Erdöl: 
Neue Landkarten 
von
HANS JAKOB GINSBURG, FRANK SIEREN/PEKING, FRIEDRICH THELEN
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Der Kampf gegen den radikal-islamischen Terror ist auch mit der Sicherstellung der Ölversorgung verbunden. Denn: Die Sorge um Alternativen zum Öl von der arabischen Halbinsel ist heute berechtigter denn je. Welche Rolle das Erdöl in der gegenwärtigen Krise spielt und wie die neue Landkarte der Öl- und Krisenregion aussieht, die in den USA entworfen wird. 

Afghanistan ist kein blinder Fleck für die US-Energiewirtschaft. 1997 verhandelte Marty Miller, Vizepräsident des amerikanischen Unocal-Konzerns, mit den Taliban in Kabul über den Bau einer Pipeline aus dem zentralasiatischen Turkmenistan durch Afghanistan an die pakistanische Küste. Und in Washington verbreiteten Ölmanager die Kunde, gerade die fundamentalistischen Taliban seien gut fürs US-Geschäft. 

Ein Fehlurteil. Doch die Sorge um Alternativen zum Öl von der arabischen Halbinsel oder aus den eigenen Ölfeldern war berechtigt - und ist es heute noch mehr. Die USA produzieren selbst nur ungefähr die Hälfte ihres Energiebedarfs; Amerikas Alliierte in Westeuropa noch viel weniger. An die Zuverlässigkeit der Öllieferungen aus dem Irak oder dem Iran - wenn man sie überhaupt haben will - glaubt niemand, und das Land mit den weltweit größten Ölvorkommen, Saudi-Arabien, steht vor einer gewaltigen sozialen und politischen Krise. 

Seit Anfang der Neunzigerjahre, als die Sowjetunion zerfallen war und in den neuen Staaten Zentralasiens weitere Öl- und Gasreserven entdeckt wurden, ist Zentralasien ins Blickfeld Energiepolitiker und -unternehmer geraten. Die US-Regierung, amerikanische Öl- und Baukonzerne und die Russen begannen das Spiel um Einfluss, Energie und Geldquellen mit westeuropäischen Ölfirmen, der Türkei und dem Iran als weniger mächtigen Kombattanten. 
Bill Clinton setzte auf Ausschaltung der potenziell unzuverlässigen russischen Konkurrenz und der politisch verhassten Iraner. Turkmenen, Kasachen und Aserbaidschaner sollten ihr Öl und Gas auf keinen Fall durch iranisches Territorium an den Indischen Ozean pumpen und nach Möglichkeit auch nicht durch russisches Gebiet Richtung Westeuropa. In Zusammenarbeit mit Konzernen wie Bechtel und GE Capital - auch der britisch-holländische Riese Royal Dutch Shell war dabei - favorisierten die USA den Bau von Öl- und Gasleitungen vom Kaspischen Meer durch Aserbaidschan und Georgien in das Natoland Türkei. 

Das Projekt, technisch schwierig und politisch delikat - die Pipeline würde durch das türkische Kurdengebiet führen -, ist ohne massive US-Unterstützung kaum zu verwirklichen. Daran schien es nach dem Machtwechsel in Washington zu fehlen: Präsident George W. Bush und sein Vize Dick Cheney, beides ehemalige Manager der Öl- und Pipelineindustrie, zeigten sich interessierter an der Erschließung von Energiereserven in Nordamerika. Noch im August warf Jan Kalicki, unter Clinton Koordinator der US-Regierung für die Energie- und Handelskooperation mit den zentralasiatischen Republiken, der Bush-Regierung Passivität gegenüber den kaspischen Energieschätzen vor: "Es wäre ein schlimmer Fehler, wenn die Vereinigten Staaten ihre bisherigen Erfolge und künftigen Möglichkeiten in der Region durch Untätigkeit und Lässigkeit verspielen würden", schrieb er in der Zeitschrift "Foreign Affairs". 

Das war vor den Terroranschlägen vom 11. September. Von Untätigkeit der US-Regierung in Zentralasien ist jetzt keine Rede mehr. Nur haben sich die Spielregeln geändert: Während es den Clinton-Leuten vor allem darum ging, die russischen Energiekonzerne aus der Region herauszudrängen, scheint Bush die Kooperation mit Präsident Wladimir Putin im Kampf gegen die radikal-islamische Bedrohung mit wirtschaftlichen Konzessionen erkaufen zu wollen. Das Arrangement, meint der deutsche Nahostexperte Udo Steinbach, würde darauf heraus laufen, "die Energieversorgung des Westens zu sichern und Russland an den Erlösen maßgeblich zu beteiligen". 

