt sich die Weltbevölkerung auf 5,5 Milliarden zu ("Der Fischer Weltalmanach 1995", Spalte 1071/72).

Unter dem "Zusammenbruch" des Kapitalismus ist eben dies zu verstehen: die Überzähligmachung der Bevölkerung. Der Fall ist gegeben, wenn die Profitmasse trotz ihrer enormen Größe nicht groß genug ist, um die Abpressung von Mehrarbeit profitabel erscheinen zu lassen, so daß das Motiv zu produktiver Konsumtion von Mehrwert erlischt. Zu den Konsequenzen gehören Marktschrumpfung und Verfall produktiver Potenzen, unabhängig von ihrem Nutz- oder Gebrauchswert - gerade so, wie wir es heute in Verbindung mit dem Zusammenbruch des "Realsozialismus" erleben. Weil kapitalistische Produktion Produktion für den Tauschwert ist, verfällt sie, sobald es an Ansporn zur Vermehrung der Tauschwertmasse gebricht.

Begriffe wie 'Entwicklung' und 'Unterentwicklung' taugen nicht zur analytischen Durchdringung und Darstellung des Akkumulationsprozesses und der ihm innewohnenden Abbruchs- (Zusammenbruchs-) Tendenzen. Die Redeweise von entwickelten, unterentwickelten und weniger entwickelten Ländern an der "Schwelle" ist ideologisch, weil darin ein Evolutionsmodell normativ für Kapitalakkumulation unterstellt ist. Tatsächlich stellt sich der Akkumulationsprozeß aber im Verhältnis zu den nationalen/regionalen Ökonomien als ein fortschreitender Verflechtungszusammenhang dar, der nicht die Ungleichzeitigkeiten aufhebt, sondern weitertransportiert und modifiziert. Die nachholende Industrialisierung Deutschlands und der USA im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gegenüber England ist deshalb kein Modell für Brasilien, Mexiko oder Indien heute.

Die nationale Kapitalbildung ist ausschlaggebend für die Stellung, die die Länder, die nicht zu den alten kapitalistischen Mächten gehören, auf dem Weltmarkt einnehmen. Eigenständige Kapitalbildung ist die Voraussetzung, um an der Mehrwertübertragung zu partizipieren, wie sie aus den Ausgleichsbewegungen zur Durchschnittsprofitrate folgt. Das Kapital höherer organischer Zusammensetzung absorbiert Mehrwert des niedriger zusammengesetzten, weil sich die Profitrate nach dem eingesetzten Gesamtkapital (Technologie, Maschinerie und Arbeitskraft) bemißt.

Einigen wenigen Ländern, vor allem Ostasiens, ist unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen eine eigene nationale Kapitalbildung gelungen. Dadurch hat sich der Weltmarkt für Waren und Kapitalgüter vergrößert; aber auch die weltweite Verdrängungskonkurrenz. Ohne nationale Eigenkapitalbildung keine Partizipation an den Werttransfers. Mexiko - neuerlich - und Argentinien können als Beispiele für mißlingende Eigenkapitalbildung gelten. "In der Geschichte des Kapitalismus gibt es sowohl Beispiele für das Gelingen 'verspäteter' Industrialisierungsschübe als auch für den Niedergang hoffnungsvoller Entwicklungsansätze. Stellvertretend für solch entgegengesetzte Entwicklungen stehen Argentinien und Japan. Noch in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts stand das Pro-Kopf-Einkommen der Argentinier an achter Stelle aller Staaten und hatte beste Aussichten in die heutige Gruppe der sieben führenden Imperialisten (G 7 - Staaten) vorzustoßen. Anfang der 90er Jahre war Argentinien auf Platz 84 abgerutscht. Das Land war quasi ein Opfer seiner Reichtümer geworden, die es vor dem Zugriff ausländischen Kapitals nicht zu schützen und für die eigene Entwicklung nicht zu nutzen vermocht hatte, und seiner eigenen Herrschercliquen, die daran kein Interesse zeigten. Mit seinen Vorräten an Erdgas, Erdöl, Eisenerz, Mangan, Edelmetallen und seinen fruchtbaren Böden zog Argentinien ausländisches Kapital an wie das Licht die Motten. Die damals eingeleitete Industrialisierung konnte jedoch die ruinöse Weltwirtschaftskrise nicht verdauen, und fortan interessierte sich das ausländische Kapital nur noch für das Abräumen der Schätze" (Thomas Ebermann/Rainer Trampert: "Die Offenbarung der Propheten", Hamburg 1995, 61).

Die Volksrepublik China erweist sich als Sonderfall durch ein gemischtes Wirtschaftssystem mit eingelagerten staatskapitalistischen Strukturen. Vermutlich sind die staatskapitalistischen Elemente die Klammer, ohne die China in Provinzen unterschiedlicher ökonomischer Niveaus und schließlich als politische Einheit zerfallen würde. Die Nötigung zum Ausgleich ökonomischer (und sozialer) Ungleichgewichte und zu eigener Kapitalbildung trägt zur politischen Stabilität bei, die den chinesischen Markt für das Metropolenkapital attraktiv macht; zugleich sind es dieselben Faktoren, die das Gerede vom gewaltigsten Anlage- und Absatzmarkt für das überakkumulierte metropolitane Kapital in das Reich der Fabel verweisen. Darüber, daß sich der kapitalistische Weltmarkt nicht automatisch durch Anlageinvestitionen in aller Welt erweitert, haben sich in den letzten Jahren schon einige Großkonzerne belehren lassen müssen. Man hat Produktionskapazitäten an Standorten ohne entsprechende Marktgrößen geschaffen und ist gezwungen, Kapazitäten zurückzubauen oder eben besetzte Standorte wieder aufzugeben.

Der kapitalistische Weltmarkt teilt die Nationen in Kapital exportierende und Kapital importierende mit den dazugehörenden positiven und negativen Bilanzen aus der Wertübertragung. Je geringer das Niveau von Eigenkapitalbildung, um so größer Abhängigkeit, Armut und Verelendung. Und umgekehrt: je höher dieses Niveau, um so größer der Anteil an Kapitalexport, Ausbeutung und imperialistischem Raub. Daß sich die Räuber quer zu Nationen und Kontinenten zur Interessengemeinschaft zusammengefunden haben, modifiziert den Begriff des Imperialismus, ändert aber nichts daran, daß sich die Geschäftsteilnehmer den auf sie entfallenden Mehrwert- und Profitanteil auf ihren speziellen Konten gutschreiben.

Das Schicksal des Kapitalverwertungsprozesses hängt unter gegebenen Bedingungen und Voraussetzungen von einer Reihe von Faktoren ab, die sich etwa wie folgt benennen lassen:

1. von der Geschwindigkeit, mit der sich Rationalisierungstechnologien in Produktion, Distribution und im formellen Dienstleistungssektor durchsetzen;

2. von der Aufnahmefähigkeit der metropolitanen Märkte;

3. von den Möglichkeiten und Grenzen des Werttransfers aus den peripheren und semiperipheren Ökonomien in die Metropolen.

Es ist bekannt, welche entscheidende gesellschaftsverändernde Rolle Marx den Produktivkräften zugemessen hat. Ich erinnere nur an die bekannte Formulierung aus dem "Vorwort" von "Zur Kritik der politischen Ökonomie", der Schrift von 1859: "Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind." Weil für Marx im Begriff des Maschinenwesens der der Automation mitgesetzt war, konnte er in den "Grundrissen", dem sogenannten Rohentwurf des "Kapital" von 1857/58 antezipieren: "In dem Maße aber, wie die große Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wirklichen Reichtums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden... Die Arbeit erscheint nicht mehr so sehr als in den Produktionsprozeß eingeschlossen, als sich der Mensch vielmehr als Wächter und Regulator zum Produktionsprozeß selbst verhält... Er tritt neben den Produktionsprozeß, statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint. Der Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht (Hervorh. v. Marx), erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die große Industrie selbst geschaffne" (zitiert nach der Erstausgabe, Berlin 1953, 592f.).

Die technologischen Antezipationen von Marx haben sich inzwischen erfüllt, wenn auch auf andere Weise, als Marx es sich vorstellen konnte, und ohne Vergesellschaftung der Innovationspotentiale. Die kybernetische Schlüsselrevolution hatte die mit Krieg und Hochrüstung verbundene Zentralisation von Kapital zur Voraussetzung. Und in nichtkriegerischer Anwendung und Nutzung gebietet kein Gesellschaftskörper, keine Assoziation der Emanzipierten über die kybernetisch freigesetzten Steuerungs- und Regelungskapazitäten. Die Mittel und Möglichkeiten sind da, um Reproduktion und Verkehrsformen auf die menschenwürdigste Weise zu regeln; in Gestalt des Computers und der Informationstechnologien sogar der Mittler, Bedarf und Bedürfnis unmittelbar zur Produktion in Beziehung zu setzen, d.h. ohne Dazwischenkunft von realem oder fiktivem Geld.

Der Gebrauchswert der neuen Technologien besteht unabhängig von der gesellschaftlichen Formbestimmtheit - also ob kapitalistisch oder nicht - in Rationalisierung. Unter kapitalistischen Verhältnissen bedeutet das Erhöhung der Profitabilität für das Kapital, solange die Ersetzung lebendiger Arbeit durch vergegenständlichte durch eine erhöhte Mehrwertrate kompensiert werden kann.

Bezogen auf den Diskussionsstand der 60er Jahre und die Auseinandersetzung mit Keynesianern und Linkskeynesianern heißt es bei Paul Mattick in "Marx und Keynes" (Frankf.a.M. 1971, 205) zur Kalamität des Kapitals, mit wachsender organischer Zusammensetzung die Quelle allen Mehrwerts zu untergraben: "Angesichts des gegenwärtigen Automatisierungstrends wird allgemein anerkannt, daß die wachsende Diskrepanz zwischen Arbeit und Kapital zu einem Punkt tendiert, an dem die weitere Expansion des Kapitals durch Ausbeutung von Arbeit unmöglich wäre. Das bedeutet, daß Marx' Akkumulationstheorie unbewußt akzeptiert wird, wenn auch nur, weil diese Vorstellung in nicht-marxistischen Begriffen vorgetragen wird. Anstatt den schließlichen Zusammenbruch des Kapitalismus aus der wachsenden 'Arbeitsproduktivität' abzuleiten, die nur ein anderer Ausdruck für die Kapitalakkumulation ist, leiten die 'umgekehrten Marxisten' ihn von der wachsenden 'Kapitalproduktivität' und ihrer Tendenz ab, die Arbeit zu verdrängen. In jedem Fall kommt das System der Kapitalproduktion durch Ausbeutung von Arbeit zu einem Ende. Da wachsende Arbeitsproduktivität die wachsende Kapitalproduktivität impliziert, ist das Ende des Kapitalismus auf dem Wege der Automation mit seinem Ende infolge eines Mangels an Mehrwert identisch."

Konnte Mattick vor ca. 30 Jahren im Anschluß an dieses Zitat noch konstatieren: "die Automation ist im Verhältnis zum Weltkapitalismus bisher nicht mehr als eine exotische Ausnahme innerhalb einer ziemlich stagnierenden Technologie", so hat sich die Situation inzwischen grundlegend geändert.

Thomas Ebermann und Rainer Trampert, die sich außer auf Marx auf Mattick in ihren Analysen stützen, haben sich in ihrer Polemik gegen Robert Kurz und dessen Simplifikationen vom Ende der warenproduzierenden Gesellschaft - mit den "Propheten" im Titel ihres Buches ist vor allem Kurz gemeint - leider dazu verleiten lassen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Sie räumen noch ein: "Zwar bietet heute der hohe Automationsgrad in den reichen Industrieregionen eine analytisch faßbare Größe für die Prognose, daß die Menschenmassen zumindest in traditionellen Lohnarbeitsverhältnissen nicht mehr integrierbar seien", fahren aber fort: "gleichwohl weiß niemand, ob die außerhalb eines vergleichbaren Automationsschubs entstandenen Arbeitslosenheere der 30er Jahre ohne Weltkrieg jemals wieder in Lohn und Brot gekommen wären. Wir stehen also kaum vor einem grundsätzlich neuen oder gar erstmaligen Problem der kapitalistischen Produktionsverhältnisse" (63). Und: "Wenn das Massenbewußtsein keine befreiende Gesellschaft für sich will..., kann es selbst nach einem Zusammenbruch des kapitalistischen Wertsystems nur eines geben: Kapitalismus, und zwar auferstanden aus den Ruinen, so wie er nach dem Zweiten Weltkrieg...auferstanden ist" (64). Plausibel ist an dieser Argumentation nur, daß Vernichtung der für die Mehrwertproduktion nicht mehr benötigten Menschen die für das Kapital rationellste Lösung wäre. Im übrigen hat man im sogenannten linken Spektrum zu Kompromißbildungen und Leerformeln gefunden wie "Postfordismus" und den "neuen Produktivkrafttyp", um sich nicht den Konsequenzen stellen zu müssen, die aus den Rationalisierungstechnologien für den Kapitalverwertungsprozeß folgen.

Die kybernetische Innovation unterscheidet sich von allen älteren Techniken und Technologien durch ihre Anwendungsbreite. Man wird sie nach Anwendungsfeldern in ihren besonderen Erscheinungen zu spezifizieren haben und jeweils danach fragen müssen, was das für den Verwertungszusammenhang - und aufs engste damit verbunden: stofflich, für die Gesellschaft und das Naturverhältnis bedeutet. So viele Anwendungsfelder, so viele neue Technologien - das ist sachlich falsch, verstärkt dafür aber erwünschten Schein, um dem Kapitalismus unerschöpfliche Innovationsfähigkeit anzudichten.

Datenverarbeitung in ihren vielfältigen Anwendungen dient der Produktion und Vergrößerung relativen Mehrwerts. Sie findet Eingang in Maschinenlauf und -konstruktion, in Arbeitsablauf und -organisation. Was sich dabei herausbildet, ist ein neues Mischungsverhältnis herkömmlicher und neuer Komponenten, aber kein neuer Produktivkrafttyp. Ein modernisiertes Instrumentarium der Mehrwertabpressung geht, sobald es sich verallgemeinert hat und das heißt aufhört, einzelnen Kapitalen Verwertungsvorsprünge im Konkurrenzkampf zu sichern, in den allgemeinen Bedingungszusammenhang von Kapitalverwertung mit ein. Als Rationalisierungstechnologie ersetzt die Neuerung lebendige Arbeit und mindert um so viel, wie sich die organische Zusammensetzung des Kapitals dadurch erhöht, die Mehrwertrate, was nur durch Wert- und Mehrwertübertragung zeitweilig kompensiert (und überkompensiert) werden kann.

Informations- und Kommunikationstechnologien werden als infrastrukturelle Systemtechnik in großem Stil vermarktet, vor allem in Verbindung mit herkömmlichen Netzwerken und deren Trägern wie im Verkehrswesen und in der Nachrichtenübermittlung. Infrastrukturelle Anlagen und deren Elemente finden ihren "natürlichen" Interessenten und Abnehmer im Staat. Das ist in der Regel auch der Rahmen, innerhalb dessen Geschäfte des metropolitanen Kapitals mit Drittländern getätigt werden. Die Größenordnung dieser Geschäfte ist durch die Enge der Märkte außerhalb der Metropolen und durch die Höhe der Staatsverschuldung auf seiten von Kreditnehmer- und -geberländern limitiert. Auf dem inneren Markt wird Infrastruktur rücksichtslos dem Verwertungsinteresse der High-Tech-Kapitale untergeordnet.

Es liegt im Wesen der neuen Produktionstechnologien, ihre Produkte durch Varietäten zu bereichern, womit einem Bedürfnis nach Pseudoindividualisierung durch Konsum, insbesondere für Güter des gehobenen und Luxuskonsums, gedient ist. Aus fertigungstechnischen Neuerungen ergeben sich arbeitsorganisatorische Veränderungen. Ein Ende der Massenproduktion ist dadurch nicht eingeläutet worden und auch nicht der Fließbandfertigung. In der Gruppenarbeit findet die industrielle Disziplinierung durch das Kapital als Selbstdisziplinierung der Lohnarbeiter und Lohnarbeiterinnen ihre Vollendung. Und Flexibilisierung der Arbeitszeit heißt nicht, daß den Arbeitenden die Verfügungsmacht über ihr Zeitbudget zugestanden würde, sondern daß ihr Zeitbudget der Verfügungsgewalt des Kapitals so total unterworfen wird wie noch nie.

Fordismus und Postfordismus sind Unbegriffe, weil sie in keiner Weise geeignet sind, der Komplexität der Prozesse Rechnung zu tragen. Zunächst assoziiert Fordismus ja das warenförmige Produkt, das mit der Person des Namenspatrons verbunden ist. Dahinter steht die Banalität, daß Kapitalakkumulation Warenproduktion zur Voraussetzung hat, die an tatsächlich existierende Bedürfnisse anknüpft; im Falle des Automobils war es das nach Mobilität. High-Tech knüpft nicht an existierende Bedürfnisse an - wenn man einmal von kriegsbedingten Interessen, dem Manhattan-Projekt und dem unersättlichen Bedarf der Staaten nach immer raffinierteren Tötungswerkzeugen und -instrumenten absieht -, sondern muß sich einen Markt für seine Produkte schaffen. Bis hin zu der verzweifelten Anstrengung, Information als solche als Wert zu kreieren, sei sie auch noch so nichtig, gleichermaßen für individuelle wie gesellschaftliche Belange. Und der immer lauter erschallende Ruf nach Innovation meint vor allem Produktinnovation, weil Kapitalverwertung die Vermehrung der Tauschwertmasse in Gestalt vergrößerter Warenberge zur Voraussetzung hat. Die Verbeugung vor dem Fetisch Innovation nimmt groteske Züge an, wenn Manager dafür verklagt werden, daß sie ihre Managementpflichten im Rationalisierungswettbewerb und bei der Produktinnovation versäumt hätten.

Der metropolitane Staat tut, was er kann, um den High-Tech-Kapitalen dienstbar zu sein. Dazu gehört die Digitalisierung des Bildungswesens, was auf dessen virtuelle Abschaffung hinausläuft. Weil der Kleinvermarktung elektronischer Kreationen Grenzen gesetzt sind, bedient der Staat das Kapital, indem er Infrastruktur verscherbelt. Anbieter und Abnehmer von Systemtechnik werden dadurch miteinander vertrustet. Privatisierung von Infrastruktur und zunehmende Staatsverschuldung, wobei für den kapitalistischen Staat das eine als Begründung für das andere herhalten muß, stehen beide in ursächlichem Zusammenhang mit der Akkumulationsschwäche des Kapitals.

Die gegenwärtige Zwischenkonjunktur ist eine Exportkonjunktur, abgestützt durch das "fordistische" Produkt Automobil. Daß die Automobilisierung der Weltgesellschaft der Menschheit den Klimatod bringen dürfte, hat für das Kapital bis zur letztmöglichen Profitrechnung keinen Schrecken. Wenn ausgerechnet der Automobilbau mit der beschönigenden Phrase vom Produktivkrafttyp bedacht wird, ist das in Anbetracht des Produkts makaber. Umwelttechnologien geben mit der einen Hand, was sie mit der anderen in Gestalt höherer Preise und Gebühren, etwa für Wasser, Abwasser, Abfallbeseitigung, nehmen. Sie erhöhen die Zahl der Arbeitsplätze und die der Exmittierungen, weil sie Einkommen schmälern durch Teuerung, was sich für die am unteren Ende der gesell- schaftlichen Pyramide verheerend auswirkt. Die kapitalistische Waren- und Wegwerfgesellschaft hinterläßt eine schlimme Hypothek, die Ökoreparatur notwendig macht; ein Grund, sie zur Zukunftsbranche hochzuloben, ist das nicht.