Bush wird so zwei Ziele zugleich erreichen: 

  • die Terroristen bekämpfen: In den USA setzt sich die Überzeugung durch, dass dazu der Schulterschluss mit Moskau unabdingbar ist. Putin, der alte KGB-Agent, ist nach der Formulierung des New Yorker Kolumnisten Thomas Friedman der Mann, "der die Handynummer eines früheren Kollegen hat, der einen Geheimdienstmann im Nahen Osten kennt, der einen afghanischen Agenten anrufen kann, der weiß, wo sich Bin Laden aufhält". 
  • die Ölversorgung der westlichen Welt langfristig sichern: Die möglichen Energievorkommen in der kaspischen Region - Kalicki zufolge 85 Milliarden Fass Erdöl und 11 Billionen Kubikmeter Erdgas - sollen nicht nur die Nordsee als sichere Alternative zum arabischen Öl ablösen (in der Nordsee vermutet man nur noch 27 Milliarden Fass Öl und fünf Billionen Kubikmeter Gas). Kaspien soll auch dann zur Verfügung stehen, wenn die arabische Halbinsel mit ihren Ölreserven (531 Milliarden Barrel Öl, 41 Billionen Kubikmeter Gas) wegen Unruhen ausfällt. Dafür spricht gerade im Zeichen der radikal-islamischen Bedrohung viel. 

Denn aus Saudi-Arabien kommen nicht nur viele von Bin Ladens Spießgesellen und der Oberterrorist persönlich. Der abnehmende Ölreichtum hat zu empfindlichen Wohlstandsverlusten der schnell wachsenden Bevölkerung und entsprechender Unzufriedenheit geführt. Aber nicht nur arme Saudis hegen revolutionäre Gefühle. Viele Männer, die durch Ölgeschäfte oder Kapitalanlagen im Westen steinreich geworden sind, machen, wie Steinbach beobachtet, "einerseits mit dem Westen Geschäfte und unterstützen andererseits finanziell Kreise, die behaupten, für den Islam zu kämpfen und zum Teil natürlich auch bereit sind, gewalttätig zu werden". 

Weil die arabische Halbinsel bedroht ist, ist Zentralasien so wichtig geworden. Wenn der Westen dort seine Energieversorgung sichern will, muss er mit vielen Partnern zusammenspielen. Wichtiger noch als die Einmannherrscher in Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan sind die Russen mit ihrem Einfluss auf die Region; ähnlich wichtig ist auch China. 
Mit einer unauffälligen Strategie wirtschaftlicher Einbindung und politischer Nichteinmischung hat China in den vergangenen Jahren seine Interessen in Zentralasien vorangetrieben. China möchte zur Schutzmacht der Region und zur ostasiatischen Energiedrehscheibe werden, von der vor allem Südkorea und Japan abhängig wären. Auch darum beginnt das Land Ende des Jahres den Bau einer 2500 Kilometer langen Pipeline aus der Westprovinz Xinjiang nach Schanghai; die Leitung könnte zum Kaspischen Meer verlängert werden. 

Für die Chinesen sind die Amerikaner also Konkurrenten in Zentralasien. Sie sind aber auch Verbündete im Kampf gegen den radikalen Islamismus, der schnell die muslimischen Uiguren in Xinjiang erfassen könnte. Ähnlich wie Moskau wird Peking versuchen, durch Hilfsangebote an Washington im Kampf gegen die Terroristen die Amerikaner zu wirtschaftlichen Zugeständnissen zu bewegen. 

In Washington werden derweil neue Landkarten der Öl- und Krisenregion entworfen, in denen sogar das lange als völlig unrealistisch abgetane Pipelineprojekt vom Kaspischen Meer quer durch Afghanistan an den Indischen Ozean wieder vorkommt. Wendy Chamberlin, US-Botschafterin in Islamabad, hat dem pakistanischen Militärmachthaber Pervez Musharraf diese Ölleitung fest versprochen - als Lockmittel für seinen Frontwechsel. Das bitterarme Pakistan würde dann neben Russland zum wirtschaftlichen Gewinner des Konflikts. 
Die Sache hat einen Schönheitsfehler: Es wird lange dauern, länger, als die Massen in den pakistanischen Millionenstädten warten wollen. In der Zwischenzeit brauchen Pakistan und andere islamische Länder der Region finanzielle Hilfe, wenn sie dem Westen die Treue halten sollen. 

Früher hat diese Aufgabe stellvertretend für die Amerikaner das ölreiche Saudi-Arabien wahrgenommen - wobei saudisches Geld allerdings auch radikale Gruppen wie die Taliban oder die palästinensische Hamas hoch päppelte. Jetzt braucht das von der Krise geschüttelte Saudi-Arabien seine Erdölerlöse für sich selber. 

In Berlin ist es kein Geheimnis, dass die Amerikaner für eine Art Asienstabilitätspakt mit dem Geld der Europäer rechnen. Von einem zweistelligen deutschen Milliardenbetrag ist die Rede - beim Golfkrieg 1990 lag der deutsche Beitrag bei 17 Milliarden Mark. Damit sollen Pakistan und andere unsichere Kantonisten aufseiten des Westens gehalten werden, irgendwann auch das zerstörte Afghanistan. Und dann könnte aus der Pipeline durch Afghanistan doch noch was werden. 

Editoriale Anmerkung:
Der Artikel erschien in der
Wirtschaftswoche vom 02.10.2001 und wurde von
http://wiwo.de/WirtschaftsWoche/Wiwo_CDA/0,1702,11221_69700,00.html
gespiegelt.