Akkumulation von Kapital ist Zuschlag von Mehrwert zu einem gegebenen Kapital und stellt sich dar in einer Vergrößerung des Produktionsapparates. Andernfalls handelt es sich nicht um Akkumulation, sondern um Schatzbildung oder um Aufschatzung spekulativer Titel. Die Ausdehnung in der Stufenleiter großtechnischer Produktionen liegt so unmittelbar im Akkumulationsinteresse des Kapitals. Auf die großtechnologisch engagierten Kapitale konzentriert sich auch die Förderpraxis des Staates in ihren vielfältigen Formen, direkten und indirekten, von den Aufwendungen für Wissenschaft und Forschung bis zur Direktsubvention. Fragt man nach den Ursachen, die dafür maßgebend sind, daß sich die Geschwindigkeit, mit der sich Rationalisierungstechnologien durchsetzen, so beschleunigt hat, wird man als erstes an die Verschärfung der Konzernkonkurrenz, insbesondere nach Öffnung der Ostmärkte, zu denken haben, als zweites an die Verwohlfeilerung der Produktions- und Produktkomponenten. Der Wertteil, der auf das einzelne Warenprodukt übertragen wird, ist mit fortschreitender Rationalisierung immer kleiner geworden. Daraus ergibt sich der Zwang zur Vergrößerung des Produktionsvolumens und zur Ausdehnung der Märkte. Die Großen geben den Preisdruck, dem sie selbst in der Weltmarktkonkurrenz ausgesetzt sind, an die Kleinen, die Zulieferindustrien, weiter, womit zugleich die Nötigung zu fortschreitender Rationalisierung weitergegeben wird. In den Nationen, die relativ spät zu Eigenkapitalbildung und Industrialisierung gefunden haben, werden ganze Stufen technologischer Entwicklung übersprungen. Das Kapital in diesen Ländern muß, um auf dem Weltmarkt mitkonkurrieren zu können, an die letzten technologischen Standards anknüpfen. Dabei ist es häufig in der Lage, ein niedrigeres Lohnniveau als Kostenvorteil für sich ausspielen zu können. Zur Zeit deutet nichts auf eine Abschwächung des Tempos hin, mit dem sich Rationalisierungstechnologien in Produktion, Distribution und Dienstleistung durchsetzen.

Das Kapital vermehrt sich nicht durch Produktvermarktung, sondern durch Zuschlag von Mehrwert zum Kapitalstock. Der Realisierung von Wert und Mehrwert durch Warenverkauf auf dem Markt geht die Produktion von Mehrwert durch Aneignung von Mehrarbeit vorauf. Unabhängig davon, wie sich Arbeit für die Reproduktionskosten und Mehrwert, der den Anwendern der Arbeitskraft zufällt, teilen: sinkt der Anteil lebendiger Arbeit am Wertprodukt absolut, vermindert sich relativ dazu auch der Mehrwert. Überlagert wird dieser Grundvorgang durch die verschiedenen Formen des Werttransfers und konjunkturelle Faktoren. Hier ist insbesondere an Markterweiterungen zu denken, die eine Ausdehnung des Produktionsvolumens gestatten, wodurch der schwindende Mehrwertanteil am Wertprodukt durch erhöhten Absatz kompensiert wird. Illustriert wird das durch die sogenannte Wiedervereinigungskonjunktur in Deutschland und im globalen Maßstab an den In-Wert-Setzungsprozessen in den Ländern des Ostens und Südens durch kapitalistische Kolonisierung. Kapitalistische Kolonisierung ist von nationaler Kapitalbildung zu unterscheiden. Treten bei nationaler Kapitalbildung die Mehrwertproduzenten der verschiedenen industriekapitalistischen Sektoren miteinander in Verkehr, so handelt es sich bei kapitalistischer Kolonisierung um die Verschleuderung und den Ausverkauf von Werten seitens der Kolonisierten zugunsten von Waren- und Kapitalgüterimporten aus dem Metropolengürtel. Was daraus folgt, sind zeitweilige Extraprofite für die beteiligten Großkonzerne, Handelsketten und Kreditinstitute, die Illusion einer auf Dauer gestellten Exportkonjunktur, verschärfte Absatzkonkurrenz, schließlich Marktsättigung und Marktschrumpfung, weil kapitalistische Kolonisierung die Chance zu nationaler Kapitalbildung - Bedingung sogenannten selbsttragenden Aufschwungs - untergräbt.

Die Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals, die ihre Basis in einer schrumpfenden Mehrwertproduktion haben, manifestieren sich in relativ schrumpfenden Märkten und einer Überakkumulation von Kapital. Überakkumuliertes Kapital ist solches, das keiner produktiven Verwendung zugeführt wird, weil der Ertrag, würde es produktiv angewandt, unterhalb der Schwelle durchschnittlicher Profiterwartung bliebe. Die manifesteste Form von Überakkumulation sind unausgelastete Kapazitäten. "Im Kapitalismus hört die Produktion von Gebrauchswerten auf, wann und wo immer sie nicht als Tauschwerte fungieren können" (Mattick, S. 201). Die staatlich aufgekauften Warenberge sind ein Fall von Subvention, in der Regel zum Ausgleich von Disparitäten in der Wertproduktion. Weiter wird man bei Überakkumulation an das Fluchtkapital zu denken haben, das in die Immobilienspekulation ausweicht oder in das festverzinsliche Wertpapier. Dagegen sind auf künftige Profitabilität gezogene Wechsel, wie sie sich u.a. in Kursnotierungen an der Börse ausdrücken, kein oder durch Hyperspekulation nur bedingt überakkumuliertes Kapital.

Reformalternative träumen von einem regulierten Kapitalismus, dessen Möglichkeit für sie nicht in Frage steht, ob nun als Aushilfs- oder endgültigem Bescheid. Der Idee eines regulierten Kapitalismus hat der sozialwissenschaftliche Diskurs auf vielfältige Weise Vorschub geleistet. Immer läuft es dabei auf Verabsolutierung und Vereinseitigung hinaus, was die Rolle des Staates und/oder die Nachfrageseite für die Kapitalakkumulation betrifft. Tatsächlich werden aber variable Größen nicht zu Invarianten, solange Kapitalverwertung die Invariante ist. Was für das Kapital unverträglich ist, ist es auch für den Staat als dessen Kostgänger. Der Begriff des staatsmonopolistischen Kapitalismus war und bleibt insofern irreführend, als er zusammenwirft, was nach dienender und dominierender Funktion unterschieden ist. Der "keynesianische" Staat hat den Klassenantagonismus auf Zeit und für eine ganze Epoche pazifiziert, nicht weil er den Kapitalismus reguliert hätte, sondern weil er durch Ausweitung des Kreditrahmens Kapitalexpansion und -akkumulation beschleunigt hat. Damit verband sich Vollbeschäftigung und insofern eine Stärkung der Position der Lohnarbeit gegenüber dem Kapital. Sichtbarer Ausdruck dafür, daß die Arbeitskraft nach ihrem Wert bezahlt wurde - und nicht darunter - war, daß sich die Lohnrate am Produktivitätszuwachs orientierte. Nur wer den Kapitalismus schönreden will, wird hier von "Regulation" sprechen können. Der Beitrag der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung bestand darin, die Lohnrate auf dem Niveau des Produktivitätszuwachses zu stabilisieren, womit sie sich gewerkschaftliche Stärke in einer Prosperitätsphase zu nutze gemacht hat, ohne den von den Akkumulationsbedingungen gesetzten Rahmen zu überschreiten. "Sozialpartner" sind Kapital und Arbeit dadurch nicht geworden und können es nicht werden.

Kaufkräftige Nachfrage ist eine Funktion von Kapitalakkumulation und nicht umgekehrt. Das Lohneinkommen als gesamtgesellschaftliche Größe steht in Wechselbeziehung mit dem Produktionsvolumen, nicht aber mit dem Mehrwert, der als Profit realisiert werden muß und wovon letztlich abhängt, ob produziert wird und was wo. Es nutzt nichts zu sagen, daß ein erhöhtes Beschäftigungsniveau vermehrtes Lohneinkommen und dadurch erhöhte Konsumnachfrage bedeutet. Ein vergrößertes Produktionsvolumen kann bei sonst günstigen Verwertungsbedingungen (z.B. nach Vernichtung fungierenden Kapitals durch Kriege und Krisen) die Mehrwertproduktion stimulieren; als solches birgt es aber für das Kapital nur die Chance, verbrauchte Wertteile (Abschreibung, Lohnkosten) auf erweiterten Märkten schneller zu ersetzen.

Das Plädoyer für Nachfragepolitik will dem Kapital unentwegt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Beschäftigungsniveau/ kaufkräftiger Nachfrage und Mehrwertproduktion einreden, den es so nicht gibt. Vollends außerhalb von Kapitalverwertung ist Beschäftigung durch die öffentliche Hand angesiedelt.

Was ist von Vorschlägen zu halten, die darauf hinauslaufen, Massenkaufkraft durch Umverteilung in den staatlichen Haushalten zu schaffen? So wünschenswert die Liquidation der Rüstungs- und Militäretats und Streichungen im Verkehrsetat um Ausgabeposten für Straßenbau und Privatverkehr wären - und darum weiter politisch gekämpft und gestritten werden muß -: am Dilemma ändern sie nichts. Staatsausgaben bleiben Staatsausgaben und sind für die Wertproduktion unproduktiv. Was man durch Umverteilung nach der einen Seite hin als Zuwachs von Beschäftigung und Kaufkraft geben kann, nimmt man auf der anderen Seite.

Alle Aussagen, die sich auf Beschäftigungsverhältnisse beziehen, sind borniert, sofern sie von globalen Indikatoren für die weltweite Beschäftigung und Unterbeschäftigung abstrahieren; und ebensowenig läßt sich von quantitativen und qualitativen Veränderungen im Dienstleistungssektor absehen. Alles deutet darauf hin, daß industrielle Beschäftigung in den letzten Jahren absolut und relativ zur Zahl der Dienstleistenden in formellen Beschäftigungsverhältnissen zugenommen hat - global gesehen. Mehrwertproduktion bei Niedrig- und Niedrigstlöhnen in den Peripherieländern und Semiperipherien steht Arbeitplatzabbau in der kommerziellen und öffentlichen Dienstleistung gegenüber, wo Rationalisierung durch Computerisierung ebenso Einzug gehalten hat wie in der industriellen Produktion. Andererseits hat die Koexistenz von permanenter Unterbeschäftigung und wachsendem sozialparasitärem Reichtum den Boden für die Restauration patriarchaler Dienstherrenverhältnisse bereitet.

Informelle Dienstleistungsverhältnisse tragen nicht zur Mehrwertproduktion bei, sie werden aus der Revenue bestritten, wobei ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung um so größer ist, je mehr überakkumuliertes Kapital in Revenue verwandelt und als solche verausgabt wird. Ebenso irrelevant ist öffentliche Dienstleistung für die Mehrwertproduktion, da sie so oder so aus dem Steueraufkommen beglichen werden muß. Die in das industrielle Einzelkapital integrierte Dienstleistung gehört zu den faux frais, den Unkosten der Produktion, mindert um soviel den Mehrwert, statt ihn zu mehren, so unerläßlich sie auch für Produktvorbereitung und Vermarktung (Mehrwertrealisierung) ist. Bleibt die Frage nach der Rolle, die das alte und neue Dienstleistungskapital im Verwertungsprozeß des gesellschaftlichen Gesamtkapitals spielt. Im Begriff einer Dienstleistungsgesellschaft, die an die Stelle der industriellen ganz oder teilweise getreten sei, fließen alle Bestimmungsmomente trübe ineinander.

Wenn man einmal von kleingewerblichen Dienstleistungskapitalen absieht, ist kapitalistische Dienstleistung von jeher im Bankenund Versicherungsgewerbe beheimatet. Darein involvierte Kapitale sind unerläßlich durch ihre Funktion für Reproduktion und Akkumulation des gesamtgesellschaftlichen Kapitals, wie gering auch immer ihr eigener Beitrag zur Mehrung des gesamtgesellschaftlichen Mehrwerts sei. Im Fall des Dienstleistungskapitals geht es im Gegensatz zum industriellen nicht um die Darstellung eines Mehr oder Minder vergegenständlichter Arbeitszeit im Produkt, wovon Verwertungskonkurrenz und Produktinnovation zugleich vorwärtsgetrieben werden. Mit anderen Worten: das Dienstleistungskapital hat nicht an der Produktion relativen Mehrwerts teil, auch wenn es sich selbstredend alle gesellschaftlich verallgemeinerten Kreationen zu nutze macht, die das industrielle Kapital zu einem gegebenen Zeitpunkt bereitstellt.

Was sich zum Profit des Dienstleistungskapitals saldiert, ist umverteilter Mehrwert, anteilig umverteilt aus dem gesamtgesellschaftlichen Mehrwert entsprechend den respektiven Kapitalgrößen, und abgeschöpfter absoluter Mehrwert aus der Anwendung der Dienstleister, der für diese als unbezahlte Arbeit und/oder als Arbeit zu unterdurchschnittlichen gesellschaftlichen Arbeitsbedingungen zur faßbaren Größe wird, im übrigen aber als Posten in der Gesamtwertrechnung des Kapitals verschwindet. In diesem Zusammenhang sei an Ausführungen Ernest Mandels zur Logik der Kapitalbewegungen zwischen brachliegendem (überakkumuliertem), Dienstleistungs- und produktivem (industriellem) Kapital erinnert: "Die Logik des Kapitals geht also darauf aus, brachliegendes Kapital in Dienstleistungskapital umzusetzen und gleichzeitig Dienstleistungskapital durch produktives Kapital, d.h. Dienstleistungen durch Waren zu ersetzen‹ (Hervorh. Mandel): Transportdienste durch Privatautos; Theater- und Filmdienste durch private Fernsehapparate; morgen Fernsehdienste und Erziehungsdienste durch Video-Kassetten usw.... Das Kapital kann eine Sättigung mit materiellen Gütern genausowenig überleben wie eine Ausschaltung lebendiger Arbeitskraft aus der materiellen Produktion... Als nächsten Albtraum empfehlen wir die Vorstellung des massenhaften Wiedereindringens von Warenverhältnissen in die Medizin- und Chirurgiesphäre (im Unterschied zur Pharmazeutik), mit Kauf und Verkauf von Körperteilen und -organen, komplett mit Konkurrenz, Profitmaximierung und Vermittlungs-, Versand-, Aufbewahrungs-, Kredit- und Reparaturdiensten..." ("Der Spätkapitalismus. Versuch einer marxistischen Erklärung", Ffm. 1972, 371). Beiläufig kann man diesem Zitat entnehmen, daß sich das Kapitalverwertungskarussel immer schneller dreht. Was eben noch Albtraum, ist von der Wirklichkeit längst eingeholt.

Reformalternative und Radikalreformer, die Geld- und Realakkumulation einander entgegensetzen, das eine mit negativem, das andere mit positivem Akzent, bewegen sich innerhalb der Logik des Kapitals, statt darüber aufzuklären. Was sie Realakkumulation nennen, hat an der wachsenden organischen Zusammensetzung und dem Profitratenfall seine unerbittliche Grenze. Freilich lassen sich Profitraten nicht aus einschlägigen Wirtschaftsstatistiken extrapolieren, die mit Preisen, nicht mit Werten rechnen und obendrein in dem Sinne verfälschen, als sie für die Akkumulationspotenz industrieller Kapitale wenig aussagekräftig sind, die zu bevorzugten Empfängern staatlicher Alimentation in ihren vielfältigen Formen geworden sind.

Keine wundersam neue Art oder Quelle von Kapitalproduktivität liegt der Aufschwellung des Dienstleistungskapitals durch Privatisierung von Infrastuktur zugrunde, sondern das vom Staat bediente Bedürfnis des Kapitals nach Abzugskanälen für überakkumuliertes Geldkapital. Dabei vollziehen sich die spektakulärsten Eigentumswechsel in der Form der Verwandlung öffentlichen, kommunalen oder staatlichen, Eigentums in börsengehandeltes Aktienkapital. Es ist nur eine Frage von Fristen, daß sich die entsprechenden Eigentumstitel in den Händen der stärksten Finanzkapitale, die von Anfang an als Hauptanteilseigner in der Vorhand sind, konzentrieren. Von dem Trug, daß es auf den Finanzmärkten demokratisch zuginge, zehrt vorläufig noch die relativ starke gesellschaftliche Akzeptanz der Verschleuderung öffentlichen Eigentums. Mit den neuen Dienstmädchen- und Dienstbotenjobs kehren unmittelbare patriarchale Abhängigkeitsverhältnisse zurück und privatisierte Infrastruktur wirft deren Eigentümer zu neuen Tributherren auf, worin sich nicht weniger die Transformation kapitalistischer Produktionsverhältnisse zu solchen quasifeudaler oder neofendaler Art ankündigt. Bei Marx heißt es an einer Stelle im III. Band des "Kapital" einmal: "Und sobald die Kapitalbildung ausschließlich in die Hände einiger fertigen Großkapitale fiele, für die die Masse des Profits die Rate aufwiegt, wäre überhaupt das belebende Feuer der Produktion erloschen" (MEW 25, 269). Vorgedacht ist darin eine Verfassung der Gesellschaft, in der es nur noch um Aneignung geht, den Raub der Werte, weil die Neuproduktion von Mehrwert aufgehört hat.

Um abzuschätzen wie nah oder fern der Zeitpunkt für sogenannte negative Wachstumsraten, also für eine Schrumpfung des industriekapitalistischen Produktionsvolumens ist, muß man sich die Umstände und Bedingungen vergegenwärtigen, auf denen vorerst noch dynamisches Marktgeschehen beruht. Außerhalb des Metropolengürtels, also in Afrika und großen Teilen Asiens, in Osteuropa und Lateinamerika sind die Absatzmärkte jenseits von Kolonisierungskonjunkturen nur so groß wie sich die Zahl der einheimischen Industriekapitalisten vermehrt und der Staat als Abschöpfer von Mehrwert und Käufer in Erscheinung tritt. Zur Konsolidierung solcher Märkte ist eine ins Immense gesteigerte Ausbeutungrate kaum ausreichend. Wofern es überhaupt zu Ansätzen nationaler Kapitalbildung kommt, findet sich das nationale Kapital in Konkurrenz mit den überlegenen transnationalen Kapitalen um dieselben Märkte und Marktsegmente. Die zahlungsfähige Nachfrage der ganzen Welt dürfte bei voller Kapazitätsauslastung heute gut und gerne von den Kapitalen der Triade - also denen der USA, Japans und Westeuropas - bedient werden können.

Zugang zum Industriekapitalismus haben die südostasiatischen Neuankömmlinge durch Kapitalimport und Warenexport gefunden. Da ihre Binnenmärkte klein und z.T. sehr klein sind, sind sie weit stärker vom Export abhängig als die älteren Metropolen. Der Liberalisierung des Welthandels, der sie sich aufgrund ihrer Exportabhängigkeit nicht entziehen können, setzt das Kapital dieser Länder verschärften Konkurrenzbedingungen aus, worauf es mit Versuchen zur Steigerung der Ausbeutungsrate reagiert, wie der Angriff auf Errungenschaften der Industriearbeiterklasse Südkoreas 1997 und später illustriert. Eine sogenannte Wachstumsregion ist Südostasien vor allem aus der Außenperspektive, unter dem Aspekt der Marktexpansion seitens der metropolitanen Kapitale. Solche Expansion, wenn sie gelänge, liefe im Endeffekt auf das Gegenteil wachsender Marktdynamik hinaus, auf Marktschrumpfung, Entwertung und Vernichtung südostasiatischer Kapitale, wie sie sich unter teilweise stark protektionistischen Praktiken in den letzten Jahrzehnten gebildet haben.

Von allen Ausbeutungs- und Wertübertragungsprozessen profitieren die stärksten Kapitale am meisten; und sie sind in den USA, Westeuropa und Japan beheimatet. Wo es einen breiten gewerblichen Mittelstand gibt, trägt dieser entscheidend zur Mehrwertproduktion bei, auch wenn ihm - nach den Ausgleichsbewegungen zur Durchschnittsprofitrate - nur der seiner Kapitalgröße entsprechende Profitanteil zufällt. Im Unterschied zu den kleinen Kapitalen partizipieren die großen direkt an den weltweiten Ungleichheits- und Ungleichzeitigkeitsverhältnissen und fangen zugleich überproportionale Anteile aus der gewerblichen Mehrwertproduktion ihrer Region bzw. ihres Landes ab.

Werttransfers und bedingungsweise Markterweiterung für Waren und Kapitalgüter setzen nicht das aus zunehmender Arbeitsproduktivität oder wachsender organischer Zusammensetzung des Kapitals folgende Gesetz vom Fall der Durchschnittsprofitrate außer Kraft, das Marx wohlweislich als Tendenzgesetz formuliert hat. Vielmehr macht sich in ihnen nur der Zwang zur Vergrößerung der Profitmasse bei sinkender Durchschnittsprofitrate geltend. Das Bestreben der Einzelkapitale, möglichst große Anteile vom gesamtgesellschaftlichen Mehrwert abzufangen, treibt den Zentralisationsprozeß zu immer riesenhafteren Unternehmenseinheiten voran, zwangsläufig begleitet von Entwertung und Vernichtung produktiver Kapitale, die aus der Kapitalkonkurrenz ausscheiden. Kapitalentwertung als Zerstörung produktiver Potenzen und Potentiale läuft auf relative und schließlich absolute gesellschaftliche Verarmung hinaus, wozu Luxuskonsum bei gleichzeitiger Ausdehnung der dafür bestimmten Produktionsfelder nicht im Widerspruch steht.

(12) Einfache Warenwirtschaft ist der logische Ausgangspunkt im "Kapital". Dadurch wird die Wert- und Geldtheorie des "Kapital" natürlich nicht zur Theorie einer eigenen historischen Formation, genannt einfache Warenwirtschaft oder -produktion. Warentausch nach dem Wertgesetz setzt die Reduktion qualitativer zu abstrakt allgemeiner Arbeit voraus. Darin ist als logisch Erstes das Kapitalverhältnis mitgesetzt. Daraus folgt, daß es Warenproduktion nach dem Wertgesetz vorkapitalistisch nicht gegeben hat. Was nicht daraus folgt ist, daß es keine einfache Warenproduktion gegeben hätte, und auch nicht, daß Arbeitsverausgabung kein qualifizierendes Moment beim Warentausch gewesen sei. Wären Engels Ausführungen (im Nachtrag zu "Kapital III", MEW 25, 898ff.) als Erinnerung daran zu verstehen, würde ich für Widerspruch keinen Anlaß sehen. Gäbe man nicht zu, daß Preisbildung auch vorkapitalistisch ein reales Substrat gehabt habe, liefe das auf die Unterstellung blanker Willkür hinaus, worein sich letztlich auch die Vorstellung von Preisbildung durch Konvention auflöst. Mit Sicherheit dürften konventionelle (subjektive) Wertschätzungen beim vorkapitalistischen Warentausch eine bedeutende, zu Zeiten vielleicht sogar ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Der harte, rationelle Kern - verausgabte Arbeitskraft mit der Zeit als Maß - demgegenüber zufälliges Moment. Für diese Vermutung spricht auch, daß die Arbeitskraft und das Zeitbudget der Unfreien und Abhängigen für die gesellschaftlich jeweils dominierenden Schichten frei verfügbar waren, nur physiologisch grenzbestimmt.

Die Marktsozialisten benötigen die Fiktion eines Wertgesetzes vor dem Wertgesetz, um damit ihr Gespinst einer Warenwirtschaft ohne die Gebrechen des Kapitalismus oder eines Kapitalismus ohne Kapitalismus zu beglaubigen. Demgegenüber wäre daran festzuhalten, daß entwickelte Warenwirtschaft, Entqualifizierung der Arbeit mit der Zeit als ihrem Maß, Massenproduktion und Mehrwertabschöpfung ein strukturelles Ganzes bilden. Die Vorstellung einer Warenproduktion selbstwirtschaftender kleiner Produzenten, die auf dem Markt ihre Produkte tauschen, war immer eine Utopie (bzw. methodische Abstraktion zu analytischen Zwecken), auch wenn sie wie in der Französischen Revolution zu den historischen Sprengsätzen gehört hat. Motor entwickelter Warenproduktion ist nicht, daß jeder zu dem Seinen kommt in Konkurrenz um die Optimierung des Vermarkteten, sondern Aneignung des Surplusprodukts aus fremder Arbeit.

Marx hat das allgemeine Äquivalent, das die Warenzirkulation vermittelt, werttheoretisch abgeleitet. Er nimmt die Materiatur des Zirkulationsagenten (Gold; Silber), sobald er sich jenseits unmittelbaren Produktentauschs festgesetzt hat, nicht nur für ein Arbeitsprodukt, sondern auch quantitativ bestimmt durch die zu seiner Produktion verausgabte Arbeitszeit. Darin ist schon abstrakt allgemeine Arbeit als wertbildend unterstellt. Tragen Marx' Analysen den widersprüchlichen Tendenzen des Wertbildunsprozesses genügend Rechnung - so wäre sinnvoller Weise zu fragen. Stattdessen konstruieren Michael Heinrich und andere Differenzen und Widersprüche zwischen Marx und Engels bis hin zu der verstiegenen Behauptung, daß Marx sich selber nicht richtig verstanden habe. Die Destruktion des historischen Materialismus im akademischen Himmel besorgt die Zuarbeit für die pragmatisch verkürzte und pragmatistisch verelendete Praxis.

Genesis und Geltung sind für Marx - wie für Hegel - nicht diskret gegeneinander abgesetzte, sondern ineinander verschlungene Momente. "Gold und Silber sind von Natur nicht Geld, aber Geld ist von Natur Gold und Silber. Einerseits ist der silberne oder goldne Geldkristall nicht nur Produkt des Zirkulationsprozesses, sondern in der Tat sein einziges ruhendes Produkt. Andrerseits sind Gold und Silber fertige Naturprodukte, und sie sind das erste unmittelbar, wie sie das zweite sind, durch keine Formverschiedenheit getrennt. Das allgemeine Produkt des gesellschaftlichen Prozesses oder der gesellschaftliche Prozeß selbst als Produkt ist ein besonderes Naturprodukt, in den Eingeweiden der Erde steckendes und aus ihr ausgrabbares Metall" ("Zur Kritik der Politischen Ökonomie", MEW 13, 131). Es war dem historischen Prozeß, der schließlich zur entwickelten Warenwirtschaft und zum Kapitalismus geführt hat, nicht an der Wiege gesungen, zu welchen Vergesellschaftungsformen der Zusammenschluß von Gesellschaftlichkeit mit einem Naturprodukt treiben würde. Darüber, wie es zu diesem Zusammenschluß hat kommen können, kann man nur spekulieren.

Bergwerksproduktion gehört zu den ältesten Erscheinungsformen industrieller Produktion. Der quantitative Aspekt ist dabei Hauptbestimmungsmoment, wie es sich einerseits im geschürften Edelmetall, das zum Tauschmittel wird, darstellt; andererseits in der Einfachheit des Produktionsprozesses, der die aller sonstigen Qualitäten bare Zeit als Maßeinheit nahelegt.- Mit der Preisgaabe des Goldstandards, so könnte man mit Marx sagen, ist dem gesellschaftlichen Prozeß seine Naturbasis aufgekündigt worden.

Marx ging es darum, den Begriff des Werts nicht in funktionale Bestimmungen ohne materiales Substrat aufgehen zu lassen; der marxistisch-leninistischen Offizialdoktrin um Ontologisierung der Geschichte. Die Hypothese der einfachen Warenproduktion eskamotiert das kritische Ferment der Werttheorie. Mit dem zur Universalie ausgedünnten Wertgesetz wurde apologetisch operiert, woraus dann die Ideologen des Marktsozialismus nur die letzten, restaurativen Konsequenzen gezogen haben. Umgekehrt hat der kritische Impuls der Linken ursprünglich die Demontage der dogmatisch verhärteten und verdinglichten Begriffe intendiert, um den kritischen Gehalt der Werttheorie freizulegen, mit doppelter Stoßrichtung: gegen den Staats- und Privatkapitalismus. Dieser kritische Impuls hat sich dann schnell in akademischen Haarspaltereien verloren, wie man beim Studium von Beiträgen in der edition-suhrkamp-Reihe "Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie", 1974 - 79, feststellen kann.

Der Vorwurf des Empirismus gegenüber Marx und Engels richtet sich gegen den von ihnen versuchten Brückenschlag zwischen Wert und Preis - Wesen und Erscheinung. Die Frage eskaliert am Kulminationspunkt des Abstiegs vom Abstrakten zum Konkreten, beim Übergang vom Wert zum Produktionspreis. Die Aporie, die sich hier auftut, ist, daß alle Elemente, die in den Produktionspreis eingehen, ihrerseits auch nur Repräsentanten von Wert - nicht Wert unmittelbar - sind. Marx stellt sich das Problem in "Kapital III" bei Erörterung der Bildung des Produktionspreises aus Kostpreis und Durchschnittsprofit.

"Der Kostpreis einer Ware bezieht sich nur auf das Quantum der in ihr enthaltnen bezahlten Arbeit, der Wert auf das Gesamtquantum der in ihr enthaltnen bezahlten und unbezahlten Arbeit; der Produktionspreis auf die Summe der bezahlten Arbeit plus einem, für die besondre Produktionssphäre unabhängig von ihr selbst (Hervorh. von mir), bestimmten Quantum unbezahlter Arbeit" (MEW 25, 175).

"Der Produktionspreis der Ware ist also gleich ihrem Kostpreis plus dem, entsprechend der allgemeinen Profitrate, prozentig ihm zugesetzten Profit, oder gleich ihrem Kostpreis plus dem Durchschnittsprofit" (ebd. 167).

"Der Produktionspreis einer Ware ist aber für den Käufer derselben ihr Kostpreis, und kann somit als Kostpreis in die Preisbildung einer andren Ware eingehn. Da der Produktionspreis abweichen kann vom Wert der Ware (ich würde sagen: in der Regel abweichen wird), so kann auch der Kostpreis einer Ware, worin dieser Produktionspreis andrer Ware eingeschlossen, über oder unter dem Teil ihres Gesamtwerts stehn, der durch den Wert der in sie eingehenden Produktionsmittel gebildet wird. Es ist nötig, sich an diese modifizierte Bedeutung des Kostpreises zu erinnern, daß, wenn in einer besondren Produktionssphäre der Kostpreis der Ware dem Wert gleichgesetzt wird, stets ein Irrtum möglich ist.... Obgleich er für die besondren Produktionssphären abweichenden Sinn hat, so bleibt immer die Tatsache zugrunde liegen, daß, das gesellschaftliche Gesamtkapital betrachtet, der Kostpreis der von diesem produzierten Waren kleiner als der Wert oder der hier, für die Gesamtmasse der produzierten Waren, mit diesem identische Produktionspreis" (ebd. 174f.).

Also: man hat es im Preisbildungsprozeß immer schon mit dem in Durchschnittsprofit verwandelten Mehrwert zu tun; die Unterscheidung von Kostpreis und Produktionspreis demgegenüber methodische Abstraktion. Ob Kost- oder Produktionspreis - insoweit Waren Fertigprodukte sind, die von der Rohstoffgewinnung an mit Veräußerung und Kauf verbundene Fertigungsstufen durchlaufen, ist Produktionspreis immer das Bildungselement des Kostpreises der nächsthöheren Stufe.

Nur wofern Warenproduktion sich verallgemeinert hat, wird Geld zum Zirkulationsagenten schlechthin. Wo immer kapitalistische Warenwirtschaft noch nicht alle Poren der Gesellschaft durchdrungen hat, existiert ein Nebeneinander von Gebrauchswertökonomie/ Subsistenzwirtschaft und Geldwirtschaft. Von seiten der Gebrauchswertökonomie bedeutet das, daß nur ein Teil der Produkte auf den Markt geworfen wird, dazu bestimmt, Bedürfnisse zu befriedigen, die nicht anders als durch Tauschbeziehungen befriedigt werden können. Um diesem Desiderat nachzukommen, ist sie genötigt, sich in den Besitz des allgemeinen Tauschäquivalents, von Geld, zu setzen, sobald die Tauschakte zeitlich und räumlich auseinanderfallen. Da ihr Produkt erst durch den Tauschvorgang zur Ware wird - nicht als Ware produziert ist (jedenfalls nicht vor Verfestigung gewerblicher Produktion im subsistenzwirtschaftlichen Sektor) -, wird ein Äquivalenzverhältnis durch die Geldware gesetzt, das den preisbereinigten Wertverhältnissen im Waren produzierenden Sektor entspricht. Statt mit Warentausch nach dem Wertgesetz dürfte man es hier mit einer Form von ungleichem Tausch zu tun haben, Wertübertragung durch Inwertsetzung zugunsten des Waren produzierenden Sektors. Also mit einer ersten Form von Werttransfers, der die Subsistenzwirtschaften im Verhältnis zur Warenökonomie verarmen läßt. Bestätigt wird das durch den Gegensatz von Stadt und Land, der die Zivilisation seit Entstehung der Geldwirtschaft begleitet; Konzentration von Reichtum und Wohlstand in den Städten, verarmtes Land.

Bei Michael Heinrich ("Die Wissenschaft vom Wert", Hamburg 1991) wird der Wert zur Tautologie der Tauschabstraktion; Backhaus/Reichelt ("Wie ist der Wertbegriff in der Ökonomie zu konzipieren? Zu Michael Heinrich: 'Die Wissenschaft vom Wert'", in: "Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge", 1995) verflüchtigen den Wert zum Gedankending. Im ersten Fall verliert die Werttheorie ihre Bodenhaftung im historischen Materialismus; im zweiten wird ihr ein unverständiger Idealismus imputiert.

Der Wert, der sich bei einfacher Warenproduktion hinter dem allgemeinen Äquivalent (Preis und Geld) versteckt, versteckt sich bei entwickeltem Kapitalverhältnis hinter dem Produktionspreis. Während in Bezug auf das gesellschaftliche Gesamtkapital gesagt werden kann, daß die Summe der Preise der der Werte gleich sei (wobei freilich vorausgesetzt ist, daß sich Kredit- und Geldschöpfung im Rahmen tatsächlicher Wertschöpfung hält; andernfalls hat man es mit Denominationen zu tun, denen kein Realwert entspricht) - wie steht es damit unter Verhältnissen einfacher Warenproduktion? Offensichtlich kann es einen solchen Zusammenhang - Gesamtsumme der Preise gleich der Gesamtsumme der Werte - hier nicht geben, weil es noch keine durchgängige gesellschaftliche Inwertsetzung gibt, keine Mehrwertproduktion, keine Verflüssigung des Werts in den Ausgleichsbewegungen zur Durchschnittsprofitrate.

Daß mit dem Frühkapitalismus zeitgleich der Arbeitswert durch die klassische politische Ökonomie entdeckt worden ist, zählt zu den stärksten Beglaubigungen der Arbeitswerttheorie. Dagegen gehört die Vorstellung von frei schwebenden Diskursen einer institutionalisierten Intelligenz in der jüngsten Phase des Kapitalismus an. Diese Diskurswelt ist so fiktiv wie das von realer Wertschöpfung abgekoppelte spekulative Kapital.

Geldschöpfung, die sich am sogenannten Sozialprodukt orientiert, ist immer größer als tatsächliche gesellschaftliche Wert- und Mehrwertproduktion, da sie ihren Index an geldwertem Einkommen hat, nicht an der Wertproduktion. Dadurch wird sich der monetäre Geldfonds ständig überproportional zur tatsächlichen Wertschöpfung erhöhen, was sich in der Tendenz zur Erhöhung des allgemeinen Preisniveaus ausdrückt, trotz Verwohlfeilerung der Waren.

1995

(13) Für die multinational operierenden Kapitale sind Nationen und Kontinente "Standorte", die je nach ihrer Eignung zur Steigerung der Mehrwertproduktion gesucht oder gemieden werden. Dafür, daß der gesuchte Standort nicht einfach das Billigstlohnland ist, sorgt nicht zuletzt die hohe Akkumulation von Eigentumstiteln und Vermögen in den altkapitalistischen Ländern. Sie bildet die Basis für abgeleitetes Kapital und dessen Investition in Handel, Kommunikation und Dienstleistung (Banken, Versicherungen, Tourismus). Einzelkapitalen und Kapitalgruppen ist es gleichgültig, ob sie als abgeleitete oder industrielle Kapitale fungieren. Marktnähe ist durch Zugang zu kaufkräftiger Nachfrage definiert und gehört vorläufig noch zum Standortvorteil des metropolitanen Kapitals.

Im Konkurrenzkampf der globalisierten Kapitale geht es um die optimale Variante in der Kombination der Faktoren: Ausbeutung der Arbeitskraft, Ressourcenplünderung und Vermarktungschancen. Standort ist darum zugleich der Name für optimale Verwertungsbedingungen in der Akkumulationskonkurrenz der älteren, euroamerikanischen mit den jüngeren, vor allem südostasiatischen Kapitalen. Durch immer raschere Verallgemeinerung elektronischer und informationstechnischer Neuerungen haben sich die Konkurrenzvorsprünge gegenüber den sogenannten Schwellenländern rapide verkürzt. Das gilt sowohl für die industriellen wie die Dienstleistungskapitale. Die jüngeren nationalen Kapitale partizipieren an der Verwohlfeilerung der Produktionselemente, während für die älteren deren Monopolisierung, wozu Patente und Verschlüsselungen gehören, immer wichtiger wird. Letzteres gilt insbesondere für die in Biotechnik und Genmanipulation involvierten.

Abgeflachte Zwischenkonjunkturen werden in der Weltwirtschaft von heute primär von den traditionellen Industriezweigen getragen wie Automobilbau, Stahl, dazu inzwischen auch Elektronik und Chemie. Daß diese Palette industrieller Produktion noch nicht zum ökologischen Kollaps der Biosphäre geführt hat, ist einzig der mehrheitlichen Armut der Weltbevölkerung zuzuschreiben. Für die Spätankömmlinge nationaler Kapitalbildung ist es allerdings nur eine Frage der Zeit, wann sie die älteren Kapitale in diesen Sektoren ausstechen werden wie es bereits in der Textilbranche und im Schiffsbau geschehen ist. Kapitalbeteiligung in Drittländern mit nationaler Kapitalbildung ist für die metropolitanen Kapitale so zum Gebot der Stunde geworden. Daß diese Kapitalwanderung nicht geringe Risiken enthält, zu Fehlspekulationen führt, wird durch ungewöhnliche Extraprofite oder wenigstens die Aussicht darauf aufgewogen. Unter diesem Aspekt besagt die heimische Standortbeschwörung, daß der Standort kein Standort mehr ist.

Gegen die Aufteilung der Welt in Interessen- oder Einflußsphären der Metropolenbourgeoisien als nationalen spricht, daß sie alle in ihrer Weltmarktposition geschwächt sind. Zur klassischen imperialistischen Strategie gehört Binnenmarktstärke zusammen mit innerer sozialer Befriedung. Der spätbürgerliche metropolitane Staat befindet sich in der Rolle eines Dieners zweier Herren, denen er es nicht gleichzeitig recht machen kann. Da sind auf der einen Seite die Produktionssphären, Industrien und Einzelunternehmen, die der Weltmarktkonkurrenz nicht standhalten können und nach Protektion verlangen; und auf der anderen Seite die multinational und global operierenden Kapitale mit ihrem Interesse an entgrenzten Märkten. Es versteht sich, daß sich auch global operierende Kapitale nationalstaatlich protegieren lassen mit der Folge von Protektionskonkurrenz der Nationalstaaten. Der Staat macht zwischen den einander widerstreitenden Interessen Spagat, was ihm gar nicht bekommt. Wo es kein identisches, wie auch immer fragiles bürgerliches Nationalinteresse gibt, zerfällt der Nationalstaat. Die Großbourgeoisie ist in dem Sinne kosmopolitisch geworden, daß sie ihr Kapital streut, die Währungen nach Marktlage wechselt und in Steueroasen flieht. Wettbewerb heißt in diesem Zusammenhang vor allem Währungskonkurrenz.

Ganz gewiß sind die Ressourcen für Kapitalexpansion zwischen den altkapitalistischen Staaten sehr ungleich verteilt. Wenn nicht alles trügt, schlägt für das US-Kapital noch immer die Binnenmarktgröße in Verbindung mit den weltweiten Niederlassungen zum Vorteil aus. Hinzu kommt als ein in seiner Bedeutung kaum zu überschätzender Faktor, daß die Landwirtschaft dort ihre Produkte zu Preisen auf der Basis der Produktionskosten im wesentlichen vermarktet, dadurch maßgeblich den Weltmarktpreis mitbestimmt und nicht das Staatsbudget durch Subventionszuschüsse in europäischen Dimensionen belastet. Gerade kommt mir eine OECD-Statistik von 1995 zur Hand mit Angaben über den Anteil von staatlichen Subventionen, Preis- und Marktstützungsmaßnahmen am Einkommen der Landwirte; dieser Anteil beträgt in der EU 49%, in den USA 15%; Vergleichsangaben für andere Länder: Japan 77%, Kanada 27%, Australien 9%, Neuseeland 4%.

Wettbewerb bei sehr ungleichen Ausgangsvoraussetzungen ist verzerrter Wettbewerb und läßt sich nach den Rezepturen des stärksten Wettbewerbers zuallerletzt ins Gleichgewicht bringen. Interessant wäre die Frage, ob die Pressionen der US-Administration, die die Administrationen der anderen Staaten zur Preisgabe von Protektionen nötigen (wollen), ökonomische Stärke des US-Kapitals ausdrücken oder nicht vielmehr auch umgekehrt von dessen relativer Schwäche zeugen. Je höher die organische Zusammensetzung des Kapitals und die Stufenleiter der Produktion, umso zwingender die Ausweitung von Produktion und Absatzmärkten zur Kompensation des Profitratenfalls. Immerhin sind die USA dasjenige Land, in dessen Ökonomie die Tendenzgesetze des Kapitals bei weitgehender Abwesenheit von Staatsinterventionen am unverfälschtesten durchschlagen dürften. Die USA imitieren die Rolle Englands im 19. Jahrhundert als Freihandelsvormacht, aber ohne dessen privilegierte Weltmarktstellung. Die anderen Staaten, vertreten durch ihre mediokren Administrationen, spielen dabei mit im Interesse der stärksten Kapitale weltweit und im eigenen Land.

Ausführlicher Diskussion bedürfte, was heute so falsch und ideologisch unter "Fordismus" läuft: die reproduktive Rolle des Staates für die Ökonomie. Neu daran ist im 20. Jahrhundert nur die immense Erweiterung des staatsinterventionistischen Instrumentariums über handelspolitische Regulationen wie den Schutzzoll hinaus. Wobei man es mit verschiedenen Formen des Staatseingriffs zu tun hat, die nach Zeit, Ort und Reichweite außerordentlich variieren. Im Rückblick auf das Jahrhundert kann man sicher nicht von einem kontinuierlichen Zuwachs staatlicher Verfügungsmacht sprechen. Dafür haben sich aber mit den verschiedenen Formen oder Stadien des Staatsinterventionismus immer wieder Erwartungen, theoretische Konzeptualisierungen und politische Optionen verbunden, denen definitive Bestätigung oder Erfüllung nicht zuteil geworden ist. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an kriegswirtschaftliche Planifikationen und daran geknüpfte Erwartungen und Illusionen, einschließlich ihrer paradigmatischen Bedeutung für Lenins Konzeption eines transformatorischen Staatskapitalismus; an "Kriegssozialismus" als rechtssozialdemokratischen Hoffnungsträger im 1. Weltkrieg; Keynes Konzepte für die Zeit nach dem 2. Weltkrieg; aber auch an den "Autoritären Staat" Horkheimers und die "verwaltete Welt" (Adorno). Hierhin gehören Reflexionen über die nationalen Autarkiebestrebungen der zwanziger und dreißiger Jahre; das unmittelbare Echo, das New Deal etwa bei den Frankfurtern in den USA gefunden hat; das von Mattick diskutierte Instrumentarium staatlicher Kreditfinanzierung und seine heute so sichtbaren Grenzen.

(14) Zu den dringendsten Desideraten dessen, was aufzuklären ist, rechne ich die Entkopplung von Wertschöpfungsprozeß und monetären Deckungsäquivalenzen, wie sie einmal durch Goldproduktion und -aufschatzung existent gewesen sind. Die Frage nach der Rolle von Kreditgeld für den Verwertungsprozeß stellt sich anders bei gedeckter als bei ungedeckter Währung. An die Stelle quasi natürlicher Restriktionen für den Kreditrahmen treten gesellschaftliche, letztlich nur limitiert durch Manipulationen im kapitalistischen Gesamtinteresse. Darin gegründet der Schein ökonomischer Regulation durch Geldsteuerung (Habermas, Altvater etc.) und der begriffslose Geldfetisch von Kurz.

Daß der Wert nach Lockerung bzw. Preisgabe des Goldstandards nicht mehr durch eine Geldware repräsentiert wird, ist eine grundlegende und entscheidende Herausforderung an die marxistische Theorie am Ende unseres Jahrhunderts. Dadurch ist die immanente Rationalität des Wertgesetzes, wie auch immer, an einer entscheidenden Stelle durchbrochen. Die Tauschwertgleichungen W - G, G - W drücken ein Äquivalenzverhältnis von substantiell Gleichwertigen aus, wobei G für die Geldware als einem Wertprodukt steht, das sich qualitativ nicht von der Wertgestalt aller Ware nach den Wertbestandteilen k, v und m für vergegenständlichte (vergangene), bezahlte und unbezahlte Arbeit unterscheidet. Mit der Aufkündigung des Goldstandards ändert sich nichts am Wertbildungsprozeß oder daß die Arbeit die Quelle allen Werts, wohl aber verliert das Geld seine Funktion als allgemeines Wertäquivalent, Wertäquivalenz adäquat auszudrücken.

Im gegebenen Fall von Währungskonkurrenz bei flexiblen Wechselkursen und unter Absenz einer dominierenden nationalen Währung, die als durch Gold gedecktes Weltgeld fungiert, wird Geldpolitik ("Monetarismus") nolens volens zur zentralen Steuerungsinstanz in bezug auf die internationalen Kapitalbewegungen. Sie hat zu verhindern, daß aus Kapitalexport Kapitalflucht wird und dafür zu sorgen, daß Auslandskapital aus dem konkurrierenden Währungsgebiet angezogen wird.

Die Vorstellung, daß Geld- und Kreditfragen nur die Oberfläche kapitalistischer Reproduktion oder die Zirkulation beträfen, trifft nicht zu. Das Gesamtensemble kredit- und geldpolitischer Techniken und Instrumentarien seit der großen Wirtschaftskrise 1929 ist Reaktionsbildung auf die "allgemeine Krise des Kapitalismus" und trägt entscheidend dazu bei, diese Krise zeitweilig zu entschärfen, permanent zu verschleppen und zu verschärfen, sektoral und schließlich allgemein. Der von der Komintern geprägte Begriff der allgemeinen Krise des Kapitalismus ist zutreffend, so unkräftig deren Analysen dann auch gewesen sind. In der Regel hat man sich darauf beschränkt, krisentheoretische Argumente dogmatisch zu rekapitulieren und das Krisenmanagement des Gegners zu bagatellisieren bzw. ihm jede wie immer geartete Wirksamkeit abzusprechen. Es ist das Verdienst der marxistischen Keynesianismus-Kritik frühzeitig auf die Grenzen von Deficit Spending, staatlicher Kreditfinanzierung und Umverteilungspolitik via Staatsbudget hingewiesen zu haben. Dabei ist insbesondere an Mattick zu denken. Staatlich induzierte Produktion kollidiert früher oder später mit auf Expansion angelegter Kapitalakkumulation, weil erstere als Abzug vom Gesamtmehrwert figuriert. In welchen Formen und mit welchem Ausgang sich diese Kollision ereignen würde, lag außerhalb des Zeithorizonts von Matticks Analysen.

Staatliche Nachfragepolitik wurde als bevorzugtes Instrument kapitalistischen Krisenmanagements dadurch obsolet, daß sich von einem bestimmten Punkt an die aufgebauten Renditeerwartungen eines vergrößerten Geldkapitals am Rückgang der Kapitalproduktivität brachen. Standen beim Übergang zu staatlicher Nachfragepolitik System stabilisierende Interessen im Vordergrund, so bei der sogenannten monetaristischen Wende Klientelinteressen eines gestärkten arbeitslosen Kapitaleinkommens, zu dessen Kräftigung die Praxis staatlicher Schuldverschreibungen, Hochzinsphasen und Steuernachlässe ("Reaganomics") entscheidend beigetragen haben. Freier Kapitalverkehr und Währungskonkurrenz gehören zu den Voraussetzungen für die gestärkte Position des Geldkapitals. Die Mobilität des Kapitals, von einer Währung in die andere zu wechseln, nötigt die Währungsräume, positionale Vorteile optimal zu nutzen, wozu zuerst Geldwertstabilität gehört. Devisen, die international als Währungsreserven gehalten werden, vertreten als Substitute für Gold bzw. einen Gold gedeckten Dollar das allgemeine Wertäquivalent.

Die wirtschafts- und fiskalpolitischen Spielräume der bürgerlichkapitalistischen Nationalstaaten, auch der größten, tendieren bei Währungskonkurrenz unter den Bedingungen uneingeschränkter Kapitalmobilität und flexibler Wechselkurse gegen Null, womit - gewollt oder nicht - die Interessen eines global agierenden und in diesem Sinne kosmopolitisch gewordenen Geld- oder Rentnerkapitals bedient werden. Um den eignen Standort für das Rentnerkapital währungspolitisch attraktiv zu halten, vermeidet man alles, was inflationäre Prozesse in Gang setzen könnte, so sehr diese auch geeignet wären, Staatsschuld durch Geldentwertung zu überwälzen. Das Vertrauen in den währungs- und geldpolitisch gefesselten Nationalstaat bzw. Währungsraum gibt das Fundament ab für den Höhenflug der Börsenkurse. Daß sich der Kapitalfluß in Richtung der Währungen bewegt, die als Leit- und Reservewährungen fungieren, hat dabei nur bedingt mit der realwirtschaftlichen Stärke dieser Währungsräume zu tun. Der Zusammenhang zwischen Geldwertstabilität und realer Kapitalproduktivität oder Profitabilität industriellen Anlagekapitals hat sich gelockert, so daß den Kapitalbewegungen selbst ein hochgradig spekulatives Moment inhärent ist. Der Zustrom von Kapital auf die Wertpapiermärkte, die in Dollar, DM usw. valutieren, indiziert zunächst nur eine bestimmte Größenordnung des Anlage suchenden Kapitals und eine Übersättigung der favorisierten Währungsräume durch Zuzug von Auslandskapital. Kapital, das in den Ursprungsländern dringend gebraucht wird, spekuliert hier um Kursgewinne und verwandelt sich in Zusatzkapital für Produktionserweiterungen und Kreditvergabe in Händen und nach den Opportunitätsgesichtspunkten der metropolitanen Banken und Großkonzerne.

An der Börse wird letztlich um die Weltmarkt beherrschenden Positionen von morgen gepokert. Unternehmen treten den Gang zur Börse an, um die Differenz zwischen Nennwert der Aktie und Ausgabekurs einzustreichen. Das gute Börsenklima hat dafür den Boden bereitet. Für viele dieser Unternehmen wird der Börsengang eine kurzfristige Episode bleiben, weil mit der dadurch tendenziell ermöglichten Produktionsausweitung die zur Aufnahme der Produkte nötigen Märkte nicht oder nicht in gleicher Proportion mitwachsen. Umgekehrt sichern sich Großkonzerne strategische Positionen, indem sie ihre eigenen Aktien zu den derzeit überhöhten Kursen zurückkaufen.

Noch immer ist das Geschehen an der Mehrzahl der metropolitanen Börsen dadurch geprägt, daß die Masse der Zukäufe an Aktien die der Verkäufe zwecks Gewinnmitnahme übersteigt, woraus der Höhenflug der Kurse resultiert mit Notierungen, die die Renditen aus Dividenden bei weitem übersteigen. Das zeigt zunächst das enorme Volumen liquider Mittel an, die nach Anlage drängen bei gleichzeitiger Konzentration auf ein bestimmtes bevorzugtes Segment der an der Börse gehandelten Titel. Die Wahrnehmung, daß es dabei zuginge wie im Spielcasino, entspricht aber nur der Psychologie des Kleinanlegers, der auf Gewinnmitnahme spekuliert, um dann - geblendet von der Kapitals-Propaganda - den rechten Zeitpunkt dafür doch zu verpassen. Vor allem ist die Börse der Kampfplatz des Großkapitals - repräsentiert durch Großaktionäre (Multimillionäre und Milliardäre) und institutionelle Großanleger (Banken, Versicherungen etc.)-, auf dem um strategische Unternehmensbeteiligungen gerungen wird, letztlich unter der Zielvorgabe von Mehrheitsbeteiligung und Übernahme. Wären die ausschlaggebenden Großkapitale und Kapitalgruppen dergestalt in das Börsengeschehen involviert, daß es ihnen um die Realisierung von Kursgewinnen ginge, wären die Kurse längst eingebrochen.

(15) Heute befinden sich alle Imperialisten in abhängiger Souveränität bis auf einen: die USA. Diese Konstellation mindert das zwischenimperialistische Aggressionspotential und steigert es nach außen und unten, im Verhältnis zur Peripherie und gegenüber den Lohnabhängigen in den Metropolen. Einzig der Oberherr ist ökonomisch und militärisch potent genug, um sich über alle Welt hinwegzusetzen. Zugleich hat er die Effektivität des imperialistischen Systems im ganzen durch Institutionalisierungen gesteigert, in die seine Konkurrenten eingebunden sind: IWF, Weltbank, G 7; Nato. Unvermeidbare Reibungsverluste durch Handelskonflikte usw. führen zu zeitweiligen Instabilitäten. Innerimperialistische Großkonflikte dagegen setzen ökonomische und militärische Parität - oder annähernde Parität - unter konkurrierenden imperialistischen Großmächten voraus. Daß der deutsche Imperialismus sich erstmals im Bunde mit der stärksten Macht weiß, macht ihn nicht ungefährlicher.

Die Schwierigkeiten, die der Imperialismus-Begriff bereitet, lassen sich vielleicht so umschreiben: Imperialismus ist kein theoretischer Begriff der Kritik der politischen Ökonomie, während der Kapitalismus in unserem Jahrhundert und bis heute keinen Zweifel an seinem imperialistischen Charakter aufkommen läßt. Wie ist seine Vermittlung mit dem Kapitalbegriff oder der Kapitallogik zu denken, wenn er nicht als mehr oder weniger zufälliges Akzidens aufgefaßt werden soll?

Bedingung der Möglichkeit des Imperialismus ist, wovon Lenin als einem unbedingten Gesetz des Kapitalismus gesprochen hat: "Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus" ("Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa", August 1915, in: Werke 21, 345). Ungleich verteilt sind die Ressourcen schon bei der Kapitalbildung oder im Prozeß der ursprünglichen Akkumulation. Im Prozeß der Kapitalverwertung teilt sich die Gesamtmasse des angeeigneten Mehrwerts schließlich entsprechend der organischen Zusammensetzung des Kapitals, also ungleich oder ungleichmäßig. Den höher akkumulierten Kapitalen wächst die Potenz zu, ihre Positionen auch mit außerökonomischen Mitteln auszubauen und abzusichern. Zu diesen außerökonomischen Mitteln gehören formelle und informelle Absprachen zwischen Kapitalgruppen; dazu gehören alle von dominierenden Kapitalinteressen hegemonierten staatlichen und suprastaatlichen Aktivitäten.

Wachsende organische Zusammensetzung und Konzentration/Zentralisation des Kapitals bedingen einander und führen zu Monopolisierungserscheinungen vorübergehender und dauerhafter Art. Zum Begriff des Monopols überhaupt gehört die Erringung von Marktvorteilen gegenüber Konkurrenten, tatsächlichen oder potentiellen. Marktvermachtung ergibt sich aus technologischen Innovationen im Zusammenhang mit der Stufenleiter der Produktion, wie sie nur den am höchsten akkumulierten möglich ist und etwa durch Patente auf Dauer gestellt wird.

Von den Autoren von "Monopol und Staat" (Untertitel: "Zur Marx- Rezeption in der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus", hrsg. von Rolf Ebbighausen, edition suhrkamp 674, 1974) ist gegen die Imperialismus-Theorie Lenins geltend gemacht worden, daß er die Begriffe nicht kategorial aus der Kritik der politischen Ökonomie entwickelt habe. Richtig an dem Einwand ist, daß Lenins "Gemeinverständlicher Abriß", wie der Untertitel von "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" lautet, kein Äquivalent darstellt zu den Büchern über den Weltmarkt und den Staat in der ursprünglichen Konzeption von Marx für "Das Kapital". Es schmälert aber nicht das Verdienst Lenins, die Vermachtung ökonomischer Verhältnisse in den Formen analysiert zu haben, die für ihn die zeitgenössischen waren. Daß es sich bei der Imperialismus-Schrift nicht um eine kategoriale Fortbestimmung des Kapitalbegriffs handelt, gibt sich schon an der Darstellungsform zu erkennen. Mit den zentralen Begriffen - Konzentration (Zentralisation), Monopol, Finanzkapital, Imperialismus - wird nicht weniger als an Marx an einen gegebenen Diskussionsstand und empirische Befunde angeknüpft. Wenn Marktvermachtung aus dem Akkumulationsgesetz folgt, so gilt das offenbar nicht ebenso für die Formen, in denen sie sich vorübergehend und/oder dauerhaft durchsetzt.

(16) Der Warenkorb des Lohnarbeiters an Lebens- und Entwicklungsmitteln vergrößert sich mit wachsender Produktivkraft der Arbeit, in der Regel aber nicht im selben Verhältnis, was auf steigenden relativen Mehrwert bei gleichzeitiger Vergrößerung des Reallohns hinausläuft. Bei diesem Regel- oder Durchschnittsfall sinkt der Wert der Ware Arbeitskraft unter ihren Wert, vergrößert sich der aliquote Teil des relativen Mehrwerts, während die Wertminderung des Werts der Arbeitskraft durch die gesteigerte Produktivität kompensiert und überkompensiert wird, was sich in einem gleichbleibenden oder vergrößerten Warenkorb ausdrückt. Wächst der Reallohn in Proportion zum Produktivitätsfortschritt, was gesellschaftlich nur unter Verhältnissen von Vollbeschäftigung möglich ist, so kommt es zu einem gleichmäßigen Wachstum in der Wertproportion Arbeitskraft/Kapital oder die Produktion relativen Mehrwerts erlischt. Diesen Fall hat Marx nicht ins Auge gefaßt; um real zu werden, bedurfte es der besonderen Bedingungen zweier Weltkriege, von Kriegsproduktion und Systemkonkurrenz als "kaltem Krieg".

Editoriale Anmerkung:
Der Text erschien bei KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 7 - 20.07.2001 - Onlineversion  und ist eine Spiegelung von:
http://members.aol.com/Streitpunkte/ks0710.html